Future Combat Air System: Kampfjet made ‚in Europe‘
Aufrüstung, aber gemeinsam: Mittels einer milliardenschweren Rüstungskooperation wollen Deutschland, Frankreich und Spanien den Kampfjet der nächsten Generation entwickeln. Das hat auch mit der Rolle der Forschung und den Universitäten zu tun.
Deutschland rüstet auf – und das nicht nur verbal. Spätestens mit der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Februar 2022, nur wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, ausgerufenen „Zeitenwende“ gehörte die bis dato zumindest im öffentlichen Diskurs geltende Zurückhaltung in Bezug auf Aufrüstung und das NATO-Zwei-Prozent-Ziel endgültig der Vergangenheit an. Auf die Rede im Bundestag folgte Geld und so wurde mit einem Mal das 100-Milliarden-Euro Sondervermögen für die Bundeswehr durchgesetzt.
Mehr als eineinhalb Jahre später fordert Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) einen Mentalitätswechsel in Sicherheitsfragen. Man müsse sich „an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte“. Hieraus entstehe die Notwendigkeit, „kriegstüchtig“ zu werden. Während Israel unter der rechten Regierung Netanjahus einen Genozid an den in Gaza lebenden Palästinenser:innen begeht, bekommt es dafür von der deutschen Politik, allen voran der Ampelregierung, einen Freifahrtschein. So betonte auch Pistorius, man stehe an der Seite Israels, was er mit dem Existenz- und Selbstverteidigungsrecht begründete – oder auch: der deutschen Staatsräson.
Die Idee, Deutschland und weitere Länder der EU in Rüstungsfragen unabhängiger von den USA zu machen, ist hingegen keine allzu neue: Sie geht auf eine 2001 im Rahmen des European Technology Acquisition Programme begonnene Studie über neue Waffensysteme zurück, aus der heraus das Konzept des Future Combat Air System (FCAS), einem sogenannten System-of-Systems-Ansatz, entstehen sollte – ein gemeinsames milliardenschweres Rüstungsprojekt von Deutschland, Frankreich und Spanien, das in der Öffentlichkeit jedoch keine allzu große Rolle spielt.
Mehrzweckkampfflugzeug der nächsten Generation
Im Juli 2017 gaben die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident Emmanuel Macron ihre Absicht bekannt, einen deutsch-französischen Kampfjet der sechsten Generation entwickeln zu wollen, um in Deutschland das Eurofighter-, sowie in Frankreich das Rafale-Modell zu ersetzen. Im April 2018 wurden die Pläne mittels einer Vereinbarung konkretisiert, 2019 stieg schließlich Spanien als dritter Partner in das Projekt ein. Für den Entwicklungszeitraum wurden in etwa 20 Jahre veranschlagt, was eine Fertigstellung im Jahr 2040 zum bisherigen Ziel macht. Alle drei Staaten benannten jeweils einen Industriekoordinator: Airbus Defence & Space GmbH für Deutschland, Dassault Aviation S.A. für Frankreich und Indra Sistemas S.A. für Spanien; weiterhin kommen die Unternehmen Safran, MTU, ITP Aero, MBDA, Santus, Thales und FCMS hinzu, die jeweils entweder in Deutschland, Frankreich oder Spanien ansässig sind. Aus einer Anfrage im Bundestag von März 2020 geht hervor, dass damals noch keine belastbaren Aussagen über die Gesamtkosten getroffen werden konnten. Lediglich wurden eine gemeinsame Konzeptstudie mit 65 Millionen Euro sowie erste Forschungs- und Technologieaktivitäten mit 155 Millionen Euro benannt. Mitte 2021 beliefen sich die ersten Schätzungen schließlich auf 100 Milliarden Euro.
Aus einem Factsheet zum FCAS vom Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie e.V. gehen die einzelnen Bestandteile genauer hervor: Es beinhaltet einen Next Generation Fighter (NGF), Remote Carrier (RC) sowie eine Air Combat Cloud (ACC). Im Gegensatz zu vorherigen Generationen soll der NGF weiterentwickelte Schlüsseltechnologien im Bereich von Elektronik und Sensorik nutzen und eine Vernetzung mit unbemannten Komponenten ermöglichen. Diese unbemannten Komponenten werden unter dem Terminus RC gefasst. Sie sollen mit dem Kampfflugzeug interagieren, eine Unterstützung bei der Aufklärung und der elektronischen Kampfführung darstellen sowie als Force Multiplier wirken. Beim ACC schließlich handelt es sich um ein IT-System, das als digitaler Backbone das Kampfflugzeug und die RC für den Austausch von Informationen miteinander vernetzt. Bereits vorhandene Systeme sollen außerdem in das ACC integriert werden.
Was vor allem in Bezug auf die RC immer noch relativ abstrakt klingt, fasst Tobias Pflüger, ehemaliger Abgeordneter für die Partei DIE LINKE, folgendermaßen zusammen: „Das sind Drohnenschwärme, deren Kampfeinsatz autonom erfolgen soll – unter Einsatz von Programmen der künstlichen Intelligenz.“ Weiterhin argumentiert er, Deutschland trage mit solchen Entwicklungen maßgeblich zur Entfesselung des Wettrüstens auf dem Gebiet der autonomen Waffen bei. In dem bereits zitierten Factsheet klingt das selbstredend anders. Hier werden einerseits der Vorteil und die Profitabilität für die deutsche Wirtschaft betont. Weiterhin werde mit dem FCAS eine „enge, europaweite, sicherheitspolitische Zusammenarbeit in Form einer gemeinsamen Entwicklung von Technologie und gemeinsamen Beschaffungsvorhaben“ demonstriert. Dabei handle es sich um eine „zukunftsorientierte Weiterentwicklung von militärischen Fähigkeiten der europäischen Partnernationen“, womit die „Stärkung der strategischen und technologischen Souveränität von Deutschland und Europa durch den Aufbau europäischer Lieferketten im Hochtechnologiebereich und die langfristige Reduktion der Abhängigkeit von nichteuropäischen Lösungen“ einhergehe. Mit den Investitionen in Forschung und Entwicklung im Kontext des FCAS sollen außerdem „die deutschen Positionen in wichtigen Zukunftsmärkten gestärkt bzw. neue Fähigkeiten erschlossen werden“. Konkret nennt das Papier hier Bereiche wie Künstliche Intelligenz, Quantentechnologie, sichere europäische Cloud-Lösungen sowie autonomes Fliegen. Auffällig ist, dass in Zusammenhang mit jenen neuen Technologien stets der zivile neben dem militärischen Bereich betont wird. Diese Möglichkeit zur doppelten Nutzung wird als Dual-Use bezeichnet, was unter anderem in Diskussionen um die Zivilklausel an Universitäten eine Rolle spielt. Pflüger hingegen kritisiert das geplante Vorhaben als „absehbares Milliardengrab“ und „erschreckenden Schritt in der Aufrüstungsspirale“ – und das bereits 2021, das heißt noch vor der „Zeitenwende“.
Die Rolle von Wissenschaft und Forschung
Im Juli dieses Jahres forderte Friedrich Merz (CDU) den freien Zugang der Bundeswehr zu Schulen und Forschungskapazitäten an Universitäten und sprach sich gegen Zivilklauseln aus, da diese seiner Ansicht nach nicht mehr zeitgemäß seien. Zivilklausel meint die Selbstverpflichtung einer wissenschaftlichen Einrichtung, beispielsweise einer Universität, ausschließlich für zivile Zwecke zu forschen, was insbesondere auch bei Dual-Use-Projekten entscheidend ist. Die Universität der Bundeswehr forscht hingegen ganz offen für Rüstungsprojekte, wie beispielsweise auch für das FCAS. Sie ist hier mit einer Studie zum „manned-unmanned teaming (MUM-T)“ beteiligt, womit die Fähigkeit verschiedener Systeme zur nahtlosen Zusammenarbeit beschrieben wird. In der Mitteilung dazu auf der Website der Bundeswehr wird weiterhin beschrieben, wie der Luftkrieg der Zukunft aussehen könnte – irgendwelche zivilen Zwecke der Forschung werden weder erwähnt noch sind sie in der Studie enthalten. Beteiligt sind Wissenschaftler:innen aus den Bereichen Luft- und Raumfahrttechnik, Informatik, Physik und Psychologie – man könnte hier beinahe von Interdisziplinarität sprechen –; die Ergebnisse werden „durch die Abteilung Weiterentwicklung des Kommando Luftwaffe an die im Programm FCAS beteiligten Dienststellen, unter anderem das Bundesministerium der Verteidigung, übergeben […].“ Im November ist außerdem der Senior Manager und FCAS Chief Technology Manager bei der Airbus Defence and Space GmbH, Christian Munzinger, für einen Vortrag mit dem Titel „Future Combat Air System – Technologie für ein komplexes operationelles Einsatzspektrum“ an der TU Braunschweig eingeladen. Wenngleich dadurch nicht direkt Forschung am und für das FCAS betrieben wird, so sind es doch die Studierenden in den relevanten Fachbereichen, die zu Arbeitskräften ausgebildet werden, um künftig potentiell an eben solchen Rüstungsprojekten zu arbeiten. Das heißt, Rüstungsforschung findet nicht nur finanziert durch Drittmittel an den Universitäten selbst statt; auch umgekehrt gelangen Forschung und Wissen zurück in die Wirtschaft beziehungsweise zu den Rüstungsunternehmen, um dort verwertet zu werden.
Von Drittmitteln allerdings sind Universitäten wie auch Wissenschaftler:innen selbst durch die schlechte Grundfinanzierung immer stärker abhängig. So finanzierte etwa das Pentagon mit knapp vier Millionen Dollar Rüstungsforschung an der LMU. Weiterhin ist mit Thomas Klapötke ein Professor an der LMU tätig, der an der sogenannten „Grünen Bombe“ forscht und 75 Prozent seiner Gelder dafür ebenfalls vom US-Verteidigungsministerium bezieht. Ihm zufolge sei es geradezu unmoralisch, rein akademische Forschung zu betreiben, die nicht „im anwendungstechnischen Bereich“ von Nutzen ist. Dass Klapötke ausgerechnet an der LMU beziehungsweise in München und damit Bayern arbeitet, hat einen spezifischen Grund, wie er 2020 in einem Interview darlegte: “ Ich würde nie einen Ruf nach Karlsruhe oder nach Aachen annehmen aufgrund dieser Friedensklauseln. Bevor ich nach München gegangen bin, habe ich mir natürlich angeschaut, ob es eine solche Friedensklausel gibt. Und gab’s nicht, und deshalb bin ich hergekommen. Wenn die jetzt eingeführt würde, dann würde ich vermutlich meine Sachen packen.“ Die Zivilklausel, an der Merz sich stört und die er am liebsten kollektiv abschaffen würde, existiert also noch nicht einmal an allen Universitäten.
Den Druck aus der Politik heraus benennen auch die Veranstalter:innen des Zivilklausel-Kongresses, der Ende Oktober in Kassel stattfand – einem der Standorte des Rüstungskonzerns Rheinmetall, dessen Aktien nach dem Krieg in der Ukraine deutlich anstiegen – und aus dem heraus eine bundesweite Kampagne entstehen soll. Solche Selbstverpflichtungen sind selbstverständlich nicht das Mittel, durch das Rüstungsforschung ein für alle Mal aus den Universitäten verbannt wäre; jedoch können sie einen ersten Schritt darstellen, um davon ausgehend den Kampf gegen Militarismus auch im Kontext von Wissenschaft, Forschung und Lehre fortzusetzen. Vielmehr zeugen die Angriffe auf die noch bestehenden Zivilklauseln, wie weit die Aufrüstungsspirale bereits fortgeschritten ist und in welche Richtung sie, sollte es nach der Bundesregierung und weiten Teilen der Opposition gehen, fortgesetzt wird.
Mit Streiks gegen die Aufrüstung
Jene Aufrüstung beziehungsweise die Militarisierung nach Außen geht einher mit einer inneren Militarisierung und Angriffen auf die Lebensrealität der Arbeiter:innen, Auszubildenden, Studierenden sowie der Jugend, insofern sie Kürzungen und Sparmaßnahmen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales mit sich bringt. Das Projekt FCAS zeigt dabei, dass die Tendenz zur Aufrüstung nicht erst im Februar 2022 – dem Beginn der „Zeitenwende“ – einsetzte; ab diesem Zeitpunkt aber konnte die Militarisierung sehr viel stärker ausgesprochen und folglich auch durch- beziehungsweise umgesetzt werden. Sei es durch das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr, Waffenlieferungen an die Ukraine, die Verschärfungen des Asylrechts, die Forderung nach einer Ausweitung der Befugnisse des Verfassungsschutzes oder die pauschalen Verbote von palästina-solidarischen Demonstrationen sowie die massiven Repressionen, die teils die Androhung von Abschiebungen beinhalteten und zu einem im Bundestag kollektiv geteilten Verbot von Samidoun führten.
Eine Zivilklausel ist nicht ausreichend, um den Kampf des deutschen Imperialismus um eine starke Position in der Welt zu beenden. Während derzeit Studierende für einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TV-Stud) und Arbeiter:innen im öffentlichen Dienst der Länder im TV-L streiken, kann sie eine wichtige Forderung an Universitäten und Hochschulen sein. Darüber hinaus braucht es selbstorganisierte Streikversammlungen, um weitergehende Forderungen, wie etwa nach massiven Investitionen in Bildung, Gesundheit und Soziales zu diskutieren und in die Streiks hineinzutragen. Denn die Arbeiter:innenklasse ist es, die qua ihrer Position die Aufrüstungsspirale beenden kann. So haben beispielsweise Arbeiter:innen in Kent gemeinsam mit pro-plästinensischern Aktivist:innen ein Werk, das eine Tochtergesellschaft von dem israelischen Waffenhersteller Elbit Systems ist, besetzt und damit die Lieferungen von Drohnen und Waffen verhindert; kurze Zeit später riefen Luftfahrtgewerkschaften in Belgien ihre Mitglieder auf, ebenfalls die Waffenlieferungen nach Israel zu blockieren; Studierende besetzten ein Universitätsgebäude in Neapel und forderten, den Genozid und die Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen sowie die Forschungskooperationen mit israelischen Universitäten zu beenden, insofern diese eine Unterstützung des Apartheidregimes darstellen. Diese Aktionen müssen ausgeweitet und fortgesetzt werden, denn sie zeigen, dass sich mit den Mitteln der Arbeiter:innenbewegung, in gemeinsamer Organisierung mit Studierenden, der Jugend und Aktivist:innen, Aufrüstung und Krieg beenden lassen!