Für eine sozialistische Welt ohne Grenzen!

21.11.2012, Lesezeit 9 Min.
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In den letzten Monaten nahm der Kampf von Geflüchteten gegen unmenschliche Behandlung durch die Behörden der BRD eine ganz neue Qualität an. Nachdem migrantische AktivistInnen – gerade in Bayern – immer wieder durch Aktionen aufgefallen waren, setzte sich Anfang September in Würzburg eine Karawane von Geflüchteten in Bewegung. Ganze Familien marschierten mit, bis sie nach drei Wochen und 600 Kilometern in Berlin ankamen. Dort halten sie seitdem den Oranienplatz in Kreuzberg mit einem Camp besetzt[1].

Am 13. Oktober riefen die Geflüchteten und ihre UnterstützerInnen zu einer Demonstration auf, die vom Oranienplatz bis vor das Reichstagsgebäude zog (wo sie auf eine Gegendemonstration der rechtsradikalen Partei „Pro Deutschland“ stießen). Nachdem die DemonstrantInnen des „Global Noise Day“ (zum Jahrestag des globalen Aktionstages am 15. Oktober 2011) und des Protestcamps der MieterInnen am Kottbusser Tor sich angeschlossen hatten, waren über 6.000 Menschen auf den Straßen, um ihre Solidarität mit dem Kampf der Geflüchteten zum Ausdruck zu bringen. Am folgenden Montag fand dann eine Besetzung der nigerianischen Botschaft statt, weil diese in vielen Fällen mit dem deutschen Staat bei Abschiebungen kollaborierte. Als dabei mehrere AktivistInnen festgenommen wurden, mobilisierten sich spontan fast 1.000 Menschen, um für ihre sofortige Freilassung zu demonstrieren[2] – erfolgreich!

Eine vollkommen ungewohnte Situation: Sowohl die Radikalität der Geflüchteten selbst als auch die große Anzahl an solidarisch demonstrierenden Menschen überstieg hier das sonst bekannte Maß der „Antira“-Bewegung. Denn in der Tat waren die Geflüchteten radikal: So forderten sie mit ihrer Karawane nach Berlin die rassistische Residenzpflicht offen heraus. Einige der AktivistInnen kampierten zusätzlich am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor und waren anderthalb Wochen im Hungerstreik, während sie entwürdigendster Polizeischikane ausgesetzt waren, und zogen somit eine beispiellose Aufmerksamkeit auf ihre Forderungen. So erfuhren breite Teile der Bevölkerung erstmalig über die Flüchtlingslager, die Residenzpflicht, das Verbot von Arbeit und Bildung sowie über weitere Maßnahmen, die AsylbewerberInnen abschrecken sollen.

Wir begrüßen es ausdrücklich, dass sich Menschen, die rassistischer Unterdrückung ausgesetzt sind, auf diese Art und Weise wehren, genauso, dass dieser ihr Kampf ein solch außergewöhnliches Echo in der breiten Bevölkerung findet. Nichtsdestotrotz kann der Kampf nicht bei symbolischen Aktionen stehen bleiben. Vielmehr müssen aus der Analyse der Situation von MigrantInnen konkrete Schritte entwickelt werden.

Hintergründe von Rassismus

Das Problem hat seine Ursachen in den Raubzügen des Imperialismus in halbkolonialen Ländern in der sogenannten „Dritten Welt“. Aus ihren Heimatländern geflüchtet, die nur den Monopolen der reichen Länder Rohstoffe liefern, suchen sie dort nach einem Leben in Freiheit und Sicherheit, wo ihre SchänderInnen sich auf dem Diebesgut eine kleine Parallelwelt des Wohlstands geschaffen haben. Doch – natürlich – sind sie auch hier nicht sicher. Das Kapital der imperialistischen Länder kann ArbeiterInnen gut gebrauchen, die in Zaum gehalten werden von der Furcht auf „Rückführung“ in die alte Heimat, und deswegen bereit sind, zu den geringsten Löhnen die härteste, zermürbendste und entwürdigendste Arbeit zu machen. So schafft sich die Bourgeoisie eine Schattenwirtschaft der skrupellosesten Lohnsklaverei. Auch wenn besonders schlechte Jobs in der BRD zunehmend von legalen MigrantInnen aus Osteuropa erledigt werden, so leben und arbeiten heute bis zu eine Million „Illegale“ in diesem Land.

Währenddessen schaffen die Staaten eben dieser Bourgeoisie ein System von Lagern, in dem die Geflüchteten wie SchwerstverbrecherInnen gehalten werden: Sie leben auf engstem Raum, sind auf vollkommen verkommene Sanitäranlagen angewiesen, und dürfen erst recht nicht auch nur ihre Ernährung selbst bestimmen, sondern bekommen nur fertige Lebensmittelpakete, oft von Dienstleistungskonzernen wie Dussmann. Schlimm genug, dass die geflüchteten Menschen damit wie Vieh behandelt werden – der bürgerliche Staat lässt sich diese Tortur auch einiges kosten. Es wäre nämlich für ihn wesentlich billiger, die Geflüchteten einfach wie „gewöhnliche“ Erwerbslose zu versorgen (also mit Geldzahlungen und Unterbringung in normalen Sozialwohnungen).

Warum tut er das nicht? Die Bourgeoisie zieht, wie bereits erwähnt, erheblichen Profit daraus, wenn die migrantischen Lohnabhängigen sich als moderne SklavInnen verdingen – die Schrecken der Lager bringen viele von ihnen dazu, sich eher in der Illegalität zu sklavenähnlichen Bedingungen durchzuschlagen. Dieser Sektor der ArbeiterInnenklasse, der noch weit unterhalb der Bedingungen des Niedriglohnsektors arbeiten muss, schafft Druck auf alle Löhne.

Gleichzeitig hat die Bourgeoisie die Geflüchteten quasi gleich zur Hand, wenn von der eigenen Verantwortung an der Misere der Menschen abgelenkt werden muss – man kann mit dem Finger auf die Geflüchteten zeigen, diese seien durch „Asylmissbrauch“ schuld, und nicht etwa die Herrschenden. So geschieht es im Moment, wo der christ-reaktionäre Innenminister Friedrich über Geflüchtete aus Serbien und Montenegro herzieht (die zufälligerweise mit dem gar nicht unbekannten Feindbild des „Zigeuners“ übereinstimmen).

RevolutionärInnen können nicht die Augen verschließen vor der Hölle, die die herrschende Klasse und ihr Staat den MigrantInnen bereiten. Unser Kampf gilt ja gerade dem unersättlichen Drang der Bourgeoisie nach der Mehrung ihres Profits, der auf der Ausbeutung der unterdrückten und entrechteten Massen beruht. Diese krassen Angriffe auf die fundamentalsten demokratischen Rechte migrierter Menschen müssen wir bekämpfen. Denn ihr Leid ist auch unseres: Wenn die KapitalistInnen unsere Klassengeschwister in diese Lager stecken, dann verstärken sie die Ausbeutung, dann schaffen sie sich die Möglichkeit, auch unsere Löhne zu drücken. Sie spalten uns und spielen uns gegeneinander aus. Unser Kampf aber muss alle Mittel nutzen, die geeignet sind, diesen Auswuchs zu beseitigen.

Perspektiven des Antirassismus

Umso wichtiger ist es, welchen Mut die Geflüchteten bei ihrem Kampf bewiesen haben und immer noch beweisen. Es war die Angst vor dem, was in ihrer Heimat droht, die sie hierher getrieben hat – und vor diesem Hintergrund ist es ein besonderer Kraftakt, wenn sie (mit Familien!) aus ihren Lagern ausbrechen, die Residenzpflicht verletzen und wochenlang öffentliche Plätze besetzen. Sie brachen aber nicht nur aus der rassistischen Eingrenzung aus, sondern auch aus den bisherigen Grenzen antirassistischer Arbeit. Diese besteht häufig ausschließlich aus einzelnen Tagesarbeiten, die kurzfristig an den direkten Bedürfnissen der Geflüchteten ansetzen. Diese juristische, medizinische und direkt materielle Unterstützung ist wertvoll und notwendig. Jedoch bleibt sie eine Sisyphus-Arbeit, wenn sie nicht zum Einen um eine allgemeine politische Perspektive erweitert wird, die die Tagesarbeiten mit einander verbindet und strategisch auf das politische Ziel ausrichtet, ein absolut bedingungsloses Asylrecht zu verwirklichen. Zum anderen erfordert die Erreichung dieses Ziels die Einbindung der Geflüchteten als aktive politische Subjekte, die selbstständig für ihre Interessen eintreten.

Mit der Besetzung des Berliner Oranienplatzes und des Hungerstreiks vor dem Brandenburger Tor haben sie diese Rolle eingenommen – und so den Boden für die breite und aktive Solidarität geschaffen.

Was also können wir tun? Zunächst einmal müssen wir jede Forderung der Kämpfenden unterstützen. Für diese, als fundamentale demokratische Rechte, müssen wir eine breite Mehrheit in der lohnabhängigen Bevölkerung gewinnen, schon aus ganz praktischen Gründen. Die Geflüchteten selbst, gerade jene in Lagern, sind eine kleine und besonders unterdrückte Gruppe – klar, dass die auf sich gestellt nur wenig Druckkraft aufbauen können. Die Mobilisierungen um den „Refugee March“ herum haben gezeigt, dass für eine solche Bewegung Potential vorhanden ist.

Eine undefinierte soziale Bewegung allein wird nicht die Macht haben, die Befreiung der MigrantInnen zu erkämpfen. Vielmehr ist es notwendig, dass die ArbeiterInnenklasse diese Kämpfe aufnimmt, sie zu ihren macht, und mit den eigenen Kampfmitteln vorantreibt. Das ist auch keine hohle Phrase, um das marxistische Gewissen zu beruhigen – denn die ArbeiterInnenklasse hat nicht nur das historische Potential, um die Herrschaft des Kapitals zu überwinden, sondern durchaus auch ganz konkrete Mittel, mit denen die Geflüchteten sehr massiv und effektiv unterstützt werden können: So können sich beispielsweise in Lagern Beschäftigte (also dortige Putzkräfte, Beschäftigte in der Essensausgabe etc.) direkt in ihrer täglichen Arbeit wie in zugespitzten Situationen mit den eingesperrten Geflüchteten verbünden, und so von kleinen Sabotagen bis zu einem gemeinsamen Befreiungsaufstand vieles tun. ArbeiterInnen an Flughäfen und in der Luftfahrt können Versuche des Staates, MigrantInnen per Flugzeug abzuschieben, stoppen, indem sie den Abflug verhindern – etwa indem sie keine Startgenehmigungen erteilen, die Rollfelder mit Gerät blockieren oder als PilotInnen nicht abheben. Genauso können einheimische ArbeiterInnen gemeinsam mit migrantischen, möglicherweise illegalen KollegInnen einen Kampf um die Legalisierung, die Übernahme und Entlohnung auf normalen Niveau führen – und damit den Sumpf der versklavenden Schattenwirtschaft austrocknen. Migrantische ArbeiterInnen können ProtagonistInnen der gesamten ArbeiterInnenbewegung werden[3].

Das sind kleine Schritte auf dem Weg zur Überwindung des Kapitalismus, was auch die Überwindung der bürgerlichen Nationalstaaten und ihrer Grenzen mit sich bringen würde. In einer sozialistischen Welt würde nicht nur jeder Mensch volle Bewegungsfreiheit genießen – die besondere Ausbeutung der armen Länder durch die reichen würde ein Ende finden, weshalb der größte Drang zur Migration verschwinden würden.

Als marxistische RevolutionärInnen fordern wir in diesem Sinne alle anderen, sich auf die ArbeiterInnenklasse stützenden Strömungen und Organisationen auf, diesen Kampf aufzunehmen – es müssen betriebliche Solidaritätsdelegationen zu kämpfenden MigrantInnen organisiert werden, in den Betrieben Informationsveranstaltungen zur Lage unserer geflüchteten Schwestern und Brüder durchgeführt werden und letztlich die Gewerkschaften mobilisieren. Denn die ArbeiterInnenklasse ist international!

Fußnoten

[1]. Siehe den Leitartikel aus Waffen der Kritik Nr. 6. Siehe auch den Leitartikel aus Banana Republic Nr. 2.

[2]. Siehe: Berlin: 1.000 auf Spontandemo für Flüchtlinge.

[3]. In der letzten Nummer dieser Zeitschrift haben wir von der Nationalen ArbeiterInnenkonferenz der PTS in Argentinien mit 4.000 TeilnehmerInnen berichtet. Siehe den Beitrag der migrantischen ArbeiterInnen aus Bolivien dort.

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