Funktioniert Kuba? Eindrücke aus einem Land ohne Konsum

18.04.2017, Lesezeit 10 Min.
Gastbeitrag

Uralte Häuser und Autos, überhaupt keine Werbung: Auf Kuba fühlt es sich an wie auf einer Reise in die Vergangenheit. Bricht der Sozialismus zusammen? Wird der Kapitalismus eingeführt? Unsere Gastautorin war drei Wochen auf der Insel und sammelte sehr unterschiedliche Eindrücke.

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Auf Kuba funktioniert alles ein bisschen anders… Ich hatte das Gefühl, eine Zeitreise gemacht zu haben, als ich im Februar ankam. Drei Wochen lang uralte Häuser und Autos, alles langsamer und überhaupt keine Werbung. Aber diese Welt ist voller Widersprüche.

Sieht etwas hässlich aus, wird es bunt angemalt. Braucht jemand Hilfe, hilfst du ihm. Macht jemand irgendwo Musik, fangen alle an zu tanzen. Von vielen Häuserwänden blicken dir Che und Fidel oder Cienfuegos entgegen. Havanna ist laut, bunt und quillt über von alten Autos und Lebensenergie. In der Sierra Maestra besiegt die Natur noch den Menschen. Jeden Tag pilgern sehr viele Kubaner*innen zum Grab Fidels und legen Blumen ab. Der Revolution wird überall gedacht, es gibt fast in jeder Stadt eine „Plaza de la Revolución“ und ein Revolutionsmuseum.

Die Bauern*Bäuerinnen leben oft noch sehr ursprünglich: Ein kleines, eher mitgenommenes Haus, davor der Schaukelstuhl und eine Wäscheleine im Garten. Der Acker wird sehr oft noch mit Ochsenkarren gepflügt, die Männer reiten wie das Ebenbild der Cowboys aus alten Filmen am Rand der Straße entlang zu den Feldern. Die Ernte wird auf Pferdekutschen transportiert. An anderen Stellen wiederum die neuesten Traktoren und moderne LKWs, geradezu willkürlich verteilt. Die Menschen aber auf den Dörfern sehen nicht aus, als wären sie dem letzten Jahrhundert entsprungen. Auf einem Pferdekarren sitzen Menschen mit Baggyjeans, übergroßem T-Shirt und Cap mit den goldenen Lettern „New York“ drauf.

Fahrräder

In vielen Städten hat man das Gefühl, es gibt eigentlich fast nichts auf Kuba. Alles wird noch einzeln gekauft: Leute ziehen mit zum Beispiel mit Kissen laut verkündend durch die Straße, und Menschen kommen aus ihren Häusern, um diese zu kaufen. Durch die Stadt traben Pferdekutschen, die für viele Kubaner*innen der Bus zur Arbeit sind. Morgens krähen einen die Hähne wach, Schweine werden auch mal laut grunzend im Fahrradkorb transportiert. Das Fahrrad ist sowieso ein wahnsinnig beliebtes Fortbewegungsmittel auf Kuba, und sehr wertvoll. Ganze Familien fahren morgens darauf durch die Gegend: Ein Elternteil auf dem Sitz, ein anderes hinten auf dem Gepäckträger, und das Kind auf der Stange.

Kam man gerade von einem Dorf, wo sich die Leute noch wahnsinnig über eine Seife oder Zahnpasta gefreut hatten, so sind größere Städte ein kleiner Schock. Übervolle Schaufenster mit allem Möglichen: Modernste Kleidung, Schuhe von Adidas und Nike, kleine elektrische Autos für Kinder! Natürlich können sich das kaum Leute leisten. Aber es war doch erstaunlich zu sehen, was es auf Kuba doch alles gibt.

Havanna macht den ganz großen Unterschied. Es ist laut, groß, bunt und voll. Überall wuseln Menschen entlang. Es gibt wirklich sehr viele Student*innen und nachts strömen viele von ihnen auf die Straße und gehen in Clubs mit Musik aus den USA oder Reggaeton. In Havanna ist die Jugend sehr viel mehr dem Ausland zugewandt. Man bekommt viel Importware und Kubaner*innen laufen teilweise sogar schon mit Kleidung mit der US-Fahne rum!

In den Städten leben die meisten Menschen in uralten Häusern, die vor sich hin zerbröseln, viele sind schon eingestürzt. Im Krankenhaus haben sie noch viel Material aus vergangenen Jahrzehnten, so zum Beispiel uralte Quecksilber-Thermometer aus Deutschland. Die Decke fehlt an vielen Stellen, vor der Notaufnahme eine getrocknete Blutlache auf dem Boden, viele Menschen auf wenig Raum. Keine Computer, alles per Zettelwirtschaft. Für die Zähne wird noch Amalgam verwendet. Aber die Ärzt*innen sind sehr gut ausgebildet und man bekommt auch unter solchen Rahmenbedingungen eine erstklassige medizinische Behandlung. Und zwar umsonst.

Keine Werbung

Eine der schönsten Sachen auf Kuba ist, dass es keine Werbung gibt – nicht zehn mal der gleiche Käse von verschiedenen Firmen, nicht dieser absolute Drang, alles neuer und größer machen zu müssen, und nicht dieser ständige Egoismus.

In Buchläden wird Literatur aus aller Welt verkauft und revolutionäre Schriften. Allerdings ist sehr wenig kritische Literatur dabei, und keine Kritik am Sozialismus. Die Regierung versucht, die Jugend noch rumzureißen und weiter weg von Europa und den USA zu lenken, und dafür gibt es überall kleine und große Erinnerungen an die Revolution.

Man sieht die großen Lücken im System Kuba. Aber heißt das, dass es nicht funktioniert?

Vom Staat bekommen die Menschen jeden Monat eine sogenannte Libreta, mit der man die darauf verzeichneten Lebensmittel umsonst bekommt. Außerdem kann man Wohnraum bekommen. Aber staatliche Gehälter reichen nicht aus, um davon zu leben. Die Grundversorgung reicht nicht mehr für den ganzen Monat, so wenig steht auf der Karte.

Doppelte Währung

Das Zwei-Währungen-System bringt seine Probleme mit sich. Es gibt CUC (Geld, das gegen Auslandswährung getauscht werden kann) und CUP (Geld, in dem Einheimische bezahlt werden und bezahlen). Es gibt viele Sachen wie Kleidung oder Hausfarbe kaum mehr in einheimischer Währung zu kaufen. So stehen viele Kubaner*innen monatlich vor der Entscheidung: Kaufe ich mir Kleidung, streiche ich mein Haus oder esse ich was? Was natürlich nicht wirklich eine Entscheidung ist.

Es hat aber auch eine gute Seite. Denn Tourist*innen bezahlen fast überall in CUC, während die Kubaner die einheimischen CUP bezahlen. Dadurch kommen sie in Restaurants, beim Einkaufen und mit Eintritten deutlich billiger weg. So steigen die Preise für Einheimische nicht ständig, auch wenn ein Ort touristischer wird.

Es gibt ein riesiges Gefälle zwischen Dorf und Stadt auf Kuba, und auch nochmal zwischen den Städten selber. Während auf dem Dorf sehr viele Leute noch in windschiefen Holzhütten leben, scheinen die Städte geradezu zu florieren. Während man in Bayamo noch total glücklich über Essiglösung für Salat ist, bekommt man in Havanna fast überall auch Olivenöl und Gewürze. Dieses Verhältnis schafft eine klaffende Lücke zwischen Stadt und Land.

Trotzdem ist die Zweiklassengesellschaft etwas anders als in Deutschland. Die besteht nämlich aus der normalen arbeitenden Bevölkerung, die ein staatliches Gehalt bezieht oder als Bauer*Bäuerin tätig sind, sich also wenig leisten können, und der anderen Klasse, die ihr Geld bei Tourist*innen verdienen. Letztere haben die Möglichkeit, auf Kuba ein sehr entspanntes Leben zu führen, denn mit Devisen lässt sich viel machen.

Seit einiger Zeit ist auf Kuba wieder ein bisschen mehr Privatwirtschaft zugelassen. Kubaner*innen dürfen bei sich Zuhause Restaurants eröffnen oder Tourist*innen bei sich einquartieren. Dadurch bekommen sie unmittelbar Devisen, genauso wie Taxifahrer*innen oder Stadtführer*innen. Und das führt wiederum dazu, dass Jugendliche teilweise keine richtigen Berufe mehr erlernen wollen, weil man mit Tourist*innen viel schneller und viel mehr Geld machen kann.

Dadurch gibt es Städte, die früher noch sehr schön gewesen sein sollen, so wie Trinidad, aber jetzt nach der Renovierung nur noch für Tourist*innen da sind: ein Souvenirladen an dem anderen und kein Eigenleben mehr in der Stadt. Woanders spielen kubanische Bands noch auf der Straße einfach für Kubaner*innen, die anfangen zu tanzen. Salsa, einfach so.

Nicht so wettbewerbsorientiert

Kuba funktioniert nicht so übereilt und wettbewerbsorientiert. Für Leute, die weiter weg wohnen und bis heute nicht die Möglichkeit hatten Englisch zu lernen, gibt es einen Fernsehkanal, der Englisch und andere Sachen auf verschiedenen Niveaus trainiert. Außerdem leidet die Insel oft unter starken Hurricanes, und statt wie viele andere Länder die Stürme erstmal kommen zu lassen, und dann die Menschen aus Fluten zu retten, hat Kuba ein sehr ausgeklügeltes Evakuierungssystem, das Leuten sogar ermöglicht, ihre wichtigsten Dinge wie Autos oder Kühlschränke in Sicherheit zu bringen. Hinterher wird alles gemeinsam wieder aufgebaut.

Mit viel Mühe wird alles Kaputte repariert, statt es auszutauschen. Deshalb kann man so viele alte Dinge bestaunen, die nicht im Museum liegen, sondern weiter verwendet werden, weil die Kubaner*innen mit ihnen sorgsam umgehen. Weil es nicht so viel Neues gibt, und das auch sehr teuer ist, reparieren sie ihre Sachen. Man staunt, wie lange Dinge doch halten können, wenn einem nicht von einer Werbeindustrie eingeredet wird, dass das neue Produkt viel besser ist.

Abgase sind auf Kuba ziemlich heftig. Wenn man ankommt, muss man sich erstmal an den allgegenwärtigen Dieselgeruch gewöhnen, der in riesigen schwarzen Wolken aus dem Auspuff qualmt. Auch Fabrikschlote stoßen Wolken in sehr ungesunden Farben aus. Müll beschäftigt viele nicht so sehr: Ist eine Dose ausgetrunken, wird sie eben aus dem Autofenster an den Rand der Autobahn geworfen.

Im Gegensatz dazu werden wichtige Naturareale geschützt. Tourist*innen dürfen zum Beispiel auch nicht einfach allein in der Sierra Maestra rumwandern. Auf der Zapata-Halbinsel werden die Straßenränder noch mit Macheten frei gehauen. Liebevoll wird sich der Artenerhaltung gewidmet.

Begrenzte Wahlmöglichkeit

Die – nennen wir sie mal – begrenzte Wahlmöglichkeit in der Politik ist natürlich nicht zu verschweigen. Von ganz Mutigen wird einem*r dann schon mal erzählt, dass man immer noch Probleme bekommt, wenn man etwas gegen die Partei sagt. Andererseits gibt es „Komitees zur Verteidigung der Revolution“, die in der Nachbarschaft jeweils Feste organisieren und sich auch treffen. Der Kritikpunkt daran ist, dass viele sagen, dass ihre politische Gesinnung dort überprüft wird.

Andererseits ist das ein spannendes System, denn eine Gruppe kann jeweils eine*n Delegierte*n in eine Versammlung aus allen Gruppen einer Stadt schicken, und diese können wiederum Delegierte in andere Versammlungen schicken. So können zum Beispiel Probleme wie kaputte Wasserleitungen oder knappe Essensversorgung weitergeleitet werden.

Trotzdem würden die meisten Leute auf Kuba, die ich getroffen habe, nicht sagen, dass es ihnen schlecht geht. Sie wissen, dass die massige Essens- und Kleidungsgrundversorgung, die sie zur Zeit der UdSSR erhalten haben, so nicht mehr möglich ist.

Die Meinung ist verbreitet, dass in den USA jede*r wahnsinnig viel arbeitet und die Leute Stress haben. Das hören Kubaner*innen von Verwandten in Miami und davon sind sie jetzt auch nicht allzu angetan.

Kommt der Kapitalismus wieder?

Ich denke, dass man sagen kann, dass das System auf Kuba nicht funktioniert. Die derzeitige Lage und Politik fängt an, die Gesellschaft weiter zu spalten und sich dem Kapitalismus immer mehr anzunähern.

Aber noch sorgen die Menschen dafür, dass es funktioniert!

Alle unterstützen sich gegenseitig. Nach dem Prinzip, wenn ich dir deinen Wagen repariere, bekomme ich vielleicht irgendwann mal deine Hilfe beim Nähen eines Hochzeitskleides. Ob das nun durch den Mangel kommt oder die Idee dahinter einfach ganz anders ist, ist eine andere Frage. Es ist auch die Art, wie die Leute erzogen werden: Hilfsbereitschaft ist ein hohes Gut, statt nur gute Noten durch einzelnes Streben.

Ich glaube nicht, dass ein derartiges soziales Gefüge in einem rein kapitalistischen Land möglich wäre. Der Nachhall der Revolution scheint noch auf die Gesellschaft abzufärben. Aber natürlich sind die Ideen schwer umzusetzen – in einer kapitalistischen Welt als so ein kleines Land.

Klar könnte man sagen, dass die Menschen sich nur aus Mangel so verhalten. Aber dann könnte es eigentlich auch ganz anders aussehen auf Kuba: ständige Raubüberfälle, Klauen ohne Ende und gegenseitiges Anfeinden. Aber so sieht es nicht aus.

Einige Ideen sind cool, die Umsetzung jedoch schwierig – wie immer. Aber ich war noch nie in einem Land, in dem die Leute so vernünftig sind – ein Land, in dem nicht der einzige Lebenssinn darin besteht, zu konsumieren.

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