Für gleiche Löhne in Ost und West

22.10.2018, Lesezeit 6 Min.
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Seit Beginn der bürgerlichen Restauration gibt es die Zusage, die Löhne zwischen Ost und West anzugleichen. Doch seit fast 30 Jahren bleibt dieses Versprechen uneingelöst.

Entgegen aller Versprechen beträgt die Lohndifferenz zwischen Ost und West 29 Jahre nach dem Fall der Mauer im Schnitt 25 Prozent, wenn auch mit Unterschieden je nach Branche. Während die Differenz in Industrie und im IT-Bereich bei 29 Prozent liegt, beträgt sie im Gesundheitswesen 15 Prozent. Für das Kapital ist das ein einträgliches Geschäft: In kaum einem anderen Industrieland gibt es einen so riesigen Niedriglohnsektor.

Mit zu den Gründen, weshalb die Lohnlücke zwischen Ost und West weiterhin besteht, zählt aber auch der Unwille der Gewerkschaftsführungen, einen entschiedenen Kampf zu führen. Das wäre aber nötig, um das seit langem gegebene Versprechen einzulösen. Durch die Sozialpartnerschaft ist man bemüht, einvernehmliche Lösungen zu finden. Die Bosse wollen aber ihre Investitionen schützen, die sie nur getätigt haben, um von den Niedriglöhnen im Osten zu profitieren. Eine Angleichung wäre für sie unrentabel.

Auch bei den Arbeitszeiten klafft eine Lücke. Im Jahr 2017 leisteten Arbeit*innen in den alten Bundesländern durchschnittlich 1.279 Arbeitsstunden. Im Osten waren es im Schnitt 1.346 Stunden, also 67 mehr. Wie bei den Löhnen liegt auch hier die Ursache in unterschiedlichen tariflichen Regelungen. Laut einer Auswertung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung arbeiteten 8 Prozent der westdeutschen Tarifbeschäftigten 40 Stunden pro Woche, während es in Ostdeutschland 40 Prozent waren. Ein westdeutscher Haushalt hat im Durchschnitt ein Nettovermögen von etwa 140.000 Euro, ein ostdeutscher 61.200 Euro.

Immer wieder kämpfen die Beschäftigten für eine Angleichung der Arbeitszeiten und der Löhne. Besonders emblematisch war der Kampf der IG Metall im Jahr 2003, in der Metallindustrie die 35-Stunden-Woche auch im Osten durchzusetzen. Der Kampf ging verloren – wegen der harten Weigerung der Bosse, aber vor allem wegen der Machtkämpfe innerhalb der IG Metall-Bürokratie, und wegen der SPD, die zeitgleich die Agenda 2010 lancierte. Diese Niederlage hat Auswirkungen bis heute: Nicht nur arbeiten Kolleg*innen im Osten immer noch 3 Stunden mehr als im Westen. Die Perspektive der Angleichung an die Arbeitsbedingungen im Westen ist noch in weiter Ferne.

Auch Kämpfe um Lohnangleichung gab es immer wieder. Ein Beispiel aus den vergangenen Jahren ist die Lebensmittelbranche in Mecklenburg-Vorpommern. Dort hatten sich viele große Lebensmittelkonzerne niedergelassen, um von den Niedriglöhnen in Ostdeutschland zu profitieren. So war im südlichen Teil der Landes das größte Pizzawerk Europas entstanden. In Wittenburg werden bei Dr. Oetker jährlich etwa 260 Millionen Tiefkühl-Pizzen hergestellt. In der Auseinandersetzung zwischen der Gewerkschaft Nahrungsmittel Genuss Gaststätten (NGG) und den Unternehmer*innen der Ernährungswirtschaft im Jahr 2016 kam es zu mehreren Streiks, an großen wichtigen Standorten. Teilweise wurde bis zu 24 Stunden am Stück die Arbeit niedergelegt. Insgesamt 15 Mal rief die Gewerkschaft zu Streiks auf. Leider wurde das Ziel der Lohnerhöhung von 360 Euro nicht erreicht und der Kampf auch hier vorzeitig von der Gewerkschaftsführung abgesägt.

Auswirkungen auch im Westen

Auch die Kolleg*innen im Westen leiden unter den niedrigeren Löhnen und längeren Arbeitszeiten im Osten, die einen ständigen Konkurrenzdruck auslösen. Gleichzeitig ist die Sozialpartnerschaft in den östlichen Bundesländern schwächer, was sich in einer niedrigeren Tarifbindung ausdrückt. Parallel nimmt diese auch im Westen ab. Fielen im Osten 1998 noch 63 Prozent unter die Tarifbindung, waren es 2017 noch 44 Prozent. Im selben Zeitraum sank die Zahl im Westen von 76 auf 57 Prozent.

Der Linkspartei-Vorsitzende Bernd Riexinger schreibt in seinem Buch „Neue Klassenpolitik“, dass er spätestens ab den 1990er Jahren als Betriebsrat nur noch gegen eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen kämpfte, während es vorher überwiegend um eine Verbesserung ging. Die kapitalistische Offensive war also in Ost und West spürbar und die Arbeiter*innenbewegung unter reformistischer Führung geriet in die Defensive.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit in Ost und West

Allerdings haben die Gewerkschaftsführungen keine Antwort auf die zunehmende Aufkündigung der Sozialpartnerschaft durch das Kapital. Das wird in den neuen Bundesländern stärker deutlich. Aufgrund der Übernahme der ehemaligen DDR durch die BRD sind es vor allem die Gewerkschaften aus dem Westen, die im Osten die Arbeiter*innenbewegung anführen. Sie klammern sich weiter an die Sozialpartnerschaft, die der Gewerkschaftsbürokratie gewisse Privilegien sichert, wenn diese sich im Gegenzug auf Kompromisse einlässt. Aber spätestens seit dem Zerfall des Ostblocks fehlt es der Bourgeoisie an einer ernst zu nehmenden Drohkulisse, die ihre Bereitschaft zu Zugeständnissen fördert.

Das Versprechen auf gleiche Löhne in Ost und West wurde jedoch auch gegen die Arbeiter*innen ausgespielt. So betrug zur Währungsreform am 1. Juli 1990 der Wechselkurs zwischen Ost- und Westmark genau eins zu eins. Ab einer bestimmten Menge wurde zum Wechselkurs zwei zu eins umgetauscht. Die Löhne allerdings wurden im Verhältnis eins zu eins umgestellt. Dadurch stiegen allerdings die Lohnstückkosten und viele ostdeutsche Betriebe, die vor der Privatisierung standen, wurden unrentabel. So wurde die Deindustrialisierung der ehemaligen DDR vorangetrieben. Dies wurde damit begründet, dass ansonsten der Lebensstandard in den ostdeutschen Bundesländern massiv zurückgegangen wäre. Die Entscheidung wurde also nicht auf volkswirtschaftlicher Grundlage getroffen, sondern war politisch motiviert. Die Rekapitalisierung der DDR fand auf dem Rücken der Beschäftigten statt.

Die Angleichung der Löhne ist damit bis heute ein zentrales Element des gewerkschaftlichen Kampfes um demokratische und soziale Rechte ostdeutscher Beschäftigter. Um diese Forderungen durchzusetzen, muss die Tarifflucht ein Ende haben. Privatisierte Betriebe müssen wieder verstaatlicht werden und Tarifverträge im Osten an die Verträge im Westen angeglichen werden. Dabei geht es längst nicht nur um Löhne, sondern wie oben angesprochen auch um Arbeitszeiten. Außerdem brauchen wir ein Verbot von Massenentlassungen und Betriebsschließungen, damit die Beschäftigten nicht zum Spielbar der Kapitalist*innen werden.

Dafür muss allerdings die bremsende Rolle der Gewerkschaftsbürokratien überwunden werden. Die kämpferischen Belegschaften, die in den letzten Jahren vor allem im Dienstleistungssektor für gleichen Lohn für gleiche Arbeit gekämpft haben, müssen uns ein Vorbild sein.

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