Führt Sahra Wagenknecht einen Rechtsruck in der Linkspartei an?
Wagenknechts "Manifest für Frieden" wird vom Bundessprecher der AfD Tino Chrupalla geteilt. Nicht das erste Mal löst sie eine Kontroverse aus, aus der Linkspartei werden die Rufe nach ihrem Ausschluss immer lauter. Wie rechts ist sie wirklich?
Das „Manifest für Frieden„, bei dem Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer gemeinsam rund 600.000 Unterschriften für einen Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine gesammelt haben, hat für viele Diskussionen gesorgt – auch in der Linken. Das Manifest schweigt zur Aufrüstung, zu den Erstunterzeichner:innen gehörten der Brigadegeneral a.D. und Aufrüstungsbefürworter Erich Vad und der unter die Querdenker gegangene Ex-CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer. Zwar betonte Wagenknecht, rechtsextreme Flaggen oder Symbole würden auf ihrer Kundgebung am 25. Februar nicht geduldet. Oskar Lafontaine lud auf Nachfrage jedoch explizit AfD-Politiker:innen dorthin ein, solange sie ohne AfD-Fahnen kommen.
Schon in der Vergangenheit ist Wagenknecht mit rassistischen Aussagen aufgefallen. Ihr letztes Buch wirkt wie eine gedruckte Stammtischparole. 2018 ging ein Journalist der taz so weit, ihren Unterstützer:innen vorzuwerfen, sie hätten kein Problem damit, gemeinsame Sache mit der NPD zu machen. Auch in Teilen der Partei DIE LINKE ist sie persona non grata. Wie kommt es dazu, dass in der linkesten Partei im deutschen Bundestag eine der prominentesten Politikerinnen solche Positionen vertritt?
Wagenknechts Anfänge, …
Kurz vor dem Fall der Mauer war Wagenknecht 1989 in die SED eingetreten. Ihre erste Kontroverse, löste sie drei Jahre später aus, als sie mit der Veröffentlichung des Textes „Marxismus und Opportunismus“ in den Weißenseer Blättern in die Debatte über Stalinismus in der inzwischen in PDS umbenannten Partei eingriff. Schaut man sich an, wie die sozialdemokratisch orientierte Parteiführung sich in dieser Zeit an die SPD annäherte, um die Abwicklung der DDR etwas „linker“ mitzuverwalten, wird nachvollziehbar, wie Wagenknecht zu ihrem damaligen Image als linksradikale Kritikerin gekommen ist. Schließlich beinhaltet der Stalinismusbegriff der Linkspartei vor allem moralische Distanz von der DDR und die Beteuerung, dass man brav nach den Spielregeln des bürgerlichen Staates mitmachen will.
Doch auch in Wagenknechts Verteidigung der DDR und der Analyse ihres Untergangs finden sich nur wenige fortschrittliche Ansatzpunkte. So ist die Hauptthese des Textes, dass die DDR und der gesamte sozialistische Block untergegangen seien, weil sie ihre Souveränität nicht ausreichend verteidigt und sich nicht stark genug vom Westen isoliert hätten. Wagenknecht hält darin zwar soziale Aspekte der Sowjetunion und der DDR hoch, wie etwa das Ende von Elend und Hunger nach der Oktoberrevolution, lässt aber feministische Errungenschaftenwie das Recht auf Abtreibung in der DDR unerwähnt. Auch die Unterstützung der DDR für den antiimperialistischen Kampf der Vietnames:innen und die gleichzeitige rassistische Unterdrückung von Vertragsarbeiter:innen in der DDR stehen nicht zur Debatte. Im Text wird stillschweigend vorausgesetzt, dass die Verwaltung durch einen durch und durch bürokratischen Parteiapparat notwendig gewesen sei. Die Abschaffung aller demokratischer Prinzipien in der KPdSU oder die Auflösung der Ausschüsse zur Selbstorganisierung in der sowjetischen Besatzungszone 1945 sind für sie nicht erklärungsbedürftig. Die Arbeiter:innenklasse kommt im Text überhaupt nur zweimal als Randnotiz vor. Einmal beschwert sie sich darüber, dass die SED in den 1980er Jahren ihre Basis von Facharbeiter:innen zu „unteren Teilen“ der Arbeiter:innenklasse verschoben habe. An einer anderen Stelle ist sie sich auch für die Phrase, dass der Kampf unter kapitalistischen Bedingungen nur Vorbereitung dafür sei, die Arbeiter:innenklasse für die kommunistische Partei zu gewinnen, nicht zu schade. Eigene politische Aktivität der Arbeiter:innen als solche diskutiert Wagenknecht schon 1992 nicht.
Auf übergeordneter Ebene sind vor allem zwei Aspekte aus dem Text für heute relevant: Den potenziellen Sieg des Sozialismus verhandelt sie nicht als weltweiten Sieg der Arbeiter:innenklasse über die Bourgeoisie sondern als den Sieg der Nationen des sozialistischen Blocks über den Westen. In ihrem Text erwähnt sie deshalb mehrfach, wie gut es gewesen sei, dass die frühe DDR in Zeiten das Leistungsprinzip durchgesetzt habe. Die Abkehr vom Leistungsprinzip in der späten DDR unter Erich Honecker habe stattdessen „Gammelei“ gefördert. Die Steigerung der Produktivkräfte dient in ihrer Vorstellung in erster Linie dazu, dass sich die sozialistischen Staaten auf der Weltbühne behaupten konnten – und höchstens zweitrangig dem Wohlstand der Arbeiter:innen.
Der zweite Aspekt ist, dass in ihrer Vorstellung des Marxismus die Frage der Unterdrückung komplett fehlt. Diese Auffassung ist kohärent mit der Linie der Bürokratie der Sowjetunion, die zum Zweck der Produktivkraftentwicklung nach der Idee des „Sozialismus in einem Land“ einen antifeministischen Rollback vollzog und außerdem die Arbeiter:innenklasse sämtlicher demokratischer Rechte beraubte.
… ihre Schritte nach rechts…
Der Rückblick auf Wagenknechts politische Anfänge lohnt besonders, weil sie zwar heute kaum bis gar nicht mehr vom Sozialismus spricht, die politische Logik von damals sich in ihrer heutigen Politik aber fortsetzt. Die Kommunistische Plattform in der PDS und später in der Linkspartei, in der sich vor allem alte SED-Kader sammelten und auf die sie lange Zeit ihre Politik stützte, ist seither in die Bedeutungslosigkeit zusammengeschrumpft. Mit der Integration von PDS und Linkspartei in den deutschen Staat ist auch Wagenknecht sowohl rhetorisch als auch programmatisch nach rechts gerückt. Mit ihrem Einzug in den Bundestag trat sie aus der Kommunistischen Plattform und der Antikapitalistischen Linken aus, ihre frühere Verteidigung der DDR nannte sie nun eine „Trotzreaktion“.
Immer mehr ist für sie deshalb nicht mehr die „nationale Mission der DDR“ entscheidend, sondern ganz im Gegenteil die der Bundesrepublik. Schon nach 2015 begann Wagenknecht immer deutlicher zu den Rechten zu vermitteln, die gegen die Aufnahme von Geflüchteten auf die Straße gingen. Als Reaktion auf die Ausschreitungen an Silvester 2016 benutzte sie beispielsweise die ultrarechte Parole „Wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht verwirkt“ und agitierte so für Abschiebungen.
In der Auseinandersetzung, wie sich die Linkspartei zur Migrationsfrage positionieren sollte, führte sie das Lager an, das sich für eine „Regulierung“ aussprach. Wagenknechts Position und die ihrer Anhänger:innen bezog sich darauf, dass offene Grenzen Lohndumping bedeuteten und eine „Begrenzung von Migration“ einen Braindrain in den entsprechenden Ländern verhindern würde. Ihre Widersacher:innen beriefen sich zwar stark auf die Losung der offenen Grenzen, räumten aber in einem Papier ein, dass diese „realpolitisch weder vorstellbar noch durchsetzbar“ wäre. In der Konsequenz versucht dieser Teil der Linkspartei den für das deutsche Regime nötigen Zuzug von Fachkräften „progressiv“ mitzuverwalten.
Mit diesem Konflikt als einem der größten Treiber startete Wagenknecht 2018 als Frontrfrau die Sammlungsbewegung „aufstehen“. Im Interview zur Gründung findet sich deutlich wieder, wie sie Unterdrückung von Ausbeutung trennt und als unwichtig abtut. Angesprochen auf die Geflüchtetenkrise gibt sie an, dass das Problem „viel zu sehr ins Zentrum der Politik gerückt“ sei. Die eigentlichen Probleme seien die dadurch ausgelöste „Wohnungsnot, die Überforderung von Schulen, Konkurrenz im Niedriglohnsektor“. Die Lösung für sie ist, soziale Themen, die vermeintlich vergessen worden seien, mithilfe einer Bürger:innenbewegung wieder auf die politische Agenda zu setzen , anstatt auch unmittelbar gegen Unterdrückung zu kämpfen. Das schlägt sich auch in den programmatischen Elementen des Gründungsaufrufs von „aufstehen“ nieder. Unter dem Titel „Gemeinsam für ein gerechtes und friedliches Land“ will man sich zwar gegen Aufrüstung, für die Verstaatlichung großer Unternehmen und gegen den Neoliberalismus generell einsetzen, unterstützt jedoch den Ausbau von Polizei und Sicherheitsbehörden.
Nachdem es keine grundlegenden Änderungen in der Politik der SPD und der Linkspartei gab, zog sich Wagenknecht mit dem Resümee, dass sich die beiden Parteiführungen gegen die Vorschläge von „aufstehen“ „eingemauert“ hätten, aus der Bewegung zurück. Wenig später gab sie auch bekannt, nicht noch einmal als Fraktionschefin der Linkspartei im Bundestag zu kandidieren. Betrachtet man die Thesen aus ihrem 2021 erschienenen Buch „Die Selbstgerechten“.scheint sie aus dem „aufstehen“-Experiment bilanziert zu haben, dass sie zu wenig AfD-Wähler:innen mobilisieren konnte. Anstatt Fragen der Unterdrückung zu ignorieren, schoss sie nun scharf gegen „Identitätspolitik“ und bezeichnet den Kampf gegen die Unterdrückung von queeren Identitäten und Familienentwürfen als Ausdruck des linksliberalen Weltbildes, „das Augenmerk auf immer kleinere und immer skurrilere Minderheiten zu richten, die ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden“. In diesem Zusammenhang prägte sie den Begriff des „Linkskonservatismus“ für sich.
… und ihre Politik heute
Heutzutage lässt sich Wagenknecht von BILD TV interviewen und äußert als erste Assoziation zur Brandstiftung einer Geflüchtetenunterkunft und dem Schmieren von Hakenkreuzsymbolen auf dem Grundstück, dass dies zwar schrecklich sei, aber auf gar keinen Fall repräsentativ für Deutschland. Solche Gewalttaten solle man nicht in Zusammenhang mit (rechten) Protesten gegen die Regierung sehen.
Im selben Interview spricht sie sich zwar richtigerweise dafür aus, die Sanktionen gegen Russland zu beenden. Sie stellt diese Forderung aber nicht auf, um die Lage der Arbeiter:innen in Russland zu verbessern, sondern um kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland zu entlasten. Sie spricht zwar davon, dass sie Arbeitsplätze erhalten will, aber auch hier geht es nicht primär um die Arbeiter:innen, sondern um Deutschland als starke Industrienation.
Wagenknechts rassistische Ausfälle, ihre Stimme gegen das Selbstbestimmungsgesetz und ihre insgesamt sozialchauvinistischen Positionen bleiben nicht ohne Echo in der Linkspartei. Immer wieder gibt es hitzige Diskussionen über ihre Rolle in der Partei, oft hört man, dass ihre Mitgliedschaft mehr schade als nütze und dass Wagenknecht und ihre Anhänger:innen ja sowieso beratungsresistent seien. Irritierenderweise ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, jedoch eine Rede im Bundestag von 2022, in der Wagenknecht die hohen Energiepreise anprangerte. Darin stellte sie den Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg her und forderte ein Ende von Sanktionen und Waffenlieferungen. Die Linksparteipolitikerinnen Henriette Quade, Jule Nagel und Katharina König-Preuss forderten im Anschluss an ihre Rede den Rausschmiss Wagenknechts aus der Partei.
Sahra Wagenknechts will mit ihrem Diskurs vor allem Protestwähler:innen ansprechen, die mit dem aktuellen Kurs des deutschen Regimes unzufrieden, aber gleichzeitig vom Kapitalismus überzeugt sind. Insbesondere seit Beginn des Krieges spricht sie Beschäftigte und Kleinunternehmer:innen vor allem in Ostdeutschland an, deren Existenz auf einer guten deutsch-russische Beziehung fußt. Aber auch schon vorher gab es ein großes Potenzial von wirtschaftlich Abgehängten, deren Protest sie diffus aufgreift. Ein nicht geringer Teil von ihnen fühlt sich nicht von der Linkspartei repräsentiert und wählt deshalb die AfD. Anstatt mit diesen rechtskonservativen Milieus einen politischen Kampf zu führen, vermittelt Wagenknecht in Fragen der Unterdrückung stark in ihre Richtung, um diese Menschen mit sozialen Forderungen auf ihre Seite zu ziehen.
Der Grund, warum weite Teile des ihr nicht zugewandten Rests der Linkspartei gleichzeitig so schlecht auf sie zu sprechen sind, aber sich nicht in Konfrontation mit ihren Positionen begeben, liegt daran, dass sie der „linkeste“ Teil des deutschen Regimes sein wollen und es auf Landesebene auch zum Teil sind. Es fällt natürlich schwer, Wagenknecht für ihren Rassismus anzugreifen, wenn man selbst die höchste Abschiebequote Deutschlands mitverwaltet in Berlin. Genauso ist auffällig, dass mit Katharina König-Preuss und Jule Nagel mit die aggressivsten Zionistinnen der Linkspartei den Ausschluss Wagenknechts fordern. Und auch in der Frage des Krieges steht für weite Teile der Linkspartei die vermeintliche Unterstützung der Ukraine durch Sanktionen im Vordergrund, schließlich haben sie die Unterstützung eben jener auf ihrem letzten Bundesparteitag mehrheitlich beschlossen, die Verelendung von Russ:innen, Deutschen und letztendlich auch weiten Teilen der Weltbevölkerung stehen für sie wenn dann an nachgeordneter Stelle.
Strategisch stehen jedoch beide Hauptflügel der Linkspartei auf demselben Standpunkt, nämlich möglichst viele Wähler:innenstimmen zu gewinnen, um den deutschen Staat in Regierungsbeteiligung mitzuverwalten. Wagenknecht ist eine Populistin, die versucht Rechtskonservative für eine etwas sozialere Politik zu gewinnen, indem sie ihnen nach dem Mund redet. Das ist auch der Grund, warum man in der Linkspartei lange Zeit die Auseinandersetzung mit ihr scheute, denn man profitierte gegenseitig lange vom Zweckbündnis, indem man Wähler:innenstimmen zusammen legte. Das hat sich mit der Krise der Linkspartei und dem Ukraine-Krieg geändert. Es wird immer deutlicher, dass die Linkspartei auf eine Spaltung zuläuft, wovon Wagenknecht einen Teil anführt. Das ist nicht nur kohärent mit ihrer Bilanz des Projektes um „aufstehen“ und ihres Rückzugs aus Ämtern innerhalb der Linkspartei: Laut einer Forsa-Umfrage können sich 19 Prozent der Deutschen vorstellen, eine von Wagenknecht angeführte Partei zu wählen, darunter 55 Prozent der Wähler:innen der Linkspartei und 74 Prozent der AfD.
In dieser massiven Krise ist auch auffällig, dass sich die wenigen organisierten Antikapitalist:innen in der Linkspartei nicht zusammentun, um die verbliebenen ehrlichen Sozialist:innen im Kampf gegen den Rest anzuführen, sondern stattdessen versuchen den Trümmerhaufen Linkspartei noch irgendwie zusammenzuhalten. So schreibt Sascha Staničić im Aufruf der Sol zur Kundgebung von Wagenknecht am 25. Februar, man soll die „die Auseinandersetzung um diesen Aufruf und die Kundgebung am 25. Februar nicht dazu missbrauchen, den innerparteilichen Machtkampf zu führen.“. Und das, obwohl man auch im Zusammenhang mit dem Konflikt um Wagenknecht schon eine „qualitative Veränderung zum Negativen“ in der Linkspartei festgestellt hat. Auch die SAV stellt fest, dass das „Anti-Wagenknecht-Lager“ von Regierungssozialist:innen angeführt wird, bietet aber aktuell ausschließlich Resignation aufgrund der sich abzeichnenden Spaltung an. Es bräuchte jetzt eine öffentliche Fraktion mit einem scharfen, klassenkämpferischen Programm unter der Marschroute „Weder Putin noch NATO“. Wenn man abwartet, bis die Linkspartei auch höchstoffiziell am Ende ist, dann ist die Niederlage und Depolitisierung der verbliebenen Sozialist:innen in der Linkspartei eine selbsterfüllende Prophezeiung.
Wir schlagen deshalb vor, eine gemeinsame Kampagne für eine klassenkämpferische Antikriegsposition zu organisieren. Dafür braucht es ein Programm der Arbeiter:innenklasse für Streik in allen am Krieg beteiligten Ländern und die damit einhergehende Verhinderung weiterer Waffenlieferungen, den dadurch erzwungenen Rückzug russischer Truppen, Solidarität mit der ukrainischen und russischen Antikriegsbewegung und ein Ende aller Sanktionen, sowie die Aufnahme aller Geflüchteten mit vollen Staatsbürger:innenrechten. Wagenknecht und die Regierungssozialist:innen bieten die Perspektive einer Bundesrepublik mit verschieden gerichteten chauvinistischen Schattierungen, wir brauchen dagegen die Verbindung aller Werktätigen weltweit um diesem brutalen, immer wieder Kriege produzierenden System ein Ende zu setzen.