FU Berlin: Repression und Hetze nach Besetzung des Präsidiums

18.10.2024, Lesezeit 9 Min.
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Foto: Caro Vargas/KGK

Gestern besetzten etwa 40 Studierende kurzzeitig das Präsidium der FU Berlin in Solidarität mit Palästina. Die Unileitung ließ ein massives Polizeiaufgebot anfahren, um den Protest zu unterdrücken und Aktivist:innen festzunehmen. Welche Lehren können wir ziehen?

Am gestrigen Donnerstag, den 17. Oktober, besetzten etwa 40 palästinasolidarische Studierende für eine kurze Zeit das Präsidiumsgebäude der Freien Universität Berlin. Dabei entrollten sie ein Banner mit der Aufschrift „If cops enter our building, the technik will be destroyed“ (Wenn Bullen unser Gebäude betreten, wird die Technik zerstört) und sprühten Parolen gegen den Genozid und die Kolonisierung Palästinas an die Wände; einige versuchten, sich zu verbarrikadieren. Die Gruppe Students for Palestine FU stellte die Besetzung in den Kontext der fortbestehenden Unterstützung der FU für den israelischen Staat, während dieser einen mörderischen Feldzug gegen den Libanon betreibt und den Norden Gazas vernichtet. Die Besetzung sei ein klares Signal, dass keine Institution, die in Komplizenschaft mit einem Genozid steht, ungestört bleiben würde. Um das Präsidium herum sammelten sich bis zu 50 weitere Studierende; im Gegensatz zum Encampment im Theaterhof im Mai entstanden allerdings keine größere Mobilisierung oder allgemeine kämpferische Stimmung.

Das Präsidium rief sofort die Polizei, welche nach etwa 15 Minuten mit einem Aufgebot, dass die Zahl der Besetzer:innen um ein Vielfaches überstieg, anrückte und das Gebäude belagerte. Einem großen Teil der Studierenden gelang es glücklicherweise, den Polizist:innen zu entkommen. Allerdings wurden einige festgenommen, dabei teilweise brutal auf den Boden geschleudert und fixiert und für mehrere Stunden in der Gefangenensammelstelle (GeSa) eingesperrt.

Die Besetzung fand vor dem Hintergrund von nun seit fast einem Jahr anhaltenden Protesten an der FU für ein Ende des Genozids in Gaza und des israelischen Siedlerkolonialismus statt. Die Studierenden klagten in dieser Zeit unermüdlich die Komplizenschaft des Unipräsidiums an und forderten unter anderem den Abbruch der Kooperation mit israelischen Universitäten, die Einführung einer Zivilklausel und die Herstellung der akademischen Freiheit, welche im Namen der deutschen Staatsraison massiv angegriffen wird. 

Anstatt auf irgendeine der Forderungen einzugehen, reagierte das FU-Präsidium, im Verbund mit dem rechten Berliner Senat, mit massiver Repression auf die aufkommende Studierendenbewegung. Von der ersten Hörsaalbesetzung im vergangenen Dezember, über das Encampment im Theaterhof im Mai bis zur Hörsaalbesetzung im Juli, verweigerte die Unileitung einen ernsthaften Dialog. Stattdessen hetzte sie den palästinasolidarischen Studierenden jedes Mal aufs Neue die Polizei auf den Hals, die alle Aktionen gewaltsam räumte und dabei die Gänge der Uni mit Pfefferspray vollsprühte und Studierende krankenhausreif prügelte. Über hundert Menschen wurden wegen Hausfriedensbruch angezeigt und werden nun vor Gericht gezerrt – weil sie an ihrer eigenen Uni gegen einen laufenden Genozid politisch aktiv geworden sind. Mit der vor einigen Monaten in Kraft getretenen Verschärfung des Berliner Hochschulgesetzes kommt dazu das Damoklesschwert der Exmatrikulation aus politischen Gründen. Indem es aktiv versucht, die Politisierung der Universität zu verhindern und alle Kräfte, die sich gegen die von ihm mitgetragenen pro-genozidale Regierungspolitik wenden, zu unterdrücken, macht sich das Präsidium klar zum Erfüllungsgehilfen des deutschen Imperialismus und des Rechtsrucks. 

Auf die gewaltsame Räumung der Besetzungen folgte aber auch eine Welle der Solidarität; so kritisieren zahlreiche Dozierende und Beschäftigte das Vorgehen des FU-Präsidiums und der AStA der FU forderte seinen Rücktritt. Angesichts dessen sah sich das Präsidium zwar dazu gezwungen, scheinheilige Dialogangebote zu machen, wich aber de facto kein Stück von seiner skandalösen Haltung ab und weigerte sich, die Anzeigen fallenzulassen sowie sich einem öffentlichen Gespräch zu stellen.

Wenige Stunden nach der gestrigen Besetzung lobte Unipräsident Günter Ziegler in einer an alle Studierenden der FU adressierten E-Mail den Einsatz der Polizei und verurteilte „diesen äußerst gewaltsamen Angriff. Das ist kein Mittel der freien Meinungsäußerung. Das ist kein legitimer demokratischer Protest. Das ist Gewalt.“ Diese Aussage erscheint doch recht heuchlerisch von einem Mann, der mehrmals versuchte, freie Meinungsäußerung zu unterbinden und dabei massive Gewalt gegen friedlich Protestierende veranlasste. Ein Mitglied der Universitätsleitung tönte sogar kurz nach der Besetzung herum, er freue sich darauf, die Studierenden zu exmatrikulieren.

Wir verurteilen das Vorgehen der Unileitung und fordern, dass es keine Strafanzeigen gegen die Besetzer:innen erhebt, sowie alle anderen Strafanzeigen und jegliche Exmatrikulationsvorhaben sofort fallen gelassen werden. Wir fordern: Polizei runter vom Campus!

Auch die Hetze aus der Politik ließ nicht lange auf sich warten: Die Wissenschaftssenatorin Ina Cyzborra (SPD) kündigte an, solchen Aktionen „mit aller Entschlossenheit entgegen[zu]treten“, und bereitet so eine weitere Verschärfung der Repression vor. Auch die Medien stießen in dasselbe Horn und verbreiteten Gerüchte über angeblich bedrohte oder gar verletzte Beschäftigte. Was genau angeblich geschehen sein soll, ließen sie jedoch im Unklaren. Klar ist nur: Die Medien und die Unileitung nutzen die Situation, um das Bild „hochaggressiver“ Besetzer:innen zu verbreiten und sich selbst als Opfer zu stilisieren, während es doch die Unileitung war und ist, die Proteste gegen einen unermesslich gewaltvollen Genozid gewaltsam zu unterdrücken versucht.  

Wie kann es weitergehen?

Wir teilen das Motiv der Besetzer:innen, die Komplizenschaft der FU im Genozid zu brechen und denken ebenfalls, dass es einen Kurs der Konfrontation statt Illusionen in den guten Willen des Unipräsidiums braucht. Dabei ist es jedoch zentral, diese Konfrontation, etwa bei Besetzungen, in breiten Schichten der Studierenden und Beschäftigten der Universität zu verankern. Wir müssen klar machen, dass der deutsche Staat, seine Polizei und das Unipräsidium unser Gegner sind, nicht jedoch unsere Kommiliton:innen und Kolleg:innen, auch wenn sie bisher noch nicht für Palästina aktiv geworden sind. 

Es braucht Aktions- und Organisationsformen, die darauf angelegt sind, die Diskussion über die Befreiung Palästinas und die skandalöse Repression des Staates und des Präsidiums in die Studierendenschaft zu tragen und die politische Aktivierung breiterer Schichten voranzutreiben. Die massenhafte Mobilisierung der Studierenden und insbesondere der Beschäftigten der Uni und anderer Sektoren ist unsere schärfste Waffe. Auch wenn wir angesichts des Genozids und der Komplizenschaft des deutschen Imperialismus und der Unileitungen das Recht auf Widerstand bedingungslos und gegen jede Repression verteidigen, müssen wir alle Aktionen unter diesem Blickwinkel betrachten. Wenn eher abgekapselte Kleinstgruppenaktionen, wie die gestrige Besetzung, es der Unileitung, Politiker:innen und Medien erleichtern, die palästinasolidarischen Aktivist:innen zu diskreditieren und isolieren und einen Keil zwischen sie, die Beschäftigten, die breite Studierendenschaft und die allgemeine Bevölkerung zu treiben, sind sie kontraproduktiv. Mehr noch: Sie tappen gerade in die Falle, die die Unileitung und der deutsche Staat der palästinasolidarischen Bewegung stellen wollen. Dabei schwindet gerade angesichts der immer weiteren Zerstörung des Gazastreifens und des Einmarsches in den Libanon die Unterstützung für das genozidale Projekt des israelischen Staates und für die Komplizenschaft des deutschen Imperialismus immer mehr. In so einer Situation müsste es selbstverständlich sein, auf die Kraft der Massenmobilisierung zu setzen, die die Unileitung und der deutsche Staat am meisten fürchten. Das heißt beispielsweise, die Aktionsform der Besetzungen in den Dienst der Mobilisierung von hunderten oder tausenden Studierenden und Beschäftigten zu stellen und sie zum Ausgangspunkt der Organisierung einer großen antiimperialistischen Studierendenbewegung an der Seite der Arbeiter:innen und aller Unterdrückten zu machen.

Wie wir in unserem Artikel „Bilanz und Perspektive: Wohin geht die studentische Palästinabewegung?“ herausstellen, muss unsere Perspektive

vor allem davon getragen werden, die möglichst breiteste demokratische Einheit aller Ausgebeuteten und Unterdrückten zu suchen. Heißt dies, das eigene Programm zu verwerfen oder zu verwässern? Auf keinen Fall können wir die erhoben Banner gegen den Genozid und für die Befreiung Palästinas verwerfen, vielmehr muss das Ziel sein, für dieses Programm eine breitere Überzeugung zu schaffen. Das heißt, dass eine vollständige Zustimmung nicht zur Vorbedingung für den gemeinsamen Kampf, etwa gegen die extreme Rechte, gestellt werden darf. Ansonsten besteht die Gefahr, sich zu isolieren und den reformistischen Parteien dieses Feld zu überlassen. Besonders relevant erscheint uns hierbei, anzuklagen, wie die vermeintlichen demokratischen Parteien das Versammlungsrecht und das Recht auf Meinungsfreiheit im Falle der Palästinabewegung mit Füßen getreten und somit der extremen Rechten einen Vorschub geleistet haben. Im Kampf um eine solche Einheitsfront gegen die Rechten muss die palästinasolidarische Bewegung ihre antiimperialistischen Forderungen, die sie an den Universitäten erhoben hat, ausweiten. […] In Deutschland muss der Kampf gegen den Imperialismus in Perspektive der internationalen Solidarität der Arbeiter:innenklasse gedacht werden, auch da die Militarisierung mit einer drastischen Kürzungspolitik einhergeht.

Free Palestine: Bilanz und Perspektive des studentischen Widerstands

Rotes Café, Ihnestraße 22, 14195 Berlin 

Leviné, Astallerstraße 11, 80339 München und online auf Zoom

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