FU Berlin: Polizeigewalt und Schikane gegen demokratische Versammlung
Studierende versammelten sich heute trotz eines massiven Polizeiaufgebots an der Freien Universität Berlin, um demokratisch über den Genozid und die Rolle der Uni zu beraten. Ein Fortschritt für die Palästinabewegung.
An der Freien Universität Berlin folgten heute Studierende dem Aufruf der Gruppe Students for Palestine und hielten eine offene Versammlung ab, um die Komplizenschaft des deutschen Staates und ihrer Universität mit dem anhaltenden Genozid in Gaza anzuklagen. Aktivist:innen versperrten die Türen des Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaft früh am Morgen, woraufhin die Universitätsleitung die Kurse für den Tag absagte.
Die vor dem Institut versammelten Studierenden forderten von der Universitätsleitung einen Raum, um eine Versammlung von Studierenden und Beschäftigten abzuhalten, da es auch nach 14 Monaten anhaltenden Genozids kaum möglich ist, das Thema politisch und demokratisch an der Universität zu diskutieren. Vertreter:innen der Universitätsleitung weigerten sich pauschal, mit nicht deutschsprachigen Studierenden Englisch zu sprechen mit der Begründung, man habe bei der letzten Aktion „schlechte Erfahrungen“ gemacht. Nach dem Einwirken von AStA-Mitgliedern lenkte das Präsidium jedoch letztlich ein und gewährte den Studierenden Zutritt zu einem Hörsaal, um die Versammlung abzuhalten. Ebenfalls vor Ort waren eine Handvoll Journalist:innen, von denen einer die mit Kuffiyehs gekleideten Studierenden aufforderte, sie mögen „dahin zurückgehen, wo sie hergekommen seien“.
Auch wenn sich das Präsidium gemessen an früheren Protesten relativ kooperativ zeigte, ließ die Polizei keine Gelegenheit aus, die Studierenden auf Schritt und Tritt zu schikanieren. So wurde für den ersten Hörsaal eine Zugangsbeschränkung auf 40 Teilnehmer:innen durchgesetzt. Daraufhin hinderte die Polizei weitere Studierende am Betreten des Geländes.
Später wurden die etwa 60 Studierenden in einen größeren Hörsaal geführt – völlig anlasslos eskortiert von genauso vielen Polizist:innen. Auf dem Weg wurden die Studierenden mit fadenscheinigen Begründungen am Weitergehen gehindert. Mehrmals drangen Polizist:innen ohne Erlaubnis der Universität in das Gebäude ein – eine Verletzung der Autonomie der Hochschulen. Nach Augenzeug:innenberichten verhaftete die Polizei mehrere Versammlungsteilnehmer:innen nach Ende der Versammlung unter dem Vorwand der Sachbeschädigung. Wir konnten vor Ort jedoch keine Sachbeschädigung feststellen und präsidiumsnahen Quellen zufolge hat die Universität auch keine Strafanzeige deswegen gestellt. Eine der festgenommenen Personen musste aufgrund von durch die Polizei verursachten Verletzungen notfallmäßig im Krankenhaus behandelt werden.
Demokratische Versammlung trotz Schikane
Allen Widrigkeiten zum Trotz hielten etwa 60 Personen eine Versammlung an ihrer Universität ab, die ein Vorbild dafür setzte, wie Studierende über die Angelegenheiten ihrer eigenen Einrichtung demokratisch beraten und bestimmen können. Auch wir nahmen als marxistische Hochschulgruppe Waffen der Kritik (WdK) an der Diskussion teil. In ihren Redebeiträgen betonten viele der Studierenden, dass der Kampf für ein freies Palästina untrennbar vom Kampf gegen den Rechtsruck und die Repression ist. Denn es ist der gleiche imperialistische Staat, der aus strategischen Machtinteressen den Genozid an der palästinensischen Bevölkerung duldet und mit Waffenlieferungen unterstützt, der auch im Inneren mit Polizeiausbau und Militarisierung die Disziplinierung der Bevölkerung – allen voran der palästinasolidarischen Bewegung – vorantreibt.
Gerade für sich neu politisierende Menschen kann die Antirepressionsarbeit einen niederschwelligen Einstieg in die Bewegung ermöglichen, während sie gleichzeitig einen unerlässlichen Beitrag dazu leistet, die Bewegung langfristig und nachhaltig zu stärken. Als WdK denken wir daher, dass das Bündnis Hands Off Student Rights in Berlin von einem reinen Bündnis verschiedener Organisationen zu einem Komitee, das auch Einzelpersonen einbinden kann, umgebaut werden muss, um genau diesen Einstieg zu ermöglichen.
Auch wurde darüber diskutiert, dass die Studierendenbewegung ihre Verbindungen zu den Massen auf der Straße sowie zu gewerkschaftlich organisierten Arbeiter:innen stärken muss. Zwar sind die Universitäten ein wichtiger Schauplatz des Kampfes für ein freies Palästina, da sie die Ideologie produzieren, um den Imperialismus zu rechtfertigen und zu verwalten; da die naturwissenschaftliche Forschung, die dort stattfindet, auch zu Kriegszwecken eingesetzt werden kann und da Studierendenbewegungen historisch immer wieder Strahlkraft in den Rest der Bevölkerung ausgeübt haben. Doch lässt sich die mörderische Macht des Kapitals nicht ohne die Macht organisierter Arbeiter:innen brechen, die beispielsweise durch Streiks Waffenlieferungen blockieren können und allgemein einen Machthebel gegenüber den Kapitalist:innen besitzen, die auf ihre Arbeit angewiesen sind, um Profite zu generieren.
Die Versammlung beschloss, dass sie sich hinter die Forderungen der bisherigen Proteste an der FU stellt und sich demnächst noch einmal treffen wird, um eine aktualisierte Version davon zu verabschieden. Diese beinhalten unter anderem die Forderung nach einer demokratisch kontrollierten Zivilklausel, das Ende der Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten auf völkerrechtswidrig besetztem Gebiet, die Ablehnung und Überarbeitung der IHRA-Antisemitismusdefinition, Stipendien für palästinensische Geflüchtete sowie das Fallenlassen aller Anzeigen gegen Protestierende an der Universität. Die Versammlung beschloss außerdem, diesen aktualisierten Forderungskatalog in die Vollversammlung gegen Rechts am 10. Dezember einzubringen – ein wichtiger Schritt in der Verbindung dieser Kämpfe.
Selbstorganisierung gegen Genozid
Aus unserer Sicht stellt die heutige Versammlung eine progressive Entwicklung in Richtung Selbstorganisierung an der Universität dar. Zwar kann eine Versammlung dieser Größenordnung natürlich noch nicht direkt die Macht des Präsidiums streitig machen. Was sie aber durchaus geleistet hat, ist, dass ein so breiter Teil der studentischen Palästinabewegung an der FU wie schon lang nicht mehr miteinander ins Gespräch gekommen ist und wichtige Diskussionen über Forderungen und Strategie geführt hat. Die Bewegung geht daraus gestärkt hervor und kann nun mit größerer Klarheit über kommende Schritte beraten.
Um ihre Forderungen an der Universität umsetzen zu können, muss sie nebst den oben genannten Punkten weiter die Selbstorganisierung an der Universität vorantreiben, das heißt, den Aufbau demokratischer Organe der Studierenden und Beschäftigten, die perspektivisch die Macht des Präsidiums ersetzen können. Denn auch wenn sich das Präsidium heute von einer etwas besseren Seite zeigte als beispielsweise bei der Theaterhofbesetzung im Mai (der brutalsten Räumung in der Geschichte der FU): Es wird doch niemals die Interessen der Studierenden und Beschäftigten vertreten, da es weder von uns demokratisch gewählt noch kontrolliert ist. Im besten Fall vermittelt es – wie heute – zwischen den Interessen des Staats und dem kollektiven Druck der Studierenden.