Frühsexualisierung in der Kita?
In ihren Wahlprogrammen fordert die AfD, Sexualpädagogik und die Thematisierung von queerem Leben in Kitas zu verbieten. Wie ist dies aus Sicht der Pädagogik und des Kinderschutzes zu bewerten?
Werden unsere Kinder in der Kita frühsexualisiert? Verwirrt man sie, wenn man über queere Menschen und unterschiedliche Familienmodelle berichtet? Davon sind zumindest viele Rechte und Konservative überzeugt. Auch die Alternative für Deutschland (AfD) versucht, Angst und Ablehnung bezüglich der Sexualpädagogik in Kitas zu schüren.
In den drei Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg stehen im Herbst Landtagswahlen an. Alle drei Wahlprogramme der AfD warnen davor, dass Kinder in der Kita angeblich dazu gebracht würden, ihr Geschlecht oder ihre Sexualität in Frage zu stellen. „Jede Indoktrination durch Gender-Lobbygruppen muss beendet werden“, so die AfD Brandenburg. In Sachsen ist die AfD der Meinung: „Die ‚Sexualpädagogik der Vielfalt‘ verletzt die Schamgrenzen unserer Kinder [sic] stellt einen unzulässigen Eingriff in deren natürliche Entwicklung dar. Dadurch werden sie in Bezug auf ihre sexuelle Identität verunsichert“. Der Thüringer Landesverband spricht sich gegen „sexuelle Praktiken“, „die Infragestellung des eigenen Geschlechts“ sowie der Propagierung queerer Lebensweisen in der Kita aus.
Einerseits scheint die AfD eine komplett falsche Vorstellung davon zu haben, was in deutschen Kitas passiert. Und zugleich sei es am besten, queere Themen oder Sexualpädagogik einfach ausklammern. Laut der AfD sei das Sprechen und die Aufklärung über Sexualität alleinige Aufgabe der Eltern. Ebenso würden Gespräche über queere Themen Kinder indoktrinieren, selber queer zu werden und sie lehren, dass dies der einzig akzeptable Weg sei.
Es mag nicht verwundern, dass die AfD wenig von Pädagogik versteht. Doch diese rechten Narrative können auch Eltern und Pädagog:innen verunsichern. Werden Kinder mit bestimmten Themen überfordert? Werden sie durch die Beschäftigung mit verschiedenen sexuellen Orientierungen dazu gebracht, sich selber zu hinterfragen? Sind die Kinder „frühreif“ und befassen sich mit Themen, die in ihrem Alter schädlich sind? Um auf diese Fragen zu antworten, müssen wir uns anschauen, wie Sexualpädagogik und sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Kitas vermittelt wird.
Queer in der Kita?
Heutzutage gibt es immer mehr pädagogische Materialien, wie Kinderbücher, die verschiedene Familienmodelle und auch geschlechtliche und sexuelle Identitäten einbeziehen: Bücher über queere Elternteile, über queere Kinder, über Patchworkfamilien und Ein-Eltern-Haushalte. Kinder können sich und ihre Familie in Geschichten oder Bildern wiederfinden, oder etwas über unterschiedliche Familien und Menschen lernen.
Diese Bücher dürften Pädagog:innen den Kindern nicht mehr zur Verfügung stellen, wenn es nach der AfD ginge. Dass Gespräche über queere Menschen generell nicht mehr stattfinden sollen, bietet praktische Schwierigkeiten und hat auch mögliche fatale Folgen für die Entwicklung der Kinder. Wenn beispielsweise die Kinder Fotos ihrer Familien mitbringen sollen und ein Kind zwei gleichgeschlechtliche Elternteile hat, kann dies multiple negative psychologische Auswirkungen auf alle beteiligten Kinder haben, dies zu tabuisieren. Die Kinder, die keine offen queeren Menschen in ihrem Umfeld haben, können ihre Fragen nicht stellen. Kinder aus Familien mit queeren Eltern lernen, dass ihre Familie von Außenstehenden nicht als gleichwertig gesehen wird, da anscheinend niemand über sie sprechen möchte. Alle Kinder in diesem Beispiel lernen, dass nur heterosexuelle Kleinfamilien gut und queere Menschen etwas schlechtes oder beschämendes seien. Dies führt dazu, dass Kinder leichter Vorurteile entwickeln, oder sich auf Grund ihrer Familie schämen und sich isoliert fühlen. Dabei sollten wir Kindern helfen, sich zu offenen und selbstbewussten Personen zu entwickeln, die anderen mit Respekt gegenübertreten.
Nicht zuletzt bemerken viele Kinder bereits in jungen Jahren, dass sie queer sind und/oder sich nicht mit den geschlechtsspezifischen Erwartungen identifizieren können, die an sie herangetragen werden. Queere Kinder müssen von ihren erwachsenen Bezugspersonen unterstützt und gestärkt werden. Dies wird jedoch deutlich erschwert, wenn in den Kitas Medien, Spielzeuge oder Gespräche zu queeren Themen verboten sind. Rechte Hetzer malen ein Bild, welches völlig fernab der Realität ist und die Vielfalt der sexuellen und geschlechtlichen Identitäten negiert. Kein Kind wird in der Kita dafür verurteilt, dass es heterosexuell ist. Es geht darum, den Kindern beizubringen, andere Menschen zu respektieren und auch selbst Respekt einfordern zu dürfen.
Präventionsmaßnahmen zum Schutz vor Gewalt
Ein weiterer wichtiger Wert, dessen Vermittlung bereits im Kindergartenalter anfängt, ist das Respektieren der Grenzen anderer. Hier sind auch körperliche Grenzen wichtig. Wenn ein anderes Kind sagt, dass es von einem Kind nicht umarmt oder an die Hand genommen werden möchte, ist dies unbedingt zu respektieren. Ich versuche Kindern beizubringen, möglichst oft vor Berührungen zu fragen und lebe dies auch selber vor. Insbesondere bei intimeren Gesten unter Kindern, wie Küssen auf die Wange, ist es wichtig, dass die Kinder vorher nachfragen, ob dies gewünscht ist. Genauso gehört es dazu, dass Kinder ihre eigenen Grenzen kennen- und benennen lernen. Die Kinder müssen ermutigt werden, Stopp zu sagen, wenn ihnen etwas nicht gefällt. Egal ob das Gegenüber ein Kind oder erwachsen ist. Aber es sind nicht nur Berührungen, bei denen Erzieher:innen Kinder anleiten sollten, ihre Bedürfnisse zu erkennen und auf diese zu hören:
Die Kinder entscheiden heutzutage in vielen Kitas selber, was sie essen wollen und wann sie satt sind. Außerdem, von wem sie gewickelt oder auf die Toilette begleitet werden wollen. Die Erkenntnis, dass das Kind über seinen eigenen Körper bestimmt und ihm nicht aufgezwungen werden darf, gehört zur Prävention (sexualisierter) Gewalt. Ein Kind ist nie Schuld, wenn es Gewalt erfährt. Doch die Chance, dass Kinder Stopp sagen und sich Hilfe holen, ist größer, wenn sie geübt haben, die Wahrung ihrer Grenzen einzufordern. Ebenso gehört zur Prävention sexualisierter Gewalt, dass Kinder die anatomisch korrekten Bezeichnungen für verschiedene Körperteile kennen. Wie sollen sie einem Erwachsenen über erlebte sexualisierte Gewalt berichten, wenn sie nicht das Vokabular haben, um es zu beschreiben?
Brauchen wir Sexualpädagogik bereits in der Kita?
Immer wieder ist in Medienberichten zu lesen, Kitas würden „sexuelle Spiele“ fördern. Die Kinder würden zu früh mit „Erwachsenenthemen“ konfrontiert und nachhaltig geschädigt werden. Doch was ist da dran? Kinder bekommen mit, wenn Menschen in ihrem Umfeld schwanger sind, und dass Kinder geboren werden. Es führt nur zu Verunsicherung, wenn ihnen das alte Märchen aufgetischt wird, der Storch hätte die Kinder gebracht. Stattdessen sollten Pädagog:innen und Eltern altersgerecht, aber wahrheitsgemäß auf Fragen der Kinder rund um das Thema Sexualität antworten und auch entsprechende Bücher zur Verfügung stellen.
Lange wurde angenommen, dass Kinder komplett asexuell wären. Doch der aktuelle Stand der Wissenschaft ist, dass es eine kindliche Sexualität gibt. Diese vorpubertäre Sexualität wird jedoch anders erlebt und drückt sich auch anders aus als die Erwachsenensexualität. Bei Kindern geht es darum, sinnliche Erfahrungen zu machen (das kann auch Matschen oder mit Fingerfarben malen sein) und ihren Körper und ihre Sinne kennenzulernen. Dazu gehört für einige Kinder auch Formen der Masturbation, oder mit ihren Freund:innen sogenannte „Doktorspiele“ zu spielen. Verschiedene wissenschaftliche Recherchen zeigen, dass das Interesse von Kindern am eigenen Körper und anderen Körpern nichts neues ist. In der modernen pädagogischen Forschung ist die mehrheitliche Position, dass „Doktorspiele“ ein normaler Bestandteil der kindlichen Entwicklung sind. Sie helfen den Kindern ebenso, ein positives Körperbild zu entwickeln. Für die Begleitung der Kinder dabei ist es wichtig, dass die Kitas ein sexualpädagogisches Konzept und ein Schutzkonzept haben und mit den Kindern klare Regeln vereinbaren, sodass es nicht zu Situationen kommt, in denen jemand zu etwas gedrängt, oder körperlich verletzt wird.
„Doktorspiele“ dürfen nur unter Gleichaltrigen passieren und nicht vor unbeteiligten anderen Kindern. Es dürfen nur Handlungen geschehen, mit denen alle einverstanden sind. Ein Verbot von Doktorspielen führt nicht dazu, dass diese nicht mehr auftreten. Es führt jedoch dazu, dass es hochschwelliger für Kinder ist, sich Erwachsenen anzuvertrauen, wenn sie eine Frage zu dem Thema haben oder sich von einem Kind gedrängt fühlen. Wenn „Doktorspiele“ generell verboten sind, fürchtet das Kind, bestraft zu werden wenn es zugibt, sich daran beteiligt zu haben. Ebenso kann es zu gefährlichen Situationen, wie beispielsweise das Einführen von Buntstiften in Körperöffnungen kommen, wenn das Thema generell tabuisiert ist, und darum auch den Kindern keine Regeln vermittelt werden können. Eine offene und stets kindgerechte Umgangsweise mit der kindlichen Sexualität leistet Vorarbeit dafür, dass Menschen auch im Erwachsenenalter über Sexualität sprechen und eigene Bedürfnisse und Wünsche äußern können. Eine Tabuisierung trägt dazu bei, dass Sexualität als etwas falsches oder schamhaftes gesehen wird.
Bei Sexualpädagogik in der Kita ist es wichtig, auf Fragen, Wünsche und Ängste der Eltern offen einzugehen und mit ihnen gemeinsam zum Wohle des Kindes zu arbeiten.
Echter Kinderschutz heißt Kampf gegen Rechts
Der Rechtsruck, den wir aktuell erleben ist ein internationales Phänomen, unter dem die Angriffe auf queeren und andere unterdrückte Menschen immer mehr zunehmen.
Die republikanische Partei in den USA entwarf in den letzten Jahren viele Gesetze, die die Rechte von queeren Menschen einschränken. Im Jahr 2022 beispielsweise wurde in Florida das umstrittene „Parental Rights in Education“-Gesetz verabschiedet, umgangssprachlich nur „Don’t Say Gay“-Gesetz genannt. Dieses besagt unter anderem, dass vom Kindergarten bis einschließlich der dritten Klasse verschiedene sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten nicht im Unterricht thematisiert werden dürfen. Ein früherer Entwurf besagte, dass nicht einmal in Gesprächen außerhalb des Unterrichts das Thema von Pädagog:innen aufgegriffen werden dürfte. Kinder könnten sich nicht bei den Pädagog:innen als queer outen, und auch queere Pädagog:innen müssten genau überlegen, was sie am Arbeitsplatz von sich Preis geben, ohne Probleme zu bekommen. Das ist die Zukunft, die die AfD auch für queere Kinder in Deutschland möchte.
Die Panikmache der AfD beruht auf keinerlei Fakten. Ihre Warnungen vor „Frühsexualisierung“ und „Indoktrinierung“ der Kinder spiegeln keineswegs wider, nach welchen Werten Bildung in Kindertagesstätten in Deutschland vermittelt wird. Die AfD hingegen möchte Kindern das Ideal der heterosexuellen, bürgerlichen Kleinfamilie aufzwingen, was wiederum durchaus eine Indoktrination darstellt. Mit ihren Forderungen gegen queere Rechte legitimiert die AfD indirekt die tätlichen Angriffe auf queere Menschen. Hierbei sind zum Beispiel die Versuche von Neonazis zu nennen, die CSDs in Bautzen, Berlin, Leipzig und Zwickau zu stürmen.
Als Pädagog:innen müssen wir immer das Wohl der Kinder an erster Stelle im Blick haben. In Bezug auf die AfD und den Rechtsruck heißt das, uns dem entschieden entgegenzustellen. Dazu gehören die Diskussionen mit Kolleg:innen, die mit der AfD sympathisieren oder auf rechte Erzählungen und Argumente hereinfallen. Ebenso müssen wir uns innerhalb unserer Gewerkschaften an Kampagnen gegen Rechts beteiligen und diese mit voranbringen. Die Gewerkschaften müssen zu Demonstrationen und Blockaden gegen Rechts aufrufen, wie zuletzt beim AfD-Bundesparteitag in Essen. Ein Aufruf der Gewerkschaftsführungen zur Unterstützung des CSDs in Leipzig blieb leider aus. Es braucht Druck aus der Basis, der sicherstellt, dass sich die Führungen der Gewerkschaften wann immer möglich gegen Rechts positionieren und zu Mobilisierungen aufrufen.
Um überhaupt nachhaltige und qualitativ hochwertige pädagogische Arbeit machen zu können, brauchen wir bessere Arbeitsbedingungen. Deshalb müssen wir uns für die Unterstützung und Ausweitung von Entlastungsbewegungen einsetzen. Wie im Kampf der kommunal angestellten Berliner Erzieher:innen für einen Tarifvertrag Entlastung, oder der Berliner Lehrkräfte für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz.