Frontalangriff auf Hochschulautonomie: Albanese darf auch in Berlin nicht sprechen

12.02.2025, Lesezeit 6 Min.
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Foto: The Left in the European Parliament/flickr.com, creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/

Auf Druck vom israelischen Botschafter und Kai Wegner: Die FU Berlin verbietet UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese den Mund.

Francesca Albanese, renommierte Menschenrechtlerin und UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete Palästinas, darf nach öffentlicher Kritik vom Berliner Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Israels Botschafter Ron Prosor nicht an der Freien Universität Berlin auftreten. FU-Präsident Günter M. Ziegler bewies am heutigen Mittwoch fehlendes Rückgrat und verbot die Veranstaltung in Präsenz. Vorgeschobene “Sicherheitsgründe” dienen als Ausrede. Mitorganisator und FU-Professor Robin Celikates nennt das Vorgehen der FU-Leitung eine Gefahr für die Demokratie. Das Angebot, den Vortrag digital zu halten, lehnte Albanese laut taz ab. Sie kündigte ihrerseits an, vor der Fakultät dennoch mit Studierenden reden zu wollen.

Für Mittwoch, den 19. Februar, hat das philosophische Institut der Freien Universität Berlin zu einem Vortrag mit dem Titel “Conditions of Life Calculated to Destroy. Legal and Forensic Perspectives on the Ongoing Gaza Genocide” eingeladen. Sprechen sollen dort Francesca Albanese sowie Eyal Weizman, israelischer Architekt, Gründer der Kunst- und Rechercheagentur Forensic Architecture und Professor für räumliche und visuelle Kulturen an der Universität London. 

Nachdem erst vor kurzem ein geplanter Vortrag von Albanese an der Ludwig-Maximilians-Universität München von der Universität untersagt wurde, stand die Vorlesung an der FU Berlin auf der Kippe. Die prozionistische NGO “Werteinitiative” hat einen offenen Brief an Ziegler veröffentlicht, in welcher sie Albanese “die Verbreitung antisemitischer Weltbilder”, Holocaustrelativierung und “Sympathie für die Hamas” vorwirft. Gleichzeitig wird in dem offenen Brief behauptet, die FU würde Veranstaltungen, die sich “kritisch mit Antisemitismus” auseinandersetzen wegen der Sorge um Kontroverse beschränken, während “radikalen, antisemitischen Stimmen großzügig Raum” gegeben werde. Alle, die in den letzten anderthalb Jahren das geschehen an den Berliner Universitäten verfolgt haben, werden hier nur mit dem Kopf schütteln können: In der Tat hält die FU aktuell mehrere hundert Anzeigen aufrecht, die im Zuge verschiedener Aktionen in Solidarität mit Palästina zustande gekommen sind. Gleichzeitig konnten unter dem Namen “Fridays for Israel” Menschen wie Volker Beck, die nach Meinung der “Werteinitiative” zweifellos “antisemitismuskritische” Positionen haben, mehrfach problemlos ihre Hetze gegen Palästinenser:innen an der Uni verbreiten. 

Trotzdem bekräftigte Kai Wegner, seines Zeichens Bewunderer echter Antisemiten, die verqueren Aussagen des offenen Briefes und fordert die FU in einem Statement auf, den Vortrag zu untersagen, um ein “klares Zeichen gegen Antisemitismus” zu setzen. Auch die sozialdemokratische Wissenschaftssenatorin Czyborra erklärte in einer Pressemitteilung, dass sie in den Äußerungen von Francesca Albanese “alle Kriterien des Antisemitismus” erfüllt sehe und sich unsicher sei “ob bei einer so geplanten Veranstaltung die Sicherheit jüdischer Studierender gewährleistet ist”. Sie gehe daher davon aus, dass mit Blick auf die Veranstaltung von der FU “weise Entscheidungen” getroffen werden, womit natürlich eine Absage des Vortrags gemeint ist. 

Diese Angriffe auf den geplanten Vortrag von Albanese und Weizman zeigen die zunehmende Aggressivität, mit welcher im Namen der Staatsräson von Politiker:innen und anderen Gruppen Einfluss auf den akademischen Betrieb genommen wird. Machen wir uns nichts vor, im Kapitalismus gibt es keine “freie Wissenschaft”. Die Universität ist genauso in die Logiken dieser Gesellschaft eingebunden, wie andere rechtliche, kulturelle, zivilgesellschaftliche und wirtschaftliche Institutionen. Deshalb ist auch die Wissenschaft nicht frei von ideologischen, politischen und finanziellen Zwängen, die die Art, wie sie überhaupt ausgeübt und entwickelt werden kann maßgeblich beeinflussen. Nichtsdestotrotz sehen wir, dass zunehmend Zwangsmittel eingesetzt werden, um kritische Stimmen in der Wissenschaft (und anderen Bereichen) stumm zu stellen. 

Während die Welt zunehmend den Genozid in Gaza als das benennt was es ist – ein Völkermord –  darf diese Analyse in Deutschland für die Senats-, Universitäts- und Vorstandschefs keine “salonfähige” Position werden. Diese würde mit Deutschlands eigenen Vorstellungen über die Zukunft des Nahen Ostens kollidieren. Man hört nichts mehr von “freiem” “offenem” und “sachlichem” Dialog, der gerade an Universitäten so wichtig sei. Stattdessen wird die viel beschworene Staatsräson eingeschaltet, um diese kritischen Stimmen unter dem Vorwand der Antisemitismusbekämpfung mundtot zu machen. Ungeachtet dessen, dass Francesca Albanese eine wichtige Figur in der UN ist, einer sonst hochgelobten Institution, wenn es um internationale Kooperation und Stabilität geht; oder dass sie Expertin des internationalen Völkerrechts ist, da das Ziel dieser diffamierenden Angriffe eben nicht der Inhalt einer Debatte, sondern das vollständige Unterbinden kritischer Positionen ist. Deswegen ignorieren die selbsternannten Beschützer:innen jüdischen Lebens auch, dass sich als Reaktion auf die Hetzkampagne gegen Albanese neben hunderten Studierenden und Lehrenden in Deutschland, mittlerweile auch über 50 jüdische Organisationen weltweit in einem öffentlichen Statement hinter sie und ihre Arbeit stellen. 

Die Angriffe auf die geplanten Vorträge von Albanese in München und Berlin machen deutlich, wie eng die Räume für kritische Positionen an deutschen Universitäten geworden sind. Mit jedem dieser Fälle wird ein weiterer Präzedenzfall für die Zukunft geschaffen, der momentan vielleicht hauptsächlich Gegner:innen des israelischen Kriegsregimes trifft, sich in Zukunft aber auf andere Felder kritischer Interventionen ausweiten wird. Die jüngste Reihe von Berufsverboten, wie die der Aktivistin Lisa Poettinger zeigen, wie sich diese autoritären Maßnahmen schon jetzt auf verschiedene politische Bereiche erstrecken. Wegners und Czyborras Kurs ist ein direkter Angriff auf die Meinungsfreiheit und Autonomie der Hochschulen sowie Ausdruck des krassen Rechtsrucks in Deutschland. Diese zunehmende Beschneidung demokratischer Rechte durch regierende Parteien und Universitätsleitungen, die sonst Abgrenzung von der AfD predigen, folgt der gleichen Logik, mit der Alice Weidel wahlweise Gender-Studies, Postcolonial-Studies oder Umweltforschung massiv beschneiden will. 

Daher müssen wir uns gegen Meinungs-, Veranstaltungs- und Berufsverbote jeder Art organisieren. Sie alle sind ein Teil des gesellschaftlichen Rechtsrucks. Gemeinsam müssen Studierende, Lehrende und nichtwissenschaftliches Personal an den Universitäten, auch mit Unterstützung der Gewerkschaften, jedes dieser Verbote scharf verurteilen. Die Tatsache, dass Wissenschaft und Lehre in der Universität durch ihre Präsidien und durch die Politik überhaupt so eingeschränkt werden kann, zeigt, dass hinter den einzelnen Verboten die Frage steht, in wessen Hand Lernen, Lehre und Forschung an der Universität überhaupt liegen sollte. Veranstaltungen wie die von Francesca Albanese und Eyal Weizman müssen selbstorganisiert in der Universität durchgeführt werden. Lehre, Wissenschaft und Forschung gehört in die Hand derer, die sie auch ausüben, statt in die Hände von Senator:innen und Präsidien. 

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