Frauenkampftag in Berlin
// Am Sonntag demonstrierten über 7.000 Menschen am Frauenkampftag in Berlin und in anderen Städten. Es ging um den Kampf gegen Sexismus, um sexuelle Vielfalt, und auch um gleichen Lohn für gleiche Arbeit. //
104 Jahre ist er alt, wirkt aber immer noch jung: Der Frauenkampftag. Seit 1911 demonstrieren arbeitende Frauen an diesem Tag für ihre Rechte. Am Sonntag zogen über 7.000 Menschen durch Berlin-Mitte. Die bundesweite Demonstration lief unter dem Motto „Feministische Kämpfe verbinden!“ und in der Tat war ein sehr breites Bündnis vertreten. Ein antikapitalistischer Block lief nicht weit von den Fahnen der SPD entfernt. Wehende Fahnen mit Hammer und Sichel oder dem „A“ der Anarchisten waren neben Luftballons der Grünen Partei zu sehen.
Der Boulevard „Unter den Linden“ war voller selbstgebastelter Schilder mit einem genauso breiten Angebot an Themen. Gegen Sexismus im Alltag und Mackertum sollte man „Mehr Intoleranz wagen!“ So hieß es auf einem. Genauso ging es um die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit oder um ein Ende sexualisierter Gewalt. Die Anerkennung sexueller Vielfalt stand für viele Teilnehmer im Mittelpunkt, mit Losungen wie „Röcke sind für alle da“ und „Es gibt mehr als nur zwei Geschlechter“.
SexarbeiterInnen bildeten einen „Hurenblock“ und forderten ein Ende der Kriminalisierung und Stigmatisierung von Sexarbeit. Auf der gleichen Demonstration liefen Menschen, die die Abschaffung von Prostitution forderten. Im Gegensatz zu letztem Jahr kam es nicht zu Tumulten zwischen beiden Gruppen.
„No means no!“ stand auf einem Transparent von Mina Dietz und Sabine Maier, das eine Reform des Paragrafen 177 forderte. Die Definition von Vergewaltigung im deutschen Recht ist eng gefasst, weshalb viele Täter freigesprochen werden, sagen die beiden. „Bei sexualisierten Gewaltdelikten heißt das eine Straflosigkeit von 98 Prozent“, so Dietz, denn nur 10-15% der Fälle werden angezeigt, und selbst dann kommt es selten zu Verurteilungen. Die BRD hat eine internationale Konvention unterschrieben, die zu einer schärferen Bestrafung von Vergewaltigung verpflichtet, diese aber seit Jahren nicht umgesetzt.
„Frauenarbeit ist mehr wert!“ lautete die Losung auf einem Transparent der Jugend der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Der junge Lehrer Ryan Plocher bemängelte, dass Berufe, die als „typisch weiblich“ gelten, schlechter entlohnt werden. „Ein Förster und ein Erzieher haben ungefähr das gleiche Ausbildungsniveau, aber Förster verdienen deutlich mehr, weil sie ‚Männerarbeit‘ verrichten.“ Der Gewerkschafter kritisierte außerdem, dass sexuelle Vielfalt in den neuen schulischen Lehrplänen nicht als fachübergreifendes Thema – wie etwa Demokratie oder Umwelt – behandelt werden soll.
„Wir sind eine Frauengewerkschaft“ erklärt Doreen Siebernik, Vorsitzende der Berliner GEW, denn 72% der Gewerkschaftsmitglieder sind Frauen. „Unsere Mitglieder erleben Gewalt wie alle anderen Frauen.“ Auf einem Transparent hinter ihr wird Solidarität mit den anstehenden Streiks im Sozial- und Erziehungsdienst gefordert. „Frauen werden in prekäre Berufe gedrängt, und deswegen ist der Kampf für bessere Bezahlung auch ein feministischer Kampf“, sagte Tabea, die an einem Oberstufenzentrum zur Schule geht, wo ErzieherInnen ausgebildet werden. Sie will bei Streiks der ErzieherInnen auch SchülerInnen und Azubis mobilisieren.
Die Inspiration für den Frauenkampftag geht auf einen Streik in New York im Jahr 1909 zurück. „Junge jüdische und italienische Frauen aus der Textilindustrie streikten für besseren Lohn und für Frauenemanzipation“ erzählt Janice Weissenboeck. „Es wurde ‚Mädchenstreik‘ genannt. Auch heute kämpfen junge Migrantinnen in New York gegen Ausbeutung, aber jetzt sprechen sie Spanisch statt Jiddisch.“
Der Kampf für „Brot und Rosen“ – nicht nur genug zum Leben, sondern auch für ein schönes Leben – bleibt für arbeitende Frauen weltweit aktuell. Es verwundert nicht, dass es beim Frauenkampftag in Berlin bis zu doppelt so viele TeilnehmerInnen gab wie im Vorjahr. Es war die größte feministische Demonstration seit Jahrzehnten in der Stadt. Wie im Vorjahr hatten unabhängige Frauen zusammen mit der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO) das Flugblatt „Brot und Rosen“ verteilt.
Ein wahrer Skandal ist allerdings, dass der Berliner Senat aus SPD und CDU ausgerechnet auf den 8. März einen „verkaufsoffenen Sonntag“ legte. So konnten viele Beschäftigte im Einzelhandel – mehrheitlich Frauen – gar nicht an der Demonstration teilnehmen. Während der Regierende Bürgermeister Michael Müller von der SPD Rosen verteilte, handelte er gegen die Forderungen von arbeitenden Frauen. So sieht sozialdemokratische Politik aus.
Ein interessanter Fakt zum Schluss: Die Demonstration endete am Platz des 18. März. Der internationale Frauentag fand ursprünglich am 18. März zum Gedenken an die Pariser Kommune statt. Im Jahr 1871 hatten die Arbeiterinnen und Arbeiter von Paris die erste sozialistische Regierung der Geschichte gegründet. Erst im Jahr 1921 wurde der Tag auf den 8. März verlegt, um die streikenden Textilarbeiterinnen Petrograds zu würdigen, die im Jahr 1917 die russische Februarrevolution lostraten.
dieser Artikel auf Indymedia
dieser Artikel im neuen Deutschland