Frauen streiken gegen Sexismus in Argentinien – sollen Männer dabei sein?
´Letzten Mittwoch gingen Hunderttausende Menschen in Argentinien auf die Straße, um gegen Gewalt an Frauen zu protestieren. Auslöser war der brutale Mord an der Jugendlichen Lucía Pérez. In vielen Betrieben wurde gestreikt. Der Aktionstag war auch Auslöser einiger Diskussionen.
Sie ist schwarz gekleidet. In den Händen hält sie eine Plakat mit den Worten “Ni Una Menos” (Nicht eine weniger). In ihrem Gesicht lässt sich Trauer, Wut und Entschlossenheit ablesen. Um sie herum stehen Hunderttausend Gleichgesinnte, ein Meer von Regenschirmen. Es ist nur eines der Bilder, die um die Welt gingen. Es zeigt den Protest- und Streiktag gegen Gewalt an Frauen letzten Mittwoch in Argentinien. Über 200.000 Menschen gingen in Buenos Aires trotz schlechtem Wetter in Buenos Aires und vielen anderen Städten auf die Straßen. Im Nachbarland Chile demonstrierten in der Hauptstadt Santiago 150.000 Menschen gegen Frauenmorde und in anderen Ländern Lateinamerikas und Europas gab es Solidaritätsaktionen. Auslöser war der Mord an Lucia Perez – ausgerechnet während des nationalen Frauentreffens, wo sich 70.000 Feministinnen und Frauen aus ganz Lateinamerika zusammenfanden.
„Wir müssen Kraft sammeln und auf die Straße gehen, um gemeinsam zu rufen, heute mehr denn je ‚Ni Una Menos‘. Nur so können wir verhindern, dass sie weitere Tausende Lucías töten werden!“; Mit diesen Worten rief Lucías Bruder zu dem Streik- und Demonstrationstag auf. Und tatsächlich sind seit Mittwoch schon wieder zahlreiche Morde an Frauen bekannt geworden.
Im Vorfeld hatte es einige Diskussionen innerhalb der Frauenbewegung gegeben, ob nur Frauen zu Streiks und Aktionen aufgerufen werden sollen oder auch solidarische Männer. Letztendlich beteiligten sich auch viele Tausende Männer und in Interviews betonten viele von ihnen, dass es natürlich nicht um sie ginge, dass es ihnen aber wichtig sei, ihre Solidarität zu zeigen.
Ein Kampf der gesamten Klasse
Tatsächlich ist die Beteiligung von Männern gerade in den Betrieben von strategischer Bedeutung. Ursprünglich waren nur Frauen zu einem einstündigen Streik aufgefordert worden. An vielen Orten forderten die Arbeiterinnen aber auch ihre Kollegen auf, mitzustreiken, damit die Profitmaschinerie tatsächlich zum stehen komme. Teils beschlossen die Arbeiter*innen auch, länger als eine symbolische Stunde zu streiken und verlängerten die Arbeitsniederlegung auf 24 Stunden.
Hier zeigte sich, welche Perspektive der Kampf gegen sexistische Gewalt an Frauen einnehmen muss, um siegreich zu sein: Die gesamte Klasse muss an den Orten der Kapitalreproduktion gegen die Unterdrückung von Frauen eintreten. Dieser Schritt in Richtung Streik war besonders fortschrittlich an diesem Mittwoch.
Dem Aufruf folgten U-Bahner*innen ebenso wie Beschäftigte von Krankenhäusern, Flughafenangestellte, Dozent*innen, die Arbeiter*innen von Madygraf, Fabrikarbeiter*innen, Eisenbahnerinnen, Arbeiter*innen von Pepsico und viele andere. Die großen Gewerkschaftszentralen hingegen riefen nicht zum Streik auf, auch wenn sie von vielen Basisgruppierungen dazu aufgefordert wurden. Sie beließen es bei leeren Worten.
#NadieMenos – #NiemandWeniger
Eine reaktionäre Antwort auf den mutigen Kampf der Frauen zeigte sich in den sozialen Netzwerken. Dort nörgelten Menschen, die sich an 364 Tagen im Jahr kein bisschen für das Thema interessieren, an #NiUnaMenos herum und wollten es mit #NadieMenos ersetzen. Sie finden, dass genug über Gewalt an Frauen gesprochen wird und dass Gewalt an Männern totgeschwiegen und vernachlässigt würde. Die Diskussion verläuft ähnlich wie die Debatte von #BlackLivesMatter versus #AllLivesMatter: Mit einer pseudo-inklusiveren Message soll vom eigentlichen Ursprung des Problems abgelenkt werden – und zwar von der strukturellen Unterdrückung von Frauen und schwarzen Menschen, die sich Tag für Tag in enormen Zahlen der Gewalt niederschlägt.
Auf Facebook und co. lässt sich auch eine dreiste Verdrehung des Slogans #NiUnaMenos finden – über das Bild einer schwangeren Frau geschrieben wird hier gegen das Recht auf Abtreibung mobilisiert. Dabei sind illegalisierte Abtreibungen Todesursache Nummer eins für junge Frauen in Argentinien – und damit genau Teil der strukturellen Gewalt gegen sie, gegen die die Bewegung kämpft.
Macri, Kirchner und der Kampf gegen Gewalt
Da Gewalt gegen Frauen natürlich niemand gut finden kann, hat die Bewegung auch mächtige Verbündete – angeblich. So ließ sich Argentiniens Präsident Mauricio Macri mit einem Schild mit dem berühmten Hashtag ablichten. Sofortmaßnahmen ergreift die Regierung aber nicht, dabei fordern dies Teile der Bewegung und die Parlamentsabgeordnete der PTS in der FIT Myriam Bregman. Im Gegenteil, mit ihren Kürzungsprogrammen greift die Regierung die Lebensbedingungen von Millionen von Frauen an und macht sie dadurch immer verletzlicher.
Auch die kirchneristische Opposition verspricht, dass sie an der Macht alles gegen Sexismus und Gewalt tun würde – dabei stieg unter ihrer Regierung die Zahl der Frauenmorde von 2008 bis 2015 um 78 Prozent an. Doch die Regierung ließ keine Frauenhäuser bauen oder traf ähnliche Maßnahme. Auch Abtreibungen blieben verboten.
Deshalb schreibt Andrea D‘Atri, Anführerin der sozialistischen Frauenorganisation Pan y Rosas und der PTS:
Wir müssen weiterkommen in der Organisation all dieser Tausenden von Frauen, um eine breite und kämpferische Bewegung aufzubauen, die unabhängig ist vom Staat und von all den politischen Varianten, die die Interessen der Bosse vertreten, und für die unsere Leben nicht zählen. Wir brauchen eine militante Kraft, die eine Schlacht gegen die sexualisierte Gewalt und die Frauenmorde führen kann.