Frankreichs Linksbündnis „Neue Volksfront“ tritt mit autoritärem Ex-Präsidenten an

24.06.2024, Lesezeit 7 Min.
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Foto: FreeProd33/ shutterstock.com

Die gesamte reformistische Linke Frankreichs hat sich zu einem großen Wahlbündnis zusammengeschlossen, um den Sieg der extrem rechten Marine Le Pen bei den Wahlen zu verhindern. Ein Hardliner feiert sein Comeback.

Frankreich zittert vor einem Sieg des extrem rechten Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen bei der kommenden Wahl zur Nationalversammlung. Nach dem Debakel bei der Abstimmung zum europäischen Parlament hatte Präsident Emmanuel Macron eine Stunde nach dem Schließen der letzten Wahllokale die Nationalversammlung aufgelöst und eine Neuwahl angeordnet. Seitdem befindet sich die französische Politik in Aufruhr. Hunderttausende gingen bereits gegen die extreme Rechte auf die Straße. Während die Konservativen über ihr Verhältnis zu Macron und Le Pen streiten, formieren sich auch die Parteien der Linken und der Mitte neu.

Neue Volksfront: Befürwortung von NATO und Waffenlieferungen

Am 10. Juni gründete sich die Neue Volksfront, ein Bündnis aus La France Insoumise (der Linkspartei von Jean-Luc Mélenchon, LFI), der Sozialistischen Partei (PS), den Grünen, der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) sowie einer Reihe weiterer linker Organisationen. Zu ihnen zählt auch die NPA-L’Anticapitaliste von Philippe Poutou und Olivier Besancenot, die beide in der Vergangenheit bereits eigenständig mit einem antikapitalistischen Programm zur Präsidentschaftswahlen antraten. Doch die NPA spaltete sich über die Frage über das Verhältnis zur institutionellen Linken, ihr rechter Teil ordnet sich nun vollständig der Neuen Volksfront unter.

Dieses Bündnis vereint damit all diejenigen Parteien der Linken und der Mitte, die den Schwerpunkt ihrer Politik in den Parlamenten sehen, statt im Klassenkampf. Unterstützung erhält es auch von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Attac, Oxfam oder Greenpeace sowie den Führungen der großen Gewerkschaftsverbände, die im vergangenen Jahr die Streikbewegung gegen Macrons Rentenreform ausbremsten, statt sie zu radikalisieren. Die Confédération générale du travail (CGT), der nach Mitgliedern größte Gewerkschaftsverband Frankreichs, hat diesmal sogar ausdrücklich dazu aufgerufen, die Neue Volksfront zu wählen – ein seltener Vorgang, bei den letzten Wahlen war nur dazu aufgerufen worden, „gegen rechts“ zu wählen. Ebenso riefen die Gewerkschaften SUD-Solidaire und SNUIPP-FSU ausdrücklich zur Wahl der Neuen Volksfront auf. Die großen Verbände Force Ouvrière und die Confédération française démocratique du travail (CFDT), haben nur dazu aufgerufen, „gegen rechts“ zu wählen, erstere hat hingegen nicht zur Teilnahme an Demonstrationen aufgerufen, weil sie, so wörtlich, „keine Politik“ mache.

Bei den vergangenen Wahlen war noch die Linkspartei La France Insoumise der erfolgreichste Teil des damaligen linken Bündnisses „NUPES“ mit ihrem damaligen Vorsitzenden von LFI, Mélenchon, der sich durchaus kritisch zu den Kriegen in der Ukraine und Gaza äußert. Doch der Druck der Vereinigung der gesamten reformistischen Linken hat ein Bündnis geschaffen mit expliziten Befürworter:innen der NATO, wie der PS und den Grünen. Im Programm der Neuen Volksfront findet sich entsprechend die ausdrückliche Befürwortung von Waffenlieferungen an die Ukraine.

Die vergangene Wahl zum Europäischen Parlament hat das Kräfteverhältnis innerhalb des neuen Linksbündnisses im Vergleich zur Wahl zur Nationalversammlung im Jahr 2022 deutlich zu Gunsten der PS verschoben. Die fast schon totgesagten Sozialdemokrat:innen erlebten unter Führung des Links-Mitte-Kandidaten, Raphaël Glucksmann, eine Wiedergeburt und konnten im Bündnis mit dessen Partei, Place publique, die auch Teil der Neuen Volksfront ist, bei der Europawahl fast 14 Prozent der Stimmen erhalten, während LFI nur etwas weniger als 10 Prozent erhielt. Eine deutliche Verschiebung nach rechts ist auch in Bezug auf die Präsidentschaftswahlen von 2022 sichtbar, wo die Präsidentschaftskandidatin der PS, Anne Hidalgo, nicht einmal 2 Prozent erreichte, wohingegen Mélenchon, mit fast 22 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang dritter wurde und beinahe in die Stichwahl gegen Macron kam.

Vom Namen her bezieht  sich die Neue Volksfront auf die historische Volksfront in den 1930er-Jahren, ein Bündnis aus der stalinistisch geführten Kommunistischen Partei, der französischen Sektion der Zweiten Internationale und bürgerlichen Kräften, das für sich in Anspruch nahm, den Aufstieg des Faschismus zu bekämpfen. Tatsächlich bekämpfte sie aber die Selbstständigkeit der Arbeiter:innenbewegung, indem sie etwa Streiks unterband. Letztlich bildete sie eine Regierung, die dem Hitler-Faschismus nichts entgegenzusetzen vermochte.

Ex-Präsident Teil der Neuen Volksfront

Vergangenen Samstag kündigte nun ein Altbekannter an, für die Neue Volksfront zu kandidieren: Der frühere Präsident François Hollande. In seiner Amtszeit von 2012 bis 2017 führte der Politiker der Sozialistischen Partei zahlreiche autoritäre und arbeiter:innenfeidliche Maßnahmen durch: 2015 verhängte Hollande den Ausnahmezustand und leitete eine autoritäre Offensive gegen Muslim:innen, Linke und gewerkschaftliche Aktivist:innen ein. 2016 setzte er das Arbeitsgesetz, welches einen grundlegende Angriff auf Rechte der Arbeiter:innen bedeutet, mit brutaler Polizeigewalt und per autoritärem Dekret (dem Artikelh 49.3) durch, womit er das Vorhaben am Parlament vorbei erlassen konnte. Unter seiner Präsidentschaft ermordete die Gendarmerie den Aktivisten Rémi Fraisse bei einem Umweltprotest sowie Adama Traoré, letzteren aus rassistischen Gründen. 2017 verabschiedete die Regierung unter Hollande ein Gesetz, das der Polizei die Lizenz zum Töten gab. Seine Regentschaft bereitete somit die autoritäre Politik von Emmanuel Macron vor.

Vor der Kandidatur von Hollande für die Neue Volksfront sorgte bereits die Nominierung des ehemaligen Gesundheitsministers, Aurélien Rousseau, der unter Macron die Rentenreform konzipierte, für Aufregung. Das neu geschaffene Linksbündnis vereint somit einige der Politiker:innen, die dem Aufstieg der Rechten überhaupt erst den Boden bereitet haben. Es könnte damit zwar vom Niedergang Macrons profitieren. Doch ist mehr als fraglich, ob sie der extremen Rechten ernsthaft die Stimmen streitig machen kann. Vielmehr dürfte die Bildung der Neuen Volksfront dazu führen, dass sich die reformistische und institutionelle Linke stärker als bisher der kapitalistischen Politik und der NATO-Linie des französischen Staates unterordnet.

Gegen diese Perspektive haben wir mit unserer Schwesterorganisation Révolution Permanente dem linken Teil der NPA sowie Lutte Ouvrier eine gemeinsame Front der revolutionären Linken vorgeschlagen, die eigenständig mit einem antikapitalistischen Programm zur Wahl antritt. Ein solches Bündnis ist für die aktuelle Wahl nicht zustande gekommen, wird aber in den kommenden Monaten umso wichtiger werden, um die Angriffe der extremen Rechten und der Regierung zurückzuschlagen. Daher treten wir auch im Zweiten Wahlkreis des Départements Seine-Saint-Denis, nördlich von Paris, mit einer eigenen Kandidatur des migrantischen Eisenbahners Anasse Kazib und der Rechtsanwältin Elsa Marcel an. Ihre Kampagne soll dazu beitragen, die Kräfte der Arbeiter:innen, Jugendlichen und Linken zu bündeln und sie nicht in den Dienst des französichen Kapitals zu stellen, wie es die Neue Volksfront vorhat, sondern eine Verteidigung gegen Rechts vorzubereiten, die auf Mobilisierungen statt Parlamentarismus setzt.

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