Frankreich: Zehntausende demonstrieren gegen rassistische Sicherheits- und Anti-Muslimische-Gesetze
In ganz Frankreich gingen die Demonstrationen am vergangenen Wochenende weiter, bereits die dritte Woche in Folge. Die Macron-Regierung drängt auf ein „Sicherheitsgesetz", das das Filmen der Polizei kriminalisieren würde, und auf ein „Separatismusgesetz”, das nichts weniger als legalisierte Islamophobie ist.
Das dritte Wochenende in Folge wurde Frankreich von Demonstrationen im ganzen Land erschüttert. Das von der Regierung vorgeschlagene Gesetz zur globalen Sicherheit enthält antidemokratische Artikel, die der Polizei neue Instrumente zur Unterdrückung von Protesten geben würden. Die Regierung hat auch ein rassistisches, anti-muslimisches Gesetz eingeführt, das als „Separatismusgesetz“ bekannt ist. Zynischerweise wurde letzteres offiziell in das Gesetz „zur Stärkung der Achtung der Prinzipien der Republik“ umbenannt – und die französische Nationalversammlung wird nächsten Monat mit der Debatte darüber beginnen.
Das Gesetz über die globale Sicherheit wurde Ende Oktober eingeführt und steht seit letztem Monat im Fokus von Demonstrant:innen und Medienvertreter:innen. Das Seperatismusgesetz wurde am 9. Dezember, dem 115. Jahrestag der Verabschiedung des französischen Gesetzes über die Trennung von Kirche und Staat im Jahr 1905, das als ein Eckpfeiler der französischen Republik gilt, ins Parlament eingebracht. In Frankreich soll diese Trennung die Religion aus dem „öffentlichen Raum“ heraushalten und sie wurde – besonders in den letzten Jahren – benutzt, um einen fortlaufenden, konzertierten Angriff auf Muslim:innen in ganz Frankreich zu rechtfertigen. Dazu gehören Maßnahmen wie das Verbot des Tragens von Kopftüchern in öffentlichen Schulen.
Die Ziele der Regierung können nicht vollständig verstanden werden, ohne beide Gesetze – zusammen als lois liberticides (freiheitszerstörende Gesetze) bezeichnet – zu betrachten. Das separatistische Gesetz ist Teil der Darstellung französischer Muslim:innen als „die Anderen“ – was wiederum die Polizeibrutalität rechtfertigt, die routinemäßig in ihren Wohnvierteln entfesselt wird. Diese beiden Gesetze sind Teil der täglichen Angriffe des französischen Staates und seiner Sicherheitskräfte, die sich gegen Arme, Migrant:innen und People of Color richten – insbesondere gegen Schwarzafrikaner:innen und Muslim:innen aus Frankreichs ehemaligen Kolonien in Nordafrika.
Die Regierung behauptet, das Separatistengesetz habe nichts mit dem Islam als Religion zu tun, sondern nur mit „islamistischem Separatismus“. Doch in einem Interview mit Le Monde letzte Woche, sagte Premierminister Jean Castex die leisen Dinge laut. Gefragt nach Beispielen für Dinge, die die Regierung mit dem Gesetz angehen müsse, wies Castex auf die Notwendigkeit hin, „gegen … Exzesse und Angriffe auf die Werte der Republik, die nicht akzeptabel sind, zu kämpfen.“ Und was sind diese „Exzesse und Angriffe“? Castex zitierte nur Beispiele, die mit dem Islam in Verbindung stehen:
„Wie können wir akzeptieren, dass in einer Stadt im Norden zum Beispiel ein Programm zur Hausaufgabenhilfe die Kinder so beeinflusst, dass sie sich weigern, mit Nicht-Muslimen zu spielen , [koranische] Suren singen, während sie sich im Musikunterricht die Ohren zuhalten? Wie können wir akzeptieren, dass in Seine-Saint-Denis ein Kulturverein unter dem Vorwand, sich um Kinder zu kümmern, die nicht in die Schule gehen, Hass auf die Republik predigt? Wie können wir wiederum akzeptieren, dass im Bouches-du-Rhône ein Sportverein von Separatisten so infiziert ist, dass man sich weigert, sich während eines Judokampfes vor seinem Gegner zu verbeugen, weil man sich nur vor Allah verbeugen kann?”
Das globale Sicherheitsgesetz
Und was ist mit dem Globalen Sicherheitsgesetz? Es ist ein direkter Angriff auf die bürgerlichen Freiheiten und untermauert den „konfrontativen“ Ansatz zur polizeilichen Bekämpfung von Protesten. Wie La Quadrature du Net (Quadratur des Netzes), eine französische Gruppe, die sich für die Meinungsfreiheit einsetzt, beschreibt, hängt dieser Ansatz davon ab,
„ vor allem darauf, Menschen von der Teilnahme an Demonstrationen abzuhalten, sei es durch psychische Erschöpfung der Teilnehmer (Einsperren in Zäune, Blockieren oder Filtern von Ein- und Ausgängen, Tränengas oder Pfefferspray, Durchsuchungen, Herumschubsen) oder durch offene physische Gewalt (Gummigeschosse, Granaten, Angreifen). … [Es] behandelt Demonstrant:innen nicht als Individuen, sondern als entmenschlichte ‚Ströme‘, die nur kanalisiert, fehlgeleitet, festgehalten oder zerstreut werden müssen.”
Das Gesetz würde die französische Polizei mit drei neuen technologischen Werkzeugen ausstatten. Artikel 21 erlaubt es den Polizist:innen, „mobile Kameras“ und auf französischen Straßen montierte Kameras zu verwenden, um ihre Einsätze zu filmen, damit sie auf die aufgezeichneten Bilder zugreifen, sie in Echtzeit an die Kommandostellen senden und Demonstrant:innen identifizieren können. Artikel 22 erlaubt den Einsatz von Drohnen zur Überwachung des öffentlichen Raums. Artikel 24 kriminalisiert die Öffentlichkeit, wenn sie einen „Polizeieinsatz“ aufnimmt und die Bilder veröffentlicht, „mit dem Ziel, die körperliche oder geistige Unversehrtheit [eines Polizisten] zu verletzen.“
Kurz gesagt, das Gesetz sieht eine massive Boden- und Luftüberwachung und ein Verbot der Dokumentation von Polizeieinsätzen vor. Medienorganisationen in ganz Frankreich haben Artikel 24 von dem Moment an, als er im November vorgeschlagen wurde, als eine Bedrohung für die Pressefreiheit angeprangert.
Ein weiteres Wochenende mit Demonstrationen
In der neuesten Reaktion des französischen Volkes gingen am vergangenen Wochenende wieder Tausende auf die Straße – trotz eines Versuchs der Demobilisierung der Demonstrant:innen durch die hauptorganisierende Gruppe, die „Stop Loi Securite Globale“ (Stop globales Sicherheitsgesetz), aufgrund von „Sicherheitsbedingungen“ und Drohungen mit gewaltsamer Polizeirepression. Dieser Demobilisierungsversuch gewann die Unterstützung von Jean-Luc Mélenchon, dem Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei La France Insoumise (Ungebeugtes Frankreich). Allein in Paris marschierten fast 10.000 Menschen durch die Straßen zwischen dem Place du Châtelet und dem Place de la République hinter einem großen Transparent mit der Aufschrift „Separatismus, globale Sicherheit: Stoppt die repressiven Gesetze, stoppt die Islamophobie“.
Die Pariser Jugend war ein großer Teil der Proteste, zu denen antirassistische Organisationen, Familien von Opfern von Polizeigewalt, die Neue Antikapitalistische Partei (NPA), feministische Gruppen und die Vereinigte Front der Migrant:innen und armen Stadtteile aufgerufen hatten. Wie ein Redner – ein antirassistischer Aktivist – den Demonstrant:innen sagte, zielen die beiden Gesetze, gegen die demonstriert wird, darauf ab, „die Bevölkerung zu kontrollieren, insbesondere diejenigen, die seit Jahrzehnten unter Unterdrückung leiden.“
Die Zusammenführung der Kämpfe gegen Polizeibrutalität und Islamophobie war bis zur Demonstration am Samstag in Paris „von einem Teil der Führung der Bewegung gegen das Globale Sicherheitsgesetz weitgehend ignoriert oder sogar abgelehnt worden“, wie Révolution Permanente, die Schwesterseite von Klasse gegen Klasse in Frankreich, feststellt. „Entgegen allen Erwartungen zeigten die Tausenden von Demonstrant:innen …, dass [die Verbindung der beiden Kämpfe] wesentlich war und trotz vieler Hindernisse eine breite Mobilisierung möglich war.“
Zu diesen Hindernissen gehörte ein repressives Aufgebot von mehr als 6.000 Polizist:innen und Gendarm:innen. Es gab 140 Verhaftungen, von denen die Polizist:innen behaupteten, viele seien „präventiv“. Journalist:innen wurden gezwungen, sich auszuweisen, um das Demonstrationsgebiet zu betreten. Die Polizist:innen griffen die Demonstrant:innen wiederholt mit Knüppeln an und behaupteten, sie würden die Bildung von ausbrechenden „schwarzen Blöcken“ verhindern. Am Ende des Marsches wurde der Place de la République mit Tränengas, Wasserwerfern und einem gewaltsamen Angriff der Polizei geräumt.
In den Tagen vor den jüngsten Demonstrationen wurde der Druck auf die französische Regierung zu groß – die Freiheit zerstörenden Elemente des Globalen Sicherheitsgesetzes müssten überarbeitet werden.
Die UN schaltet sich ein
Typischerweise richten sich die öffentlichen Stellungnahmen der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte an die „üblichen Verdächtigen“ – insbesondere an offene Diktaturen. Es kommt nicht jeden Tag vor, dass Michelle Bachelet, die ehemalige Präsidentin Chiles, die derzeit diesen UN-Posten innehat, eine der „Demokratien“ der Welt anprangert. Aber das ist genau das, was sie am 9. Dezember tat.
„Das Gesetz muss vom französischen Volk diskutiert werden“, sagte Bachelet vor Reportern. „Aber es ist Artikel 24, über den wir wirklich besorgt sind. Und deshalb weisen wir darauf hin, dass er überarbeitet werden sollte und, so denke ich, zurückgezogen werden.“
Ein paar Tage vor Bachelets Erklärung kamen fünf unabhängige „Sonderberichterstatter“, die vom UN-Menschenrechtsrat gebeten wurden, das Gesetz zu überprüfen, zu dem Schluss, dass es „unvereinbar mit internationalem Recht und den Menschenrechten ist.“
„Videobilder von polizeilichen Übergriffen, die von der Öffentlichkeit aufgenommen werden“, schrieben die Expert:innen, „spielen eine wesentliche Rolle bei der Überwachung der öffentlichen Institutionen, was in einem Land, das die Rechtsstaatlichkeit respektiert, fundamental ist.„ Sie wiesen auch auf die „ernsten Auswirkungen“ des Einsatzes von Drohnen „auf das Recht auf Privatsphäre, die Freiheit, sich friedlich zu versammeln und die Meinungsfreiheit“ in Frankreich hin.
Tatsächlich tauchten nur wenige Tage, nachdem das Unterhaus des französischen Parlaments dem Gesetzentwurf zugestimmt hatte, Bilder von drei französischen Polizisten auf, die Michel Zecler, einen schwarzen Musikproduzenten, brutal zusammenschlugen. Daraufhin kam es am Samstag, den 28. November, zu Demonstrationen im ganzen Land, in mehr als 70 Städten, darunter mehr als 100.000 in Paris, die die gesamte politische und gewerkschaftliche Linke sowie Bürgerrechtsorganisationen repräsentierten. Zu den Aktionen an diesem Tag wurde aufgerufen, nachdem französische Polizist:innen am 23. November Geflüchtete gewaltsam vom Place de la République vertrieben hatten. Die Schlägerei von Zecler schürte das Feuer, und die Proteste wurden mit weiterer Polizeigewalt beantwortet. Ein solches Video würde unter dem vorgeschlagenen Gesetz illegal sein.
Macrons Reaktion
Der Druck der UN und der Europäischen Union, zusammen mit den anhaltenden Demonstrationen, hat den französischen Präsidenten Emmanuel Macron in die Enge getrieben, weshalb seine Regierungspartei nun versprochen hat, zumindest den Artikel, der das Aufnehmen von Fotos von Polizist:innen kriminalisiert, „umzuschreiben“. In der Zwischenzeit versucht Macron selbst, sein öffentliches Image wieder aufzupolieren, indem er die Krise mit seinem Vorschlag für eine Reihe von geplanten „Konsultationen“ im Januar anspricht, die „Interessenvertreter“ zusammenbringen sollen, um „Fehlverhalten“ der Polizei anzusprechen. Der Präsident schwankt zwischen den Organisationen, die ihn für das Sicherheitsgesetz kritisieren, und den Polizeigewerkschaften, die ihn schon für die Äußerung des Wortes „Polizeigewalt“ anprangern.
Macron versprach in einem Brief an einen Funktionär der Polizeigewerkschaft, dass er „persönlich teilnehmen“ werde, mit dem Hinweis auf die „dringende Notwendigkeit … das Band des Vertrauens zwischen den Franzos:innen und den Kräften von Recht und Ordnung zu stärken. Aber auch, um der Polizei und der Gendarmerie die Mittel zu geben, ihre Verpflichtungen und die Erwartungen unserer Bürger zu erfüllen.“ Er skizzierte sieben Schlüsselbereiche für Reformen: Polizeiausbildung, Überwachung, Ressourcen, das Filmen von Polizist:innen im Dienst, Inspektionen, Personalausstattung und die Beziehungen zwischen der Polizei und der Öffentlichkeit.
Das ganze Unterfangen ist eine Taktik, ein leeres Versprechen, nicht wahrscheinlicher, als die Versprechen des Stadtrats von Minneapolis, die Polizei zu „aufzulösen“, nachdem Polizisten George Floyd am 25. Mai ermordet hatten. Inzwischen hat der Stadtrat am 10. Dezember beschlossen, nur 4,5 Prozent des 179-Millionen-Dollar-Polizeibudgets für andere städtische Dienstleistungen zu verwenden. Damit können die Bull:innen der Stadt ihre Angriffe auf Armenviertel und nicht-weiße Menschen fortsetzen, behindert nur durch ein Verbot von Würgegriffen und einer überarbeiteten Gewaltanwendungspolitik.
Was die Treffen mit Macron betrifft, so werden sie weniger als zwei Monate nach der Veröffentlichung des „Weißbuchs zur inneren Sicherheit“ durch das Innenministerium beginnen, in dem etwa 200 Maßnahmen aufgeführt sind, die die Polizei „effektiver“ machen sollen und darauf abzielen, ihre „Vertrauensverhältnisse“ mit der Bevölkerung wiederherzustellen“. Das Weißbuch ignorierte vollständig Polizeigewalt, Misstrauen gegenüber der Polizei und systemischen Rassismus. Niemand geht davon aus, dass diese Themen in Macrons Diskussionen über die Polizeireform zur Sprache kommen werden.
Was steht bei dem Kampf auf dem Spiel?
Der Kampf gegen die beiden Gesetze verspricht, weiterzugehen. Révolution Permanente hat am 3. Dezember mehrere Forderungen und Aktionsaufrufe veröffentlicht, um die sich vertiefende Wut über die zunehmend autoritäre Offensive der französischen Regierung zu organisieren. An erster Stelle steht die vollständige Rücknahme des Globalen Sicherheitsgesetzes, nicht nur des Artikels 24. „Nicht durch Diskussionen und Verhandlungen über den Inhalt des Gesetzes werden wir einen Sieg erringen, sondern durch eine entschlossene Mobilisierung auf der Straße für seine vollständige Rücknahme.“ Dann gibt es die Forderungen nach der Rücknahme des Separatismusgesetzes und aller islamfeindlichen und rassistischen Gesetze.
Das bedeutet, dass die Mobilisierungen gegen das Globale Sicherheitsgesetz auf die gesamte Sicherheitsoffensive der Regierung ausgeweitet werden müssen, die voller Rassismus und Polizeigewalt ist und als „Teil einer breiteren Abfolge von Maßnahmen … insbesondere durch das repressive und katastrophale Management der Gesundheitskrise gekennzeichnet ist.” „ Die Bewegung muss auch gegen das Forschungsprogrammgesetz kämpfen, das „Inhaftierungen als Vergeltung für studentische Mobilisierungen vorsieht.“
Gerade jetzt ist in Frankreich die Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse, der Migrant:innen und People of Color und der Menschen in den Armenvierteln gegen Staatsterror und Islamophobie ein dringendes Thema. Es ist an der Zeit, dass sich die Gewerkschaften den Demonstrant:innen auf der Straße anschließen und diesen Kampf als ihren eigenen aufnehmen, und zwar unerbittlich. Angriffe auf die demokratischen Rechte der Demonstrant:innen sind Angriffe auf die demokratischen Rechte eines jeden in Frankreich. Die Dämonisierung von Muslimen unter dem Deckmantel, die Prinzipien der bürgerlichen Republik Frankreichs zu ehren, ist ein Vorspiel zu Repressionen in einem viel größeren Ausmaß. Rechte werden am besten durch die Methoden des Klassenkampfes verteidigt, und das ist es, was heute in Frankreich auf der Tagesordnung steht.