Frankreich: Wer kann eine Gegen-Hegemonie gegen Macron aufbauen?
Der Aufstand der Gilets Jaunes ist paradox: Trotz des Wiederauflebens des „Klassenkampfes in Frankreich“ spiegelt sich das nicht im Geringsten in einer Neuzusammensetzung der politischen Lager wieder.
Der Aufstand der Gilets Jaunes ist paradox: Trotz des Wiederauflebens des „Klassenkampfes in Frankreich“, wie Le Monde Diplomatique schreibt, spiegelt sich das nicht im Geringsten in einer Neuzusammensetzung der politischen Lager wieder – zumindest, wenn man die jüngsten Umfragen berücksichtigt. Das ist ein Ausdruck der Schwierigkeiten bei der Bildung eines neuen herrschenden Blocks, ebenso wie der strukturellen Schwierigkeiten der Linken, die Wut der Arbeiter*innen und verarmten Massen zum Ausdruck zu bringen.
Ein Präsident einer Minderheit, aber eine fragmentierte parlamentarische Opposition
Es reicht nicht mehr aus festzustellen, dass Macrons Beliebtheitsgrad – auch wenn er in letzter Zeit etwas gestiegen ist – auf dem gleichen Niveau wie der von François Hollande zum gleichen Zeitpunkt seiner Amtszeit liegt. Die Realität ist, dass der Bewohner des Elysée-Palastes der meistgehasste Präsident seit Pétain ist. Aber – was für ein Paradox! – er könnte aus den Europawahlen im Mai 2019 trotzdem als Sieger hervorgehen. Das ist so, weil der regierende bürgerliche Block zwar ein Minderheitenblock ist, aber seine Stärke sich aus den Schwierigkeiten und der enormen Fragmentierung der Opposition ergibt. Wie der Politikwissenschaftler Pascal Perrineau erklärt:
In der Fünften Republik gewann die Opposition traditionell wieder an Stärke, wenn die herrschende Macht unbeliebt wurde, und wurde zu einer glaubwürdigen Alternative. Dies war der Fall bei der Linken unter Valéry Giscard d’Estaing, bei der Rechten unter François Mitterrand und erneut bei der Linken unter Nicolas Sarkozy. Die Alternative konnte manchmal aus Abtrünnigen gebaut werden, die mehr oder weniger kritisch gegenüber den Mehrheiten an der Macht waren (Nicolas Sarkozy unter Chirac, Emmanuel Macron unter Hollande). Die große Neuigkeit heute ist, dass keine Alternative aus der Opposition oder aus dem Rand der Mehrheit zu entstehen scheint. Eine tief geschwächte Macht kann dann Kraft aus der Unfähigkeit dieser Opposition schöpfen, sich als glaubwürdige Alternative zu etablieren. Die Stärke dieses Lagers wurzelt dann nicht in seinen eigenen Vorzügen, sondern in der Schwäche seiner Gegner. Dies scheint jetzt, Anfang 2019, der Fall zu sein, auch wenn die Regierung schweren Angriffen der Straße und der öffentlichen Meinung ausgesetzt war.
Während sich also die historischen linken und rechten Koalitionen des Zweiparteiensystems der Fünften Republik in einer tiefen Krise befinden, sind die neuen „aufstrebenden“ Sektoren – Marine Le Pen und Jean Luc Mélenchon – zwar stark bei ihrer Stammwähler*innenschaft, insbesondere im Fall von Le Pen, wie wir später in Kontrast zu Mélenchons France Insoumise sehen werden. Sie haben aber große Schwierigkeiten, soziale Bündnisse zu schmieden, die breit genug sind, um sich als glaubwürdige Alternativen zum Macronismus profilieren zu können. Wie Perrineau sich erinnert:
Vor Valéry Giscard d’Estaing versammelten sich die linken Kräfte in einer „Union der Linken“, die 1981 zur Mehrheit wurde. Gegen François Mitterrand schlossen sich 1993 und 1995 die rechte und die mittlere Partei zu einer mehrheitlichen alternativen Kraft zusammen. Gegen Nicolas Sarkozy schlossen die PS, die radikale Linke und die Grünen zusammen und ermöglichten François Hollande den Sieg im Jahr 2012. Im Jahr 2019 ist die Opposition völlig gespalten, und es gibt keinen Pol, der in der Lage wäre, als verbindendes Element einer Koalition zu fungieren, die eine Mehrheit anstreben kann. Viele Franzos*innen können sich darüber einigen, was sie ablehnen, aber im Moment sind sie nicht in der Lage, eine Dynamik der Annäherung zwischen den Oppositionen zu unterstützen.
Die Schwierigkeiten bei der Bildung eines neuen hegemonialen Blocks und die Möglichkeiten, die sich eröffnen
Diese für das Regime der V. Republik beispiellose Situation ist der tiefgreifende Grund für die gewaltige Rückkehr des Klassenkampfes in Frankreich. Ohne starken Widerstand und ohne anerkannte Vermittlungsorganisationen wird die Macht oft mit dem Druck der Straße und der Ablehnung durch die Bevölkerung konfrontiert.
Die Fragmentierung und mangelnde Glaubwürdigkeit der parlamentarischen Opposition (und gleichzeitig die historische Krise der Gewerkschaftsbewegung) eröffnet Räume für radikalere Formen, wie der Politikwissenschaftler Jérôme Sainte-Marie warnt:
Die parlamentarischen Oppositionen ihrerseits haben noch keine Formel gefunden, um sich zu einer glaubwürdigen Alternative zur derzeitigen Macht zu vereinigen, wie aktuelle Meinungsumfragen zeigen. So bilden die Gelbwesten heute das, was in den 1970er Jahren, vor allem in Italien oder der Bundesrepublik Deutschland, als außerparlamentarische Opposition bezeichnet wurde. Ihr bevorzugtes Gebiet ist die Straße, zu der typischerweise Kreisverkehre und Mautstellen hinzu kommen.
Diese Krise der bürgerlichen Hegemonie – d.h. diese lange Periode, in der die Kräfte des Großkapitals noch keinen neuen mehrheitsfähigen Konsens für die Staatsmacht schaffen konnten – eröffnet Möglichkeiten, die eine Massenbewegung ausnutzen kann. Das gilt auch unabhängig davon, dass Macron mit seiner Partei La République en Marche im Vergleich zu vergangenen Koalitionen einen homogeneren Machtblock besitzt. Jedoch müssen diese Möglichkeiten von der Linken bewusst genutzt werden, um sie auf der Grundlage der Erfahrungen der sich bewegenden Massen voranzutreiben. Dabei müssen sie die enormen Hindernisse überwinden, die nicht nur bei ihren Mobilisierungen vorhanden sind, sondern vor allem bei ihrer Verwandlung in gegen-hegemoniale Kräfte. Deshalb lehnen wir ausdrücklich die offen absentionistische oder „Anti-Gilets Jaunes“-Position von einigen sich revolutionär nennenden Organisationen ab, die mit Bezug auf realen oder vermeintliche Widersprüche die Bewegung ablehnen oder sich weigern, in dieses lebendige Phänomen des Klassenkampfes zu intervenieren.
Die Krise der institutionellen Linken: die Schwierigkeiten von Mélenchons France Insoumise
Ausgehend von der historischen Krise der Sozialdemokratie oder der Mitte-Links-Formationen, die sich in den letzten Jahrzehnten in den meisten europäischen Ländern dem bürgerlichen „Progressismus“ zuwandten und gemeinsam mit der traditionellen Rechten die Durchsetzung neoliberaler Reformen vorantrieben, entstand links von diesen Kräften ein Vakuum. Das Wahlergebnis der Formation France Insoumise (FI) zu den letzten Präsidentschaftswahlen, bei denen sie das beste Ergebnis für eine Formation links von der Sozialdemokratie seit der Wahl der KPF 1969 erzielte, schien dies zu bestätigen. Mit Macron im Amt schien sich eine ideale Situation für Mélenchon aufzutun: Mit der Krise von Marine Le Pen nach ihrem krachenden Scheitern in der Präsidentschaftsdebatte der zweiten Runde und mit einem Macron, der den ganzen Raum nach rechts besetzte und so die traditionelle Rechte aufsaugte, und mit einer im Sterbebett liegenden Sozialdemokratie entstand für Melenchon ein breiter Raum zur Intervention.
So war FI, die diesen ausgedehnten politischen Raum links vom Macronismus ausdrückte, für 42% der Wähler*innenschaft die erste Wahl gegen Macron, gegenüber 22% für Le Pens Rassemblement National (RN). Heute jedoch steht Le Pen laut Umfragen bei 35% und Mélenchon bei 30% (1). Auf Wahlebene dürften die Grünen zudem einen großen Teil von Mélenchons Wähler*innenschaft aus der Mittelschicht an sich ziehen.
Inmitten des Aufstands der Gilets Jaunes verliert FI an Zuspruch, auch wenn ihr Niedergang und ihre Widersprüche weiter in der Vergangenheit zurückliegen und vor dieser scharfen Episode des Klassenkampfes entstanden sind. Denn, wie Stefano Palombarini sagt, die FI
… ist ein Versuch, die Linke wieder aufzubauen, stößt aber auf große objektive Schwierigkeiten. Da der Aufbau Europas einen tiefen Faktor der Spaltung im linken Lager darstellt, ist es kein Zufall, dass sich die Position der FI zu diesem Thema für widersprüchliche Lesarten eignet. Die Namen, die von der FI-Liste für die Europawahlen gestrichen wurden, zeugen von der Spannung zwischen einem Populismus einerseits, der auf die Überwindung der Links-rechts-Spaltung abzielt, und der Wiederherstellung einer linken Perspektive andererseits. Es gibt eine populistische Perspektive für die FI, im Sinne einer erneuerten sozialen Basis, die nicht mehr die traditionelle Wähler*innenschaft der Linken wäre. Wer würde insbesondere auf die Unterstützung der Pro-Europäer*innen verzichten, d.h. des am höchsten gebildeten Teils der Linken, der mit dem öffentlichen Dienst, den intellektuellen Berufen usw. verbunden ist? Jean-Luc Mélenchon versucht, Wähler*innen aus den untergeordneten Klassen zu finden, nicht nur unter denen, die sich der Stimme enthalten, sondern auch unter denen, die rechts wählen. Abgesehen davon, dass es nicht ausreicht, ihnen zu sagen, dass „die Linke vorbei ist“, um mit mit diesen Sektoren zu reden, die nicht kulturell mit der Linken verbunden sind, ja sogar ihr feindlich gesinnt sind: Sie müssen Garantien erhalten, zum Beispiel beim Thema Migration.
Die von der FI auf dieser letztgenannten Ebene gemachten Zugeständnisse und ihr Schweigen über die heikle Frage der Aufnahme von Migrant*innen – trotz aller Schwankungen und auch wenn ihre Positionen nicht mit der Fremdenfeindlichkeit der RN von Le Pen verwechselt werden dürfen – verstärken letztlich den Rechtspopulismus und nicht seine linke Version. Noch grundlegender ist die Tatsache, dass Mélenchon ein ehemaliger Minister von Lionel Jospin (in einer Kooperationsregierung der Fünften Republik) und seit 20 Jahren Senator ist. Das setzt ihm bei seiner Konfrontation mit dem bürgerlichen Regime klare Grenzen, wie sich im Laufe des Aufstandes der Gilets Jaunes gezeigt hat, trotz den Behauptungen von Laurence Rossignol (sozialistische Senatorin und ehemalige Staatssekretärin, Mitglied der Revolutionär-Kommunistischen Liga bis 1981): „Jean-Luc Mélenchon weigert sich, einen Zentimeter des von den „gelben Westen“ besetzten Feld an die extreme Rechte abzutreten und kämpft dafür, das Gewissen derjenigen zu wecken, die aufgehört haben zu wählen.“ Aber wie sie selbst sagt:
… zwei Elemente verhindern, dass der Anführer die Initiative ergreift. Was auch immer er tut, er ist Teil eines abgelehnten Systems. Er kann den antiparlamentarischen, anti-medialen und antioligarchischen Motor anheizen, doch er wird nie weit genug gehen können, um die Lok selbst zu fahren, da er immer noch ein Anhänger der Republik ist.
Schließlich ist der linke Populismus der FI in dem Moment, in dem es brennt, immer noch eine Neuauflage der alten reformistischen Strategie.
Populistische Strategie oder eine strategische Allianz der Arbeiter*innenklasse mit den ausgebeuteten und unterdrückten Sektoren?
Aufgrund ihres Ursprung, ihrer Ausrichtung und der Dynamik der Mobilisierung ist die Bewegung der Gilets Jaunes nicht identisch mit derjenigen, welche der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) vorausging. Viele Analyst*innen, die auf die Widersprüche der Bewegung hinweisen, sagen jedoch als einziges Schicksal eine rechtspopulistische politische Übersetzung voraus – wie diejenige, die die Bewegung von Beppe Grillo charakterisierte, die derzeit mit der extremen Rechten von Matteo Salvini Teil der italienischen Regierung ist.
Was bedeutet eine rechtspopulistische Politik konkret und im Hinblick auf Allianzen? Schauen wir uns an, was Palombarini sagt:
Analysieren wir die 5-Sterne-Bewegung in Italien. Seine Basis ist genau das Gegenteil des bürgerlichen Blocks, sie beinhaltet sowohl die linken als auch die rechten Volksmassen. Was die Arbeitsbeziehungen betrifft, so gibt es daher Massensektoren, die gegensätzliche Erwartungen haben. Auf der einen Seite ungelernte Beschäftigte, die offensichtlich höhere Löhne, stärkeren Kündigungsschutz und stabilere Verträge fordern. Auf der anderen Seite umfasst die Bewegung auch Handwerker*innen, Kleinstunternehmer*innen, Kaufleute, die ebenfalls ärmere Sektoren sind, aber mit der Rechten verbunden sind. Wenn Sie einem Handwerker mit Lehrlingen sagen, er solle sie regulär beschäftigen, einen stabilen Vertrag abschließen oder mehr Lohn zahlen, wird seine Antwort ein „absolutes Nein“ sein. Dieser Teil der ärmeren Schichten hat Interessen, die objektiv denen von ungelernten abhängigen Arbeiter*innen entgegenstehen. Wenn man sie in der gleichen Bewegung zusammenhalten will, kann man nicht über die Art der Arbeitsverträge, über die Regelungen bei Entlassungen, über den Artikel 18 in Italien, über Abfindungen im Entlassungsfall, über Löhne sprechen. Die 5-Sterne-Bewegung sprach irgendwann über den Artikel 18, aber wenn sie heute mit einer Wähler*innengunst von 32% eine derartige Reform vorschlagen würden, würden sie einen Teil ihrer Basis glücklich machen, aber sofort einen anderen Teil verlieren.
Kurz gesagt, diese populistische Strategie kann nur dazu führen, dass die Interessen der wichtigsten Sektoren des Proletariats geschmälert werden, was letztendlich nicht nur der Klassenkollaboration, sondern auch der Kontinuität des „autoritären und mitfühlenden“ Neoliberalismus (Palombarini) dient, wie es bei der derzeitigen italienischen imperialistischen Regierung der Fall ist. Diese Politik kann nur zur Resignation (ohne Zustimmung) der Arbeiter*innen gegenüber dem aktuellen unliberalen Neoliberalismus führen, wie es bei Trump oder in Ungarn der Fall sein kann (in Frage gestellt in den letzten Wochen wegen Orbans „Sklavengesetz“).
Diese Politik der Klassenkollaboration kommt in der aktuellen Gelbwesten-Bewegung auf ihre eigene Weise zum Ausdruck, da sie nicht auf die Konfrontation mit allen Unternehmer*innen abzielt, sondern nur auf die Reichen. So werden nur bestimmte Sektoren anvisiert, z.B. solche, die keine Steuern zahlen, insbesondere die GAFA (Google, Apple, Facebook, Amazon), oder bestimmte Sektoren wie Banken, Supermärkte, Autobahngesellschaften, ausländische multinationale Unternehmen. Ein Aktivist der Gelbwesten in Montceau-les-Mines (Saône-et-Loire) und ehemaliger Gewerkschaftsdelegierter der CFDT fasst die „reformistische“ Ausrichtung des Gewerkschaftsverbandes, dem er früher angehörte, folgendermaßen zusammen: „Wenn wir die Unternehmensführer*innen kritisieren, dann mischen wir alles: die TPEs (Kleinstunternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten, A.d.Ü.), die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die an der Börse notierten oder die multinationalen Unternehmen. Wir haben nicht die Absicht, Unternehmen zu stören, die ihre Steuern in Frankreich zahlen.“
Das Proletariat darf der ruinierten Kleinbourgeoisie nicht den Rücken kehren, weil sonst die Gefahr besteht, dass diese in ihrer Verzweiflung in die Klauen rechtsextremer Demagogen fällt. Aber es darf auch nicht ihre eigenen Forderungen als Klasse verschweigen, um die Einheit der Bewegung zu wahren, weil es sonst in die Sackgasse des Rechtspopulismus geführt wird. Das Proletariat muss zum Einen ein spezifisches Programm mit Forderungen wie der Besteuerung großer Vermögen, der Abschaffung aller indirekten Steuern usw. vertreten, das insbesondere den Interessen der ärmeren Schichten und den demokratischen Wünschen derselben entspricht. Gleichzeitig muss es aufzeigen, dass sein Programm radikaler Veränderungen, das dem Wunsch nach tiefgreifenden Reformen (2) der Mehrheit der Gilets Jaunes entspricht, die Interessen der Kleineigentümer*innen nicht antasten, sondern ihnen im Gegenteil zu Hilfe kommen würde. Wie Trotzki 1934 im Aktionsprogramm für Frankreich sagte, als er die Verstaatlichung von Banken, Schlüsselindustrien, Versicherungsgesellschaften und Verkehrsmitteln oder das Außenhandelsmonopol vorschlug:
Diese Nationalisierung darf keine Entschädigung für die großen Kapitalisten zulassen, die sich selbst durch Ausbluten der Proletarier Jahr für Jahr bereichert haben und die nur Elend und wirtschaftliche Anarchie anbieten konnten.
Die Nationalisierung der großen Produktions- und Austauschmittel bedeutet auf keinen Fall die Vernichtung der kleinen Bauern, Handels- und Handwerksunternehmen. Im Gegenteil, es sind die großen privilegierten Monopole, die die kleinen Unternehmer erdrosseln.
Den kleinen Unternehmern muss die Freiheit gelassen werden, und dann könnten die Arbeiter, nachdem sie die großen Unternehmen nationalisiert haben, ihnen zur Hilfe kommen. Eine geplante Wirtschaft, die auf dem ungeheuren Reichtum, den die Banken, Trusts, Aktiengesellschaften usw. angesammelt haben, fußt, würde die Erstellung eines Plans der Produktion und Verteilung erlauben, der den Kleinproduzenten direkte Aufträge des Staates, Rohmaterial und Kredite unter ganz günstigen Bedingungen anbietet. So würden die Bauern landwirtschaftliche Maschinen und Dünger zu niedrigen Preisen erhalten.
Im 21. Jahrhundert nimmt das Gewicht der Probleme in den Randgebieten der Städte und den Banlieues einen bedeuteren Platz ein als das der Probleme in ländlichen Regionen zu Beginn des letzten Jahrhunderts – ohne gleichzeitig das enorme Leid der kleinen landwirtschaftlichen Produzent*innen zu leugnen, die von den Riesen der Nahrungsmittelindustrie und der Logistik ausgeplündert werden. Angewandt auf diese Situation muss das Proletariat ein Programm vorantreiben, das es ihm ermöglicht, ein Bündnis mit den ausgebeuteten und unterdrückten Sektoren in ganz Frankreich zu schließen.
Für eine klassenbewusste, revolutionäre und internationalistische Linke
Die Explosion des von der PS angeführten linken Blocks eröffnet einen politischen Raum für diejenigen, die die Interessen der Arbeiter*innenklasse und verarmten Massen vertreten wollen – vorausgesetzt, es bekräftigt sich eine klassenkämpferische und internationalistische Politik. Wie wir sehen können, stellt die „linkspopulistische Abkürzung“ keine Lösung für die Sackgasse dar, in die Mitterrand und die sogenannte „zweite Linke“ von Rocard die Linke führten. Sie warfen die Interessen der Arbeiter*innenklasse und der verarmten Massen, ob in der privaten Wirtschaft oder im öffentlichen Dienst beschäftigt, auf den Müllhaufen der Geschichte. Die „Staatsbürgerrevolution“ von Mélenchon ist buchstäblich von kleinbürgerlicher Ideologie und all den Illusionen geprägt, die den alten Reformismus charakterisierten: wie der systematische Reformismus, das Streben nach Veränderungen im Rahmen der Legalität, das uneingeschränkte Vertrauen in die bürgerlichen parlamentarischen Institutionen und die Preisgabe des Klassenkampfes. Diese Vorstellungen geraten direkt mit den von den Gilets Jaunes gemachten subversiven Erfahrungen in Konflikt – trotz Mélenchons unverhältnismäßiger Anstrengungen, sich der Bewegung anzubiedern. Auf diese Weise werden wir nicht auf die tiefe soziale Wut der Gilets Jaunes antworten können.
Angesichts der Sackgasse, zu der die Politik derer hinführt, die das Volk vereinen wollen, indem sie ihre linke Identität aufgeben, muss es doch darum gehen, die Tendenzen zur Einheit der Arbeiter*innenklasse zu bekräftigen. Dies zeigt die Gelbwesten-Bewegung trotz ihrer Grenzen in Keimform schon auf, als den einzigen Weg, eine Hegemonie über den Rest der subalternen Klassen zu erlangen. Auf diesen Trend weist Nicolas Duvoux, Professor für Soziologie an der Universität Paris VIII und Forscher der verarmten Massen, zu Recht hin:
Diese Bewegung hat die Hauptgrenze zwischen dem „Sie“ der Eliten und dem „Wir“ der Massen wieder an die Oberfläche gebracht. Die Stigmatisierung von Menschen, die staatliche Subventionen erhalten, oder von Migrant*innen ist in den Straßensperren und Blockaden wenig zu hören gewesen, als ob das Klassenbewusstsein wiederhergestellt worden wäre. Es stellt sich nun die Frage, ob die in den letzten Jahren entstandenen inneren Spannungen zwischen den Sektoren mit stabileren Lebensbedingungen und den Menschen mit staatlichen Subventionen zurückkehren werden oder ob ein einheitlicher Volksblock gegen die Eliten aufgebaut wird. Die Aussicht auf diese Wiedervereinigung kann beunruhigend sein, und es ist verständlich, dass Politiker*innen versuchen, Spaltungen im Volk wiederherzustellen, wie es der Präsident der Republik getan hat, als er „diejenigen, die spielen“ bei der Eröffnung der großen nationalen Debatte stigmatisiert hat.
Der Aktionstag am 5. Februar, der zwar als Kampfmaßnahme, um Macron zu besiegen, immer noch unzureichend war, zeigte jedoch einen Beginn der Zusammenführung der Kämpfe der Gilets Jaunes und der organisierten Arbeiter*innenbewegung. Entgegen der Routine der gewerkschaftlichen Praxis und dem Hindernis der Gewerkschaftsbürokratie muss diese Zusammenführung vertieft werden, indem der Radikalismus und die Entschlossenheit der Gilets Jaunes mit einem Programm von Forderungen der gesamten Arbeiter*innenklasse, insbesondere ihrer am stärksten ausgebeuteten Sektoren, vereint wird, das gleichzeitig eine Antwort auf die Forderungen aller vom Großkapital unterdrückten Sektoren gibt.
Um diese Tendenzen zur proletarischen Einheit gegen die falschen populistischen Spaltungen bis zum Ende zu führen, muss die Linke offen Position gegen Arbeitslosigkeit und den Anstieg der Lebenshaltungskosten, gegen die Wohn-, Transport- und Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen, für die Aufnahme von Migrant*innen beziehen. Angesichts des Brexits, der einen individuellen und traumatischen Austritt aus der EU bedeuten würde, muss die Perspektive einer kollektiven Lösung im Sinne eines sozialistischen Europas der Arbeiter*innen aufgeworfen werden – entgegen der Europäischen Union und dem Europa des Kapitals. Wir müssen die Ära des Sozialliberalismus endgültig zerstören und auf die Wiedergeburt einer wirklich revolutionären Linken setzen, die sich mit Beständigkeit und Entschlossenheit einen Weg zu den Massen bahnt. Nur eine solche Politik kann verhindern, dass sich die Energie der Arbeiter*innen verflüchtigt und das dunkle Szenario, das derzeit in Italien herrscht, sich durchsetzt. Nur eine solche Linke kann schließlich eine echte Alternative gegenüber der zwei Seiten der selben Medaille des Neoliberalismus bieten: Macron/Merkel oder Le Pen/Salvini/Orban.
Fußnoten
(1) Nach dem persönlichen Scheitern zwischen den beiden Wahlgängen der Präsidentschatfswahlen erscheint Marine Le Pen moderater und kontrollierter als gewöhnlich zu agieren. Angesichts von Macrons Krise verfolgt sie keine Absetzungspolitik, sondern verteidigt die Institutionen der 5. Republik. Dabei begnügt sie sich nur mit einer proportionalen Repräsentation. Sie hat den Ausstieg aus dem Euro und Europa, den eine Mehrheit der Franzos*innen ablehnt, insbesondere angesichts des schrecklichen Spektakels des innereuropäischen Krieges über den Brexit, aus ihrem Programm gestrichen. In Bezug auf die aktuelle Bewegung unterstützt sie die Gilets Jaunes, aber aus der Ferne, anstatt zu ihnen zu eilen, wie es Mélenchon tut. Ihre gesamte Strategie läuft auf die Suche nach einer eindeutig anti-europäischen Mehrheit bei den Mai-Wahlen hinaus. Trotz dieses neuen Vorgehens – beruhigender und weniger heftig als in der Vergangenheit – bleibt RN jedoch vorerst auf dem gleichen Niveau wie vor zwei Jahren stabil. Trotz all der Propaganda über den Vormarsch der extremen Rechten als Folge der gegenwärtigen sozialen Bewegung ist dieses Ergebnis enttäuschender, als es scheint.
(2) Laut Bruno Amable: „60 Prozent der Befragten, die die Gilets Jaunes unterstützen, sind der Meinung, dass der Kapitalismus gründlich reformiert werden sollte, während dies nur bei 35% derjenigen der Fall ist, die sich dieser Bewegung widersetzen.“
Dieser Artikel erschien am 10. Januar 2019 bei Ideas de Izquierda.