Frankreich: Revolutionärer Arbeiter soll Präsidentschaftskandidat werden
Ein zutiefst antidemokratisches Gesetz macht es notwendig, dass 500 Unterschriften für die bloße Kandidatur der Präsidentschaft von offiziellen Mandatsträger*innen aus Frankreich gesammelt werden müssen. Ein Verfahren, dass besonders kleine Parteien wie die NPA benachteiligt und unter Druck setzt. Vor diesem Hintergrund haben sich die Aktivist*innen der NPA zu einer Front mobilisiert, um die Kandidatur des Ford-Arbeiters Philippe Poutou möglich zu machen.
Das bestehende Gesetz verdient es, näher analysiert zu werden, um den antidemokratischen Charakter der V. Republik zu entlarven: Es wurde 1976 vom damaligen Staatspräsidenten Giscard d’Estaing verabschiedet und macht erforderlich, dass 500 Unterschriften von Unterstützer*innen aus 30 verschiedenen Departements gesammelt werden, um überhaupt zu Präsidentschaftswahlen antreten zu können. Unterschreiben können nur die Bürger*innenmeister*innen der Gemeinden, die Mitglieder der beiden Parlamentskammern (Senat und Nationalversammlung) sowie die französischen Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Hinzu kommen noch eine Reihe eigenständiger Mandatsträger*innen wie die Präsident*innen der Regionalräte. Gewiss keine leichte Aufgabe und hervorragend dazu geeignet, die etablierten Parteien zu schützen und andere Alternativen gar nicht aufkommen zu lassen. Oder glauben Sie, die Leser*innen, dass irgendjemand vom FN oder den Konservativen ihre Unterschrift unter das Dokument für die NPA setzen würde? Mitnichten!
Die politische Konjunktur in Frankreich macht es allerdings erforderlich, dass mit Philippe Poutou ein Vertreter der Arbeiter*innenklasse antritt. Im Frankreich des Jahres 2017 ist es kein Zufall, dass viele Kandidat*innen ehemalige Minister*innen waren: Fillon, Manuel Valls, Emmanuel Macron oder Arnaud Montebourg. Hinzukommt kommt der Sozialchauvinist Jean-Luc Mélenchon von der Front de Gauche. Keiner von ihnen hat auch nur annähernd ein antikapitalistisches Programm wie Philippe Poutou; keiner von ihnen war derart in gewerkschaftliche Kämpfe involviert wie Poutou. “Es fehlt etwas, wenn es in diesem Wahlkampf keine antikapitalistische Stimme gibt”, so Christine Poupin, die Sprecherin der NPA.
Es ist nur folgerichtig, dass sich die Bürgerlichen schon auf ein Duell zwischen Marine Le Pen und François Fillon vorbereiten und folgerichtig Alternativen von unten wie eben Poutou oder Nathalie Arthaud von der Lutte Ouvrière medial kaum berücksichtigen. Es ist deshalb von besonderer Bedeutung, nicht nur die formellen Unterschriften einzusammeln, sondern diese mit einer politischen Kampagne zu begleiten. Die NPA rief daher auch eine allgemeine Petition ins Leben, die jeder unterschreiben kann, der eine unabhängige Kandidatur der Ausgebeuteten und Unterdrückten unterstützt. Das Motto dieser Petition ist #2017PoutouDoitEnEtre: 2017 Poutou muss sein – er muss antreten, damit wir nicht nur die “Alternativen” der Bourgeoisie zu wählen haben.
Große Möglichkeiten
Jede Wahl in einer bürgerlichen Republik ändert schlagartig ihren Charakter, sobald Revolutionär*innen die Bühne betreten. Dies trifft selbst auf die NPA zu, die de facto in einer permanenten Krise steckt und keine Chance hat, den zukünftigen Präsidenten zu stellen. Zum Vergleich: Poutou holte vor fünf Jahren 1,15 Prozent der Stimmen des ersten Wahlgangs, Umfragen sehen ihn heute bei 2,5 Prozent. Obwohl das vergangene Jahr von starken Mobilisierungen gegen das Loi Travail geprägt waren, schaffte es die NPA nicht, Mitglieder und Unterstützer*innen zu gewinnen, damit sie wenigstens ihre Krise überwinden könnte.
Die Kandidatur von Poutou ist aber eben deswegen so wichtig und eine politische Notwendigkeit, weil die Wahlen in einer Phase der Offensive der französischen Bourgeoisie stattfinden. Nachdem im Spätsommer die Bewegung gegen das Loi Travail endgültig seitens der Gewerkschaftsbürokratien von der Straße geholt wurde, entstand ein Vakuum, das er es der herrschenden Klasse ermöglichte, eine Welle der Repression gegen Arbeiter*innen, Geflüchtete und die Migrant*innen in den Vororten loszutreten. Das skandalöse Urteil gegen die Goodyear-Arbeiter ist das beste Beispiel dafür; noch im Frühjahr wäre solch ein Urteil unmöglich gewesen, da es Öl in die bestehende soziale Explosion gegossen hätte. Nun allerdings sieht sich das Kapital in der Lage, selbst Kandidaten wie François Fillon voranzutreiben, eine französischen Version von Margaret Thatcher.
In diesen gegebenen Koordinaten der politischen Situation untätig zu bleiben oder gar eine Kandidatur von Poutou als hoffnungslos zu deklarieren, gliche eine kampflosen Kapitulation. Mehr noch, es wäre ein unverzeihlicher Fehler, jenen fortgeschrittenen Arbeiter*innen und Unterdrückten, die sektorale Streiks (wie bei PSA Poissy) und antirassistische Kämpfe (Justice pour Adama Traore) anführen, eine politische Alternative zu verweigern. Es wäre wie eine Aufgabe mitten im Kampf. Philippe Poutou muss die Alternative dieser kämpfenden Sektoren werden, da er als langjähriger Arbeiter bei Ford über Kampferfahrung verfügt und auch auf die Unterstützung der kämpferischsten Teil des Proletariats zählen kann: Schon jetzt gibt es eine Reihe von Solidaritätsbotschaften wie etwa von Mickael Wamen, dem bekanntesten und charismatischsten der Acht von Goodyear; von Ansoumane Dramé, Streikender bei PSA oder von Anasse Kazib, dem Delegierten der Eisenbahnarbeiter*innen von Paris Nord.
Die Kandidatur von Poutou ist daher essentiell und verdient es, weiter vorangetrieben zu werden. Trotz des faktischen medialen Boykotts seitens der bürgerlichen Blätter, trotz der schwierigen Aufgabe der Sammlung der 500 Unterschriften (die NPA hat bisher ungefähr 200), aber vor allem wegen der Interventionsmöglichkeit der Revolutionär*innen in einen Wahlkampf, der wegweisend sein wird für die kommenden Klassenkämpfe in Frankreich.