Frankreich: Philippe Poutou attackiert Fillon und Le Pen wegen ihrer Korruptionsaffären

06.04.2017, Lesezeit 8 Min.
1

Nachdem er sich geweigert hatte, am gemeinsamen Foto mit den zehn anderen Kandidat*innen teilzunehmen, attackierte der einzige Arbeiterkandidat bei den Präsidentschaftswahlen François Fillon und Marine Le Pen wegen ihrer Korruptionsaffären.

Nach der antidemokratischen Maskerade der ersten Debatte hatte BFM TV am Dienstag alle elf Kandidat*innen zu den Präsidentschaftswahlen eingeladen, vier Stunden lang miteinander zu debattieren. Eine Debatte, während der Philippe Poutou, Arbeiterkandidat der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA), viele Regeln brach. Er weigerte sich, ein gemeinsames Foto mit den zehn anderen Kandidat*innen aufzunehmen, wo die Neoliberalen Emmanuel Macron (En Marche!) und François Fillon (Republikaner) und auch die extreme Rechte in Gestalt von Marine Le Pen (Fron National, FN) vertreten waren. Der einzige Arbeiter, der Präsidentschaftskandidat ist, zeigte sich als einziger Kandidat, der Fillon und Le Pen frontal wegen ihrer Korruptionsaffären angriff. Danach stimmte auch Nathalie Arthaud, Kandidatin der linksradikalen Partei Lutte Ouvrière, mit ein. Um seine Positionen zu illustrieren, betonte er schon in der Einleitung, kein professioneller Politiker zu sein:

Mit Ausnahme von Nathalie Arthaud bin ich unter den hier Anwesenden, glaube ich, der einzige, der einen normalen Beruf ausübt.

In der ersten Debatte, an der Poutou anders als der linksreformistische Jean-Luc Mélenchon (Linksfront) nicht teilnehmen durfte, gab es keinen derartigen Angriff auf Fillon und Le Pen. Stattdessen schien es eine Art unausgesprochenen Nichtangriffspakt zu geben, die Korruptionsaffären hinter sich und vor allem aus den Augen der Öffentlichkeit zu lassen. Die Entschuldigung war, dass die Arbeiter*innen und die Jugend doch über das Programm der Kandidat*innen informiert werden wollten und über nichts anderes. Und das obwohl sowohl Fillon als auch Le Pen und Macron in gleich mehrere Affären verstrickt sind: Scheinbeschäftigung bei der Nationalversammlung oder im Europäischen Parlament oder Verdächtigungen in Bezug auf Parteifinanzierung oder Erbschaftserklärungen. Allen „großen“ Kandidat*innen schien es daran gelegen zu sein, diese Dinge nicht in der Öffentlichkeit auszubreiten.

Über diese skandalösen Affären hatten selbst diejenigen geschwiegen, die angeblich eine „Staatsbürger*innenrevolution wollen. So brauchte es dazu die Präsenz des Arbeiterkandidaten Philippe Poutou und seine Punchlines bei diesen Wahlen. Poutou attackierte den Kandidaten der traditionellen Rechten:

Selbst ein Fillon, der sich angeblich um Schulden Sorgen macht, denkt reichlich wenig daran, wenn er sich direkt aus der Staatskasse bedient.

Es war einer der härtesten Angriffe, der die Debatte tief beeinflusste. Nachdem die Anti-Fillon-Front aufgebaut war, antwortete der rechte Kandidat fast schon aus dem Bauch heraus auf die Tirade von Poutou: „Oh oh oh oh oh oh oh“ (sieben Mal!), bevor er brummte: „Ich werde Sie noch verklagen.“

Auch von rechts wurde Fillon mehrfach angegriffen, und zwar von Dupont-Aignan, Kandidat der souveränistischen Rechten Debout la République, der Fillons Stimmen anzapfen will. Er hatte einen guten Auftritt und scheint gestärkt aus der Debatte herauszugehen. Trotz der Angriffe von Philippe Poutou und Nathalie Arthaud legte Fillon, Kandidat der konservativen Républicains, einen relativ soliden Auftritt hin. Immer wieder verschob er die Debatte auf sein Programm und versuchte so, das Rezept aus den Vorwahlen der Rechten und der Mitte zu wiederholen. In der gesamten Debatte war der Klassenhass besonders gegen Poutou stark spürbar – er zog die Angriffe auf sich. Trotz seiner guten Argumente wog das Gewicht der Korruptionsaffären am Ende nicht schwer.

Auch den Front National griff Poutou frontal an:

Wir haben hier auch Marine Le Pen, die sich an den öffentlichen Kassen bedient, zwar nicht hier, sondern in Europa. Und der FN, der sich so gegen das System gibt, hat kein Problem damit, das System zu benutzen, um sich selbst zu schützen, wie durch parlamentarische Immunität. Das ist sehr bequem.

Nach einem Zwischenruf der FN-Kandidatin fügt er hinzu:

Wenn wir vor Gericht gerufen werden, gilt für uns keine Immunität der Arbeiter*innen.

Eine Antwort des Arbeiterkandidaten, der aus der Ford-Fabrik Blanquefort kommt, die den Beifall des Publikums und selbst von Jean-Luc Mélenchon auf sich zog. Von da an ging es in der Debatte drunter und drüber. Die Salven gegen Marine Le Pen vervielfältigten sich, sogar von Seiten der Journalist*innen. Die Kandidatin des FN, die von Debatte zu Debatte immer besser in Form gekommen war, war destabilisiert. Sie kämpfte darum, in der letzten Stunde der Debatte wieder in Form zu kommen. In Bezug auf die anderen rechtsextremen Kandidat*innen kann man sagen, dass deren Argumente ziemlich verwirrt wirkten.

Im Vergleich zur ersten Debatte gab Emmanuel Macron – der Kandidat, der sich als weder links noch rechts gibt – eine gute Figur ab. Sein erklärtes Ziel ist es, der beste Kandidat gegen Marine Le Pen zu sein. Der ehemalige Wirtschaftsminister versuchte, an einem präsidialen Auftreten zu arbeiten, das ihm in der ersten Debatte gefehlt hatte. Besonders in seinem Schlusswort war der Kandidat bemüht, sich von Hollande und seiner Amtszeit zu distanzieren. Als Verteidiger der „Unschuldsvermutung“ versuchte der ex-sozialdemokratische Kandidat von En Marche mehrfach, den guten Lauf von Philippe Poutou zu brechen, indem er sowohl Fillon als auch Le Pen wieder in den Sattel verhelfen wollte. Derjenige, der sich als Außenstehender darstellt, erschien damit als wirklicher Kandidat des Systems, der lieber diejenigen unterstützt, die öffentliche Gelder veruntreuen, statt ihr Verhalten zu verurteilen.

Auch wenn er weniger sichtbar war als in der ersten Debatte, scheint Mélenchon wieder einmal – so sagen zumindest die Umfragen – als Sieger aus dieser Debatte gegangen zu sein. Eine Debatte, die ihm mit fünf Kandidat*innen anscheinend lieber ist als mit elf, wie er in seinem Blog erklärte. Eine Schwierigkeit, die sich mehrfach zeigte, war, dass er von links von zwei linksradikalen Kandidat*innen überholt wurde. Nathalie Arthaud war besonders einschneidend gegenüber dem Kandidaten von France Insoumise. In der Frage der Europäischen Union zitierte Mélenchon Marx: „Ich glaube, dass sie die Rolle des rechtlichen Überbaus unterschätzt, wie Marx sagen würde.“ Worauf Nathalie Arthaud ihn sehr richtigerweise an die Rolle des französischen Staates in der kapitalistischen Ausbeutung erinnerte.

Nach dem Schlusswort Poutous versuchte Mélenchon in der Linken an Boden zurückzugewinnen, indem auch er – etwas gezwungen – Marine Le Pen angriff, die schon von Poutou attackiert worden war. Gegen Le Pens Beleidigungen musste Poutou auch bezüglich der angeblichen Immunität von Gewerkschafter*innen antworten. Le Pen hatte ihn attackiert, indem sie argumentierte, dass gewählte Gewerkschaftsvertreter*innen in den Betrieben sich auch nicht vor dem Gericht verantworten müssten. Der Kandidat antwortete, dass viele Gewerkschaftsdelegierte aktuell gegen Entlassungen kämpfen und dafür vor den Gerichten verfolgt werden, wie beispielsweise die Goodyear-Arbeiter*innen. Marine Le Pen hatte keine Reaktion.

Die Debatte entzündete das Internet und die sozialen Medien, und die Pointen von Poutou zierten die Schlagzeilen der gesamten herrschenden Presse. Das Echo war derart, dass die Journalist*innen begannen, die sogenannte Respektlosigkeit des Kandidaten hervorzuheben, der es gewagt habe, kein Foto mit den Neoliberalen, Reaktionär*innen und Fremdenfeind*innen zu schießen. Als Schlusswort der Debatte getarnt und als Antwort auf den traditionellen Nationalismus, der hinter dem Ausdruck „sich an die Franzos*innen wenden“ steckt, betonte Philippe Poutou, dass er sich nicht an die Franzos*innen wenden werde, sondern „an die Bevölkerung“, also auch an die Ausländer*innen. „An diejenigen, die wütend sind“, wie er insistierte. Poutou erwähnte auch Guayana, wo es eine „Bewegung gegen die Armut und für öffentliche Versorgung“, eine Bewegung „gegen die Reste des französischen Kolonialismus“ gibt. „Guayana zeigt, dass man der Ausbeutung, der Akkumulation des Reichtums, widerstehen kann“, fügte er hinzu.

Die NPA zu wählen, ist nützlich: eine Perspektive der Revanche, ein sozialer Kampf, die Reichen bezahlen zu lassen.

Dieser Artikel erschien am 5. April auf unserer französischen Schwesterseite Revolution Permanente.

Mehr zum Thema