Frankreich: Lehrer:innen planen Massenstreik gegen unsichere Schulrückkehr
Die Lehrer:innen weigern sich, die Schulen unter den von der Regierung auferlegten Bedingungen zu öffnen. Inmitten der aktuellen Coronavirus-Welle seien diese völlig unsicher und widersprüchlich. Die Gewerkschaften haben unter dem Druck der Beschäftigten nun zum Streik aufgerufen.
Unter dem Druck der Arbeiter:innen haben die französischen Gewerkschaften für den heutigen Donnerstag zu einem massenhaften Streik aufgerufen. Im Vorfeld wurde mit einer Beteiligung von bis zu 75 Prozent der Lehrer:innen gerechnet. Der Streik soll sich gegen die neuen Maßnahmen der französischen Regierung zur Bewältigung der Covid-Welle in den Schulen richten.
Es wurde erwartet, dass der Protesttag, der von Elternverbänden unterstützt wird, zur Schließung von 50 Prozent der Schulen in Frankreich führen würde. Nach aktuellen Informationen unserer Schwesterpublikation Révolution Permanente befinden sich 62 Prozent der Lehrkräfte an Sekundarschulen im Streik. Die Hälfte der Grundschulen bleibt geschlossen. In Paris findet an rund 200 Schulen heute kein Unterricht statt. Die Gewerkschaften sprechen von einer historischen Mobilisierung.
Révolution Permanente berichtet vor allem aus Paris zudem von Polizeigewalt gegen Gymnasiast:innen, die sich an den Protesten beteiligen, indem sie die Türen ihrer Schulen blockieren.
Die Gewerkschaften protestieren gegen die mangelnden Sicherheitsmaßnahmen gegen das Virus und die ständigen Änderungen der Protokolle. Die jüngste, seit dem dritten Januar geltende Regelung für Grundschulen wurde vielfach als verwirrend und lasch kritisiert.
Lehrer:innen und Eltern von Schüler:innen fordern eine Verschärfung der Vorschriften. Sie wollen zu den alten Protokollen zurückkehren, die die Schließung eines Klassenzimmers vorsahen, wenn bei einem der Schüler eine Infektion festgestellt wurde. Außerdem fordern sie die Einführung systematischer wöchentlicher Präventivtests.
Das derzeitige Protokoll für Grundschulen in Frankreich sieht vor, dass bei einem positiven Test in einem Klassenzimmer alle Schüler:innen dieser Klasse innerhalb von vier Tagen drei Covid-Tests unterzogen werden müssen. Sie können weiteram Unterricht teilnehmen, solange die Selbsttests negativ ausfallen.
Die Gewerkschaften, die für heute zu Demonstrationen in den größeren Städten des Landes aufgerufen haben, fordern zudem die sofortige Ausgabe von chirurgischen und FFP2-Masken an das Personal.
Der verhasste Bildungsminister
Die Zielscheibe der Kritik der Lehrer:innen ist Bildungsminister Jean-Michel Blanquer. Die Spannungen sind so groß, dass der Regierungssprecher Gabriel Attal am Mittwoch nach dem Minister:innenrat klarstellen musste, dass die Regierung von Emmanuel Macron Blanquer weiterhin unterstützt.
Nach zwei Jahren Pandemie und Gesundheitskrise wurden keine zusätzlichen Mittel für die Ausstattung der Schulen mit CO2-Sensoren und Luftfiltern bereitgestellt, nicht einmal für die Ausstattung des Personals mit FFP2-Masken. Im Gegenteil, Minister Blanquer hat das Gesundheitsprotokoll regelmäßig gelockert und damit das Personal, die Schüler:innen und die Familien dem Virus ausgesetzt.
Schlimmer noch: Das neue Protokoll des Bildungsministers, das am Vorabend des Schuljahresbeginns in der Presse veröffentlicht wurde, bestand aus einer weiteren Lockerung des Gesundheitsprotokolls. Eine Maßnahme, die darauf abzielt, die Schulen „um jeden Preis“ offen zu halten und den Eltern der Schüler:innen die Verantwortung aufzubürden, ihre Kinder im Falle von infektiösen Kontakten selbst zu testen. Dies wurde nicht nur für die Eltern der Schüler:innen, sondern auch für die Apotheken schnell unüberschaubar, da diese mit der steigenden Zahl der Infektionen und der damit verbundenen Nachfrage nach Tests überfordert sind.
Diese Politik der „offenen Schule“ wird den Bildungsbedürfnissen nicht gerecht und ist dennoch ein zentraler Bestandteil der Strategie der Macron-Regierung, die Wirtschaft um jeden Preis am Laufen zu halten. Sie ebnet allerdings den Weg für eine massive Verbreitung des Virus. Die Logik, die von den Wirtschaftskammern gefordert wird, ist, dass die Schulen „offen“ bleiben müssen, auch wenn die Klassen manchmal weitgehend leer sind, damit die Eltern zur Arbeit gehen können.
Vor diesem Hintergrund kam es in den letzten Tagen in verschiedenen Regionen des Landes zu spontanen Aktionen, die von Lehrer:innen, Schüler:innen und Eltern getragen wurden. Am Dienstag verbanden sich diese mit Protesten von Beschäftigten im Gesundheitswesen, was die Gewerkschaften des Sektors schließlich dazu zwang, für Donnerstag zum Streik aufzurufen.
Diese Solidarität zwischen dem Gesundheitspersonal und den Lehrer:innen findet vor dem Hintergrund statt, dass die Regierung versucht, die Situation der Krankenhäuser zu verschleiern. Trotz der akuten Gesundheitskrise mit einer erheblichen Überbelegung der Betten lehnt sie jegliche zusätzlichen Mittel ab. Die Beschäftigten in den öffentlichen Krankenhäusern und dem staatlichen Bildungswesen kämpfen beide an vorderster Front gegen die neoliberale Politik, die diese Sektoren zunehmend kaputtgespart hat.
Zu Beginn des neuen Schuljahres scheinen die Schulen, die sie auf Geheiß der Arbeitgeber:innen um jeden Preis „am Laufen“ halten wollen, die Achillesferse von Macron und seiner Regierung zu sein.
Dieser Artikel erschien gestern auf Spanisch bei La Izquierda Diario und wurde um aktuelle Informationen aus dem Ticker von Révolution Permanente ergänzt.