Frankreich: Immer mit erhobener Faust

30.08.2024, Lesezeit 7 Min.
1
Foto: Révolution Permanente

Vier Tage waren wir zu viert in den Alpen. Lauschend lernten wir von unseren Genoss:innen, diskutierten mit ihnen und staunten. Ein Bericht.

Zum Sommercamp unserer französischen Schwesterorganisation Révolution Permanente sind dieses Jahr fast 700 Menschen gekommen – obwohl unsere Genoss:innen nicht einmal öffentlich eingeladen hatten. Eigenen Aussagen zufolge wären sie dann doppelt so viele gewesen.

Die Teilnehmer:innen reisten aus Paris, Bordeaux, Montpellier, Rennes, Metz und unzähligen weiteren Städten an den Fuß des Mont Blanc. Einige hatten sogar einen noch längeren Weg. Denn auch aus den USA, dem spanischen Staat, Italien, der Schweiz und Deutschland waren Delegationen der jeweiligen Sektionen der Trotzkistischen Fraktion (FT), der „Internationalen“ von Révolution Permanente und Klasse Gegen Klasse gekommen. Außerdem nahmen auch die Genoss:innen der südkoreanischen Gruppe March to Socialism (MtS) am französischen Sommercamp teil.

Im Vergleich zu den vergangenen Jahren lag der Fokus dieses Jahr auf der Aus- und Weiterbildung der eigenen Mitglieder und Sympathisant:innen – also Leute, die bereits regelmäßig zu den offenen Versammlungen von RP gekommen waren. So wurde viel strategischer diskutiert als in den Vorjahren. Beispielsweise wurden die Grundlagen des Marxismus und ihre Aktualität vermittelt, die russische Revolution nachgezeichnet und über Leo Trotzkis Übergangsprogramm debattiert. Doch wurde sich auch kritisch mit den Werken von Nicos Poulantzas, Ernesto Laclau, Chantal Mouffe und anderen Intellektuellen sowie Theorien wie Intersektionalität, Dekolonialismus und Degrowth auseinandergesetzt.

Neben den Workshops  gab es auch viele  Freizeitangebote kultureller und sportlicher Art und ein Filmscreening.

In S‘ils touchent à l‘un d’entre nous (Wenn sie einen von uns anrühren) geht es um den siegreichen Kampf unseres Genossen Christian Porta. Porta arbeitete seit fast zehn Jahren bei Neuhauser in einem Dorf namens Folschviller, das direkt an der deutschen Grenze liegt. Bei Neuhauser handelt es sich um eine industriellen Bäckerei, die LIDL-Filialen in ganz Europa beliefert. Sie gehört zur milliardenschweren InVivo-Gruppe. Der Agrarkonzern kündigte Porta wegen seiner gewerkschaftlichen Aktivitäten. Doch statt sich durch eine hohe Abfindung kaufen zu lassen, wehrte dieser sich – mit Erfolg. Der Gewerkschafter muss nun wieder eingestellt werden. Das ist vor allem Produkt der Solidarität seiner Kolleg:innen, die sich entschieden, bis Portas Rückkehr in den Betrieb zu streiken. Seit den 1970er Jahren kann man in Frankreich – auch politisch – streiken, wenn sich dafür mindestens zwei Beschäftigte finden lassen.

Schon 2022 hatte es Dokumente gegeben, durch die der Agro-Business-Riese vor Révolution Permanente gewarnt wurde. Sie wussten vor uns, was für einen Einfluss wir haben könnten. So erzählte Porta beim Auftaktplenum des Sommercamps: „Wenn mir vor sieben Monaten jemand gesagt hätte, dass ich mit einer Wiedereinstellung aus diesem Kampf herausgehen und mir sogar ein macronistischer Arbeitsminister Recht geben würde, hätte ich das nicht geglaubt“. Die repressive Offensive von seinem Chef konnte nur mithilfe einer Organisation und dank einer revolutionären Strategie zurückgeschlagen werden. Die Herausforderung besteht nun darin, den Sieg Portas zu einer Gegenoffensive zu machen. Schließlich wird in Frankreich durch Demoralisierung und Isolation versucht, Tausende Beschäftigte mundtot zu machen.

Neben Porta saß Sasha Yaropolskaya von der sozialistisch-feministischen Gruppe Du Pain et des Roses (Brot und Rosen) und sprach über eine andere Offensive: Die der extremen Rechten gegen trans Personen. Ausgehend von der Debatte über Imane Khelif stellte Yaropolskaya eine Verbindung zu feministischen Kämpfen her: „Was ihre Geschichte zeigt, ist, dass die extreme Rechte nicht bei trans Personen aufhören wird. Sie wird es auf alle absehen, die nicht in ihre zutiefst sexistische und rassistische Vision von Weiblichkeit passen“.

Vanessa Raiz, die outgesourct in der Luft- und Raumfahrttechnik arbeitet, ging auf die Aktualität des Kampfes gegen den französischen Imperialismus und seinen neokolonialen Charakter ein. „Seit Jahrzehnten wird den Völkern der kolonisierten Gebiete von Neu-Kaledonien über Guayana, Martinique, La Réunion, Mayotte, Guadeloupe und Polynesien ihr Grundrecht auf Selbstbestimmung vorenthalten, weil der französische Staat darin nur Mittel zur Durchsetzung seiner wirtschaftlichen, politischen und militärischen Interessen sieht.“ Sie betonte die Heuchelei Macrons und dessen olympischen Waffenstillstands, während „die koloniale Unterdrückung keine Pause kennt“.

Der Eisenbahner Anasse Kazib erzählte, dass die extreme Rechte von Marine Le Pens Rassemblement National (RN) die letzten Wahlen wohl gewonnen hätte, wenn die Nouveau Front Populaire (NFP), die Neue Volksfront, sich nicht formiert hätte. Obwohl diese zur Wahlsiegerin gekürt wurde, lehnte Macron diese Woche ihre Premierministerin Lucie Castes wegen ihrer Positionen zu Verteidigung und Außenpolitik, insbesondere dem Nahostkonflikt, ab. Dabei habe Castes nicht einmal von Genozid gesprochen. Vor diesem Hintergrund betonte Kazib die Notwendigkeit einer von Macron und Le Pen komplett unabhängigen Politik. . Mit der imperialistischen Intervention in Mali unter Ex-Präsident François Hollande und der Rentenreform der ehemaligen Premierministerin Elisabeth Borne hatte die NFP selbst massiv zur Stärkung der extremen Rechten in Frankreich beigetragen. Er verwies dabei auf die grundlegenden strategischen Unterschiede“Wir wollen nicht ihre reaktionären und bürgerlichen Institutionen führen, Kompromisse […] finden. Wir wollen kämpfen, von unten, um das kapitalistische System und alle Unterdrückung zu beenden.”

Insgesamt fand das diesjährige Camp damit in einem ganz anderen Kontext statt als beispielsweise das im vergangenen Jahr. Statt einem harten Kampf gegen die Rentenreform, der unbefristete Streiks beinhaltet hatte, lag diesen Sommer hinter den unseren einerseits viel Repression. In Frankreich war die palästinasolidarische Bewegung ebenso geknüppelt und gepfeffert worden und auch die Verfolgung von Arbeiter:innen seitens der Bosse hatte mit der Kündigung des Gewerkschafters Porta ein neues Extrem erreicht – ein erneuter Ausdruck der Kompliz:innenschaft zwischen Staat und Kapital. Andererseits war mit der Neuen Volksfront die Illusion der Massen wiedererweckt worden, durch einen einzigen Urnengang den Aufstieg der Rechten stoppen zu können und hatte somit zu ihrer Passivierung beigetragen. Ein Szenario, in dem es zugleich schwieriger als auch einfacher ist, linke Politik zu machen. Schwieriger, weil es weniger Kämpfe in den Betrieben, Universitäten, Schulen und auf der Straße gibt. Der Druck war enorm groß, gegen den Aufstieg von Le Pen für die Wahl des geringeren Übels zu plädieren. Einfacher ist die Situation, weil es leichter ist, zu identifizieren, wer links von der NFP steht. Diejenigen, die die Kritik teilten, die wir an der Kollaboration der NFP mit Figuren wie Borne und Hollande übten, haben die Kandidatur von Kazib und seiner Anwältin Elsa Marcel unterstützt. Das trifft zum Beispiel auf das kämpferische Kollektiv papierloser Studierender der Universität in Saint-Denis zu, das aktiv Wahlkampf für unsere Genoss:innen machte.

Unsere Kandidatur hat nicht bedeutet, dass nun Wahlen im Zentrum der Politik unsere französischen Genoss:innen stehen. Dort befindet sich noch immer der Klassenkampf. Dadurch, dass wir uns haben aufstellen lassen, haben wir vielmehr die Moral der Klasse und ihre Selbstorganisation in Saint-Denis heben wollen. Weil wir unsere Kräfte auf eine Stadt konzentriert haben, schafften wir dies, wie man am Beispiel des avantgardistischen Studi-Kollektivs sieht, das bei den Protesten gegen das Migrationsgesetz erster Reihe gestanden hatte. Dieses gilt es nun zu generalisieren.

Mehr zum Thema