Frankreich: Harte Strafe für die Brüder Traoré

23.12.2016, Lesezeit 5 Min.
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Am 14. Dezember fand der Prozess gegen die zwei Brüder Traoré statt, nachdem sie drei Wochen in Untersuchungshaft saßen. Sie wurden angeklagt wegen “Widerstands und Beleidigung”, sowie “Bedrohung”. Da das Comité Traoré keine Versammlung vor dem Gericht wollte, wurde eine Versammlung in Paris organisiert, zu der 200 Personen kamen. Eine Gelegenheit, um auf die Ereignisse des 17. November zurückzukommen und den politischen Sinn der harten Repression in den Arbeiter*innenvierteln zu diskutieren.

Die Brüder Traoré im Gefängnis

Am 17. November wurden die Anwohner*innen von Beaumont-sur-Oise daran gehindert, sich am Gemeinderat zu beteiligen. Dieser sollte entscheiden, ob er die Anklage der Bürger*innenmeisterin gegen die Schwester von Adama wegen “Verleumdung” unterstützen solle. Zuerst sagen die Polizist*innen, dass nur Assa, Adamas Schwester, eintreten dürfe, weil es im Inneren keinen Platz mehr gebe. Danach griff die Polizei die Anwohner*innen mit Tränengas an, obwohl auch Kinder und ältere Menschen dabei waren. Sogar der Präfekt war erstaunt über die Polizeigewalt. Eine Stunde später machten Polizist*innen eine Strafexpedition in das Viertel Boyenva, und stießen mit einer Jugendgruppe zusammen, unter ihnen waren auch Bagui und Youssef, zwei Brüder des ermordeten Adama Traoré. Sie wurden von vier Polizist*innen verprügelt. Bagui ergriff die Flucht. Erst einige Tage später wurden die zwei Brüder erst fest-, dann in Untersuchungshaft genommen.

Offensichtlich handelt es sich um eine Inszenierung, um die Familie Traoré zu destabilisieren. In Frankreich verbringt normalerweise niemand eine Nacht im Gefängnis wegen “Beleidigung” – auch wenn die Anklage nicht bewiesen wird. Durch das Verfahren wurden viele Widersprüche in den Aussagen der Polizist*innen aufgedeckt. Sie gaben selbst zu, dass sie Youssef und Bagui nicht als Schuldige für die angeblichen Beleidigungen und Gewalttaten identifizieren konnten. Es wurde auch bekannt, dass der verletzte Polizist in Wirklichkeit von seinem eigenen Hund gebissen wurde – er hielt dennoch seine Anklage gegen Unbekannt aufrecht. Außerdem hatte sich die Polizistin, der ein Tag Arbeitsunfähigkeit wegen Körperverletzung bescheinigt wurde, selbst mit Tränengas besprüht. Die verschiedenen Kräfte innerhalb der Polizei decken sich aber gegenseitig: Neun Polizist*innen legten als als Zeug*innen gegen die Brüder Traoré eine Beschwerde ein. Trotz des Mangels an Beweisen wurde Bagui zu acht Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt, dazu kommt ein zweijähriges Aufenthaltsverbot in Beaumont-sur-Oise. Sein Bruder bekommt drei Monate Gefängnis, mit der Möglichkeit, die Strafe abzuändern. Das heißt, er kann sie zum Teil außerhalb des Gefängnisses, durch leisten gemeinnütziger Arbeit, abbüßen. Zusätzlich müssen Youssef und Bagui eine Geldstrafe von 7.000 Euro als Entschädigung für die Polizist*innen zahlen. Dabei geht es der Klassenjustiz darum, Leute, die schon sehr prekär leben, auch auf der finanziellen Ebene zu zerstören.

Ein Wendepunkt in den Arbeiter*innenvierteln?

Das Urteil an Youssef und Bagui ist nur ein weiteres Beispiel für die tägliche Repression in den Arbeiter*innenvierteln und der Kriminalisierung jeder Form von Selbstorganisierung der Anwohner*innen gegen den strukturellen Rassismus. Die staatliche Repression geht aber besonders hart gegen nicht-weiße Menschen vor, wenn sie in ihren Vororten aufstehen und sich wehren. So bekamen 2011 die Brüder Kamara 13 und 15 Monate Gefängnisstrafe, nachdem sie, aufgrund des Mordes von zwei Männern durch die Polizei, einen Kampf für die Gerechtigkeit in Villiers-le-Bel führten. Es waren Aufstände mit Molotowcocktails, Steinwürfen und Gewehrschüssen. Aber wie es der damalige Aktivist der “Bewegung der Immigration und der Vororte” (MIB) Samir Baaloudj betonte: “Youssouf und Bagui sind nicht im Gefängnis wegen Widerstands und Beleidigung, sondern weil sie ein lokales Machtverhältnis organisiert haben. Sie sind politische Gefangene”.

Die Arbeiter*innenviertel bekommen eine besondere Behandlung. Sie dienen als Labor für Repressionsmethoden, die danach gegen die Sozialbewegungen, wie jene gegen das Loi Travail, verwendet werden. Doch oft bleiben ihre Geschichten und Kämpfe unbekannt und werden ignoriert. Dies ist auch ein Ausdruck der geographischen und sozialen Segregation zwischen Weißen und Nichtweißen und ein Spiegelbild des strukturellen Rassismus in Frankreich.

Trotz alledem ist seit einigen Monaten mit Assa Traoré eine Führungsfigur entstanden, der es gelungen ist, eine zweite Autopsie ihres Bruders zu verlangen (zusätzlich zu der des Staates), die Lügen der Staatsanwalt zu entlarven und eine große Demonstration für Adama im November zu organisieren. Der Fall Adama Traoré könnte ein Wendepunkt sein und eine neue Politisierung in den Vororten ermöglichen – in Verbindung mit den fortgeschrittensten Sektoren der Arbeiter*innenbewegung, die ebenfalls von massiver Repression betroffen sind. Eine Verschmelzung dieser beiden Sektoren würde es ermöglichen, einen derartigen Druck aufzubauen, dass die Forderung nach Gerechtigkeit und Wahrheit für Adama Traoré endlich erfüllt wird: Mit einer Verurteilung der Polizist*innen würden dann die wahren Verbrecher*innen gestraft.

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