Frankreich: Gegen die extreme Rechte und die Rehabilitierung Macrons!

06.07.2024, Lesezeit 10 Min.
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Protest gegen die extreme Rechte in Frankreich. Foto: Jeanne Menjoulet / flickr.com

In der zweiten Wahlrunde treten Kandidat:innen der Neuen Volksfront und des Regierungslagers nicht gegeneinander an, um die Wahl der extremen Rechten zu blockieren. Dies könnte sogar eine Koalition mit Macron vorbereiten.

33,15 Prozent der Stimmen erhielten die extrem rechte Rassemblement National und ihre Verbündeten beim ersten Wahldurchgang, was mehr als 10 Millionen Stimmen entspricht. Dieses Ergebnis bei gestiegener Wahlbeteiligung bestätigt die besorgniserregenden Fortschritte der extremen Rechten und die Möglichkeit, dass sie an die Macht kommt, was die rassistische, autoritäre und arbeiter:innenfeindliche Politik der letzten Jahre auf brutale Weise vertiefen würde.

In diesem Zusammenhang ist die Frage der „Blockade“ der Rassemblement National (RN) wieder in den Vordergrund gerückt, insbesondere da im zweiten Wahlgang in einer Rekordzahl von Wahlkreisen zwischen drei Kandidat:innen abgestimmt werden kann. Nach den Stellungnahmen sämtlicher Führer:innen der Neuen Volksfront (NFP) haben Präsident Macron und Premierminister Attal die Tür geöffnet, um Kandidaturen zurückzuziehen. Am Dienstag zogen 132 Kandidat:innen aus dem linken und 83 aus dem präsidialen Lager ihre Kandidaturen zurück, um keine Konkurrenz gegen die extreme Rechte zu schaffen. Dies geschah auch in Wahlkreisen, die von La France insoumis (LFI) dominiert werden, der Partei von Jean-Luc Mélenchon, die während der gesamten Kampagne mit Vorwürfen des Antisemitismus dämonisiert wurde.

Die Regierung ändert damit ihre Strategie, was aber auch auf die Sackgasse einer Politik hinweist, die letztlich alle Feinde der Arbeiter:innen und der Massen stärken könnte.

Eine republikanische Front im Dienst der Ausbeuter:innen

In den letzten Tagen wurde die „Blockade“ auf der Linken wieder einmal als wesentlicher Hebel im Kampf gegen die extreme Rechte dargestellt. „Wir müssen zwischen unseren Gegnern und unseren Feinden unterscheiden können. Man kann diesen Persönlichkeiten [das Lager von Macron] gegenüber zu Recht feindselig eingestellt sein, aber sie sind nicht rechtsextrem“, fasste Ian Brossat, Sprecher der Kommunistischen Partei, am Dienstag zusammen. Der Gewerkschaftsverband CGT lehnt es ab, „die extreme Rechte mit irgendeiner anderen politischen Kraft in einen Topf zu werfen“, was auch von der LFI so gesehen wird.

Die Rückkehr zur „Republikanischen Front“ hat somit die direkte Folge einer ausdrücklichen Rehabilitierung des Lagers von Macron, der nun als vernünftige, „demokratische“ politische Kraft dargestellt wird, an deren Seite man die RN schwächen könne. Mit dieser Idee konnten bereits die massiven Rücktritte von NFP-Kandidaten, einschließlich der LFI, zugunsten von Figuren wie Gérald Darmanin, Elisabeth Borne oder Laurent Wauquiez gerechtfertigt werden, die wichtige Positionen in früheren Regierungen einnahmen.

Noch mehr als bei den Präsidentschaftswahlen 2017 oder 2022 ist diese Politik jedoch eine gefährliche Sackgasse. Im Namen der Notwendigkeit, die extreme Rechte zurückzudrängen, sichert sie das politische Überleben von politischen Strömungen und Persönlichkeiten, die durch eine weitreichende arbeiter:innenfeindliche Politik der extremen Rechten erlaubt haben stärker zu werden und der Macht gefährlich nahe zu kommen. Dazu zählen die Rentenreform oder die direkte Umsetzung eines Teils des Programms der extremen Rechten wie beim Einwanderungsgesetz. Im Gegensatz zu dem, was die Anwälte der „Republikanischen Front“ suggerieren, sind Darmanin, Borne, Wauquiez und andere ebenso wie die extreme Rechte echte Feinde der Arbeiter:innen und der Volksklassen.

Von der Volksfront zur Republikanischen Front

Dieses Comeback der „Republikanischen Front“ beschränkt sich nicht darauf, eine gefährliche Politik wiederzubeleben. Sie bereitet auch eine Koalition vor. Premierminister Gabriel Attal startete vermehrt Aufrufe zu einer „Pluralistischen Versammlung“, die in eine Regierung einer großen Koalition münden würde. Eine Politik, die mit Emmanuel Macron durchdacht ist, der ein solches Szenario sehr ernsthaft in Betracht zieht.

Die Umsetzung einer solchen Regierung, die die Unterstützung eines Bogens von Abgeordneten von LFI bis zu den konservativen Republikanern voraussetzt, wäre komplex und könnte an der Realität der Rechtsentwicklung der sozialen Basis von Macron und Republikanern scheitern. Die Tatsache, dass Figuren aus der NFP ihr Interesse an einer solchen Option bekunden, ist jedoch ein Wendepunkt. „Es wäre dringend notwendig, einen Bogen vom sozialen Gaullismus [eine konservativ-militärische Tradition, A.d.Ü.] über die Kommunisten bis hin zu den Linken guten Willens zu spannen“, erklärte der KPF-Abgeordnete Sébastien Jumel am Dienstag. Diese Perspektive wird auch von linken Intellektuellen und Politiker:innen wie François Ruffin und Marine Tondelier in Betracht gezogen.

Die beiden Letzteren sprechen eine notwendige Diskussion über den „politischen Kurs“ einer solchen Regierung an oder fordern „Leuchtturm“-Maßnahmen wie die Aufhebung der Rentenreform oder die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Doch ihre Position stellt einen gravierenden Sprung in die Kompromittierung mit Macrons autoritärem Neoliberalismus dar, trotz der Ablehnung, die er hervorruft, und der tiefen Krise, in der er sich befindet. Eine Entwicklung, die durch die politische Operation rund um die Neue Volksfront weitgehend vorbereitet wurde. Unter dem Vorwand, sich dem Aufstieg der extremen Rechten entgegenzustellen, trug diese dazu bei, den Sozialliberalismus und die Sozialistische Partei wie nie zuvor zu rehabilitieren, indem sie den früheren Präsidenten François Hollande oder den ehemaligen macronistischen Minister Aurélien Rousseau in ihren Reihen begrüßte. Nachdem diese Politik im Namen der „Blockade gegen den Faschismus“ abgesegnet wurde, scheint die „Republikanische Front“ und ihre Ausweitung in einem Koalitionsprojekt nun ganz natürlich zu erfolgen.

Gegen die extreme Rechte! Gegen die Unterstützung für Macron!

Die Vorbereitung eines solchen Szenarios, unabhängig von der Wahrscheinlichkeit, dass es tatsächlich eintritt, muss sehr breit angeprangert werden. Wie wir an anderer Stelle geschrieben haben, würde eine Regierungsübernahme durch die RN eine Vertiefung der autoritären und rassistischen Politik bedeuten, die sich in den letzten Jahren bereits verschärft hat, mit unmittelbaren Folgen für migrantische Menschen und Minderheiten. An der Macht würde Jordan Bardella versuchen, ein Zeichen für seine Fähigkeit zu setzen, in diesen Bereichen weiter zu gehen als Macron.

Diese Perspektive, die es zu bekämpfen gilt, darf jedoch nicht instrumentalisiert werden, um die schlimmsten Bündnisse zu legitimieren, die die RN nur noch weiter stärken würden. Im Rahmen der Zwänge des verrottenden Kapitalismus und der Verteidigung der Interessen des französischen und europäischen Imperialismus würde eine Regierung mit dem Macron-Lager eine arbeiter:innenfeindliche Politik betreiben und ihren Teil zur kriegerischen Agenda der herrschenden Klassen beitragen. Ein solches Projekt würde nicht nur den Interessen der Arbeiter:innenklasse zuwiderlaufen, sondern wäre auch das Vorzimmer für die Machtübernahme der extremen Rechten.

Wenn ein beträchtlicher Teil der Arbeiter:innenklasse für die fremdenfeindliche Agenda der extremen Rechten gewonnen wurde, wiegt die Vorstellung, dass diese die einzig mögliche Alternative zum verhassten Macronismus wäre, ebenfalls schwer für die Anziehungskraft der RN. Diese Dimension könnte durch Vereinbarungen mit Macron nur noch verstärkt werden. Jordan Bardella und Marine Le Pen haben das übrigens sehr gut verstanden und wollen die Verbindung zwischen „der Linken“ und der Regierung voll ausnutzen, indem sie am Montagabend den Aufruf der LFI, für Elisabeth Borne zu stimmen, verurteilten, “ die die Rentenreform umgesetzt und vermehrt den 49.3 angewandt hat [Dekrete am Parlament vorbei, A.d.Ü.]“.

Die Dringlichkeit einer unabhängigen Arbeiter:innenpolitik.

Dieser neue Rechtssprung enthüllt noch mehr die tiefe strategische Sackgasse der NFP, die die versucht, die Idee zu vermitteln, dass wir gemeinsame Interessen mit Feinden der Arbeiter:innen haben könnten. Sie versucht nicht, um das Bewusstsein der Sektoren unserer Klasse zu kämpfen, die sich heute im Schoß der RN befinden. Stattdessen nimmt sie das „linke Volk“, das über den Aufstieg der extremen Rechten besorgt ist, ins Schlepptau von Macron mit. Um diese Art von Politik, die sich aus der Logik des Klassenausgleichs der NFP ergibt, um jeden Preis zu verhindern, haben wir uns dafür eingesetzt, ihr eine einheitliche Kampffront entgegenzustellen.

Eine solche Front sollte versuchen, die Gegenwehr von unten gegen Macron und die extreme Rechte aufzubauen, indem sie die immensen Kräfte unserer Klasse in völliger Unabhängigkeit vom Regime vereint. Diese haben sich in den Kämpfen seit 2016 ausgedrückt, wie die Millionen von Demonstrant:innen und Streikenden, die sich vor einem Jahr der Rentenreform der Regierung Borne widersetzten, und gehen weit über die Grenzen der NFP-Wählerschaft hinaus. Nur wenn sie sich um ein Programm herum bewegen, das über die vom krisengeschüttelten Kapitalismus auferlegten Grenzen hinausgeht, können sie die derzeitigen Gleichgewichte erschüttern und eine Kraft aufbauen, die die extreme Rechte zurückdrängen kann.

Im Zusammenhang mit dieser Herausforderung einer unabhängigen Politik lehnen wir es ab, im zweiten Wahlgang der Parlamentswahlen die Kandidat:innen der Bourgeoisie zu unterstützen, angefangen bei Macron, der Rechten oder der RN, die unsere unversöhnlichen Feinde sind. Wir sind fest davon überzeugt, dass jede Politik, die darin besteht, einem Teil dieser Kräfte die Hand zu reichen, um einen anderen zu schwächen, aussichtslos ist. Gleichzeitig verurteilen wir zwar das Projekt der NFP, werfen aber nicht alle ihre Bestandteile in einen Topf. Die Grünen und vor allem die PS sind bürgerliche Organisationen, die tief in das Regime der Fünften Republik integriert sind und die, als sie an der Macht waren, zu den besten Agenten des französischen Unternehmerverbandes gehörten. Morgen werden sie nicht zögern, die gleiche Politik wie Macron zu verfolgen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, daher kann ihnen keine Stimme gegeben werden.

Für die anderen Organisationen, aus denen sich die NFP zusammensetzt, können die lokalen Bedingungen und der Kontext der zweiten Runde ein kritisches Votum für ihre Kandidat:innen rechtfertigen. Diese sollte jedoch ohne Illusionen über die Rolle dieser Organisationen sein, deren Programm und Strategie wir nicht teilen. Die Kommunistische Partei (PCF) war zwar als unterstützende Kraft an mehreren linken Regierungen beteiligt, doch die Partei beruft sich auf die Arbeiter:innenbewegung und verfügt noch immer über eine gewisse Arbeiter:innenbasis, die sie aus ihrer Vergangenheit oder den wenigen Verbindungen zu den Gewerkschaften übernommen hat. Dennoch ist sie weit davon entfernt, sich den sicherheitsbezogenen, fremdenfeindlichen und islamophoben Diskursen der Regierung zu widersetzen, die sie manchmal sogar noch anheizt, indem sie diese Themen aufgreift. La France insoumise ihrerseits hat in den letzten Jahren eine Linie der stärkeren Opposition gegen Autoritarismus, staatlichen Rassismus oder die Kriminalisierung der Unterstützung für Palästina beibehalten. Dennoch trägt sie eine enorme Verantwortung für die aktuelle politische Operation, die die Mitte des politischen Spektrums rehabilitiert. Von der Wahlplattform NUPES (mit Grünen, PCF und PS) bis zu den „republikanischen Abtrünnigen“ gegenüber Borne und seinen Freunden hat die Organisation von Jean-Luc Mélenchon gezeigt, dass ihr Programm systematisch gegen Wahlkompromisse austauschbar ist. Da hilft es auch nichts, dass es als „Bruch“ dargestellt wird, solange es in den Rahmen der Verteidigung der Interessen des französischen Imperialismus eingebettet ist. 

Weit davon entfernt, eine bloße Frage der Wahltaktik zu sein, müssen die derzeitigen politischen Manöver auf der Linken eine Debatte eröffnen, die weit über den Horizont des 7. Juli hinausgeht. Weder die Dynamik der extremen Rechten noch der Macronismus, der sie nährt, werden nach den Parlamentswahlen verschwunden sein. Daher muss dringend die Frage nach der Strategie gestellt werden. Es braucht eine Bilanz über die deutlichen Grenzen der verschiedenen linken Wahlkoalitionen und der letzten Phänomene des Klassenkampfes, die zurückgedrängt wurden. Die Herausforderung besteht im Aufbau einer echten revolutionären politischen Alternative, die in der Arbeitswelt, an den Ausbildungsplätzen und in den Arbeiter:innenvierteln verankert ist, um sich auf den Kampf gegen die kommenden Angriffe vorzubereiten, unabhängig vom Ausgang der Wahlen. Andernfalls werden die gleichen falschen Lösungen die gleichen Auswirkungen haben und der extremen Rechten den Weg an die Macht ebnen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf unserer französischen Schwesterseite Révolution Permanente.

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