Frankreich: Eine neue revolutionäre Organisation wird geboren
Vom 16. bis 18. Dezember 2022 hat sich in Frankreich eine neue revolutionäre Organisation gegründet. Hunderte neue Mitglieder diskutierten auf dem Gründungskongress die strategischen Fragen, die die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) zu lange nicht geführt hat.
Am Wochenende vom 16. bis 18: Dezember 2022 hat sich in Frankreich eine neue revolutionäre Organisation gegründet. Révolution Permanente (RP) heißt sie und ist nun Teil unserer internationalen Strömung, der Trotzkistischen Fraktion für die Vierte Internationale (FT-CI). In mehr als 15 Städten ist die landesweite Organisation mit über 350 Mitgliedern vertreten.
Wir reden hier über eine vom Staat, Parteien und Unternehmen komplett unabhängige Organisation. Eine Organisation der Ausgebeuteten und der Unterdrückten. Eine, deren Mitglieder in den letzten Jahren konsequent bei den unzähligen Arbeitskämpfen und Protesten im Land beteiligt waren: Gegen die Rentenreform, für Gerechtigkeit für die Opfer von Polizeimorden, gegen Macrons Treibstoffsteuer und für bessere Arbeitsbedingungen. Eine Organisation, die entgegen der reformistischen Parteien für eine revolutionäre Perspektive steht.
Der Gründungskongress war unter anderem geprägt durch die endgültige Spaltung der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) in der Vorwoche. 2021 waren all jene Genoss:innen der CCR (kommunistisch-revolutionären Strömung, aus der CCR ist RP hervorgegangen) nach jahrelanger Arbeit ausgeschlossen worden. Das Projekt der historischen Führung der NPA, eine breite antikapitalistische Partei aufzubauen, ist offensichtlich zum Scheitern verurteilt gewesen. Denn um alle Strömungen mit antikapitalistischem Anspruch zu vereinen, waren wichtige strategische Diskussionen nicht geführt worden. Unsere Genossinnen hatten bis zu ihrem Rauswurf aus der NPA für eine klare politische, programmatische und strategische Abgrenzung zu reformistischen und linkspopulistischen Parteien und für eine Klarheit über die Strategie hin zur sozialistischen Revolution gekämpft.
Eine Organisation für die Kämpfe der Arbeiter:innenklasse
Es ist allseits bekannt, dass es in Frankreich viel regelmäßiger zu mehr und viel größeren Mobilisierungen kommt als hierzulande. Einige behaupten sogar, einem werde der Widerstandsgeist in Frankreich gleich mit in die Wiege gelegt. Insbesondere seit 2016 kam es aber noch regelmäßiger zu noch mehr Massendemonstrationen und -streiks in unserem Nachbarland – in etwa einmal pro Jahr.
RP als Medium existiert schon seit Langem und hatte den Anführer:innen der Kämpfe, wie beispielsweise im Fall der Reinigungskräfte von ONET, die 2017 einen harten 45-tägigen Streik führten, stets eine Stimme gegeben. Doch haben die Journalist:innen hinter den Kameras und Mikros auch immer mit ihnen diskutiert und durch verschiedene Initiativen, die die Kämpfe miteinander verbunden haben, nicht wenige von ihnen für ein revolutionäres Projekt gewonnen. So besteht die neue Organisation zu einem großen Teil aus Beschäftigten und jungen, oft prekären Beschäftigten und/oder Studierenden..
Zudem kann Révolution Permanente auch auf mehrere enge Verbündete zählen. Einige von ihnen waren beim Gründungskongress dabei und drückten die Hoffnung, die sie in die neue Organisation haben, sowie ihre Wertschätzung für eben diese aus.
Alexis Antonioli zum Beispiel arbeitet bei einer Raffinerie von Total. Er und seine Kolleg:innen haben im Herbst einen Monat lang gestreikt. Für mehr Lohn, angesichts der hohen Inflation. Da auch Raffinerien von ExxonMobil bestreikt wurden, waren in der Folge 47 Prozent der Tankstellen in ganz Frankreich ohne Sprit.
Die Regierung hat dann entschieden, dass die Polizei unter Androhung und sogar Anwendung von Gewalt die Beschäftigten zum Arbeiten zwingen soll. Da die Gewerkschaftsbürokratie die Arbeiter:innen auf dieses Szenario weder vorbereitet hatte noch zu Widerstand aufrief, haben die Medien den Streik lange verschweigen können – ganz so, als gäbe es ihn gar nicht.
Alexis meinte, RP hingegen war immer da; habe vom Anfang bis zum Ende nicht nur Bericht erstattet, sondern dabei auch ganz klar Stellung bezogen, indem mal nicht im Sinne der Bosse geschrieben wurde, sondern die Beschäftigten porträtiert wurden.
Alexis, der sich selbst als Anarcho-Syndikalist bezeichnete, sagte weiter: „Ihr wart die einzigen, die zu unseren Streikposten gekommen sind und mit uns politische Debatten über Strategie geführt haben. Das war eine Kraftquelle für uns alle, als es uns gerade schwer fiel, den Kopf nicht hängen zu lassen. Allgemein seid ihr die einzige Organisation, die die Frage hervorhebt, wie wir denn zur Revolution kommen können und somit den Arbeiter:innen den Weg weisen kann“.
In den angesprochenen Diskussionen mit den Kolleg:innen ging es um Selbstorganisation, um strategische Sektoren und Hegemonie: also wie die Arbeiter:innen ihre Kämpfe in die eigenen Hände nehmen, die Verbindung zur Avantgarde suchen und die Einheit der Arbeiterinnenklasse herstellen können. Seitens der Gewerkschaftsführungen wurde letztere, zum Beispiel während der letzten Protestwelle, nicht gesucht. Es wäre aber möglich gewesen. In der Bevölkerung existierte viel Zuspruch, wie sowohl die vollen Streikkassen als auch die Inspiration anderer, auch zu streiken, bewiesen.
„5 Tage Selbstorganisierung haben uns mehr gebracht als ein Monat ‘normaler’ Streik“
Andere anwesende Aktivist:innen sprachen ebenfalls von der Rolle, die RP für sie hat. So sagte Assa Traoré, die Schwester des von der Polizei ermordeten Adama Traoré, zum Kongressauftakt: „Für mich ist es wichtig, heute hier zu sein. Diese Partei ist die Zukunft, in der wir alle gleich sind. Jeder Mensch verdient, frei zu sein. Jeder Mensch verdient, verteidigt zu werden. Und das verkörpert ihr. Ihr habt es in all den Jahren getan, die ich euch jetzt kenne.“
RP und insbesondere der Eisenbahner Anasse Kazib haben kontinuierlich an ihrer Seite für Gerechtigkeit für ihren Bruder gekämpft und werden es weiterhin tun: als Organisation, die es Assa zufolge braucht, um politischen Kämpfen den notwendigen Ausdruck zu geben.
Auch Frédéric Lordon, ein bekannter Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler, sowie Sandra Lucbert, Schriftstellerin, die wir in Versammlungen im Rahmen der Unterschrifensammlung für Anasses Präsidentschaft, kennengelerrnt haben, haben die Notwendigkeit des Aufbaus einer revolutionären Partei betont.
In unserer internationalen Strömung, der Trotzkistischen Fraktion für die Vierte Internationale (FT-CI), sind wir auf der Grundlage gemeinsamer Bilanzen der Geschichte sowie einer gemeinsamen Strategie organisiert. Doch inspirieren wir einander auch. Es gibt Kraft, dass Leute anderswo kämpfen, für dieselbe Sache, auf dieselbe Art und Weise. Nur in einer anderen Sprache – wenn überhaupt – und in einem anderen Kontext. Im Rahmen von Kampagnen kämpfen wir allerdings tatsächlich auch zusammen, wie aktuell dagegen, dass die Arbeiter:innen und Armen unter der Inflation leiden sollen. Das ergibt Sinn. Schließlich richten sich die Kämpfe, die wir führen, gegen ein und denselben Feind: Die ebenso international vereinigte Kapitalist:innenklasse. Die verräterischen Reformist:innen, die alle zusammen im Europäischen Parlament sitzen. Der lediglich in die Irre führende Postmodernismus und der Stalinismus, der die Fahne des Sozialismus mit Blut befleckte.
Eine turbulente internationale Situation
Die internationale Situation ist geprägt von den Protesten im Iran, Streiks in Großbritannien, dem Eisenbahner:innenstreik in den USA, der von den Demokrat:innen verraten wurden, Streiks in China, zunehmenden Spannungen im Indopazifik und allen voran dem Krieg in der Ukraine.
Der Ukrainekrieg markiert einen qualitativen Sprung in der internationalen Situation, durch die Konfrontation zwischen Russland und er NATO, und durch die gewaltigen Auswirkungen, die Krieg und Sanktionen auf die Weltwirtschaft haben. Ohne uns auf die Seite des reaktionären Putin-Regimes zu schlagen, ist für Revolutionär:innen zentral, dass heute der gesamte Imperialismus aus Eigeninteressen hinter der ukrainischen Regierung steht. Revolutionäre Ideen in der ukrainischen Armee würden zu einem Kampf an zwei Fronten führen: Gegen Russland an der einen und gegen die eigene Regierung an der anderen. Bei der Selenskyj-Regierung handelt es sich a um ein ultra-reaktionäres Regime, das Arbeiter:innenrechte einschränkt. Seit Anbeginn des Krieges propagieren wir deshalb aus voller Überzeugung, dass die Ukraine weder unter Putin noch unter der NATO frei und unabhängig sein wird, sondern dass es dafür den Sieg der Arbeiter:innenklasse in der Ukraine braucht, eine sozialistische Ukraine also.
Die militärische „Zeitenwende“ im Zuge des Ukraine-Kriegs geht mit der seit Langem anhaltenden Hegemoniekrise der USA einher, die wiederum Konsequenzen für alle Bourgeoisien weltweit hat. So gibt es Widersprüche innerhalb des westlichen Blocks – besonders im Hinblick auf die Frage, inwieweit die Situation eskaliert werden soll. Die USA haben daran keinerlei Interesse, während Polen die Zerstörung Russlands will. Momentan schaffen es die Vereinigten Staaten aber noch, das Bündnis einigermaßen stabil anzuführen. Der politische Westen – auch Japan – ist also vorerst wieder vereint.
Währenddessen verschärft sich allerdings die Krise des deutsch-französischen Duos. Sie ist keineswegs nur ökonomisch, sondern hat auch einen politischen Charakter. So werden Emmanuel Macron und Olaf Scholz nicht mehr „nur“ vom Süden, sondern inzwischen auch vom Osten Europas infrage gestellt. Außerdem ist auch ihre Freundschaft miteinander gestört. Denn Frankreich steht vor einem Machtniedergang, insbesondere im Hinblick auf seine Position in der EU. Bis zu Deutschlands 180-Grad-Wende, inklusive beispielloser Aufrüstung, sowie mehrerer Niederlagen in Westafrika, im Nahen Osten und in seinen Überseegebieten war es stets das militärisch hegemoniale Land. Nun macht Deutschland politische Alleingänge, unter anderem in Richtung Chinas.
Neue Klassenkämpfe kündigen sich in Frankreich an
Unser Nachbarland startet, obwohl die Inflationsrate dort bei „nur“ sieben Prozent – und damit niedriger als im Rest der EU – liegt, aller Voraussicht nach, mit einer Rezession und einer geschwächten Regierung ins Jahr 2023. Wegen der Standortverlagerungen plagen es eine Deindustrialisierung sowie ein Außenhandelsdefizit auf Rekordwert, hohe Staatsverschuldung und steigende Zinssätze.
Die Entwicklungen in Frankreich selbst werden zurzeit durch die Rückkehr der Rentenreform und gewisse Tendenzen zur „Gelbwestisierung“ bestimmt. 2019 war das Projekt, das Rentenalter von 62 auf 64 oder gar 65 Jahre zu erhöhen, nach den massiven Streiks und Protesten eingefroren worden. Zu Beginn des neuen Jahres wird es nun aufgetaut.
Vor diesem Hintergrund ist es sehr wahrscheinlich, dass es – wieder einmal – zu mehr Klassenkampf kommen wird. Es gibt Sektoren an der Basis der Gewerkschaften, die gegen die kommenden Angriffe streiken könnten.
Unser Genosse Juan Chingo schrieb in seinem vor dreieinhalb Jahren erschienenen Buch über die Gilets Jaunes von der Tendenz der „Gelbwestisierung“. Er meint damit eine Tendenz der Schwächung traditioneller Vermittlungsinstanzen wie der Gewerkschaftsbürokratien, beispielsweise im Sinne von Streiks, die von der Basis ausgehen und den Gewerkschaftsführungen aufgezwungen werden, mit dem progressiven Willen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Trotz der Grenzen der Gelbwesten (Korporatismus, schwache Selbstorganisation, selbsternannte Führung) drückte diese Bewegung die wachsende Kluft zwischen den Gewerkschaftsführungen und den Hoffnungen breiter Teile der Arbeiter:innenklasse aus.
Nichtsdestotrotz wäre es falsch, die Gilets Jaunes zu idealisieren. Denn es fehlte ihnen nicht nur an Selbstorganisierung, sondern auch an der Verbindung zu Streiks und anderen Kämpfen.
Es wäre ebenso falsch, zu behaupten, der damalige Teilsieg – Rentenreform vorerst nicht durchgesetzt – sei nicht auch teilweise den Gewerkschaftsführungen zuzuschreiben: Schließlich hatten sie als Einzige gegen die Fünfte Republik mobilisiert.
Heute ist das nicht so anders: Ganz untätig war die Bürokratie nicht, schließlich hatte sie zu zwei Aktionstagen aufgerufen, zu denen ein paar Hunderttausend mobilisiert worden waren. Seitdem haben sie jedoch nichts mehr getan. In Deutschland wurden diese Aktionstage fälschlicherweise als Generalstreiks rezipiert. Dafür hätte es aber eine gemeinsame, vereinende Forderung gebraucht – wie die nach der gleitenden Lohnskala. Das heißt, dass die Löhne immer dann, wenn die Preise es tun, automatisch auch ansteigen.
Doch die Bourgeoisie und die Bürokratie haben dazu gelernt und machen es den immerhin vernetzten Oppositionellen in den Gewerkschaften zunehmend schwerer. Sie vermitteln mehr als zuvor, beispielsweise im Rahmen der Französischen Konzertierten Aktion.
Die Gewerkschaftsführungen sind also etwas desorientiert. Sie schwanken zwischen Mobilisierungen auf der einen und offener Zusammenarbeit mit dem Regime und der Bourgeoisie andererseits.
Ein Test für die Linke
Deshalb wird die Neuauflage der Rentenreform für alle Linken ein Test sein. Für uns, für die NPA und für Mélenchons LFI (La France Insoumise). L’Etincelle, die Schwesterorganisation der RSO, und A&R (Anticapitalisme et Révolution), sind beide Teil des linken Flügels innerhalb der NPA. Momentan versuchen sie, einen Einheitsdiskurs zu etablieren: Die Partei solle zusammenhalten und -bleiben, ungeachtet all der strategisch-programmatischen Differenzen. Und die gibt es zuhauf.
Die LFI hingegen versucht, in den Arbeiter:innenvierteln und unter Studierenden mit einem populistischen Diskurs eine Rolle zu spielen – und tut es auch teilweise. Doch trotz Kooptierung von Teilen der Umwelt- und der feministischen Bewegung, schreibt die NUPES (Mélenchons Wahlbündnis) als elektoralistisches Projekt parlamentarischen Kämpfen mehr Gewicht zu als sozialen. So agierte sie im Raffineriestreik als Vermittlungsinstanz und kehrte ihn auch erst einmal unter den Teppich. Das ist der Tatsache geschuldet, dass sie – ähnlich wie Sahra Wagenknecht – die Macht der Arbeiter:innen durch „das Volk“ ersetzt. Das Volk sind ihr zufolge Renter:innen, Arbeitslose, Prekarisierte, Schüler:innen und Studierende. Eine Wahlanalyse ergab, dass diese Gruppen häufig die Wähler:innenbasis der NUPES sind. Dieselbe Analyse ergab auch: Je besser gestellt die Arbeiter:innen und je weniger gewerkschaftlich organisiert, desto eher wählten sie Rassemblement National (RN), die Partei von Marine Le Pen.
Gegenüber der extremen Rechten ist die Logik von allen von ihnen jedoch die des geringeren Übels. Darauf antworten wir unermüdlich, dass es Macrons Bündnisse mit der extremen Rechten und seine bonapartistische Politik waren, die Eric Zemmours Kandidatur und die allgemein Stärkung der extremen Rechten überhaupt erst ermöglichten, indem sie den Nährboden schufen. Macron ist die Spitze einer autoritären Offensive, die mehr Polizei, allgemein mehr Repression und verschärfte Migrationspolitik sowie eine Zuspitzung islamfeindlicher Gesetzgebung beinhaltet. So ist beispielsweise das Tragen von Hijabs Lehrerinnen und Schülerinnen untersagt.
Eine revolutionäre, internationalistische und demokratische Organisation
Nach drei Tagen intensiver Debatten endete der Gründungskongress von Révolution Permanente am Sonntag mit der Diskussion und Abstimmung des Dokuments zur politischen Grundlage der neuen revolutionären Organisation. Die gesammelten Kampferfahrungen in den vergangenen Jahren drücken den Willen aus, zu einer Verschmelzung zwischen dem revolutionären Marxismus und den fortschrittlichsten Teilen der Arbeiter:innenklasse beizutragen und die Radikalität der Arbeiter:innenklasse voranzutreiben, wodurch echte Volkstribunen wie der Sprecher von Révolution Permanente, Anasse Kazib, hervorgebracht wurden.
Dieses politische Projekt, das die Intervention in den Klassenkampf in den Mittelpunkt stellt, aber auch versucht, in die Studierendenbewegung und die feministische Bewegung einzugreifen, um dort die Notwendigkeit einer revolutionären Perspektive zu verteidigen und sich mit der Arbeiter:innenklasse zu verbinden, wird das Herzstück der neuen Organisation sein. Auf dieser Ebene ermöglichte die Diskussion verschiedenen Delegierten auch, die Frage der Intervention in die antirassistische Bewegung zu betonen, insbesondere angesichts der kommenden rassistischen Offensive der Regierung, aber auch in die Umweltbewegung oder in bestimmte Bereiche der Arbeiter:innenbewegung wie die großen Einzelhandelsunternehmen, wo in den letzten Monaten erste Erfahrungen gemacht werden konnten.
Die Frage der Explosion der NPA nahm in dieser Debatte natürlich einen wichtigen Platz ein. Tatsächlich baut sich das Projekt von RP in Opposition zu der Ausrichtung auf, die die NPA seit ihrer Gründung hatte. Denn diese hatte, wie schon angedeutet, die Zentralität der Arbeiter:innenklasse und die Perspektive der Revolution zugunsten einer Organisation ohne klare strategische Abgrenzungen, einer unklaren Bewegungstümelei und einer zunehmenden Anpassung an die reformistische Linke aufgegeben. Die Frage, wie dieser Misserfolg überwunden werden kann, ist eine zentrale Herausforderung, insbesondere für diejenigen Aktivist:innen dieser Organisation, die sich historisch gegen die von der ehemaligen NPA-Mehrheit angestrebte Liquidierung der politischen Unabhängigkeit von der institutionellen Linken gewehrt haben. Daher richtet sich die vom Kongress verabschiedete Gründungserklärung unter anderem auch an diesen Teil der Aktivist:innen der NPA.
Die Diskussion zur neuen Organisation war auch reich an Beiträgen, die die Bedeutung des Internationalismus und der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale in ihrem Aufbau betonten. RP wurde wesentlich von den theoretischen Kämpfen genährt, die von dieser internationalen Strömung geführt wurden. Angesichts des Ausverkaufs der strategischen Errungenschaften der revolutionären Bewegung von der Nachkriegszeit bis in die neoliberale Periode hinein haben diese Kämpfe ein reiches theoretisches Erbe bewahrt und lebendig gehalten, es mit zeitgenössischen Problemen in Dialog gebracht und kompromisslos internationalistische revolutionäre Kader geschmiedet. RP profitierte auch von den Erfahrungen beim Aufbau revolutionärer Organisationen in anderen Ländern, und der Antrag der neuen Organisation auf Aufnahme in die FT-CI, der von den Delegierten mit großer Begeisterung aufgenommen wurde, stellt einen wichtigen Schritt nach vorn für diese internationale Strömung dar, die in Lateinamerika entstanden ist und das Zeitungsnetzwerk La Izquierda Diario herausgibt, dem RP und in Deutschland auch Klasse Gegen Klasse angehören.
Der Kongress war sehr inspirierend; nicht nur der Fakt, dass so viele Leute (und Presse) und sogar einflussreiche Personen aus teilweise anderen Strömungen so gespannt und voller Respekt auf die Gründung unserer neuen revolutionären Organisation blicken, sondern auch, dass es inzwischen so viele neue Genoss:innen gibt, die voller Kampfkraft und Entschlossenheit sind.
Dokumentiert: Gründungserklärung von Révolution Permanente
Der Kongress, der am 16., 17. und 18. Dezember 2022 in Paris stattfand, hat die Gründung einer neuen revolutionären Organisation in Frankreich beschlossen. Ihre Gründungserklärung richtet sich auch an die Aktivist:innen der NPA, die gegen die Verwässerung dieser Organisation durch den Neoreformismus gekämpft haben.
Der Kongress am 16., 17. und 18. Dezember 2022 in Paris beschloss die Gründung einer neuen revolutionären Organisation in Frankreich. Ihm voraugegangen war ein Prozess, in dem fast 400 Personen in zahlreichen Städten des Landes an Vorbereitungsversammlungen teilnahmen. Drei Tage lang diskutierten 118 Delegierte, ebenso wie die Mitglieder des provisorischen Organisationskomitees, das den Prozess organisiert hatte, sowie eine internationale Delegation mit Mitgliedern verschiedener europäischer Sektionen der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale (FT-CI), darunter auch Aktivist:innen aus Argentinien und Brasilien, über die internationale und die französische Situation sowie über die politischen Grundlagen dieser neuen Organisation.
Diese bekräftigen den Kampf für ein emanzipatorisches Gesellschaftsprojekt – den Kommunismus – und für eine revolutionäre Strategie, die die zentrale Rolle der Arbeiter:innenklasse im weitesten Sinne mit dem Kampf gegen alle Formen der Unterdrückung und gegen die Zerstörung des Planeten verknüpft. Die aus dem Kongress hervorgehende Organisation wird ihren Schwerpunkt auf die Intervention in den Klassenkampf, die Entwicklung der Selbstorganisation der Arbeiter:innen und den Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie legen. Der Kongress nahm auch mit großer Begeisterung den Antrag der neuen Organisation auf Mitgliedschaft in der FT-CI an und gab sich eine Satzung, in der die Rechte und Pflichten der Mitglieder festgelegt sind, darunter das Recht auf Tendenzen.
Ein von der gewählten Leitung erstelltes Diskussionsprotokoll ist online abrufbar und ermöglicht es, den Austausch während des dreitägigen Kongresses nachzuvollziehen. Die größte politische Meinungsverschiedenheit, die sich durch den Kongress zog, betraf die Politik der Revolutionär:innen angesichts des Krieges in der Ukraine: Eine kleine Minderheit der Delegierten vertrat eine Position, die im Widerspruch zu der im internationalen Dokument dargelegten stand. Die Debatten konnten diese Meinungsverschiedenheiten zwar nicht lösen, aber sie ermöglichten es, die Differenzen auf geschwisterliche und politische Weise zu thematisieren, und der Kongress stimmte das Dokument über die internationale Situation mit großer Mehrheit ab.
Die Eröffnungssitzung war repräsentativ für das, was die Einzigartigkeit von Révolution Permanente ausmacht: die Verbindungen und die Sympathie, die bei wichtigen Persönlichkeiten und Sektoren der Avantgarde geweckt wurden. Neben Mitgliedern der Leitung der Organisatation und der internationalen Delegationen sprachen Arbeiter:innen, die in jüngsten Streiks an der Spitze standen, wie Alexis Antonioli von der CGT Total oder Hassan Letaief von Geodis, Persönlichkeiten der antirassistischen Bewegung wie Assa Traoré und Youcef Brakni oder Intellektuelle wie Frédéric Lordon und Sandra Lucbert. Alle begrüßten die Gründung der RP als politische Organisation.
Eine Kampforganisation, die ein Werkzeug sein will, um in die großen politischen Phänomene und die nächsten Explosionen des Klassenkampfes einzugreifen, während sich bereits die Schlacht um die Renten ankündigt. Zu diesem letzten Punkt betonten die Delegierten insbesondere die Notwendigkeit, den Kampf gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters angesichts der steigenden Inflation nicht vom Kampf um die Löhne zu trennen. Aber auch auf die zentrale Herausforderung, ein Programm für die breiteste Einheit unserer Klasse in der Bewegung zu verteidigen und in diesem Sinne die Tendenzen zur Selbstorganisation und Koordination so weit wie möglich zu entwickeln, um zu verhindern, dass die Gewerkschaftsführungen anstelle der Kämpfenden entscheiden.
Vor dem Hintergrund der Krise innerhalb von La France insoumise und dem Zusammenbruch der NPA, der unter dem Druck der LFI stattfand, bekräftigt Révolution Permanente auch, dass sie sich an der Neugründung einer revolutionären Linken in Frankreich beteiligen möchte. Dabei geht es darum, eine Alternative zum Neoreformismus und zur institutionellen Linken aufzubauen, was jedoch nie das Ziel der NPA war. Ihre historische Führung hat sich nämlich systematisch geweigert, eine Bilanz des Projekts der „breiten Partei“ zu ziehen und in der Organisation eine strategische Klärung in einem revolutionären Sinne durchzuführen. Das führte zu einem Anpassungsprozess und Wahlbündnissen mit der LFI geführt, die seit mehreren Jahren zu beobachten sind.
Der Zusammenbruch der NPA markiert somit das Ende eines langen Prozesses, von dem der faktische Ausschluss der Aktivist:innen von Révolution Permanente im Juni 2021 ein erster Schritt war. Der Gründungskongress von RP hat dieser Abspaltung Bedeutung beigemessen und erklärt sich solidarisch mit den Aktivist:innen, die für die Plattform C gestimmt haben, um gegen die Verwässerung der NPA im Neoreformismus zu kämpfen. Diese wurden ihres Kongresses und anschließend eines wichtigen Teils der politischen Mittel der Organisation beraubt, zugunsten der Gruppe um Philipe Poutou und Olivier Besancenot.
Obwohl der RP-Kongress weder ihr Ziel, „die NPA fortzuführen“, noch die Idee, dass die Spaltung keine politische Grundlage hätte, teilt, wurde beschlossen, diese Genoss:innen so schnell wie möglich zu kontaktieren, um ihnen die Eröffnung einer Diskussion über die Bilanz der NPA und die Aufgaben der revolutionären Bewegung vorzuschlagen sowie die Möglichkeiten einer praktischen Zusammenarbeit auszuloten. Sei es auf dem Gebiet des Klassenkampfes im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Kampfes gegen die Rentenreform oder, wenn sich die Gelegenheit bietet, anlässlich von Wahlen. Diese Zusammenarbeit könnte es ermöglichen, dem Ziel näher zu kommen, das Scheitern der NPA zu überwinden und auf eine Neugründung der radikalen Linken hinzuarbeiten, die den Herausforderungen, die uns erwarten, gewachsen ist.