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Frankreich: Der Tanz auf dem Vulkan – Teil 2: Wer ist wer in der Präsidentschaftswahl?

27.02.2017, Lesezeit 9 Min.
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Im ersten Teil dieses Artikels haben wir die fragile Situation beschrieben, in der sich Frankreich aktuell befindet. Wer sind die Präsidentschaftskandidat*innen, die die Situation verändern wollen?

Emmanuel Macron: Der Neoliberale “ohne Programm”?

Vielfach wird am Kandidaten, der sich “weder rechts noch links” einordnet, kritisiert, dass er kein Programm habe bzw. über Allgemeinplätze nicht hinaus gehen würde. Das ist falsch. Macron verkörpert sehr wohl den neoliberalen Kandidaten par excellence, der schon während seiner knapp zweijährigen Amtszeit als Finanzminister unter François Hollande Steuererleichterungen zwischen 30 und 40 Milliarden Euro für die Unternehmen durchsetzte. Als ehemaliger Investmentbanker der Rothschild-Bank wusste er, bei wem er sich gütigst revanchieren konnte. Macron tritt eigenständig an, d.h. seine Basis rekrutiert sich nicht aus einer der traditionellen Parteien, sondern aus einer “Bewegung” namens En Marche. Wie fast alle bürgerlichen Politiker*innen wird er nicht müde, dass Erbe des Gaullismus zu preisen, um im gleichen Atemzug … Angela Merkel zu loben, von der er meint, sie habe im Zuge der Migrationskrise die “Ehre Europas gerettet”.

Als tiefer Verehrer des EU-Bürokratismus möchte Macron das Haushaltdefizit – derzeit bei 3,4 Prozent – so schnell wie möglich auf 2,9 Prozent herunterschrauben. Laut Macron soll das dadurch geschehen, dass bis 2020 u.a. 15 Milliarden Euro bei der staatlichen Krankenversicherung und 10 Milliarden Euro bei der Arbeitslosenversicherung eingespart werden. Klarer kann ein Kandidat sein Faible zum Neoliberalismus kaum ausdrücken.

Derzeit profitiert er von der Schwäche der anderen Kandidat*innen. Während es erst so schien, als sei der 39-jährige eher das Langzeitprojekt der Bourgeoisie für kommende Wahlen über 2017 hinaus, “zwingen” die Enthüllungen über die fiktiven Angestellten François Fillons die herrschende Klasse nun endgültig, ihre Karten auf Macron zu setzen. Er führt nicht nur die Umfragen an, sondern hätte auch in einer etwaigen Stichwahl gegen Marine Le Pen gute Chancen, zu gewinnen. Hinzu kommt ebenfalls, dass der ehemalige Kandidat des Zentrums, François Bayrou, ihm nun eine Allianz anbot und so weitere, wichtige Prozentpunkte (in Umfragen lag er bei fünf bis sechs Prozent) für Macron sichern könnte.

Marine Le Pen: Angekommen im Establishment

Für bürgerliche Politiker*innen in Frankreich kann es wohl keine größere Wertschätzung geben als eine Einladung zu Pierre Gattaz. Pierre Gattaz ist Vorsitzender des wichtigsten Unternehmer*innenverbandes Medef, welcher – anders als deutsche Kapitalvereinigungen – immer wieder öffentlichkeitswirksam interveniert. Im Frühjahr 2016 verglich Gattaz die protestierenden Gewerkschafter*innen der CGT mit “Terrorist*innen”, was besonders nach den IS-Anschlägen in Paris und Nizza nicht nur zynisch, sondern geradezu verleumderisch ist. Marine Le Pen wurde als erste*r Vertreter*in der FN zum Medef eingeladen. In Zeiten der organische Krise ist damit der französischen Bourgeoisie eine weitere Alternative entstanden; die einer protektionistischen Wirtschaftspolitik gepaart mit einem Referendum über einen “Frexit”. Dieses Programm stellte Marine Le Pen auf dem Parteitag in Lyon vor.

Anders als ihr Vorgänger und Vater, Jean-Marine Le Pen, will die derzeitige Vorsitzende die Partei von den schrillen antisemitischen Tönen ihres Vaters befreien und die rassistische Partei “normalisieren”. Ihre Taktik zielt deshalb gerade darauf ab, sich selbst in der Vordergrund zu rücken und einen klassischen Persönlichkeitswahlkampf zu führen. Während von liberaler Seite zu einer Anti-Le Pen-Front aufgerufen wird, wird gleichzeitig verkannt, dass der FN selbst auf instabiler Grundlage steht: Ohne die finanzielle Hilfe Jean-Marine Le Pens wäre die Organisierung des Parteitags gar nicht möglich gewesen. Hinzukommt, dass der FN (noch) nicht über die ausgebildete Basis verfügt, um einen Staat zu verwalten.

François Fillon: Wer “arbeitete” noch für ihn?

Erst schien es, als könnte François Fillon nichts und niemand mehr von dem Einzug in den Elysée-Palast stoppen. Dann kam Le Canard Enchainé. Die Zeitschrift enthüllte die fiktiven Tätigkeiten seiner Frau Penelope und seiner zwei Kinder, die angeblich während seiner Zeit im Senat seine “Mitarbeiter*innen” waren. Da sie niemals arbeiteten, aber fleißig und fürstlich entlohnt wurden, betrug sich die Raubbeute der Familie insgesamt auf stolze 830.000 Euro. Die Rechnung folgte prompt, als die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnahm und Fillon in den Umfragen vom ersten auf den dritten Rang stürzte. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft den Fall vor den Untersuchungsrichter gebracht.

Die Weiterleitung an den Untersuchungsrichter ist dabei wie ein kleiner Erfolg für das Team Fillon: Er kann zwar nun jederzeit als Zeuge verhört werden, jedoch höchstwahrscheinlich nur bis zum 17. März. Dann nämlich werden die Kandidaturen offiziell registriert und es wird fortan seitens der bürgerlichen Justiz eher unwahrscheinlich sein, dass sie während des Wahlkampfes gegen ihn weiterermittelt – um damit von außen das Wahlverfahren nicht zu beeinflussen.

Eine andere Möglichkeit wäre es gewesen, den Fall direkt an das Schwurgericht weiterzuleiten und eine Klage damit zu erzwingen. Doch Fillon selbst, der zunächst davon sprach, im Falle eines Strafverfahrens zurückzutreten, nahm in den vergangenen Wochen dieses Versprechen zurück und attackierte seither die Justiz. Er stufte die Ermittlungen als “politisch motiviert” ein und deklarierte vor aller Öffentlichkeit, dass “das Volk mein Richter sein werde.” Ähnlich wie Sarkozy vor fünf Jahren scheint er seinen Wahlkampf wohl auch aus einem Grunde fortsetzen zu wollen: juristische Immunität als Staatspräsident.

Fillons Affäre macht nichtsdestotrotz noch einmal deutlich, wie korrupt und verfault die herrschende Klasse ist. Öffentliche Gelder werden wie selbstverständlich in die eigenen Taschen eingeführt. Gleichzeitig werden zutiefst arbeiter*innenfeindliche Konterreformen angekündigt: Fillon will beispielsweise 500.000 Stellen im Öffentlichen Dienst streichen.

Benoit Hamon und Jean-Luc Mélenchon: Aus der gleichen Familie stammend

Mélenchon ist von linker Seite her bislang der Einzige, der von der Regimekrise profitiert. Das ehemalige Mitglied der Parti Socialiste (PS, bis 2008 war er Teil dessen) versucht mit seiner Bewegung La France Insoumise (widerspenstiges Frankreich) alle Kräfte links des Zentrum unter einem sozialchauvinistischen Banner zu sammeln. Er könnte auf rund 15 Prozent kommen, wobei sein ärgster Widersacher der ehemalige Bildungsminister Benoit Hamon ist. Hamon, der einst das Kabinett Valls I aus Protest gegen das Loi Travail verließ, ist dem linken Parteiflügel des PS zuzurechnen und dürfte wohl nach 2002 das schlechteste Ergebnis für die Sozialist*innen holen – nicht einmal die Gesamtheit der eigenen Partei hat er hinter sich. Wenigstens die Grünen um Yannick Jadot unterstützen ihn, weil er einen Atomausstieg befürwortet; mehr als ein bis zwei Prozent zusätzlich werden sie ihm aber auch nicht bringen.

Mélenchon derweil strebt besonders bzgl. der EU einen linksnationalistischen Kurs an: Die EU möchte er entweder “verändern oder verlassen”. Das steht in direkter Verbindung mit seinem sozialliberal-protektionistischen Programm, das an die ersten Regierungsjahre von François Mitterand in den frühen 80er Jahren erinnert. Doch besonders auf dem Höhepunkt der Migrationskrise (“Die Migranten stehlen den französischen Arbeitern das Brot weg”) zeigte er einmal mehr sein wahres Gesicht. Nun wird er gegen Hamon um die Gunst der Wähler*innen des Linksreformismus kämpfen. Mélenchon und Hamon – ein Geschwisterpaar, das sich im Wahlkampf gegenseitig auf die Füße treten wird.

Nathalie Arthaud und Phillipe Poutou: Der Trotzkismus am Wendepunkt

Es ist besonders frappierend, dass im Zuge einer starken Bewegung seitens der Arbeiter*innen und Jugend weder die NPA noch die LO im letzten Jahr davon profitieren konnten. Die NPA stellt mit Poutou den einzigen Arbeiterkandidaten weit und breit und hat große Probleme, die notwendigen 500 Unterschriften der Amtsträger*innen zu bekommen, um überhaupt antreten zu können. Mit Nathalie Artaud setzt sich auf der anderen Seite der sektiererische Kurs der LO fort, die seit Jahrzehnten weder ihre Basis vergrößern kann noch an Einfluss gewinnt. Gefangen im Syndikalismus, hat sie besonders den kämpfenden Unterdrückten wenig anzubieten: Während es offensichtlich ist, dass die rassistische Institution Polizei zerschlagen werden muss, beschwichtigt sie, dass nur “ein Teil der Polizei” rassistisch sei.

Für den Trotzkismus in Frankreich könnten die Wahlen inmitten der Unruhen in Banlieus, den sektoralen Streiks der Arbeiter*innenklasse sowie einer nie dagewesenen Schwäche der bürgerlichen Kandidaten zu einem Desaster werden, wenn Poutou nicht antreten kann. Ein solches Debakel könnte der letzte Nagel im Sarg der dauerkriselnden NPA werden. Mehr noch: Kein*e Arbeiter*in würde zur Wahl antreten können und unsere Klasse würde nach dem Loi Travail die nächste schwere Niederlage einstecken müssen. Nur eine Kandidatur Poutous wäre eine vorzeigbare Alternative; Diese ist noch möglich, schaffte es die NPA doch auch 2012 im letzten verbliebenen Monat (bis zum 17. März muss sie ihre Unterschriften vorlegen) mehr als 150 Unterschriften zu sammeln und den Antritt des streikenden Ford-Arbeiters zu sichern. Das macht Hoffnung, gleichzeitig kann die Kampagne nicht verdecken, dass der Trotzkismus in Frankreich vor einer Neuformierung steht.

Epilog

Mit der Durchsetzung des Loi Travail wurde endgültig ein neues Kapitel im französischen Klassenkrieg aufgeschlagen. Von einer “sozialistischen” Regierung im Ausnahmezustand durchgepeitscht, ist das Gesetz das Pendant zur Agenda 2010 in Deutschland. Jene ist bis heute die Grundlage dafür, dass in Deutschland der größte Niedriglohnsektor Europas existiert. Es waren diese Konterreformen, welche für eine Verschärfung der Prekarisierung sorgten und damit die Organisation und Kampfstärke massiv schwächten. Die französische Arbeiter*innenklasse hat einen anderen, radikaleren historischen Hintergrund und ihr heroischer Kampf im Frühjahr 2016 inmitten einer internationalen reaktionären Situation des Rechtsrucks war ein Vorbild – sie war aber auch eine Antizipation dessen, wozu unsere Klasse fähig ist, wenn sie organisiert ist und kämpft. Sie ist in der Lage, mit ihren Streiks und Mobilisierungen das gesamte Land lahmzulegen.

Vor ihr stehen nun unvermeidlich härtere und unversöhnlichere Schlachten, die nicht nur ihre Zukunft, sondern mit ihr als Avantgarde der europäischen Arbeiter*innenklasse, die Zukunft des internationalen Proletariats bestimmen werden.

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