Frankreich: Der Aufstand der Armenviertel im Gelbwesten-Modus
Der Aufstand, der durch den Mord an Nahel ausgelöst wurde, markiert einen qualitativen Sprung im Vergleich zu den Revolten von 2005. Er verdeutlicht das vorrevolutionäre Potenzial der Situation, aber auch die Dringlichkeit, unsere Klasse zu vereinen, um sich der immer härteren Politik des Regimes entgegenzustellen.
Der Polizeimord an Nahel, einem 17-jährigen Schüler aus Nanterre mit algerischen Wurzeln, am 27. Juni 2023 löste einen verallgemeinerten Aufstand in den Armen- und Arbeiter:innenvierteln Frankreichs aus. Das Epizentrum des Aufstands waren die Vorstädte von Paris, er breitete sich aber sehr schnell auf das gesamte Land aus und mobilisierte auch die Jugend dieser Viertel. Das Phänomen hat sich weit über die Ile-de-France und die Peripherie der Großstädte hinaus ausgebreitet. Der Mord, der von einer Zeugin gefilmt wurde, entwickelte sich zu einer Art französischer George-Floyd-Affäre und wurde zum Funken, der eine ohnehin schon explosive Situation entzündete.
Dieser verallgemeinerte Aufstand in den Armen- und Arbeiter:innenvierteln, während die Glut des Rentenkampfes noch schwelt, hat nach dem Trauma der Gelbwesten eine neue Krise an der Spitze des Staates ausgelöst, sowohl was die Regierbarkeit als auch was die Aufrechterhaltung der Ordnung betrifft. Dadurch wurde Präsident Macron weiter geschwächt, der nach dem kostspieligen Sieg über die Renten noch nicht wieder zu Kräften gekommen war. Diese Elemente bestätigen das vorrevolutionäre Potenzial der 2016 eröffneten Etappe, deren Erschütterungen immer häufiger werden. Sie unterstreichen einmal mehr die endgültige Krise der Fünften Republik – eines erschöpften Regimes, das immer mehr Schwierigkeiten hat, die Spannungen, die die Situation in Frankreich strukturieren, „friedlich“ zu lösen.
In der aktuellen Situation drohen neue bonapartistische und reaktionäre Wendungen, die immer offener und brutaler werden, um die Autorität des imperialistischen Staates wiederherzustellen. Angesichts dessen führen uns die institutionelle und klassenversöhnlerische Perspektive der Intersyndicale [Zusammenschluss der Gewerkschaftsführungen, A.d.Ü.] und der reformistischen Linken in die Sackgasse und zu neuen Niederlagen. Mehr denn je ist es notwendig, die Kämpfe unserer Klasse zu vereinen und zu verhindern, dass ihre Kräfte und ihre Kampfbereitschaft sich in sektoralen oder isolierten Auseinandersetzungen verzetteln, so wichtig diese auch sein mögen. Diese strategische Herausforderung wird in der Tat die Hauptkoordinaten der Situation des Landes in den kommenden Monaten und Jahren bestimmen.
Die Gründe für den Aufstand
Der Aufstand, der sich zwischen Ende Juni und Anfang Juli in den Armen- und Arbeiter:innenvierteln entfachte, übertraf in seinem Ausmaß und seiner Intensität bei Weitem den Aufstand von 2005. Dieser hatte sich nach der Ermordung von Zyed und Bouna zwischen dem 27. Oktober und dem 17. November über fast vier Wochen erstreckt. Nach Angaben der „Vereinigung der französischen Bürgermeister“ wurden diesmal zwischen dem 27. Juni und dem 5. Juli 150 Rathäuser und kommunale Gebäude angegriffen. Dies ist die höchste Zahl, die seit den 1980er Jahren im Rahmen von „städtischen Unruhen“ in Frankreich verzeichnet wurde. Die Zusammenstöße mit der Polizei und das, was die Medien als „Plünderungen“ bezeichnen, betrafen sowohl die Armen- und Arbeiter:innenviertel als auch die Innenstädte von Metropolen wie Marseille oder Lyon. Mit der Mobilisierung von 45.000 Polizist:innen und Gendarmen sowie Spezialeinheiten wie der Brigade de recherche et d’intervention (BRI) oder der GIGN (Groupe d’intervention de la gendarmerie nationale) entschied sich die Exekutive für ein Polizeiaufgebot, das es seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr gegeben hatte.
Die Wut, die Frankreich erschüttert hat, hat zwei zentrale Triebkräfte. Einerseits handelt es sich um politische Unruhen, die sich gegen die Symbole der Staatsmacht richten. Derjenige, der diesen Aufstand bislang am besten beschrieben hat, ist der linksgerichtete Bürgermeister von Corbeil-Essonnes, Bruno Piriou. Wie Le Monde erklärt, hat er „Nächte damit verbracht, die Bewegungen der Gruppen durch die zahlreichen Videoüberwachungskameras zu verfolgen. Insgesamt etwa 300 Individuen bei einer Bevölkerung von 52.000 Einwohner:innen. (…) ‚Ich habe sehr organisierte Jugendliche gesehen, [sagt er,] die sich vorbereiteten, alle waren gleich gekleidet. Es gab sogar eine Gruppe von sieben Individuen, die mit weißen Overalls und dicken Brillen gekleidet waren, um eine Kreissäge zu benutzen und die Pfosten, an denen die Kameras angebracht sind, abzusägen.‘ An den Wänden erzählen Tags von dem Wunsch, die Macht zu übernehmen. ‚Das Gesetz sind wir‘, ‚Tod den Bullen‘, ‚Ein guter Bulle ist ein toter Bulle‘. ‚Es gibt einen Teil der Jugend, der zur Tat schreitet, um das anzugreifen, was ihnen als die etablierte Ordnung erscheint‘.“
In der Tat prägt dieser Wille, „das anzugreifen, was den mobilisierten Jugendlichen als etablierte Ordnung erscheint“, den zentralen Ton der Revolte – entgegen jeder Sichtweise, die versucht, die Konfrontationen mit der Polizei zu kriminalisieren und zu entpolitisieren, als ob sie nichts mit dem Klassenkampf zu tun hätten. Dieses Misstrauen gegenüber der Macht hat tiefe Wurzeln, wie der Soziologe Fabien Truong, Professor an der Universität Paris-VIII, gut erklärt: „Es sind Jungen im gleichen Alter wie Nahel, die aus einem einfachen Grund auf intime und gewalttätige Weise reagieren: Dieser Tod hätte ihr eigener sein können. Jeder sagt sich in seinem Inneren: ‚Das hätte ich sein können‘. Jeder Jugendliche in diesen Vierteln hat Erinnerungen an negative und verletzende Auseinandersetzungen mit der Polizei. Unangenehme und wiederholte Identitätskontrollen vor der Haustür sind erniedrigend, erzeugen Stress und schüren auf Dauer tiefe Ressentiments. Sie führen dazu, dass ihre Anwesenheit direkt vor ihrer eigenen Haustür nicht legitim ist und gerechtfertigt werden muss. Diese Logik des Verdachts ist fast metaphysisch und existenziell. Diese Jugendlichen sagen sich, dass sie für das kontrolliert werden, was sie sind, und nicht für das, was sie tun. Diese Erfahrungen hinterlassen bleibende Spuren in der Existenz. Im Rahmen meiner Untersuchungen stelle ich fest, wie sehr diese Verletzungen prägen: Jenseits der 30 ist die Angst vor der Polizei immer noch stark ausgeprägt. Die Beziehung zum Staat war schmerzhaft, das republikanische Versprechen wurde nicht eingelöst. Das erklärt zweifellos zum Teil die politische Abkehr der Einwohner:innen dieser Viertel und das Misstrauen gegenüber den Verkörperungen der Macht.“ Dieses Misstrauen erklärt, warum öffentliche Einrichtungen im Visier der Aufständischen stehen: seien es Rathäuser, Polizeiautos, Polizeistationen, das Gefängnis von Fresnes oder sogar – auf widersprüchlichere Weise – Schul- oder sozialpädagogische Gebäude wie Mediatheken oder Nachbarschaftshäuser, die bei den Jugendlichen mit einem Staat gleichgesetzt werden, zu dem ihr Verhältnis zumindest konfliktbeladen und von einer tiefen strukturellen Ungleichheit geprägt ist.
Andererseits verleiht die Zunahme der „Plünderungen“ dem Aufstand den Aspekt einer „Hungerrevolte“, den man sonst nur bei anderen Arten von Mobilisierungen wie Aufständen oder Demonstrationen in halbkolonialen Ländern oder Regionen sieht. Diese „Plünderungen“ sind die Folge der starken Entbehrungen der letzten Jahre, angefangen bei der ersten Ausgangssperre der Pandemie, die mit einer Reihe von willkürlichen und repressiven Maßnahmen einherging, bis hin zur Inflation und den steigenden Lebenshaltungskosten. Auch wenn jedes aufständische Phänomen mit „Plünderungsszenen“ einhergehen kann, stellt ihr aktuelles Ausmaß einen qualitativen Sprung dar, der mit der Verschlechterung der Lebensbedingungen und dem in den Armen- und Arbeiter:innenvierteln vorhandenen Überdruss über den Zugang zum Konsum zusammenhängt, der von allen Medien beworben wird, aber in der Praxis immer größeren Teilen der Bevölkerung verwehrt bleibt. Wie eine Journalistin von Mediapart im Interview mit Safia, einer Bewohnerin von Montreuil, feststellte: „Sie erwähnt auch die Inflation, die arme und mittelständische Familien mit voller Wucht trifft, Eier, Milch, deren Preise sich verdoppelt haben. ‚Ich habe sie letzte Nacht gesehen, sehr junge Leute, wie sie mit prall gefüllten Lebensmitteltüten herauskamen, das war atemberaubend.‘ In der Nachbarschaft berichten mehrere Anwohner:innen von ihren Balkonen aus von denselben Szenen: Jugendliche, die Einkaufswagen aus dem Auchan-Supermarkt schieben – der sehr stark geplündert wurde, viel massiver als die Geschäfte im Stadtzentrum, ebenso wie der Aldi-Discounter in der Nähe von Romainville. ‚Als ob sie für ihre Mama einkaufen würden!‘, beschreibt eine Stammkundin aus dem Viertel. Der Wachmann des Supermarkts bestätigt: ‚Sie haben alles mitgenommen, der Laden ist leer‘.“
Solche Aktionen wurden im Übrigen durch eine allmähliche Verhärtung der Revoltierenden ermöglicht. Im Laufe der nächtlichen Auseinandersetzungen griffen die Wut und der Aufstand auf weitere Städte über und die Jugendlichen begriffen allmählich, dass sie auch große Einkaufszentren angreifen konnten. In anderen Fällen kann das Plündern von Geschäften Ausdruck von Ressentiments gegenüber der Gentrifizierung sein. Julien Talpin, Soziologe, Forscher am CNRS und Spezialist für Armen- und Arbeiter:innenviertel, erklärt: „An einer Reihe dieser Orte sind die besonders ins Visier genommenen Geschäfte und Einrichtungen ein Symbol für eine gewisse Gentrifizierung: hochwertige Bäckereien, Bioladen, Luxusboutiquen […]. Diese Einrichtungen stehen für eine soziologische Veränderung dieser Viertel, mit der Ankunft neuer, finanziell besser gestellter Bewohner:innen – und damit für das Gefühl der Alteingesessenen, noch weiter deklassiert und ausgeschlossen zu werden.“
Somit fehlte es nicht an Gründen für den Ausbruch der Wut in den Armen- und Arbieter:innenvierteln. Angesichts der Häufung sozialer Bewegungen seit Macrons Amtsantritt und nach dem pandemischen Ausnahmezustand mit seiner Fülle an Polizeigewalt kann man sogar überrascht sein, dass die Verhältnisse, die die Bedingungen für eine Verallgemeinerung der Revolte geschaffen haben, nicht früher explodiert sind. Die Aussage eines Betreuers des Sozialzentrums des Viertels Phalempins in Tourcoing (Nordfrankreich) für Le Monde macht in diesem Sinne den explosiven Charakter der Generation von Jugendlichen deutlich, die die Führung der Ereignisse übernommen haben: „Wir haben sie nicht auf unserem Radar. Es ist eine Covid-Generation, mit der wir nur sehr wenig Kontakt haben, so dass Vermittlungsversuche, wenn die Dinge aus dem Ruder laufen, nichts nützen.“
Eine organische Krise auf ihrem Höhepunkt
Wenn es einen Ort gibt, an dem sich der Bruch zwischen Repräsentant:innen und Repräsentierten besonders deutlich zeigt, dann sind es die Vorstädte. In der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 2022 wurde, um Marine Le Pen zu verhindern, zwar oft mehr für Jean-Luc Mélenchon gestimmt als anderswo im Land. Aber es sind vor allem die hohen Nichtwähler:innenzahlen, die diese Sektoren kennzeichnen. Gewerkschaften, politische Parteien oder Vereinigungen vertreten die Bevölkerung immer weniger, wie es bereits 2005 der Fall war. Der Soziologe François Dubet erklärt: „Der Kontrast zu den früheren roten Vorstädten ist frappierend: Diese kommunistischen Städte der Nachkriegszeit waren zwar nicht reich, aber sie wurden von Parteien, Gewerkschaften und Volksbildungsbewegungen betreut. Lehrer:innen und Sozialarbeiter:innen lebten in den Vierteln, in denen sie arbeiteten. So gesehen waren diese Vorstädte Teil der Gesellschaft. Alle oder fast alle diese Vermittlungsinstanzen sind verschwunden. Die Sozialarbeiter:innen kommen von außerhalb und die städtischen Dienste haben die Volksbildungsbewegungen ersetzt. Die gewählten Volksvertreter:innen werden nicht gehört und die Einwohner:innen, vor allem die Jugendlichen, glauben, dass sie nicht gehört werden. Diese Erfahrung ist so gewaltsam, dass sie die Jugendlichen dazu bringt, alles zu zerstören, was sie mit der Gesellschaft verbinden kann: Bibliotheken, Schulen, soziale Zentren… .“
Während dieser Tage und Nächte der Konfrontation scheinen selbst die mehr oder weniger informellen oder institutionellen Vermittlungsinstanzen nicht in der Lage gewesen zu sein, eine eindämmende Rolle zu spielen, ob es sich nun um Imame oder Drogendealer handelte. Erstere waren überfordert und ihr Einfluss war weitaus geringer, als manche meinen. Wie der Imam Azzedine Gaci der Othman-Moschee in Villeurbanne (Rhône) auf seiner Facebook-Seite einräumte: „Ich muss schließlich zugeben, dass die Moschee unter den derzeitigen Umständen nicht viel für diese Jugendlichen tun kann. Die Moschee verfügt weder über die personellen und vor allem nicht über die finanziellen Mittel, um diese leidenden Jugendlichen zu betreuen.“ In Bezug auf die Dealer erklärten die Medien bis Donnerstag, den 29. Juni, dass sich die Stadtteile von Marseille aufgrund ihrer Rolle nicht der Mobilisierung angeschlossen hätten, wie es 2005 der Fall war. Ein Artikel im Figaro stellte fest: „Wenn sich also das Land erhebt, sorgen die Dealer in Marseille dafür, dass sich die Einwohner:innen der Viertel ruhig verhalten, und übernehmen selbst die Polizei, um allzu große Ausschreitungen zu verhindern. Diese Erklärung teilt die überwältigende Mehrheit der Polizei- und Justizbehörden in Marseille.“ Die Ereignisse vom vergangenen Freitag, bei denen sich das Epizentrum der Mobilisierung nach Marseille verlegte und die Polizei überforderte, zeigen jedoch, dass auch die Dealer überfordert waren. Auch dies ist ein Novum.
Diese Krise der Vermittlungsinstanzen, die sich bereits zur Zeit der Gelbwestenbewegung zeigte, stellt alle Mechanismen in Frage, die im Laufe des 20. Jahrhunderts zur Befriedung sozialer Konflikte entwickelt wurden. Der Mangel an Instrumenten zur Eindämmung erklärt die Verwundbarkeiten, denen die Macht regelmäßig ausgesetzt ist. Wie ein Journalist von Les Echos in Bezug auf Macron erklärte: „Er sprach von Beschwichtigung, nun sieht er sich mit einer Sicherheitslage konfrontiert, die es seit den ‚Gelbwesten‘ nicht mehr gegeben hat. ‚Es gibt keine Vermittlungsintanzen mehr, also gibt es auch kein Ventil mehr. Wenn es einen Funken gibt, explodiert es‘, stellt ein Berater fest.“ Dies wird im Fall der Armen- und Arbeiter:innenviertel noch durch die rassistische und repressive Politik des Macron-Regimes verschärft. Macron hat alle ihm zur Verfügung stehenden legalen Mittel eingesetzt, um antirassistische oder muslimische Organisationen zu unterdrücken, zu diskriminieren und sogar aufzulösen, und im weiteren Sinne durch die Schikanen des Regimes in Richtung von Kollektiven wie dem Adama-Komitee und der Familie von Assa Traoré, die seit den historischen Mobilisierungen in Paris nach dem Tod von George Floyd im Visier stehen. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass die Wut schließlich über andere Kanäle und Mittel als diese Organisationen zum Ausdruck kommt.
Die Tendenz zum Bürger:innenkrieg
Der Mord an Nahel hat erneut auf dramatische Weise die Bedingungen der Segregation und des Abstiegs offengelegt, in denen sich in Frankreich die rassifizierten sozialen Schichten befinden, welche einen Großteil der Arbeiter:innenschaft ausmachen, insbesondere ihre prekärsten und ausgebeuteten Segmente. Rassifizierte Bevölkerungsgruppen und Jugendliche aus den Armen- und Arbeiter:innenvierteln sehen sich einem Staat gegenüber, dessen Praktiken der Zurechtweisung der Indigenen in den ehemaligen Kolonien in anderen Formen fortbestehen. Diese Tradition der Aufrechterhaltung der Ordnung, der Kontrolle und gegebenenfalls der Repression hat ihre Wurzeln in der Kolonialzeit. Die Tatsache, dass das Epizentrum der Revolte der Pariser Vorort Nanterre ist, der in den 1960er Jahren ein Slum war – ein großstädtisches Nebenprodukt des Algerienkriegs (1954-62), der zu einem starken Anstieg der Migrationswellen aus dem für die Unabhängigkeit kämpfenden Land in die Metropole führte –, ist illustrativ. Die aktuelle Revolte muss daher im Kontext der imperialistischen Verwaltung der Peripherien des französischen Staats gesehen werden, sowohl in geografischer als auch in sozialer und rassistischer Hinsicht.
Diese Verwaltung wird durch die Vertiefung der zentralistischen und autoritären Merkmale des französischen Staates, auf die wir bereits in anderen Artikeln eingegangen sind, noch verschärft. Wie bereits erwähnt, verschärfen diese bonapartistischen Tendenzen die strukturelle Krise der Vermittlungsinstanzen, die aufgrund der neoliberalen Gegenreform ohnehin schon angeschlagen sind. So hatte die Partei des Präsidenten noch nie so wenig Verankerung unter Arbeiter:innen und armen Menschen in Frankreich, insbesondere in den Vorstädten. Zwar konnte Macrons Diskurs vom „verdienten Selbstunternehmer“ eine Zeit lang in den Vierteln punkten, insbesondere während des ersten Wahlkampfs 2017, doch heute findet er keinerlei Anklang mehr. Wie L’Opinion betont, wird „[Macrons Partei] Renaissance immer noch als die Partei allein der Metropolen wahrgenommen. Das ist ungerecht, denn die Formation von Emmanuel Macron hat andere Gebiete erobert, die ländlichen Gebiete und die mittelgroßen Städte der Rechten, aber nicht die Randbezirke. Ganz im Gegenteil. 2017 hatte Emmanuel Macron mit seinem Versprechen, den ‚Hausarrest‘ von Jugendlichen aus den Vorstädten zu beenden, einen Teil dieser Wähler:innenschaft für sich gewinnen können. Die Mehrheit hatte drei Sitze in Seine-Saint-Denis erobert. Sie hat sie alle 2022 verloren.“ 1
Diese Kluft zwischen Staat und Bevölkerung, dieses Vakuum an Vermittlungsinstanzen in einem geografischen und sozialen Gebiet, wo der Staat die Bevölkerung als „inneren Feind“ wahrnimmt, wird zunehmend von der Polizei als institutionellem Subjekt überbrückt – mit all der Prägung und dem Fortbestehen ihres kolonialen Erbes, wie die Zunahme der Polizeigewalt belegt. Wie der Forscher und Historiker der Vorstädte Hacène Belmessous in seiner „Kleinen politischen Geschichte der armen Vorstädte“ erklärt: „Die Polizei der armen Vorstädte hat sich als Agentin des sozialen Zusammenhalts des Lebens an diesen Orten inthronisiert. Sie beherrscht die Einflüsse aller öffentlichen Institutionen (Schule, Sozialdienste, Sozialvermieter usw.) innerhalb der Grenzen der Macht, die sie sich angemaßt hat, indem sie den Druck von außen auf die Regierung und von innen auf die lokalen Abgeordneten und Verwaltungen vervielfacht und ihre Regulierungsformen bei bestimmten politischen Abwägungen und der Kontrolle des sozialen Lebens der Bewohner:innen durchsetzt. Die verschiedenen Regierungen haben sich ihren Forderungen so weit gebeugt, dass die Polizei dort nun alle Macht in ihren Händen konzentriert: sicherheitspolitische, soziale, politische, rechtliche, moralische und normative Macht. Zweifellos zeugt diese Entwicklung von einem schrecklichen demokratischen Rückschritt in den Armen- und Arbeiter:innenvierteln.“ Diese Intensivierung der Bevormundung und Kontrolle der Stadtviertel durch die Polizei, die bekanntermaßen politisch von der extremen Rechten übernommen wurde, ist der Hauptgrund für den Aufstand in den Vorstädten.
Angesichts des Aufstands der Jugend in den Armen- und Arbeiter:innenvierteln bringt die Radikalisierung der Polizei erste Anzeichen für eine Tendenz zum Bürger:innenkrieg ans Licht.
Das martialische und ultra-gewaltsame Kommuniqué der Gewerkschaften Alliance und UNSA Police, die bei den letzten Wahlen innerhalb der Polizei die Nase vorn hatten, lässt keinen Zweifel aufkommen. Es genügt, einige ihrer Aussagen zu zitieren: „Angesichts dieser wilden Horden reicht es nicht mehr aus, Ruhe zu fordern, man muss sie erzwingen“, „Es ist nicht die Zeit für Gewerkschaftsaktionen, sondern für den Kampf gegen diese ‚Schädlinge'““, „Wir befinden uns im Krieg“, „Wir wissen bereits, dass wir dieses Chaos [in Anspielung auf den Mai 1968] wieder erleben werden“. Der politische Sinn solcher Erklärungen besteht darin, Druck auf die Exekutive und die gesamte politische Klasse auszuüben und sogar mit der gewaltsamen Durchsetzung eines Regimes zu drohen, in dem die Freiheit zu töten noch weniger in Frage gestellt wird, als es heute der Fall ist. Es geht um das Streben nach absoluter polizeilicher Straffreiheit, um ein Regime des verstärkten Terrors gegen die rassifizierte Bevölkerung. Eine Bedrohung durch die Repressionskräfte, die es umso ernster zu nehmen gilt, als man weiß, dass das derzeitige Regime das Ergebnis eines Militärputsches gegen eine im Algerienkrieg verstrickte Vierte Republik ist.
Allerdings könnte sich ein Übergang zu einem höheren und qualitativen Grad des Bonapartismus für die Machthaber als riskant erweisen. Es besteht immer die Gefahr, dass ein bonapartistischer Kraftakt, der das Kräfteverhältnis unzureichend berücksichtigt, zu einer Reaktion der Massenbewegung führt. Tatsächlich sind die Kräfte der Arbeiter:innenbewegung trotz der bei den Renten erlittenen Niederlage heute im Wesentlichen intakt, obwohl sie durch die Intersyndicale in ein Korsett gezwängt wurden. Ganz zu schweigen von der Jugend, auf die die Gewerkschaftsorganisationen wenig Einfluss haben. Dies erklärt wahrscheinlich die Vorsicht des Präsidentenlagers gegenüber den Polizeigewerkschaften und dem Druck der Rechten und der extremen Rechten. Das gilt insbesondere für seine Weigerung, den Ausnahmezustand auszurufen, dessen Maßnahmen im Übrigen 2017 zu einem großen Teil in das allgemeine Recht übernommen wurden. Eine Eskalation an der Sicherheitsfront könnte sich gegen die Macht wenden und die Krise auf das gesamte Staatsgebiet ausweiten, nicht nur auf die Armen- und Arbeiter:innenviertel. Wie ein Berater des Élysée-Palastes betonte, „hält Emmanuel Macron an einem auf Abschreckung ausgerichteten Dispositiv von 45.000 Mitgliedern der Ordnungskräfte fest, aber ‚ohne die Eskalation symbolischer, unwirksamer und extremistischer Maßnahmen. Wenn er nachgegeben hätte, hätten die Franzosen das [erste] Wochenende [im Juli] unter Ausnahmezustand und Ausgangssperre verbracht‘.“ Während es in der Bevölkerung eine starke Sensibilität gegenüber den eher bonapartistischen Elementen der Fünften Republik gibt, wie die Reaktionen auf den Rückgriff auf das Verfassungsdekret 49.3 während der Rentenreform gezeigt haben, stellte die Ausrufung des Ausnahmezustands ein Risiko dar, das Macron nicht eingehen wollte.
Die Gefahr eines noch bonapartistischeren Abdriftens ist jedoch nach wie vor vorhanden. Wie Le Figaro im Zusammenhang mit den Ereignissen Ende Juni und Anfang Juli feststellte, „haben die Polizist:innen und Gendarmen auf die Würfe von Wurfgeschossen und Brandsätzen bislang mit Tränengas und Sting-Ball-Granaten geantwortet. ‚Aber wenn jemand einen Schuss abgibt und es einen Toten gibt, egal auf welcher Seite er steht, werden wir in eine andere Dimension abgleiten, die nicht mehr kontrollierbar wäre‘, zischte ein Präfekt, ohne das Wort ‚Bürgerkrieg‘ fallen zu lassen.“ Die Vorstellung eines solchen Ausgangs wird auch durch die Initiativen von mit der extremen Rechten verbundenen Gruppierungen in mehreren Städten wie Chambéry, Lyon oder Angers bestärkt. In Lorient beteiligten sich in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli etwa 30 Personen an der Seite der Polizei an der Repression und lieferten Jugendliche aus, nachdem sie ihnen Handschellen um die Handgelenke gebunden hatten. Die Armee hat inzwischen eine Untersuchung eingeleitet, da sich unter der Gruppe, die sich selbst als „Anti-Randalierer“ bezeichnet, wahrscheinlich auch Angehörige der Marine befanden.
Eines ist sicher: Das Fortbestehen der rassistischen Segregation in Verbindung mit der Kontinuität der kolonialen Verwaltung der rassifizierten Bevölkerung beschleunigt die Tendenzen zur Konfrontation zwischen den reaktionären Kräften auf der einen Seite und den befreienden Tendenzen der Massenbewegung auf der anderen Seite. Das verleiht dem Klassenkampf ein anderes Tempo und einen anderen Charakter und erlegt der Arbeiter:innenbewegung und den Revolutionär:innen in ihr eine neue Verantwortung auf.
Weniger isolierte Viertel als 2005
Der Versuch der Regierung, die Bewegung zu diskreditieren, indem sie ihr jeden politischen Inhalt abspricht und ihre „Ultra-Gewalt“ hervorhebt, zielt darauf ab, einen reaktionären Wall zwischen der Jugend in den Armen- und Arbeiter:innenvierteln und dem Rest der Bevölkerung zu schaffen. Dies betonte übrigens auch Regierungssprecher Olivier Véran am 2. Juli auf France Info unmissverständlich: „Es hat bereits Bewegungen mit politischen Forderungen gegeben, manchmal auch Märsche, die von Gewalt durchsetzt waren, aber von eingedämmter Gewalt. Hier gibt es keine politische Botschaft. Wenn Sie ein Geschäft von Foot Locker, Lacoste oder eine Sephora-Boutique plündern, gibt es keine politische Botschaft. Das ist Plünderung.“ Gleichzeitig wird die Sicherheitskrise von der extremen Rechten instrumentalisiert, um eine Verschärfung des Autoritarismus zu fordern. In diesem Rahmen und zum gegenwärtigen Zeitpunkt verurteilt eine Mehrheit der Öffentlichkeit die „Gewalt“ gegen öffentliche Gebäude und die Polizei.
Dies unterscheidet die aktuelle Revolte vom Aufstand der Gelbwesten, der trotz einer Reihe von Episoden der „Gewalt“ wie beispielsweise dem Angriff auf die Präfektur von Le Puy-en-Velay, der teilweisen Verwüstung des Arc de Triomphe am 1. Dezember 2018 und der Erzwingung des Eintritts zu einem Ministerium durch eine Baumaschine am 5. Januar 2019 ein hohes Maß an Unterstützung in der Öffentlichkeit beibehalten hat. Die Tatsache, dass die von den Jugendlichen im Laufe der Bewegung gewählten Ziele nicht immer so explizit mit Macht und Staat in Verbindung gebracht wurden, und vor allem die Existenz eines systemischen Rassismus erklären zum Teil diese unterschiedliche Unterstützung durch die Öffentlichkeit.
Allerdings waren die Armen- und Arbeiter:innenviertel im Jahr 2023 weniger isoliert als im Jahr 2005. Wie Alain Bertho, ein Spezialist für Krawallphänomene, betont: „2005 berichteten die Nachrichten auf France 2 zuerst über den Skandal der verbrannten Autos, dann über den Tod der Kinder, und die politischen Reaktionen waren alle auf diese Informationshierarchie abgestimmt. Es gab einen Konsens im Aufruf zur Ruhe, der diese Kinder absolut allein gelassen hat.“ So ist es recht symptomatisch, dass trotz der reaktionären Hysterie gegen die als Straftäter:innen dargestellten Jugendlichen aus den Armen- und Arbeiter:innenviertel laut einer Elabe-Umfrage 20 Prozent der Franzosen und 40 Prozent der unter 25-Jährigen Verständnis für die Gewalt gegen Polizist:innen haben. Mehr noch, es gibt eine mehrheitliche Ablehnung der Ermordung Nahels durch die Polizei. So stimmten 53 Prozent der Franzos:innen den Erklärungen Emmanuel Macrons am Tag nach Nahels Tod zu, in denen er davon sprach, dass sein Tod „unerklärlich“ und „unentschuldbar“ sei. Diese Meinung wird am stärksten von den unter 25-Jährigen geteilt (71 Prozent). Politisch betrachtet, überzeugt sie 66 Prozent der Wähler:innen von Jean-Luc Mélenchon und 64 Prozent der Wähler:innen von Macron.
Die Ursachen für diese Entwicklung zwischen 2005 und heute sind zwar vielfältig, aber die Tatsache, dass die neuen Generationen von Aktivist:innen selbst von der Repression betroffen waren, ist eine der wichtigsten. Wie Bertho feststellt, „haben die Mobilisierung gegen die Rentenreform und davor die ‚Gelbwesten‘ dieser Generation von Aktivist:innen die ungestrafte Gewalt der Polizei bewusst gemacht, unter der die Armen- und Arbeiter:innenviertel seit Jahren zu leiden haben. Die enorme Verschärfung der Polizeirepression hat diese Jugend und diese Viertel demarginalisiert und den Blick, den man heute auf sie richtet, verändert.“ Auf der Ebene der Avantgarde lässt sich einer der Meilensteine dieses langsamen Prozesses der Bewusstwerdung im Übrigen in den Fortschritten der antirassistischen Bewegung wiederfinden, die insbesondere durch die Politisierung rund um diese Frage ermöglicht wurde. Sie hatte sich im Juni 2020 in der Jugend mit einer nie dagewesenen Massivität ausgedrückt, aber auch durch die Verbindungen, die zwischen einigen ihrer Organisationen und dem Rest der sozialen Bewegung geschaffen wurden.
In diesem Zusammenhang kann man die Konvergenzen erwähnen, die sich in den letzten Jahren mit der Umweltbewegung aufgebaut haben, aber auch mit Selbstorganisationsstrukturen der Arbeiter:innenbewegung wie der „Intergare“ [standortübergreifende Koordination von Eisenbahner:innen, A.d.Ü.], die aus dem Kampf um die Eisenbahn hervorgegangen ist und 2018 während der Gelbwestenbewegung an der Seite des Adama-Komitees den „Saint-Lazare-Pol“ bildete. Bündnisse, die im Übrigen durch die tiefen Beziehungen begünstigt werden, die ein ganzer Teil der aus den Armenvierteln stammenden Arbeiter:innenklasse zu diesen Themen unterhält. Vom Transportstreik 2019-2020, der bei der RATP und der SNCF von zahlreichen Arbeiter:innen geführt wurde, die sich auf die Erfahrungen der Revolte von 2005 berufen, bis zum „weißen Marsch“ für Nahel am 29. Juni, an dem militante Arbeiter:innen der Eisenbahn SNCF oder des Energiesektors teilnahmen, verstehen wichtige Teile der Arbeiter:innenklasse ganz genau, dass Polizeigewalt und der Kampf gegen Rassismus auch Klassenkämpfe sind.
Diese Elemente erklären die Reaktion von Teilen der Linken wie Mélenchons La France Insoumise, die sich trotz des Drucks des Staates weigerten, „zur Ruhe“ aufzurufen, aber auch die breite Front von politischen Organisationen, Gewerkschaften, darunter die CGT, und Kollektiven, die sich in einem am 5. Juli veröffentlichten Kommuniqué für die Unterstützung der Armen- und Arbeiter:innenviertel aussprachen. Diese Stellungnahme stellt einen Bruch und einen Fortschritt im Vergleich zur Situation im Jahr 2005 dar. Zu bedauern sind hingegen ihr später Zeitpunkt und ihre Logik, die Regierung anzusprechen, was es nicht ermöglicht hat, sie zur Grundlage einer echten Aktionsfront im Dienste einer Mobilisierung zur Verteidigung des Aufstands, gegen die Repression und die Polizeigewalt, für Gerechtigkeit und die Wahrheit über den Mord an Nahel und alle anderen Morde an Jugendlichen durch die Polizei zu machen.
Angesichts des Konservatismus der Intersyndicale: Die Dringlichkeit einer Politik zur Freisetzung der Energie der Ausgebeuteten
Wenn man sich die Reaktionen der Exekutive und der Regierung ansieht, scheint es, dass der einwöchige Aufstand in den Armen- und Arbeiter:innenvierteln mehr Krisen an der Spitze des Staates erzeugt hat als vierzehn landesweite Mobilisierungstage der Intersyndicale, die darauf abzielen, Druck auf die Regierung auszuüben. Die Jugendlichen, die im Rahmen der Zusammenstöße mit der Polizei mobilisiert wurden, sowie die tiefsten und am meisten ausgebeuteten Sektoren der Arbeitswelt konnten nicht von der Strategie der Intersyndicale, die ein Gefühl der Ohnmacht erzeugt, mitgerissen werden. Ihr Aufstand fügt sich jedoch voll und ganz in die Situation und die Bresche ein, die die Rentenbewegung geschlagen hat, und nimmt wahrscheinlich Phänomene der Radikalisierung breiterer Schichten der Arbeiter:innenklasse vorweg. So wurde, wie Le Monde berichtete, „in Aubervilliers die Polizeistation von Jugendlichen mit Feuerwerkskörpern angegriffen. ‚Einige von ihnen sind meine ehemaligen Schüler:innen‘, vertraut uns eine Lehrerin in einem Collège der Stadt an. Sie sind zwischen 18 und 21 Jahre alt, ’nicht von Grund auf gewalttätige Jugendliche‘, sondern eher von der Sorte, ‚die sich unten in der Siedlung mit Musik niederlässt‘, haben angefangen zu arbeiten oder suchen einen Job. ‚Sie sagen sich, dass Nahel einer ihrer Freunde hätte sein können. Sie haben einen Hass auf die gewalttätige Polizei. Für sie ist das der beste Weg, um sich Gehör zu verschaffen. Sie sagen, dass die Demonstrationen nichts bringen, man muss alles kaputt machen.'“
In diesem Sinne wirft diese Explosion ein Licht auf die Haltung der Gewerkschaftsführungen der Intersyndicale in den letzten Monaten. Wenn diese sich gegen jede Überschreitung des strikt gewerkschaftlichen und defensiven Rahmens und gegen die Ausweitung der Forderungen in der Rentenbewegung gestellt hat, dann auch deshalb, weil sie befürchtete, dass ein Übergang zur Offensive zu einer Situation führen würde, die sie nicht hätte kontrollieren können. Die Gründe für die konservative Politik der Intersyndicale sind eher in dieser Furcht vor dem explosiven Eintritt der unterdrückten Massen in die Bewegung zu suchen als in irgendeiner objektiven Unfähigkeit der prekärsten oder am meisten verarmten Schichten der Klasse, sich der Mobilisierung gegen die Rentenreform anzuschließen. Diese Weigerung der Gewerkschaftsführer:innen, das Kampfpotenzial der gesamten Arbeiter:innenklasse zu vereinen, ist dafür verantwortlich, dass die Not und der Zorn der am stärksten ausgebeuteten Teile der Arbeitswelt isoliert und vorwiegend „negativ“ oder „hintergründig“ zum Ausdruck gebracht wurden.
Ihre Verbindung mit der wiedergewonnenen Stärke der organisierten Arbeiter:innenbewegung im Kampf gegen die Rentenreform hätte umgekehrt eine offen vorrevolutionäre Situation im Land eröffnen können. Angesichts der Sackgasse der institutionellen Politik der politischen oder gewerkschaftlichen Führungen der Arbeiter:innenbewegung, die durch die Niederlage im Rentenkampf erneut bestätigt wurde, hat die Jugend in den Armen- und Arbeiter:innenvierteln auf jeden Fall gezeigt, dass es keinen Sieg geben wird, ohne den Staat und das politische Regime der Fünften Republik zu erschüttern und in die Knie zu zwingen.
Angesichts der beschriebenen reaktionären Perspektiven lautet die zentrale Frage für die kommende Zeit erneut, wie die Kraft aller Ausgebeuteten in einer Gegenoffensive gegen Macron und den kapitalistischen Staat vereint werden kann. Die Herausforderung besteht darin, die objektiv antikapitalistische Infragestellung der Arbeit, die die Bewegung gegen die Rentenreform ausmachte, die Entschlossenheit der Arbeiter:innen und Jugendlichen mit den Methoden der Gelbwesten, des „vorstädtischen Frankreichs“ wie der Banlieues, und der Wirksamkeit der Kampfmethoden des Proletariats, die sich beispielsweise beim Raffineriestreik im Herbst 2022 gezeigt hat, welcher das Land fast zum Stillstand gebracht hätte, zu verschmelzen. All diese Kräfte sind bereits in vollem Umfang vorhanden, wie die jüngsten Episoden des Klassenkampfes gezeigt haben. Es geht darum, sie mit einem emanzipatorischen Projekt, einer Strategie und einer Führung auszustatten, die den Willen zum Sieg hat. Das ist die Aufgabe der Stunde.
Dieser Artikel erschien zuerst am 7. Juli 2023 auf Französisch bei Révolution Permanente.
1. Die folgenden Zahlen, die Le Monde berichtet, gehen in die gleiche Richtung: „Das Wahllokal Nummer 44 der Gemeinde Nanterre befindet sich in der Grundschule Pablo-Picasso, nur wenige Schritte von der gleichnamigen Siedlung entfernt, wo die städtischen Unruhen nach dem Tod von Nahel M. begannen. Im ersten Wahlgang 2017 hatte Emmanuel Macron 23,6 Prozent der Stimmen erhalten; 2022 sammelte er nur 14,8 Prozent ein. Und die Wahlenthaltung stieg im zweiten Wahlgang gegen die rechtsextreme Kandidatin um 15 Prozentpunkte auf schwindelerregende 47 Prozent.“