Frankreich: 600 Menschen diskutieren über Strategie für den Generalstreik
Am Montag versammelte das "Netzwerk für den Generalstreik" in Paris 600 Personen, darunter Streikende aus zahlreichen Sektoren, um über eine Alternative zur "Strategie der Niederlage" der Gewerkschaftsführungen zu diskutieren.
Eine elektrisierende Atmosphäre. Am Montag, den 13. März, versammelten sich 600 Menschen in einer überfüllten Pariser Bourse du Travail – dem zentralen Gebäude der Pariser Gewerkschaftsbewegung. Die Anwesenden folgten dem Aufruf des „Netzwerks für den Generalstreik“, in einem großen Treffen darüber zu diskutieren, wie man Macrons Rentenreform zurückschlagen kann. Laura Varlet leitete das Treffen ein und erinnerte an die Ziele des Netzwerks: „Sich zum Ziel setzen, konkret über die Strategie und die Aktionen nachzudenken, um zu gewinnen“. Dieses Netzwerk umfasst bereits zahlreiche Sektoren: SNCF (Eisenbahn), RATP (Pariser Nahverkehr), Total-Raffinerien, Sidel Le Havre (Verpackungsindustrie), Müllabfuhr, Kanalisation, Onet (Reinigung), Orano (Atomkraftzuliefer), Flughafen Roissy, Stellantis (Metall), Geodis, Energie, Atomkraft, Luft- und Raumfahrt, Gesundheit, Bildung, Post, Lebensmittelindustrie, Handel, antirassistische Kollektive CSP75, Rechtsanwälte, Intellektuelle.
Die Versammlung war also sowohl ein Treffpunkt als auch eine offene Diskussion über den Stand der Bewegung gegen die Rentenreform. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Frage, wie die Sackgasse überwunden werden kann, in die die Intersyndicale – der Zusammenschluss der großen Gewerkschaftsbürokratien – die Bewegung führt.
„Wir sind zu nett! Wir müssen einen Gang hochschalten und das Land blockieren!“
Wenn es einen Star des Abends gab, dann waren es die Pariser Müll- und Kanalisationsarbeiter:innen. Sie haben schon seit dem 7. März die Müllverbrennungsanlagen stillgelegt und blockieren die Müllabfuhr. Erst nach über einer Minute Standing Ovations konnte Julien, Müllwerker im Pariser Rathaus, das Wort ergreifen: „Seit letztem Montag haben wir die Müllverbrennungsanlage in Ivry in der Hand, und das Personal der Verbrennungsanlage streikt zu 100 Prozent, und die CGT Transports des privaten Müllabfuhrunternehmens Pizzorno streikt ebenfalls. Drei der vier Standorte des Unternehmens TIRU werden bestreikt, und sie sind gezwungen, die Müllcontainer nach Claye Souilly [50 km von Paris entfernt] zu schicken, um den Müll dort zu vergraben“.
Was alle Teilnehmer:innen des Abends vereinte, war der Wille, weiter zu gehen und über den bisherigen Rhythmus von Demonstrationen an vereinzelten Streiktagen hinauszugehen. „Trotz der Demonstrationen, die wir in Paris haben, ist das Ergebnis gering. Was wir fordern, sind echte Blockaden an strategischen Standorten wie Roissy, wo wir Schaden anrichten können“, sagte Tayeb Khouira, Sprecher von Sud Aérien am Flughafen Roissy Charles de Gaulle, gleich in seiner ersten Rede. Alles blockieren, das Land wirklich zum Stillstand bringen: Das ist der Wunsch, der aus allen Redebeiträgen spricht. „Wir sind zu nett: die Demos, die Schweigemärsche, die kleinen Lieder, die Choreografien: Wir müssen aufhören! Wir müssen einen Gang hochschalten und das Land blockieren, die strategischen Standorte: die Autobahnen, die Eisenbahn, die Flughäfen“, erklärte Djamel Abdelmoumni, Busfahrer bei Transdev, auf dem Podium. Der Philosoph Frédéric Lordon fügte hinzu: „Bitte, genug von den Rufen nach Republik und Nation“.
Verallgemeinerung des verlängerbaren Streiks: Warum und wie?
„Die Stunde der Wahrheit kommt näher, für alle: Macron, die Gewerkschaften und die Arbeiter:innen“, betonte Frédéric Lordon. „Wenn das Gesetz verabschiedet ist und Macron uns ein letztes Mal den Mittelfinger zeigt, was kann die Intersyndicale dann noch tun, außer festzustellen, dass ihre Methode auf Annahmen des demokratischen Anstands beruhte, die alle absolut falsch sind?“ In allen Redebeiträgen wurde die Strategie der in der Intersyndicale zusammengeschlossenen Gewerkschaftsführungen kritisiert. Stattdessen wurde die Notwendigkeit hervorgehoben, den verlängerbaren Streik, den es in mehreren Sektoren bereits gibt, auf die gesamte Arbeiter:innenbewegung auszudehnen.
Adrien Cornet fragte: „Wir schicken ihm einen Brief, aber wozu? Macron ist der Knüppler der Gelbwesten, er ist derjenige, der unsere Streikposten angreift, indem er die Polizei gegen die Arbeiter:innen der Raffinerien, der Müllabfuhr und der RATP-Depots schickt. Macron ist derjenige, der Gymnasiast:innen 36 Stunden in Polizeigewahrsam nimmt. Von Macron können wir nichts erwarten. Die einzige Kraft, die wir haben, ist der Streik. Es ist nicht die Zeit und war auch nie die Zeit, ein Referendum von jemandem zu verlangen, der den ganzen Tag von der Durchsetzung der Rentenreform per Dekret spricht“. Hingegen erklären die Gewerkschaftsführungen, sie wollen die demokratische Abstimmung respektieren, falls das Gesetz die Nationalversammlung passiert. Damit kündigen sie de facto an, dass sei die Bewegung ab Donnerstagabend alleine lassen werden. Jedoch zeigte eine Umfrage kürzlich, dass 55 Prozent der Befragten wollten, dass die Bewegung nach der Abstimmung über das Gesetz fortgesetzt wird.
Angesichts dieser Sackgasse bot das Treffen für den Generalstreik am Montag die Gelegenheit, eine andere Strategie zu entwerfen. Für die Redner:innen war die Sache klar: Das Land muss blockiert werden, nicht durch immer mehr Blockadeaktionen von außen, sondern durch vermehrte Streiks in den Betrieben, durch die Ausweitung der erneuerbaren Streiks, die sich bei den Eisenbahner:innen, Raffinerie-Arbeiter:innen, Müllwerker:innen und Arbeiter:innen der Energiekonzerne bereits etabliert haben. „Wir haben es den Kolleg:innen gesagt: Wir sind nicht für den Stellvertreterstreik, weil wir von Anfang an wussten, dass es keine Stellvertreterreform sein wird“, warnt Anasse Kazib im Abschluss der Veranstaltung. Anschließend ging er auf die Notwendigkeit ein, den verlängerbaren Streik durch Ausweitung der Forderungen zu erweitern: „Es besteht die Notwendigkeit, den verlängerbaren Streik überall aufzubauen und keinen einzigen Sektor auszulassen. Die prekär beschäftigten Kolleg:innen, die undokumentierten Migrant:innen, sie betteln nicht. Sie fordern lediglich, dass ihre Forderungen auf den Tisch gelegt werden. Wie will man die gesamten Bataillone der Arbeiter:innenbewegung in den Kampf einbeziehen, wenn man nicht mit ihnen diskutiert und sich nicht um ihre Forderungen kümmert? Alle reden über die Inflation und nur die Intersyndicale sieht das nicht. Die Menschen wollen für etwas kämpfen, das ihr Leben verändern wird, also müssen Forderungen nach Löhnen und deren Anpassung an die Inflation hinzugefügt werden“.
Die Lohnfrage: „Das ist die siegreiche, übergreifende, vereinende Forderung“
Eine weitere wichtige Herausforderung, die von vielen Redner:innen betont wurde, ist die Verbindung zwischen den Lohnforderungen und der Rentenfrage. Nordine Kebbache, Beschäftigter bei Transdev Aéropiste am Flughafen Roissy, brachte dies zum Ausdruck: Er und seine Kolleg:innen versammelten sich in einer Streikversammlung, um über die Verlängerung des Streiks nach dem 7. März abzustimmen, wobei sie 300 € mehr Lohn und die Eingliederung von Leiharbeiter:innen forderten. Ähnlich klingt es an den Tankstellen von Total: Djamila Mehidi berichtet, wie sie und ihre Kolleg:innen am Internationalen feministischen Kampftag einen Streik begannen, um die gleichen Bedingungen wie ihre Kolleg:innen in den Raffinerien zu fordern. Ein Streik, der am 8. März an 24 Stationen begann und am nächsten Tag auf 12 weitere ausgeweitet wurde.
„Wann wird die Intersyndicale dem Kampf gegen die Rentenreform den Kampf um die Kaufkraft hinzuzufügen?“, fragte Frederic Lordon auf dem Podium. „Das ist die siegreiche, übergreifende, vereinigende Forderung“. In der Strategie der Gewerkschaftsführungen der Intersyndicale der letzten zwei Monate haben sich Laurent Berger, Chef der CFDT, und die übrigen Gewerkschaftsführer:innen systematisch geweigert, Lohnforderungen in den Mittelpunkt der Bewegung zu stellen. „Wir müssen Renten und Löhne miteinander verbinden, und das ist entscheidend, um prekär Beschäftigte wie die von Argedis [Total-Tochter, die Tankstellen betreibt] zu mobilisieren. Mit dieser Strategie können wir gewinnen, und wir müssen gewinnen“, sagt Adrien Cornet, Feuerwehrmann bei Total Grandpuits, der berichtet, wie er und seine Kolleg:innen mit den Zulieferer:innen seiner Raffinerie und den umliegenden Unternehmen diskutiert haben, um jede:n einzelne:n Arbeiter:in davon zu überzeugen, dass der Kampf gegen die Reform und für bessere Löhne ein und derselbe Kampf ist.
„Die Stärke unserer Bewegung besteht darin, dass sie politisch ist und über die reine Rentenfrage hinausgeht!“
Doch härter zu kämpfen reicht nicht aus. Für die Redner:innen auf dem Podium geht es auch darum, sie zu politisieren und die Forderungen, die sie stellt, zu erweitern. Ariane Serge, Studierendenvertreterin an der Universität Paris 1 Panthéon Sorbonne, betont diesen Punkt: „Im Gegensatz zu dem, was Berger sagt, wenn er sagt, dass die Bewegung absolut nicht politisiert werden darf, besteht die Stärke der Jugend darin, dass unsere Mobilisierung politisch ist und weit über die Rentenreform hinausgeht. Wir mobilisieren für die Ökologie, den Feminismus, gegen sexistische und sexualisierte Gewalt, gegen Polizeigewalt und Prekarität“. Eine Reform, die also eine Jugend berührt, die von der Covid-Krise voll getroffen wurde und die die Arbeits- und Studienbedingungen und die Prekarität, die sie erleiden, nicht mehr ertragen kann, während die Abgeordneten der Nationalversammlung es ablehnen, die Preise der Mensen zu senken.
Die Notwendigkeit, migrantische und undokumentierte Arbeiter:innen in den Kampf gegen die Rentenreform einzubeziehen, wurde ebenfalls prominent angesprochen. Da in Frankreich sieben Millionen Migrant:innen leben und das Innenministerium die Zahl der undokumentierten Migrant:innen auf 600.000 schätzt, ist die Frage der Einheit zwischen diesen sehr prekären Arbeiter:innen und dem Rest der Bewegung gegen die Rentenreform von zentraler Bedeutung. Mariama Sidibe vom Sans-Papiers-Kollektiv 75 erklärte auf dem Podium: „Ich kann euch nicht sagen, dass die Renten die Sans-Papiers nicht betreffen. Natürlich betrifft es uns. Aber bevor wir um die Rente kämpfen, sagen wir zuerst: die Papiere!“ Tayeb Khouira stimmt dem zu: „Diese Reform scheint ungerecht und diskriminierend zu sein: Man vergisst oft die migrantischen Arbeiter:innen, die nicht genug Beiträge gezahlt haben, und diese gehen erst mit 70 Jahren in Rente.“ Denn wenn sie nicht sehr jung in Frankreich ankommen und ihre Papiere erst im Alter von 20 Jahren erhalten, arbeiten Zehntausende von Sans-Papiers schwarz, ohne Vertrag und somit ohne Beiträge. Das sind Arbeitsjahre, die nicht auf ihre Rente angerechnet werden.
Die Versammlung endete schließlich mit Aktionsvorschlägen. Zunächst wurde dazu aufgerufen, sich dem Netzwerk für den Generalstreik anzuschließen, das sich am kommenden Wochenende treffen wird, um über die weiteren Schritte der Bewegung zu diskutieren. Zweitens, am 16. März vor der Nationalversammlung zu demonstrieren und es nicht der Intersyndicale zu überlassen, daraus nur eine „symbolische“ Aktion zu machen.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Französisch auf unserer Schwesterseite Révolution Permanente.