„Flugscham“, CO2-Steuer oder Verstaatlichung?
In den vergangenen Wochen wurde viel über Fliegen und Klimawandel diskutiert: Schüler*innen demonstrierten am Stuttgarter Flughafen, Kolumnist*innen schrieben über "Flugscham" und Bernd Riexinger (Linkspartei) forderte die Verstaatlichung der Fluglinien. Welche Alternative brauchen wir – und wie setzen wir sie durch?
Die Debatte über den Kampf gegen den Klimawandel bewegt sich zwischen drei großen Vorschlägen: zum Ersten die Logik des Verzichts – ausgedrückt vor allem durch individuellen Konsumwandel –, zum Zweiten die Durchsetzung einiger begrenzter Reformen – wobei der prominenteste Vorschlag die Einführung einer CO2-Steuer ist –, oder zum Dritten die vollständige Umstrukturierung der Wirtschaft, angefangen mit Verstaatlichungen der Schlüsselindustrien und des Transports, in der Perspektive einer sozialistischen Wirtschaft, die demokratisch und nachhaltig funktioniert.
Lange Zeit bewegte sich die Diskussion hauptsächlich zwischen den ersten beiden Polen; daran konnte auch Fridays for Future (FFF) bislang nichts ändern. Trotz der Aufnahme der Methode des Streiks und einiger rhetorischer Anklänge eines antikapitalistischen Programms in Teilen der Bewegung bewegt sich die Perspektive von FFF zum Großteil im Rahmen von Reformen. Diese sind zwar zum Teil durchaus ambitioniert (wie der Widerstand der Kohle- und Autolobby immer wieder beweist), aber tasten den Kern der profitorientierten Wirtschaft nicht an.
Angesichts dessen ist es auch nicht verwunderlich, dass der Konsumverzicht für einen wichtigen Teil der Bewegung im Zentrum steht: Wenn eine Perspektive der tatsächlichen Umwälzung der kapitalistischen Produktion so weit entfernt scheint, bleibt nur die Hoffnung auf die möglichst starke Verringerung des eigenen „Carbon Foot Print“. Die Debatte um das Fliegen ist der wichtigste Ausdruck dieser Tendenz. Zu Ferienbeginn demonstrierten FFF-Aktivist*innen zum Beispiel auf dem Stuttgarter Flughafen gegen das Fliegen. Ihre Forderung: Flugverzicht, notfalls durchgesetzt durch höhere Steuern.
Ein Korrelat dieser Haltung ist die Verbreitung von „Flugscham“, also „das Gefühl, das Menschen aus einem bestimmten Kulturkreis empfinden können, wenn sie trotz ihrer Sorgen um das Klima immer noch in den Urlaub oder auf Dienstreise fliegen“, wie Tadzio Müller schreibt.
Das größte Problem dabei: Die Politik der Scham ist nichts weiter als eine moralische Kontrollinstanz, die – durch Abwesenheit einer weitergehenden Perspektive – zu einer Strategie wird, die zutiefst massenfeindlich ist. „Wer Scham zur allgemeinen Klimaschutzstrategie machen will, läuft nicht nur Gefahr, eine Art Victorian Age der repressiven Umweltpolitik zu produzieren, sondern produziert darüber hinaus noch viele kleine Rechtspopulist*innen. Pride, Stolz, ist eine vorhersagbar-kämpferische Antwort auf Shaming, ebenso wie das sarrazinesque ‚Das wird man ja wohl noch (x) dürfen‘ eine nachvollziehbar-bockige Antwort darauf ist.“
Vor diesem Hintergrund ist es ein Fortschritt, dass Linkspartei-Vorsitzender Bernd Riexinger letzte Woche mit seiner Forderung nach einer Verstaatlichung von Fluggesellschaften für viel Wirbel gesorgt hat. In einem Interview sagte er: „Was so dramatische gesellschaftliche Folgen haben kann, darf nicht marktwirtschaftlich und unreguliert bleiben. Fluggesellschaften gehören in staatliche Hand – genauso wie die Energieversorgung oder die Bahn“.
Damit springt er auf den Zug auf, der Enteignung als populäre Forderung aufwirft, wie sie von Kühnert und der Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ erfolgreich vorgeführt wurde. Die Enteignung ist das neue Schreckgespenst der bürgerlichen Ordnung und so hat auch die FAZ als bürgerliches Leitmedium schnell für sich erkannt, was Riexingers Forderung ist: „sozialistischer Quatsch“.
Die Antwort der Verstaatlichung der Fluggesellschaften ist völlig richtig, auch wenn die Reflexe der bürgerlichen und der liberalen Feuilletons programmiert waren. Sie muss jedoch eingebettet sein in eine Politik der Verstaatlichung des gesamten Verkehrssektors sowie der Schlüsselindustrien.
Nur: Wie setzen wir erstens die Verstaatlichung durch und sorgen zweitens dafür, dass sie nicht einfach nur eine Verwaltung in staatlicher Hand im Kontext einer weiterhin marktförmigen kapitalistischen Wirtschaft bleibt? Denn es ist klar, dass eine Verstaatlichung allein nicht automatisch die notwendigen Reformen mit sich bringt. Die Sparpolitik im Schienennah- und Fernverkehr spricht hier Bände.
Für eine wirklich nachhaltige Verkehrspolitik, bedarf es einer vollständigen Verstaatlichung des Verkehrssektors, ohne Entschädigungszahlungen an die Bosse und unter der demokratischen Verwaltung der Beschäftigten und der Kontrolle der Nutzer*innen. Nur so kann ein Ausbau, bezahlt von den Bossen, garantiert werden.
Die Sparpolitik der Deutschen Bahn hat zu nichts anderem geführt, als dass ein Großteil des Güterverkehrs von der Schiene auf die Straße verlegt wurde. Um profitabler zu wirtschaften, wurden zahlreiche Unternehmen vom Gleisnetz gekappt. Stattdessen konzentrierte man sich auf den Hochgeschwindigkeitsfernverkehr. Das Profitstreben in den Managementebenen des DB-Konzerns hat dazu geführt, dass Inlandsflüge teilweise günstiger sind als die Bahn. Nicht Inlandsflüge müssen teurer werden, wie jüngst von Umweltministerin Svenja Schulze gefordert, sondern der Schienenverkehr in Deutschland muss anders organisiert werden.
Leider können sich auch linke Kolumnist*innen häufig nicht vorstellen, wie diese Umstrukturierung tatsächlich durchgesetzt werden kann. Ein Beispiel dafür ist der Kommentar von Elsa Koester in der Wochenzeitung Der Freitag zu Riexingers Vorschlag: „Dass die Demokratisierung der Wirtschaft aber nicht die Lösung für alle klimapolitischen Probleme ist, zeigt das Beispiel der Fluggesellschaften: Was soll der Staat als Besitzer denn machen? Weniger Flüge anbieten? Auch das funktioniert doch nur, wenn die Bevölkerung damit einverstanden ist, weniger zu fliegen; der Staat kann dies fördern, aber nicht erzwingen, das zeigen die Gelbwesten.“ Während Koester richtigerweise die antikommunistischen Beißreflexe von FAZ, SZ und Co. gegen Riexingers Vorstoß anprangert, bleibt sie letztlich selbst in der Vorstellung gefangen, dass die Alternative zum Kapitalismus eine bürokratisch von oben verordnete Staatswirtschaft sein muss, wie sie der Stalinismus praktizierte.
Sicher: Auch eine demokratisch organisierte und kontrollierte Planwirtschaft garantiert nicht unbedingt eine nachhaltige Wirtschaftsweise. Doch nur mit der demokratischen Kontrolle des gesamten Verkehrswesens treten Verkehrsträger nicht mehr als Konkurrenten zueinander auf, in einem nie enden wollenden Preiskampf, zu Lasten der Umwelt und der Beschäftigten. Bus und Bahn, Flugzeug, sowie der Transport per Schiff und LKW müssen in sich ergänzender Art und Weise miteinander verbunden werden. Das kann nur im Rahmen eines demokratischen Wirtschaftsplans unter Kontrolle der Beschäftigten geschehen.
Aber auch weltweit muss der Handelsverkehr im Sinne der Beschäftigten umstrukturiert werden. Schließlich macht der Containerverkehr auf den Weltmeeren einen Großteil der weltweiten Treibhausgas-Emissionen aus. Also muss die ganze Weltwirtschaft von Grund auf umgekrempelt werden.
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Doch klar ist: Ohne den Aufbau einer klassenkämpferischen Strömung in der Arbeiter*innenbewegung (auf internationaler Ebene) wird kein ambitioniertes Klimaziel zu erreichen sein.
Deshalb ist der Aufruf zu einem „Klima-Generalstreik“ am 20. bzw. 27. September so zentral. Er ist ein Anker dafür, dass die Fridays-for-Future-Bewegung eine systematische Politik gegenüber den Gewerkschaften und der Arbeiter*innenbewegung beginnt. Die Voraussetzungen sind eigentlich gut, wenn selbst linksbürgerliche Prominente wie Joko Winterscheidt zum Streik aufrufen. Aber es gibt niemanden, der einen solchen politischen Streik als Organisation vorantragen oder fordern würde. Und so können Teilfragen wie die Debatte um das Fliegen letztlich ablenkend wirken vom großen Elefanten im Raum: der Abwesenheit der Gewerkschaften im Streik um die Zukunft.
Die Gewerkschaftsführungen reden sich mit dem Verweis auf das eingeschränkte Streikrecht in Deutschland heraus – wie auch schon beim Frauen*streik. Deshalb reicht es nicht aus, große Aufrufe zu machen, sondern es muss eine systematische Politik an der Basis der Gewerkschaften stattfinden, um Arbeiter*innen für einen Streik zu organisieren und diesen Streik gegen die Gewerkschaftsbürokratien durchzusetzen. Der erste Schritt dafür wäre, dass die FFF-Bewegung auf die Lehrer*innen und Sozialpädagog*innen an den Schulen zugeht und sie für einen gemeinsamen Streik organisiert. Wenn nicht nur hunderttausende Schüler*innen, sondern auch zehntausende Lehrer*innen in ganz Deutschland streiken würden, wäre das ein wichtiges Signal, um auch weitere Sektoren der Arbeiter*innenbewegung zu inspirieren. Nur so lässt sich ein wirklicher Generalstreik durchsetzen, damit die Kapitalist*innen die Klimakrise bezahlen.