Ferat Kocak: “DIE LINKE darf nicht weiter Richtung SPD und Grüne abdriften.”

14.12.2021, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Ferat Kocak

Wir haben mit dem Neuköllner Aktivisten und Abgeordneten für die Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus Ferat Kocak über die laufende Abstimmung zum Rot-Grün-Roten Koalitionsvertrag gesprochen.

Bis Freitag läuft noch eine Mitgliederabstimmung in der Partei DIE LINKE über die Annahme oder Ablehnung des Koalitionsvertrages in Berlin. Wie bewertest du den Vertrag?

Wie die Chefin der Berliner SPD Frau Giffey: der Koalitionsvertrag hat eine „Sozialdemokratische“ Handschrift. Berlin soll zu einer „Zukunftshauptstadt“ wie Paris oder London umgestaltet werden, wo Menschen mit geringeren Einkommen und von Rassismus Betroffene es sich nicht mehr leisten können, in der Innenstadt zu wohnen. Die Law & Order Politik, die weiter ausgebaut werden soll, fließt in die Stadtplanung mit ein. Während der Karstadt am Neuköllner Hermannplatz vom Milliardär Benko umgebaut werden soll, werden wir in der Sonnenallee mit rassistischen Razzien terrorisiert. Wir haben als DIE LINKE gesagt „wir holen uns die Stadt zurück“ – aber so funktioniert das nicht. Mit der Umsetzung des Volksentscheides „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ (DWE) können wir uns die Stadt zurückholen. Dass dessen Umsetzung im Vertrag nicht festgeschrieben ist, und stattdessen ein Runder Tisch mit den Immobilienkonzernen gebildet werden soll, ist ein klares Zeichen.

Im Wahlkampf hat sich Franziska Giffey ja klar gegen den Volksentscheid ausgesprochen und jetzt möchte DIE LINKE einen Koalitionsvertrag unterschreiben, der lediglich eine Expert:innenkomission vorsieht, die bis 2023 prüfen soll, ob eine Enteignung möglich ist, oder nicht. Trägt DIE LINKE damit nicht eine Verschleppungstaktik mit?

Der Volksentscheid hat weit über eine Millionen Stimmen bekommen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass aufgrund des rassistischen Wahlrechts fast ein Drittel der Berliner:innen nicht wählen dürfen. „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ hat mehr Stimmen bekommen als R2G! Eigentlich hat DWE einen Regierungsauftrag. Der reformistische Flügel der Linkspartei sagt, es wäre fatal, nicht zu regieren. Ich glaube, es ist ein fatales Signal, die Verschleppungsstrategie der SPD mitzutragen. Wir machen uns als DIE LINKE unglaubwürdig, wenn wir im Punkt der Vergesellschaftung nicht hart bleiben.

Wie möchte die neue Koalition eine „Law & Order“ Politik weiter ausbauen?

Mit mehr Videoüberwachung, einer Ausweitung der „Gefahrenzonen“ und mehr Personal für Polizei und Verfassungsschutz. Dabei wollen wir doch als DIE LINKE den Geheimdienst abschaffen! Mehr Polizei stand leider auch schon im Wahlprogramm unserer Partei. Ich durfte als neues Mitglied der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus den Bereich Innenpolitik nicht mitverhandeln. Wahrscheinlich, weil ich für eine radikale Kürzungspolitik der Haushaltsmittel für Polizei und Verfassungsschutz stehe, weil wir Sicherheit nicht über Polizei definieren dürfen sondern die sozialen Aspekte von Sicherheit stärker fokussieren müssen. Ich stehe für #defundthepolice und finde auch die Debatten über eine Gesellschaft ohne die Polizei wichtig und bin mitbegründer der Initiative “Ihr seid keine Sicherheit”. Mit diesem Koalitionsvertrag trägt DIE LINKE zu einer Ausweitung rassistischer Polizeigewalt mit bei. Zwar sollen Polizist:innen zukünftig auf Anfrage von Betroffenen ihre Maßnahmen quittieren, um rassistische Kontrollen danach anzeigen zu können. Aber ein solches „Ticketsystem“ nach Bremer Vorbild wurde nie von der antirassistischen Bewegung gefordert. Und bringt auch nichts, wie mir Aktivist:innen aus Bremen berichtet haben. Wahrscheinlich wird das Ticketsystem nur dazu führen, dass für den bürokratischen Aufwand noch mehr Polizei gefordert wird. An der Praxis der Polizei, Racial Profiling trotz Verbot anderweitig zu rechtfertigen oder bei rassistischer Polizeigewalt sich gegenseitig zu decken, wird auch eine Quittung nichts ändern.

Wie hast du beim Mitgliederentscheid der Linkspartei über den Koalitionsvertrag. abgestimmt?

Ich habe natürlich mit einem klaren Nein gestimmt. DIE LINKE darf nicht immer weiter Richtung SPD und Grüne abdriften. Das ist der Grund, warum wir auf Bundesebene so viel verloren haben. Bei Hochrechnungen von fünf bis sechs Prozent hat uns die Parteiführung mit ihren „wir wollen unbedingt mitregieren“ Diskurs das Kreuz gebrochen. In den Berliner Wahlbezirken, wo wir eine starke Anbindung an die Bewegung haben – wie in meinem Wahlkreis in Neukölln – konnten wir stark dazugewinnen. DWE zeigt, dass radikale Politik in der Stadt Mehrheiten hat. Deshalb müssen wir radikaler an linken Haltelinien festhalten und laute Stimmen an der Seite der Leute sein, die weggentrifiziert werden. In der Regierung wird man uns ruhigstellen, um den Koalitionsfrieden zu sichern.

Mit der Plattform „Zusammen für eine linke Opposition in Berlin“ macht ihr derzeit Kampagne für eine Ablehnung des Koalitionsvertrages. Denkst du, ihr könnt eine Mehrheit der Mitglieder davon überzeugen?

Ich bin nicht Teil der Kampagne, aber ich unterstütze sie. Das letzte Mal hat eine sehr große Mehrheit der Mitglieder für eine Koalition gestimmt. Mit der gemeinsamen Kampagne können wir mehr Mitglieder für ein Nein überzeugen, weil wir eine oppositionelle Linke brauchen. Aber viele werden sich nach all den Jahren in der Regierung nicht vorstellen können, wie Oppositionspolitik möglich ist und deshalb mit „Ja“ stimmen. Ich glaube nicht, dass wir eine Mehrheit für ein „Nein“ zu Stande bekommen. Aber eine starke Minderheit kann ein Zeichen Richtung SPD senden, dass sie nicht alles machen können, wenn sie eine stabile Regierung wollen. Und es wäre auch ein Signal an die Bewegungen. Mit einem starken Nein können wir dann auch laut gegen Räumungen und Abschiebungen protestieren. Gegen die Privatisierung der S-Bahn, für mehr Personal an Krankenhäusern, eine Rückführung der öffentlichen Tochterunternehmen, gegen rassistische Polizeigewalt und für eine Umsetzung des Volksentscheides.

Die Lautstärke des Protestes innerhalb der Linkspartei gegen eine neoliberale Politik der SPD und Grünen wird mit diesem Mitgliederentscheid bestimmt. Deshalb rufe ich alle dazu auf. Stimmt mit NEIN!

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