Feministische Blockierer vor Gericht
// Zwei Gegner eines reaktionären Aufmarschs standen in Berlin vor Gericht //
Jedes Jahr im September erlebt Berlin ein reaktionäres Spektakel: Beim „Marsch fürs Leben“ versammeln sich Tausende AbtreibungsgegnerInnen und tragen weiße Kreuze durch die Straßen. Man könnte sie für vereinzelte Spinner halten, „doch es handelt sich um politisch einflussreiche Akteure von der AfD bis hin zur Jungen Freiheit“, so Kate Cahoon vom „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“. Die prominenteste Teilnehmerin ist Beatrix von Storch, Europaabgeordnete der AfD, aber auch führende Mitglieder der Union und der katholischen Kirche schicken Grußbotschaften.
Gegen den „Marsch fürs Leben“ fanden 2014 erneut Kundgebungen und Sitzblockaden statt – mehrere tausend Menschen kämpften damit für das Recht von Frauen, über ihren eigenen Körper zu entscheiden. Doch die Polizei ging mit voller Härte gegen die Blockaden vor. „Im Zweifel steht der Staat auf der Seite der christlichen Fundamentalisten“, erklärte Cahoon. Nun schlägt die Berlin Staatsanwaltschaft gegen friedliche Blockierer zu: Ende voriger Woche mussten sich zwei junge Männer vor Gericht verantworten.
„Körperverletzung“ lautete der Vorwurf gegen einen 19jährigen Angeklagten vor einem Berliner Amtsgericht am Donnerstag. Er sollte eine Polizistin in den Hintern getreten haben – wobei die Beamtin laut eigenen Angaben keinen Schmerz empfand. Sie hatte den Beschuldigten nicht gesehen, aber ihr Zugführer wollte die Szene genau beobachtet haben. In den Augen des Polizisten sei der junge Mann „leicht zu merken“ gewesen – auch der Richter sekundierte, dieser habe „kein Allerweltsgesicht“. Beide ließen das Offensichtliche unerwähnt: Der Aktivist hatte dunkle Hautfarbe. Vermutlich fiel er auf, als die Polizei nach potentiellen Opfern suchte. Er wurde nach Jugendstrafrecht zu 32 Sozialstunden verurteilt. Eine Einstellung wäre möglich gewesen, wenn er sich entschuldigt hätte, aber er lehnte dies ab.
In einem zweiten Prozess am Freitag ging es leicht absurder zu. Beim Aufmarsch hatte ein gigantischer Polizist einen 20jährigen von hinten gepackt, um ihn festzunehmen. Dabei soll sich der schmale Student gedreht haben. „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ lautete der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, obwohl der festnehmende Beamte erklärte, dass diese Drehung mit geringem Kraftaufwand erfolgte. Er konnte sich auch nicht an die Größe der Demonstration erinnern: Er schätzte sie auf lediglich 500 TeilnehmerInnen. Im Fall des Studenten wurde die Anklage nach einer Ermahnung eingestellt.
Unerwähnt bei beiden Prozessen blieben die unzähligen Frauen rund um die Welt, die jedes Jahr aufgrund des Verbots von Abtreibung verletzt werden oder sogar sterben. Statt sich darum zu kümmern, macht der deutsche Staat Platz in der Bannmeile des Bundestages sowie im Berliner Lustgarten Platz für frauenfeindliche und homophobe Einstellungen. Am 19. September ist ein weiterer Aufmarsch der Abtreibungsgegner geplant, auch Sitzblockaden sind vorgesehen.
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