Faschisierung, Die Linke und die Linken

06.03.2025, Lesezeit 15 Min.
Gastbeitrag

Analyse und Perspektiven des Comebacks der Partei Die Linke. Ein Gastbeitrag von David Ernesto García Doell.

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Foto: Martin Heinlein, CC BY 2.0, via Flickr.com

Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, dass der Ausnahmezustand, in dem wir leben, die Regel ist. Wir müssen zu einem Begriff der Geschichte kommen, der dem entspricht. Dann wird uns als unsere Aufgabe die Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezustands vor Augen stehen; und dadurch wird unsere Position im Kampf gegen den Faschismus sich verbessern.

Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte

Ende 2024 traf ich zufällig zwei Genoss:innen, die relativ lapidar über die Frage berieten, ob Die Linke nun (endlich) abgewickelt würde. Nach dem Motto: Warum überhaupt noch die jämmerliche Existenz verlängern? In kommunistischen Kontexten schien das Interesse an der Partei oder deren Niedergang gegen Null zu gehen.

Klar, Die Linke hatte über Jahrzehnten in den Ländern allerhand kapitalistischen Alltag und besonders Schreckliches zu verantworten, vom Verkauf von Sozialwohnungen in Berlin über Abschiebungen bis zur Zustimmung zum Polizeigesetz in Brandenburg oder zuletzt dem skandalösen und rassistischen Ausschlussverfahren gegen Ramsy Kilani. Zu den schlechten Umfragewerten von etwa drei Prozent kam aber auch eine allgemeine Zahmheit, die sich in der Vorstellung ausdrückte, dass man irgendwie am liebsten Wahlen in der Mitte gewinnen wolle, wie es Bodo Ramelow in Thüringen mal vorgemacht habe. Dass die AfD auch in Thüringen mittlerweile stärkste Kraft ist und bei der Bundestagswahl Richtung absolute Mehrheit marschiert, wurde dabei eher weniger thematisiert. Was der Unterschied zu SPD oder Grünen wäre, konnte kaum mehr beantwortet werden.

Kaum drei Monate später feiert Die Linke zehntausende Neueintritte und ein Bundestagswahlergebnis von 8,7 Prozent. Bei den 18-30-Jährigen (Gen Z) wurde man gar stärkste Kraft, bei jungen Frauen war Die Linke sogar mit Abstand stärkste Kraft. In Berlin gab es die meisten Zweitstimmen und vier (!) Direktmandate. Mit dem Erdrutschsieg von Ferat Koçak in Berlin-Neukölln holte man das erste Direktmandat im ehemaligen Westdeutschland in einem migrantischen Arbeiter:innen-Stadtteil. Auch bei Musli:immen wurde die Linkspartei vor der SPD stärkste Kraft, die AfD kam hingegen nur auf sechs Prozent. Im geographischen Westen holte man in vielen Ländern das beste Wahlergebnis seit Bestehen der Partei. Die Linke scheint als gesamtdeutsche, weibliche, migrantische, junge Partei neu geboren. Wie kommt diese Comeback zu Stande?

I) Krise des Spät-Kapitalismus

Seit der Finanzkrise 2008 steckt der globale Kapitalismus in einer strukturellen Dauerkrise. Die soziale Ungleichheit hat zugenommen, die Reallöhne stagnieren oder sinken, während Preise für Mieten, Energie und Lebensmittel explodieren.

Diese Krise wurde lange von rechts artikuliert: vom Aufstieg Trumps bis zu Meloni, von Le Pen bis zur AfD. Während die bürgerlichen Parteien darauf nur mit Phrasen reagierten, gelang es der Partei Die Linke erstmals seit Jahren, zumindest eine sozialdemokratische Gegenantwort in der breiten Öffentlichkeit zu platzieren: von den Lebensmittelpreisen über Vermögenssteuern bis zu mehr Geld für Pflege und Rente. Begriffe wie „sozialer Antifaschismus“ gewannen an Bedeutung: Die Faschisierung wächst nicht isoliert, sondern im Kontext kapitalistischer Verarmung und der Erosion sozialer Sicherheiten.

Blicken wir zurück, konnten seit 2008 zunächst linke Bewegungen von Occupy Wallstreet bis zu den Indignados („Empörte“) in Spanien eine antikapitalistische Zuspitzung herbeiführen. Nachdem diese Bewegungen allerdings entweder diffundierten oder wie Syriza in Griechenland in den Staatsapparaten aufgingen und an der Regierung jegliche Glaubwürdigkeit verloren, gab es seit den 2010er Jahren einen krassen Anstieg der extremen Rechten von Le Pen bis Trump und von Meloni bis Weidel. Dieser Anstieg bestimmte neben dem Scheitern der Ampelkoalition die Situation des Vorwahlkampfs. Friedrich Merz wollte die Faschisierung mit dem sogenannten „Zugstrombegrenzungsgesetz“ – auch zum Schaden der eigenen Partei – noch schneller vorantreiben, als seine sicher scheinende Kanzlerschaft es in Aussicht stellte.

Auf diese objektive Krise der Verarmung der Massen und dem Einreißen der sogenannten „Brandmauer“ durch die Merz-Union, konnte Die Linke endlich wieder ihr eigenes Wähler:innenpotenzial mobilisieren und bekam vier Millionen Stimmen. Von SPD und Grünen konnte Die Linke über eine Million Wähler:innen gewinnen. Es gelang aber auch, über 300.000 vorige Nicht-Wähler*innen zu mobilisieren. Die Verbindung der beiden Themen wurde auf den Begriff des „sozialen Antifaschismus“ gebracht. Nur Die Linke würde die sozialen Bedingungen für das Erstarken des Faschismus bearbeiten, während der Antifaschismus von SPD und Grünen scheinheilig und falsch sei. Dass Die Linke im Regierungsfall die gleiche Enttäuschung herbeiführen würde wie SPD/Grüne, wissen die jungen Wähler:innen möglicherweise noch nicht.

II) Häuserwahlkampf statt Rassismus

Neben den objektiven Bedingungen spielten aber auch Veränderungen in der Wahlkampftaktik eine große Rolle. Das wichtigste Element dabei war eine Fokussierung auf den Häuserwahlkampf, wie ihn prominent Alexandria Ocasio-Cortez 2018/2019 in der Bronx vorgemacht hatte. Anstatt Wahlkampfveranstaltungen zu machen, zu denen ohnehin nur die besonders überzeugte Basis hin pilgert, oder sich in Talkshows an alle und keinen zu wenden, wird dabei einfach an alle Haustüren geklopft und direkt mit den Wähler:innen gesprochen. Besonders z.B. Die Linke Neukölln machte von diesem Konzept Gebrauch und klopfte wohl an weit über 100.000 Türen, mithin an fast alle des Wahlkreises. Das Ergebnis der Partei in Neukölln verdreifachte sich.

Möglich wurde diese erfolgreiche Wahlkampftaktik auch dadurch, dass endlich die Lähmung der eigenen Partei-Blockade überwunden werden konnte. Über Jahre hatte die „Hufeisen“-Allianz von Wagenknecht und „Reformer“-Flügel die Linkspartei terrorisiert. Die Fraktion in der Hand von Bartsch und Wagenknecht schoss regelmäßig gegen die eigene Partei und versuchte eine Annäherung an eine nationalistische Krisenbearbeitung zu leisten. Der deutsche Sozialstaat und Wirtschaftsstandort solle vor Migrant:innen verteidigt werden. Nicht der Klassenkampf von Kapital und Arbeit sei zuzuspitzen, sondern eine exklusive Sozialpartnerschaft für weiße Arbeiter:innen zu erreichen.

Dass ausgerechnet die ehemalige Hoffnungsträgerin der Kommunistischen Plattform mit den schlimmsten Reformer:innen paktierte, war für viele besonders bitter. Wagenknecht glaubte mit ein bisschen mehr Rassismus, ein bisschen mehr Schimpfen über Gendertoiletten und Klimakleber endlich die Massen der weißen Arbeiter zu erreichen. Für 5 Prozent reichte es dennoch nicht; besonders ironisch ist das insofern, als die Partei von Millionär:innen unterstützt wurde und das größte Argument gegen den Ausschluss von Wagenknecht aus der Partei Die Linke gelautet hatte, dass nur sie Wahlen gewinnen könnte.

Neben dem Häuserwahlkampf überarbeitete man aber auch die klassische Wahlwerbung. War auf Grund von ohnehin nur drei Prozent in den Umfragen kaum damit zu rechnen, in traditionellen Medien viel Sendezeit zu erhalten, konzentrierte man sich von Anfang auf Online-Angebote wie den Mieterrechner, der Mieter:innen direkte Hilfe anbot, und auf Botschaften auf Instagram und Tiktok. Mithin kam die Linke in der Welt der GenZ an und war die mit Abstand erfolgreichste Partei auf Instagram. Dieses Element, das sozusagen dem Anklopfen auf der Straße im Internet entspricht, das Anklopfen bei der GenZ an den Mobiltelefonen, wurde mit einem Wahlergebnis von über 20 Prozent in diesem Sektor belohnt. Man wurde vor der AfD, die lange die einzige erfolgreiche Partei auf Tiktok war, stärkste Kraft.

III) Das Wahlergebnis repräsentiert Faschisierung und Polarisierung zugleich

Das Wahlergebnis in der Gesamtschau drückt allerdings vor allem ein Erstarken der Rechten aus. Die Union machte mit dem arroganten Blackrock Merz und dem Einreißen der sogenannten „Brandmauer“ einen schlechten Wahlkampf. Wegen der krassen Unbeliebtheit der Ampel-Parteien, die alle deutlich an Stimmen verloren, genügt es mit 29 Prozent stärkste Fraktion zu werden (das zweitschlechteste Ergebnis der Union seit Bestehen der BRD). Die AfD verdoppelte ihr Ergebnis und kam auf 20 Prozent. Besonders besorgniserregend darf dabei in den Osten geblickt werden, wo die Rechtsextremen mit Abstastand stärkste Kraft wurden und annähernd 40 Prozent erreichen können. Neonazis dürften sich dadurch zu noch mehr Gewalt auf den Straßen ermutigt sehen. Besonders bitter dürfte auch darauf geblickt werden, dass die AfD mit über 38 Prozent die mit Abstand stärkste Kraft bei Arbeiter:innen ist, vor der zweitplatzierten Union mit 22 Prozent.

Die rechtsliberalen Parteien SPD, FDP und Grüne versuchten vor den Wahlen alle AfD-Positionen zu übernehmen, versprachen im „großen Stil abzuschieben“ oder wollten eine „Vollstreckungsoffensive“. All diese läppischen Versuche des immer gleichen Konzepts, die AfD kleiner zu machen, indem man ihre Inhalte selbst verbreitet, scheitern genauso vorhersehbar wie das Konzept. das Ganze gleich als Partei zu machen in der Form des BSW. Die Rechtsabspaltung der Linkspartei verpasst ebenso den Einzug in den Bundestag, sie scheiterte wie die FDP knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Wenn sie auch in ihrem Versuch scheiterten, einen Teil der parlamentarischen Beute (Mandate, Geldern und Infrastruktur) zu erlangen, so trugen auch sie zur Normalisierung von AfD-Positionen bei.

Die Wahl ist also eine Niederlage für die gesamtgesellschaftliche Linke, eine weitere Etappe im Niedergang der SPD, eine erneute Rechtsverschiebung aller Parteien und der größte Erfolg einer rechtsextremen Partei in der Geschichte der BRD. Insofern müsste man sagen, dass 8,7 Prozent für die Partei Die Linke als Antwort auf all diese Ausgangsbedienungen– die Verarmung der Massen, das Scheitern des neoliberalen Blocks, die Rechtsverschiebung aller Parteien und der Erfolg der extremen Rechten – natürlich keinen Sieg darstellt. Und obwohl wir alle wissen, dass die Linkspartei nur eine sozialdemokratische Partei ist, die die Interessen der Arbeiter:innen schneller verrät als der Reformerflügel „R2G“ sagen kann, ist dieser Befreiungsschlag eine Chance für das, was er repräsentiert.

Denn während sich in Deutschland neben dem neoliberalen Herrschaftsblock zuvor nur ein faschistischer Pol bildete, blieb eine Polarisierung von links aus. Dies schadete auch der außerparlamentarischen Linken, die anstatt von der Krise der Linkspartei zu profitieren, auch eher im Niedergang begriffen war. Das Ergebnis der Linkspartei, besonders bei den 18-30-Jährigen, zeigt aber, dass eine Zuspitzung von links sehr wohl massentauglich sein kann. Auch für Linksradikale, Trotzkist:innen und Kommunist:innen ist das ein wichtiges Zeichen. Nicht ganz unpathetisch könnte man sagen, dass wir gebraucht werden, dass es an uns liegt, diese Jugend zu adressieren, zu bilden, zu organisieren und gemeinsam neue Kampfformen zu entwickeln.

IV) Für eine gesamtlinke Perspektive

Ich „glaube“ nicht an Wahlen.1 Am Ende entscheiden bekanntlich die Praxis, der Klassenkampf und das Kräfteverhältnis. Ich bin der Linkspartei beigetreten, als die Rechtsabspaltung vom Wagenknecht-Flügel die Partei verlassen hat. Nach vielen Jahren von Suizidalität und Depression war es für mich vielleicht vor allem eine Form der kleinsten Teilhabe, Newsletter zu beziehen oder ab und zu mal in einer Telegram-Gruppe mitzulesen.

Ich war genervt, dass es seit 2016 nicht gelang, Wagenknecht aus der Partei auszuschließen. Aber Die Linke hatte sich gegen den von Sahra Wagenknecht betriebenen Rechtsruck zumindest teilweise behauptet. Trotzdem ist die Linkspartei nach wie vor eine sozialdemokratische Partei, die unsere Klasse zwangsläufig verraten muss, wenn sie den Kapitalismus verwalten oder verbessern will. Ob der Aufbau zu einer sozialistischen Massenpartei gelingt, darf bezweifelt werden.

Es ist merkwürdig das zu schreiben, aber gerade wegen der Schwäche der Linken in Deutschland und weil wir eigentlich nichts haben außer dem subjektiven Faktor des Voluntarismus, scheint es mir am wichtigsten, die Jugend auszubilden. Ich lese dabei die 25 Prozent bei den 18-30-Jährigen als Resonanzraum, in dem eine junge Generation von Aktivist:innen und Marxist:innen entstehen kann. Die Ausbildung dieser Generation sollte meines Erachtens dabei eine geteilte Aufgabe von allen Linken sein und nicht der Linkspartei alleine überlassen werden. Ein Genosse schreibt lakonisch, die Linkspartei habe schlicht nicht die theoretische Substanz für die Ausbildung. Mag sein, erwidere ich, aber müssten wir uns nicht trotzdem irgendwie zu diesen 25 Prozent Linkspartei bei der Jugend verhalten?

V) Faschisierung und Imperialismus

Einen Text nur über Wahlen zu schreiben, wird der Weltlage nicht gerecht. Denn die Reaktion schreitet so schnell voran, dass man kaum mitkommt. War Elon Musk eben noch ein rechtspopulistischer Milliardär auf Twitter, so macht er am nächsten Tag schon den Hitlergruß und versucht die Gewaltenteilung der USA abzuschaffen. War eben noch die Diskussion über Apartheid in Palästina das Thema, so ist es im nächsten Moment der Genozid im Gaza. Gab es zuvor zumindest noch den Anschein eines geopolitischen Interessenausgleichs, so verhandeln Trump und Putin heute offen über die Teilung und Ausplünderung der Ukraine.

Alles deutet daraufhin, dass wir zu einer klassischeren Form der imperialistischen Weltaufteilung zurückkehren. Die kapitalistische Krise des Produktionsstandorts soll durch die Überausbeutung der Peripherie eingehegt werden. Die weißen Arbeiter sollen zumindest so befriedet werden, dass sie Arbeiter:innen of Color übergeordnet sind. Und die Staatsbürger:innen sollen wenigstens durch eine im Vergleich zu der Peripherie höhere Lohnquote ruhig gestellt werden. Die Nicht-Staatsbürger:innen des globalen Südens werden gleich im Mittelmeer in den Tod gestoßen oder in Konzentrationslager gesperrt.

So ist die nicht erst das Erstarken der AfD die Katastrophe, sondern bereits die Scheinnormalität des neoliberal-rassistischen Herrschaftsblocks. Walter Benjamin sagt in seinen Geschichtsthese, dass wir diese Normalität als Katastrophe auf den Begriff bringen müssen, und dass der Einspruch gegen diese Normalität der Katastrophe die Revolution ist. Für die Menschen in Gaza, in der Subsahara oder in den Slums dieser Erde gibt es keine andere Möglichkeit. Wenn wir den Blick auf die Klimatatstrophen des Kapitalozän legen, gibt es keine andere Möglichkeit. Wenn Sozialismus etwas anderes sein will als die Verwaltung der Apokalypse oder der Trümmer in Gaza, brauchen wir die Revolution eher heute als morgen.

Letztes Jahr starb mein politischer Freund Achim Szepanski. Nach wie vor bedrückt mich sein Tod persönlich, aber auch politisch. Sein Essayband „Imperialismus, Faschisierung und die Kriegsmaschine des Kapitals“ scheint aktueller denn je. Er schreibt in der Einleitung: „In den Wohlfühloasen des Nordens ahnen inzwischen nicht nur die Eliten, sondern aufgrund ihrer Komplizenschaft mit dem System auch diejenigen Arbeiter des Prekariats und der Angestellten, die es sich in der Heteronomie der finanzialisierten Kapitallandschaften auch auf Kosten der Bevölkerung des Südens einigermaßen gemütlich machen konnten, dass die jetzige Zeit der Vor-Apokalypse sowohl das Resultat der Unmöglichkeit vorausschauender Einsicht in eine futurisierte Kapitalisierung und der Instabilität des finanziellen Kapitals ist, die zu regulieren nicht gelingt, als auch, dass die Kapitalisierung die Produktion einer globalisierten Surplus-Bevölkerung2 nach sich zieht, die zumindest potenziell die Wiederkehr der zurückgewiesenen Negativität des Proletariats verkörpert.“ Manchmal wünschte ich, Achim hätte öfter einen Punkt genutzt, aber vor allem wäre es schön, wenn er noch schreiben würde.

VI) Stichpunkte für eine Strategiedebatte

Es folgen noch ein paar Stichpunkte pro forma, auf die sich alle Linken einigen können. Sie haben keinen Gehalt, da ich nicht organisiert bin und somit eine Einzelmeinung repräsentieren. Meines Erachtens sind Einzelmeinungen für Organisierungsfragen aber nicht wichtig, da nur Gruppen die Organisierung leisten und somit über ihre reale Praxis gehaltvoll sprechen können. Zum Teil findet diese Praxis schon statt und die folgenden Stichpunkte haben nicht den Anspruch etwas Neues zu sagen.

1. Aufbau von Basisorganisationen statt Wahlkampffixierung

Die Mobilisierung über Wahlkampfstrategien wie Häuserwahlkampf und TikTok war erfolgreich. Doch Wahlkämpfe bleiben oft Parlamentarismus und Reformismus verhaftet – was fehlt, ist eine langfristige revolutionäre Organisierung an der Basis, die Klassenkampf und revolutionäre Partei antizipiert. Notwendig sind u.a.:

– Miet- und Stadtteilgruppen, die konkret gegen Gentrifizierung und steigende Mieten kämpfen (ähnlich der DW-Enteignen-Kampagne)

– Gewerkschaftliche Vernetzung, die Streiks und betriebliche Kämpfe mit einer politischen Strategie verbindet – nicht nur als Verteidigungskampf, sondern als Politisierung des Klassenkampfes

– Antifaschistische und antirassistischeSelbstorganisierung, die nicht nur auf Demos aktiv ist, sondern sich langfristig strukturiert, um sich gegen rechte Netzwerke in Stadtteilen und Betrieben, gegen Abschiebungen und Rassismus zu wehren

– Feministische Organisierung gegen den antifeministischen Rollback und Kampf für eine solidarische Reproduktion der Gesellschaft

Ziel: Eine militante Sozialbewegung, die nicht nur mobilisiert, sondern Strukturen aufbaut, die jenseits der Wahlkämpfe bestehen und auch die Gewerkschafts- und Parteibürokratie herausfordern kann.

2. Revolutionäre Bildung und strategische Schulung der neuen Generation

25 Prozent der jungen Menschen haben links gewählt – aber wie viele davon verstehen wirklich, warum der Kapitalismus nicht reformierbar ist? Die historische Erfahrung zeigt: Ohne revolutionäre Theorie bleibt jede Bewegung orientierungslos und potenziell droht dann die Enttäuschung und Depolitisierung, wenn Die Linke keine linke Politik umsetzt.

– Marxistische Lesegruppen und politische Schulen: Junge Aktivist:innen sollten gezielt mit marxistischer Literatur geschult werden (Marx, Luxemburg, Gramsci, aber auch zeitgenössische Analysen zu Kapitalismus und Faschismus wie Federici und Clover).

– Digitale Bildungsformate: Die Erfolge auf Instagram/TikTok zeigen, dass linke Inhalte bei der Gen Z ankommen – aber oft nur in Schlagworten. Ein Format, das Theorie mit Praxis verbindet (z. B. Online-Kurse, Podcasts, Videos), könnte eine Brücke zwischen Social Media und echter Organisierung schlagen.

– Kampagnen gegen rechte Hegemonie in der Jugend: Der Einfluss der Rechten auf junge Männer zeigt: Es braucht eine konkrete Gegenstrategie in Schulen, Betrieben und Online-Räumen.

Ziel: Eine politisch geschulte, organisierte linke Jugendbewegung, die nicht nur wählt, sondern sich aktiv organisiert.

3. Keine Volksfront

Die Linke in Deutschland ist zersplittert: Linkspartei, autonome Bewegungen, trotzkistische Gruppen, feministische Kollektive. Eine revolutionäre Strategie muss diese Kräfte vereinen, ohne sich der Sozialdemokratie (also Linkspartei) anzubiedern oder gar Entrismus zu betreiben.

– Bündnisse mit revolutionärer Perspektive: Keine Anpassung an reformistische Kräfte, aber auch keine Isolation

– Klassenpolitik mit radikalem Antifaschismus verbinden: Antifaschismus darf nicht nur moralisch argumentieren, sondern muss klar zeigen: Wer sich nicht gegen Kapitalismus stellt, kann Faschismus nicht bekämpfen (Horkheimer als Aktivist)

4. Gegenmacht aufbauen

Viele linke Bewegungen befinden sich in einer defensiven Haltung: gegen Sozialabbau, gegen rechte Hetze, gegen Klimazerstörung. Doch Widerstand alleine reicht nicht – es braucht eine eigene Offensivstrategie:

– „Räte“-Strukturen in Betrieben und Nachbarschaften: Demokratische Basisorganisationen, die als Alternative zum bürgerlichen Staat aufgebaut werden können. (Das, was einmal die die Sozialdemokratie am Anfang des 20 Jh mit Arbeiterlokalen usw. hatte: eine reale Basis außerhalb der Partei, bevor die Gesellschaft atomisiert wurde.)

– Neue Streikbewegungen mit politischem Ziel: Nicht nur für Lohnerhöhungen, sondern gegen Kapitalismus selbst

– Kampagnen für Enteignung und Vergesellschaftung. Das muss radikal weitergeführt werden – nicht nur in der Wohnpolitik, sondern auch im Energiesektor, Transportwesen und digitalen Plattformen

Fußnoten

  1. 1. Ich selbst habe RIO gewählt und war eine der 713 Stimmen, die für Ines Heider gestimmt haben. Es erfüllt mich mit „Stolz“, dass es eine Kandidatin gab, die meine Interessen vertritt und als Sozialarbeiterin auch eher meiner Lebensrealität entspricht als die z.T. gehobenen Kader der Linkspartei. Dietmar Bartsch oder andere könnte ich auch mit „Bauchschmerzen“ niemals wählen. Zudem waren die Plakate von RIO so schön, dass ich überhaupt einmal einem Wahlplakat inhaltlich zustimmen konnte. Für meine Seele war es also etwas Schönes, RIO zu wählen, und gewiss wäre ich mit 8,7 Prozent RIO hoffnungsvoller als mit 8,7 Prozent Linkspartei. Bis dahin scheint mir aber die Auseinandersetzung mit der Partei Die Linke unvermeidlich, ob es beißende Kritik an der Partei ist oder ein Marxlesekreis für Neumitglieder.
  2. 2. Mit Surplus-Bevölkerung sind die für den Produktionsprozess „Überflüssigen“gemeint.

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