Faires PJ: Warum Medizinstudierende in ganz Deutschland demonstrieren

24.07.2023, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Anonym

„Ausbildung statt Ausbeutung!“ Mit dieser Forderung sind am 19. Juli Medizinstudierende in 13 Städten in ganz Deutschland auf die Straße gegangen. Sie demonstrierten gegen die prekären Arbeitsbedingungen, die seit Jahren im sogenannten praktischen Jahr herrschen.

Das praktische Jahr (PJ)  beschreibt die letzten zwei Semester des Medizinstudiums, in denen die Studierenden in verschiedenen Kliniken arbeiten – eigentlich, um ihre Fertigkeiten zu verbessern und den Umgang mit Patient:innen zu lernen. Vorgesehen ist eine Aneignung praktischer Fähigkeiten unter ärztlicher Aufsicht.

Die Realität sieht anders aus: Studierende werden mangelhaft angeleitet und erledigen hauptsächlich Hilfsarbeiten wie das Blutabnehmen oder Hakenhalten im OP. Die Arbeit im späteren Berufsleben erfordert allerdings wichtige ärztliche Kompetenzen – die in diesem Jahr nicht oder nur kaum erlernt werden können. Außerdem gibt es keine Arbeitsverträge, man kann sich weder rechtssicher krankmelden, noch gibt es reguläre Gehälter. Obwohl das PJ ein Vollzeitjob mit 40 Stunden pro Woche ist, gibt es höchstens „Aufwandsentschädigungen“. Die Höhe der Vergütung ist den Kliniken selbst überlassen, sie schwankt je nach Standort zwischen 0 und 930 Euro pro Monat: zu wenig, um davon leben zu können. Oft kann nicht einmal die Miete von dem Geld bezahlt werden. Ein derart geringes Gehalt erfordert entweder eine finanzielle Unterstützung durch die Eltern, oder, wenn diese finanziell nicht so gut aufgestellt sind, einen Studienkredit oder Nebenjob. Somit wird Personen aus sozial schwächeren Haushalten der Zugang zu diesem ohnehin sehr zeit- und kostenintensiven Studiengang noch weiter erschwert.

Insgesamt dürfen Medizinstudent:innen während des PJs 30 Tage fehlen. Eine Unterscheidung zwischen Krankheits-/Urlaubs- oder Kinderkrankentagen gibt es jedoch nicht. Aus Angst vor Überschreitung der Fehltage kommen viele Studierende krank zur Arbeit, was die Qualität der Gesundheitsversorgung mindern und eine Gefahr für andere Mitarbeiter:innen sowie Patient:innen darstellen kann. Außerdem können zwischen dem Ende des praktischen Jahres und dem dritten Staatsexamen unter Umständen nur sieben Tage liegen, deshalb sparen sich Studierende oft ihre Fehltage bis zum Ende auf, um für ihre Prüfungen lernen zu können.

Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. (BVMD) rief deshalb gemeinsam mit den Fachschaften der Medizin der verschiedenen Universitäten am 19. Juli zu bundesweiten Demonstrationen auf. Sie fordern eine reguläre Bezahlung in Höhe des BAföG-Höchstsatzes, die Möglichkeit, sich offiziell krankschreiben zu lassen und damit eine Unterscheidung zwischen Krankheits- und Urlaubstagen. Um sicher vorbereitet in den Berufsalltag starten zu können, werden außerdem standardisierte Lehrmethoden gefordert. Statt Studierende dazu zu verwenden, den Personalmangel in den Kliniken auszugleichen, sollten sie von Fachärzt:innen angeleitet werden, um später ihre eigenen Patient:innen behandeln zu können. Da die Zeit zwischen PJ und drittem Staatsexamen oft nicht ausreicht, um sich auf die Prüfungen vorbereiten zu können, wird ein Mindestabstand von mindestens vier Wochen gefordert. Nur so kann eine ausreichende Vorbereitung auf die Abschlussprüfung gewährleistet werden.

Das Medizinstudium wird durch die ärztliche Approbationsordnung geregelt. Am 1. Oktober 2027 soll eine neue, reformierte Approbationsordnung in Kraft treten; diese soll bis zum Herbst dieses Jahres ausgearbeitet sein. Die prekären Arbeitsverhältnisse im PJ werden in der neuen Fassung noch nicht berücksichtigt. Um sich Gehör zu verschaffen und die Situation der Studierenden zu verbessern, wurde deshalb eine Petition gestartet: Nach Erreichen des Petitionsziels von 100.000 Unterschriften soll sie dem Bundesministerium für Gesundheit überreicht werden. Bisher wurden über 70.000 Unterschriften gesammelt.

Die schlechten Arbeitsbedingungen im praktischen Jahr sind nur ein Symptom des immer kleiner werdenden Etats für Gesundheit und Pflege. Schon jetzt machen sich die Kürzungen deutlich bemerkbar. Immer mehr Kliniken schließen, da kein Geld für Sanierungen aufgebracht werden kann. Mit dem Ziel einer gesteigerten Effizienz – nicht im Sinne der Patient:innen, sondern im Sinne der Wirtschaftlichkeit – wird die Gesundheitsversorgung immer weiter zentralisiert. Die Krankenhausgesellschaft erwartet bis zum Jahre 2034 sogar eine Schließung von einem Fünftel aller Kliniken in Deutschland. Vor ein paar Wochen erst wurde die Schließung des Klinikums Links der Weser in Bremen beschlossen. Das hat zur Folge, dass der gesamte Bremer Süden sowie angrenzende niedersächsische Ortschaften von einer medizinischen Unterversorgung bedroht sind.

Die finanziellen Einsparungen betreffen also nicht nur das Personal in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Altenheimen – sie betreffen uns alle, denn jede:r von uns ist früher oder später auf ein funktionierendes Gesundheitssystem angewiesen. Wir müssen uns organisieren, damit sich einerseits die Arbeitsbedingungen von Pfleger:innen und Ärzt:innen verbessern, andererseits auch, um eine zuverlässige medizinische Versorgung im Sinne der Patient:innen gewährleisten zu können.

Helft mit eurer Unterschrift, ein Zeichen gegen die Arbeitsbedingungen der Medizinstudent:innen in den Kliniken und für eine bessere Gesundheitsversorgung zu setzen: Teilt die Petition gerne mit euren Freund:innen, euren Familien und Genoss:innen, denn wir alle wollen doch nur von gesunden PJler:innen behandelt werden! #fairesPJ

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