Faeser „reformiert“ das Asylrecht: Ein Schritt in die richtige Richtung?
Innenministerin Nancy Faeser plant ein „Chancen-Aufenthaltsrecht“, also ein Bleiberecht auf Probe für Geduldete. Darin enthalten sind sowohl Verbesserungen als auch Verschärfungen. Ein Kommentar.
Über 200.000 Menschen leben in Deutschland derzeit mit einer sogenannten Duldung. Duldung bedeutet, dass man ausreisepflichtig ist, aber die Ausreisepflicht bisher nicht mit einer Abschiebung umgesetzt wurde. Diese Abschiebung ist aber jederzeit möglich, also eine Art dauerndes Damoklesschwert über dem Kopf.
Das trifft besonders Geflüchtete, die oft viele Jahre nur mit Duldung in Deutschland leben und ständig die Abschiebung fürchten müssen. Denn die Voraussetzungen für eine Anerkennung im Asylverfahren sind sehr groß sind und haben nur wenig mit den realen Fluchtgründen zu tun, besonders nachdem das Asylrecht von Union und SPD im „Asylkompromiss“ 1993 stark eingeschränkt wurde. So geht es meist gar nicht darum, ob einem Menschen Gefahr in seinem Heimatland droht, sondern welche Nationalität er hat und wie die Abkommen der Bundesregierung mit Drittstaaten sind.
Die Duldung ist innerhalb des Asylrechts ein Mittel der Disziplinierung, und das bleibt auch mit dem neuen Gesetz erhalten: So müssen Menschen mit Duldung an ihrer Passbeschaffung mitwirken, die allerdings zu ihrer Abschiebung führen kann. Tun sie das nicht, erwarten geduldete Menschen Sanktionen wie Sozialleistungskürzungen oder Arbeitsverbot. Eine Option zur Duldung sind die Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung, die die Abschiebedrohung unmittelbar daran knüpfen, Ausbildung beziehungsweise Arbeitsplatz zu behalten. Mit ungeklärter Identität bekommt man seit 2020 allerdings nur noch eine „Duldung light“, in der es noch weniger Rechte als in der Duldung gibt, zum Beispiel ein Ausbildungs- und Arbeitsverbot.
Ein Bleiberecht unter Vorbehalten und neue Verschärfungen
Nun bringt das Innenministerium einen Referent:innenentwurf ins Spiel, der die reguläre Duldung reformieren soll. Dieser Vorschlag enthält sowohl Verbesserungen als auch Verschärfungen und darin lässt sich die politische Logik der Ampel-Regierung gut erkennen.
Der Inhalt der Gesetzesinitiative: Wer mindestens fünf Jahre mit einer Duldung in Deutschland lebt, soll ein „Chancen-Aufenthaltsrecht“ erhalten. Laut Deutsche Welle könnte das über 100.000 Menschen in Deutschland betreffen. Es soll ihnen die Möglichkeit geben, zunächst einjährig und auf Probe eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Wird innerhalb dieser Zeit ein Nachweis für Spracherwerb und eigenen Lebensunterhalt vorgezeigt, steht ein langfristigeres Bleiberecht in Aussicht. Der Erwerb eines dauerhaften Aufenthaltsrechts soll dann an einen eigenen Lebensunterhalt sowie die Klärung der Identität gebunden sein.
Wer vom Chancen-Aufenthaltsrecht ausgeschlossen sein soll: „Straftäter:innen“. Allerdings werden Geflüchtete aus vielen Gründen illegalisiert, wie bei Verstößen gegen die repressiven Aufenthaltsrechte. Und es gibt auch eine Verschärfung bestehenden Rechts: „Insbesondere die Ausreise von Straftätern und Gefährdern muss konsequenter vollzogen werden“, zitiert DW den bestehenden Entwurf. Durch das Gesetz gäbe es also nicht nur Verbesserungen unter strengen Auflagen, sondern für andere auch Verschlechterungen.
Wie ebenfalls im Koalitionsvertrag angekündigt, will Innenministerin Faeser schneller abschieben und die Abschiebehaft verschärfen. Damit steht sie in Kontinuität der Merkel-Regierung unter SPD-Beteiligung: Mit den „Asylpaketen“ seit 2015 und weiteren Gesetzen wurde die Gesetzgebung insgesamt verschärft, die „Rückführung“ wurde zum nationalen Ziel erklärt und schaffte es unter dem Begriff „Rückführungsoffensive“ auch in den Ampel-Koalitionsvertrag.
Wie ist die Reform zu bewerten?
Der Referent:innenentwurf für das neue Gesetz ist ein Angebot für Geflüchtete, sich zu kapitalistischen Bedingungen zu „integrieren“, also gehorsam zu sein und dafür weniger akut von Abschiebung bedroht zu werden. Gleichzeitig wird das Migrationsregime damit „exakter“ in seiner Disziplinierung mit den Auflagen, die es gibt. Und die Reform ist verbunden mit einer gleichzeitigen „Gegenreform“, dem härteren Vorgehen gegen Illegalisierte. Das heißt, die neue Reform schafft die zahlreichen Hürden nicht ab, sondern verfeinert sie und öffnet sie nur für einen Teil Geflüchteter, der besonders gut den Anforderungen kapitalistischer Ausbeutung entspricht.
Pro Asyl kritisiert am Referent:innenentwurf, dass das Chancen-Aufenthaltsrecht an eine Identitätsklärung gebunden sein soll, da sich die Passbeschaffung für Geflüchtete oft als schwierig erweise – und weil diese Bedingung gar nicht Teil des Koalitionsvertrages gewesen sei, aus dem das Chancen-Aufenthaltsrecht kommt. Die NGO fordert stattdessen eine „zügige Umsetzung der im Koalitionsvertrag beschlossenen Verbesserungen für geduldete Menschen“. Der Flüchtlingsrat Brandenburg fordert außerdem eine Vorgriffsregelung, damit diejenigen, die vom Gesetz profitieren könnten, bereits jetzt nicht mehr abgeschoben werden.
Versteht man das Gesetz und die Umsetzung des Koalitionsvertrags insgesamt aber als „ersten Schritt“ in die richtige Richtung, der bloß nicht weit genug geht, dann ist das ein Missverständnis der Politik der reformistischen Regierung. Gerade die Einheit von Reform und Gegenreform, Vermittlung und Disziplinierung, Integration in den Arbeitsmarkt und Chauvinismus, ist das Phänomen dieser reformistischen Regierung.
Die Forderungen der antirassistischen Bewegung nach Bleiberecht für alle Geflüchteten und gegen die Spaltung in Geflüchtete verschiedener „Integrationsgrade“ bleibt aktuell. Landesregierungen, auch solche unter Führung und Beteiligung der Partei DIE LINKE, könnten jederzeit Abschiebemoratorien für alle Geflüchteten erlassen, wie in der Vergangenheit schon geschehen. Die Regelungen für Geflüchtete aus der Ukraine zeigen darüber hinaus: Es ist durchaus möglich, dass Geflüchteten der Zugang zum Sozialsystem und eine Bleibeperspektive in Deutschland ermöglicht wird. Diese Rechte müssen nun auf alle Geflüchteten verallgemeinert werden, und dafür müssen Antirassist:innen, Linke und Gewerkschafter:innen eintreten.