EVG: Kommt ein unbefristeter Bahnstreik?

23.06.2023, Lesezeit 4 Min.
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Foto: Werner Spremberg / Shutterstock.com

Die EVG leitet die Urabstimmung für unbefristete Streiks bei der Deutschen Bahn ein. Der Vorsitzende der EVG aber ist weiterhin offen für einen Kompromiss.

Die 110.000 Mitglieder der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) können in den nächsten vier bis fünf Wochen über unbefristete Streiks abstimmen. Gestern Mittag entschied der Bundesvorstand der EVG, eine Urabstimmung über Erzwingungsstreiks einzuleiten.

Zuvor hatte die EVG-Führung am Mittwoch die Verhandlungen mit der Deutschen Bahn für gescheitert erklärt, da die Vorschläge der DB deutlich unter den Forderungen zurückblieben: Statt einer Lohnerhöhung von mindestens 650 Euro im Monat oder zwölf Prozent bei den oberen Lohngruppen bot die DB eine Inflationsausgleichsprämie von 2.850 Euro und einen „hohen Festbetrag”. In Zeiten einer unberechenbaren Inflation ist die Forderung nach einer Laufzeit von nicht mehr als einem Jahr besonders wichtig. Denn in einem Jahr kann die Inflation schon wieder in die Höhe schnellen. Die Bahn dagegen bot nur eine lange Laufzeit von 27 Monaten an.
Damit jetzt ein unbefristeter Streik begonnen wird, müssen in der anstehenden Urabstimmung ganze 75 Prozent der Beschäftigten dafür stimmen. Damit er dann wieder ausgesetzt und das Angebot der Bahn angenommen wird, braucht es nur 25 Prozent Zustimmung. Wahrscheinlich wird aber auch während der Urabstimmung, die wohl etwa vier Wochen laufen wird, weiter verhandelt werden. Dazu zeigte sich EVG-Vorsitzender Martin Burkert bereit: “Es ist jederzeit möglich, wieder an den Verhandlungstisch zu kommen”, sagte er im Bayerischen Rundfunk. Einer Schlichtungsforderung der Arbeitergeber:innenseite werde man sich nicht verwehren, so Burkert. Bis dahin könnte es zunächst zu Warnstreiks kommen.

Zuvor hatte sich Burkert bereits positiv auf den Abschluss bei dem privaten Bahnanbieter Transdev bezogen und deutete an, man könne über solch eine Einigung auch bei der DB reden. Bei Transdev hatte die EVG einer Laufzeit von 21 Monaten zugestimmt und geringere Lohnerhöhungen als eigentlich gefordert durchgesetzt. Ein vergleichbarer Tarifkompromiss bei der DB würde Reallohnverluste für die Beschäftigten bedeuten, weil die Lohnerhöhungen unter den Verlusten durch die Inflation liegen würden.
Die Kampfbereitschaft der EVG wollte Burkert durch die vollen Streikkassen seiner Gewerkschaft unterstreichen: „Wir hatten unseren letzten unbefristeten Streik vor 31 Jahren”, in der Zeit habe man für künftige Auseinandersetzungen reichlich sparen können. Dabei ist fraglich, ob das ein Zeichen von Stärke ist oder nicht eher eine vernichtende Bilanz für die handzahme EVG-Führung der letzten 30 Jahre.

Dabei ist es gut, dass die EVG-Führung das bisherige Angebot der Deutschen Bahn abgelehnt hat und dazu übergegangen ist, eine Urabstimmung einzuleiten. Alle Beschäftigten bei der Bahn haben nun die Möglichkeit, sich auszutauschen über die Forderungen und die Notwendigkeit von Erzwingungsstreiks. Denn es hat sich gezeigt, dass die Bahn sich nicht überreden lassen wird, einen Abschluss einzugehen, der einen wirklichen Inflationsausgleich darstellt. Die Beschäftigten müssen dafür kämpfen: Mit einem unbefristeten Streik würden die Profite des Konzerns empfindlich getroffen. Mitten in der Urlaubszeit wäre das Unternehmen gezwungen, größere Zugeständnisse an die Streikenden zu machen. Die EVG sollte jetzt mit Wahlurnen durch Stellwerke, Informationszentren und Züge gehen und Diskussionen unter den Beschäftigten über die Abstimmung und kommende Streiks aufmachen.

Eine offene Debatte über den weiteren Weg im Tarifkampf bei der Bahn einzuleiten, war aber offenbar nicht die Absicht der EVG-Führung. Dass die Urabstimmung eingeleitet und nicht die Schlichtung angenommen wurde, ist ein Kalkül des Bundesvorstandes. Dies wurde in geheimen Besprechungen unter Ausschluss der Gewerkschaftsbasis beschlossen. Ob sich die Gewerkschaft auf die Forderungen der Bahn einlässt oder nicht, sollte aber in Versammlungen von allen Beschäftigten demokratisch abgestimmt werden. Denn ein Reallohnverlust, wie bei Transdev, trifft in erster Linie die Beschäftigten, nicht die Hauptamtlichen der EVG. Hinterzimmerdeals und undurchsichtige Manöver dieser Art sind inakzeptabel.. Die Mitglieder der Tarifkommission sollten demokratisch gewählt werden. Sie sollten den Streikenden Rechenschaft leisten und jederzeit abwählbar sein. Für Urabstimmungen und andere Entscheidungen der Basis sollte eine Zustimmung von 50 Prozent der Beschäftigten ausreichen – statt wie bisher 75 Prozent.

Die Führung des Streiks sollte schlussendlich nicht bei Martin Burkert und seinen Kumpanen, sondern bei den Streikenden selber liegen: Aus jedem Betrieb sollten Delegierte geschickt werden, die mit einem imperativen Mandat demokratisch die Verhandlungen und den Streik leiten. Wir wollen in dieser Perspektive eine antibürokratische Strömung in der Basis der Gewerkschaften aufbauen.

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