Europawahlen: die großen Verlierer, die Gewinner und die Überraschungen
Macron verliert, Salvini und Le Pen feiern, die Brexit-Krise versenkt Konservative und Labour. Die Grünen überraschen und die Euroskeptiker erlangen 25% des Europäischen Parlaments.
Der Block der Konservativen und Sozialdemokrat*innen verliert die absolute Mehrheit, die er seit Jahren innehatte. Sie werden gezwungen sein, mit Liberalen und Grünen zu verhandeln, um Maßnahmen durchzusetzen und die Euroskeptiker einzudämmen. Letztere erhalten bis zu 25% der Sitze, erreichen aber nicht die 33%, die sie angestrebt haben, um wichtige Entscheidungen gänzlich zu blockieren.
Die extreme Rechte gewinnt in Frankreich, Großbritannien, Italien und Polen als Folge der anhaltenden Krise der traditionellen Parteien.
Eine schwere Niederlage fährt Macron ein, ebenso die britischen Konservativen und Labour, die 5-Sterne-Bewegung und Tsipras in Griechenland, der sich zu vorgezogenen Wahlen im Juni gezwungen sieht.
Auch die Linkspopulist*innen erleiden wichtige Verluste: Mélenchon sinkt in Frankreich ab und Podemos erlangt ihre bisher schlechtesten Wahlergebnisse und verliert bei den Kommunalwahlen auch die Regierungen der wichtigsten spanischen Städte.
Die Grünen überraschen in Ländern wie Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich, wo sie einen großen Teil der Stimmen der Jugend bekommen, die damit eine Unzufriedenheit von links mit den traditionellen Parteien und die Sorge um die Umwelt ausdrücken.
Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Ergebnisse nach Ländern zusammen.
Deutschland
Die Regierungsparteien Union und SPD verlieren stark, während die Grünen zulegen.
Die Regierungskoalition wird stark in Frage gestellt. Bei den letzten Europawahlen 2014 hatten sie 62,7% der Stimmen erlangt, jetzt nur noch 44,7%, was einem Rückgang von fast 20 Punkten entspricht. Die CDU/CSU gewann 28,9% der Stimmen (6,4 Punkte weniger als bei den letzten Wahlen), während die SPD mit 15,8% (12 Punkte weniger) den dritten Platz belegte.
Die Grünen sind die großen Gewinner der Wahl und rücken mit 20,5% auf den zweiten Platz vor. Sie konnten einen großen Teil der Stimmen der Jugend und die Sorge um die Umwelt kapitalisieren, die in der Bewegung „Fridays for Future“ gegen den Klimawandel zum Ausdruck gekommen ist. Zudem konnten sie die Diskreditierung der SPD unter jungen Menschen nach mehreren Regierungen der „Großen Koalition“ mit den Konservativen ausnutzen.
Die extreme Rechte von der Alternative für Deutschland erhält 11% (ein Anstieg gegenüber der letzten Europawahl, aber fast zwei Punkte weniger als bei der letzten Bundestagswahl).
Der Rückzug von Angela Merkel als CDU-Chefin und der starke Rückgang der Unterstützung für die Regierungskoalition üben zusätzlichen Druck auf die Regierung aus und eröffnen die Möglichkeit vorgezogener Neuwahlen.
Frankreich
Le Pen gewinnt die Wahlen und Macron wird an den Urnen bestraft.
Die Rassemblement National von Marine Le Pen (ehemals Front National) belegte bei den Europawahlen wie vor fünf Jahren den ersten Platz (23,31%), wenn auch mit einem geringeren Prozentsatz.
Der große Besiegte ist Macron, der – wenn auch mit wenig Abstand (22,41%) – seine erste Niederlage an den Urnen erfährt. Sie ist Ausdrück der Erschöpfung seines Mandats als Ergebnis einer großen sozialen Unzufriedenheit und des Phänomens der „Gelben Westen“ auf den Straßen – ein Konflikt, der, obwohl er an Größe verloren hat, seit Monaten andauert.
Auch in Frankreich waren die Grünen überraschend stark und belegten den dritten Platz. Die traditionelle Rechte der Républicains fällt spektakulär auf 8,4% und verschärft die Krise der traditionellen Parteien, die praktisch marginal bleiben.
Mélenchons Linkspopulismus blieb weit unter den Erwartungen und liegt mit 6,31% nur wenig über der französischen Sozialdemokratie, die es mit 6,19% kaum schaffen, im Europäischen Parlament zu bleiben.
Vereinigtes Königreich
Die Brexit-Partei erlangt einen Erdrutschsieg, Konservative und Labour werden bestraft.
Die neue Partei von Nigel Farage, die Brexit-Partei, erlangte 30,5% und damit deutlich mehr als die Konservativen in der Regierung, die mit dem Rücktritt von Theresa May in eine schwere Krise geraten sind und hinter den Grünen (12%) auf Platz fünf (9%) blieben.
An zweiter Stelle lag die Liberaldemokratische Partei mit 21,1%, gefolgt von der Labour-Partei mit 15,2%, die gegenüber 2014 um 13 Punkte verlor.
Theresa May bleibt vorläufig an der Spitze der Regierung, bis die Konservativen im Juni ihre Nachfolge beschließen. Die Botschaft der Europawahlen wird diese Entscheidung sicherlich beeinflussen und die Flügel stärken, die auf einen Brexit mit oder ohne Abkommen setzen.
Italien
Die Lega von Salvini wird gestärkt und übertrifft ihre Partner in der Regierungskoalition.
Die Lega konsolidiert sich mit 34,3% als meistgewählte Partei, gefolgt von der Demokratischen Partei, die sich von ihrer Krise erholt und 22,7% erreicht. Dahinter steht die Fünf-Sterne-Bewegung (17,1%), die Teil der Regierungskoalition ist und bei den letzten Wahlen am meisten gewählt wurde.
Diese Ergebnisse könnten zu Veränderungen in der Regierungskoalition führen, in der die Lega nach ihren Ergebnissen mehr Macht sucht. Salvini fordert mehr Einfluss im Ministerrat und will seine wichtigsten Maßnahmen wie Steuersenkungen oder die Stärkung der Autonomie der Regionen durchsetzen. Die Spannungen zwischen den beiden Koalitionspartnern haben sich vor den Wahlen verschärft, obwohl beide eine sehr harte Politik gegenüber Migrant*innen teilen.
Spanischer Staat
Die Europawahlen, die gleichzeitig mit den Kommunal- und Regionalwahlen und einen Monat nach den gerade erst durchgeführten Parlamentswahlen stattfanden, bestätigten den Sieg der PSOE (32%), die nun mit gestärkter Brust in das Europäische Parlament eintritt. Die konservative PP liegt auf dem zweiten Platz weit dahinter (20%). Die große Neuigkeit ist der Aufstieg der extremen Rechten von VOX mit 3 Sitzen (weniger als vor einem Monat erwartet). Die reformistische Linke von Unidas Podemos verliert Sitze, in einer ähnlichen Tendenz wie bei den spanischen Parlamentswahlen, wo die Formation fast alle „Kommunen des Wandels“ (Barcelona, Madrid, Saragossa, A Coruña) verloren hat und insgesamt an Stimmen verliert.
Das herausragendste Ergebnis der Europawahlen ist, dass zwei der Anführer*innen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, Carles Puigdemont und Oriol Junqueras, die sich im Exil bzw. im Gefängnis befinden, dem Europäischen Parlament beitreten werden.
Griechenland
Der Sieg der konservativen Nea Dimokratia (ND) hat den Premierminister Alexis Tsipras veranlasst, vorgezogene Wahlen für den Monat Juni einzuberufen.
Polen
Die konservativen Nationalisten von Recht und Gerechtigkeit (PiS) erhalten 46% der Stimmen, in einer Abstimmung mit einer historisch hohen Wahlbeteiligung. Die PiS-Führungskräfte sind Teil des Visegrader Blocks von Ländern, die euroskeptisch sind und sich in Fragen der Migration und der Grenzen gegen Brüssel stellen.
Die nationalistische Partei hatte als Wahlkampfslogan „Polen ist das Herz Europas“ und wird versuchen, ihre Regierung bei den nächsten Parlamentswahlen im Herbst zu bestätigen.
Auf europäischer Ebene drückt sich, trotz aller Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, die gleiche Tendenz aus. Im Kontext der Krise der traditionellen Parteien, der relativen Stärkung des rechten und rechtsextremen Populismus (wenn auch mit Stagnation in mehreren Ländern) stellen Neoreformismus und „Linkspopulismus“ (Syriza, Podemos, France Insoumise) weder eine „Bremse“ für die Offensive der Rechten, noch eine Alternative im Sinne der Arbeiter*innen, Frauen und Jugendlichen dar.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Spanisch bei IzquierdaDiario.es.