Schlechtes Gewissen beim Abschieben?

09.12.2023, Lesezeit 6 Min.
1
Foto: Baki von Klasse Gegen Klasse

Die Zeit veröffentlicht einen Post, in dem Cops über Abschiebungen zu Wort kommen. Wie nahe es ihnen angeblich gehe und wieso sie arbeitswillige Migrant:innen denn abschieben müssten. Eine reine Täter-Opfer-Umkehr. Aber das Letzte, was wir für Cops übrig haben sollten, ist Mitleid.

„Mir geht es schon nahe“, steht groß auf dem Titelbild des Posts geschrieben. Gemeint sind Abschiebungen. Das abgebildete Zitat ist eine Aussage von einer Gruppenführerin der Polizei Schwerin. Auf einem anderen Slide wird offen erzählt, wie sie Migrant:innen direkt von der Arbeit aus mitnehmen und abschieben.

„Ich frage mich dann, wieso man jemanden abschiebt, obwohl er arbeitet, eine Wohnung hat, gut Deutsch spricht.“ Das fragt sich nicht nur der Bulle, der die Abschiebung genau so durchführt, wie er beauftragt wurde. Das fragen sich auch die Menschen, die abgeschoben werden, ihre Familien und ihre Freund:innen zurecht. Und trotzdem werden sie abgeschoben. In der Nacht, am helllichten Tag, auf der Arbeit, zuhause, sogar im Krankenhaus.

„Wir finden oft Rasierklingen oder Messer, wenn wir Personen vor dem Transport durchsuchen. […] Die Leute wollen sich so stark verletzen, dass sie nicht abgeschoben werden können. Das sehen viele als letzten Ausweg.“ Woher das wohl kommt? Dieses Land setzt Abschiebungen unter Einsatz von massiver Polizeigewalt durch. Sie werden getrennt von ihren Familien. Sie wollen nicht zurück in die Länder, aus denen sie geflüchtet sind. Die Abschiebegesetze lassen keinen anderen Ausweg zu. In diesen Momenten ist kaum Zeit für juristische Wege. Hin und wieder stellen sich solidarische Menschen hin und blockieren die Cops, aber in den meisten Fällen sind die Betroffenen auf sich alleine gestellt. Was bleibt einem dann noch übrig, wenn die einzige gesetzliche Lücke in einer Abschiebung der gesundheitliche Zustand ist? Und nicht einmal das ist eine Garantie: Dieses Jahr wurde ein Fall öffentlich, bei dem eine Person nach einem Suizidversuch aus einer psychiatrischen Klinik in Abschiebegewahrsam genommen wurde.

„Das ist alles, was wir tun können: menschlich mit den Personen umzugehen.“ Was sie wirklich tun können? Kündigen. Das ist das Einzige, was sie überhaupt tun sollten. Diesen Job, von dem sie genau wissen, wozu er dient, haben sie sich selbst ausgesucht. Jeden Tag entscheiden sie sich immer und immer wieder aufs Neue: „Heute werde ich dem Kapital dienen. Heute werde ich Menschen verhaften, wenn es sein muss mit extremer Körpergewalt. Heute werde ich Menschen abschieben.“ Und sie wissen genau, dass sie dabei unter Umständen auch Menschen töten. Polizeimorde sind keine Einzelfälle: Sie haben System. Und dieses System halten sie Tag für Tag, Einsatz für Einsatz, aufrecht.

Abschiebungen sind Teil der rassistischen Politik Deutschlands und der EU

Der gesamte Post basiert auf einem Artikel der ZEIT, der hinter einer Paywall versteckt ist. In diesem Artikel werden Polizist:innen interviewt, die über Abschiebungen sprechen. Neben der Aussage aus dem Interview sind auch noch Fakten über die Zahl der Abschiebungen, Herkunftsländer, etc. ersichtlich. In einer Zeit, in der die GEAS-Reform beschlossen wurde, um noch mehr, noch schneller und noch leichter abschieben zu können, ist dieser Artikel eines der Widerwärtigsten, den man von der bürgerlichen Presse erwarten konnte.

Was das Gute an diesem Artikel ist: Er deckt sehr gut auf, wie Abschiebungen ablaufen. Ein Polizist erzählt, wie er eine Person direkt aus der Schicht im Krankenhaus abschieben musste. Die Station musste sogar geschlossen werden, weil sie ohne diesen Beschäftigten nicht laufen konnte. Abgesehen von dem „Arbeitende Ausländer sind gute Ausländer“-Argument, das immer wieder aufkommt, wird hier deutlich, wie selbst das Gesundheitssystem von Abschiebungen betroffen ist. 2019 waren etwa 21 Prozent der Krankenpflegekräfte Menschen mit Migrationshintergrund. Viele von ihnen haben eine befristete Arbeitserlaubnis, die jederzeit entzogen werden können – sie sind also potenziell von Abschiebung betroffen. Für migrantische Arbeiter:innen bringt die Lohnarbeit in der Pflege (und generell) eine zusätzliche Belastung mit sich: Auf der einen Seite arbeiten sie, wie fast alle anderen Beschäftigten in der Pflege, unter prekären Arbeitsbedingungen, sind unterbezahlt und überarbeitet. Gleichzeitig besteht zu jeder Zeit die Gefahr, dass ihnen die Arbeitsgenehmigung entzogen wird und sie abgeschoben werden könnten.

In zwei aufeinanderfolgenden Absätzen können wir sogar herauslesen, dass Abschiebestopps nach Afghanistan umgangen werden. Einer der Polizisten berichtet: „Wir schieben Menschen ab, die keinen Aufenthaltstitel mehr haben […]. Nach Afghanistan, Syrien und in die Ukraine machen wir gerade natürlich nichts.“ Direkt im nächsten Absatz informiert die ZEIT über Zahlen und Fakten zu Abschiebungen – und dass in der ersten Jahreshälfte 2023 die meisten Personen, die abgeschoben wurden u. A. Afghaner:innen waren. Das widerspricht sich nicht, sondern macht sogar ganz genau deutlich, dass eine Flucht aus einem unsicheren Herkunftsland keine Garantie für eine Aufnahme in Deutschland ist. Syrische und afghanische Menschen werden weiterhin in Drittstaaten abgeschoben – die neue Asylreform soll all das auch noch erleichtern.

Keine:r muss Bulle sein

Der Artikel der Zeit ist eine komplette Täter-Opfer-Umkehr und ignoriert komplett die realen Verhältnisse von Betroffenen von Abschiebungen. Kinder werden von ihren Familien getrennt. Menschen werden bei Abschiebungen zusammengeschlagen. Menschen kommen tage- und wochenlang in Abschiebehaft. Dafür wird gerade sogar ein neues Abschiebezentrum am Berliner Flughafen BER gebaut. Gleichzeitig soll die Polizei, die die Abschiebungen durchführt, weiter ausgerüstet werden. Schauen wir allein auf Berlin, wo letztes Jahr offiziell 570 Menschen abgeschoben wurden. 109 Millionen Euro mehr soll die Berliner Polizei bekommen – u. A. für die Ausstattung mit lebensgefährlichen Tasern. Das soll im Rahmen der Verschärfung des ASOG geschehen, bei der auch die Präventivhaft von zwei auf fünf Tage erhöht werden soll. Gleichzeitig soll die Polizei öfter gerufen werden, wenn es zu Auseinandersetzungen zwischen Lehrkräften und Schüler:innen kommt. Oft ging es um Palästina, bspw. als am Ernst-Abbe-Gymnasium ein Lehrer einen Schüler ins Gesicht schlug, weil dieser sich weigerte, eine Palästinafahne wegzupacken.

Ignoriert werden auch die rassistischen Strukturen in der Polizei selbst. Rassistische Chats, die an die Öffentlichkeit gelangen, Racial Profiling, rassistische Polizeimorde – die Liste der Handlungen ist lang. Und sie hört nicht auf, solange die Polizei als Apparat weiter existieren wird. Menschen, die sich aktiv dazu entscheiden, diese Strukturen aufrechtzuerhalten, verdienen kein Mitleid. Ganz im Gegenteil: Sie sollten sich schämen. Die bürgerliche Berichterstattung kann sich getrost sparen, Cops als Opfer darzustellen. Damit tun sie dem gesamten Polizeiapparat und der rassistischen Politik der Bundesregierung nichts als einen Bärendienst.

Mehr zum Thema