Esther Vivas in Berlin

13.05.2014, Lesezeit 6 Min.
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// Welche Partei brauchen die ArbeiterInnen und Jugendlichen im Spanischen Staat? //

Am 25. Abril sprach Esther Vivas, Aktivistin aus Barcelona, in Berlin. Vivas ist Mitglied von Izquierda Anticapitalista (IA) / Revolta Global (Teil des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationalen, VS). Zur öffentlichen Veranstaltung mit rund 35 TeilnehmerInnen hatte die Neuen Antikapitalistischen Organisation (NAO) eingeladen.

Vivas sprach von den Auswirkungen der kapitalistischen Krise im Spanischen Staat: Heutzutage gibt es sechs Millionen Arbeitslose und etwa 400.000 Menschen haben das Land in den letzten Jahren verlassen, viele Richtung Deutschland. Jeden Tag gibt es 532 Zwangsräumungen, während Millionen Wohnungen leer bleiben.

Am 15. Mai 2011 brach die „15M“-Bewegung aus. Die OrganisatorInnen forderten „Echte Demokratie Jetzt“. Die Besetzungen öffentlicher Plätze brachte die ganze Wut der Jugend ohne Arbeit und ohne Zukunft zum Ausdruck. Vivas sprach von den „zwei Töchtern“ des 15M, die Plattform der Hypotheken-Betroffenen (PAH), die Widerstand gegen Zwangsräumungen organisiert, und die „mareas“ (Fluten), also die verschiedenen sozialen Bewegungen, die sich in einer Massendemonstration am 22. März dieses Jahres vereinigt haben.

Vivas argumentierte, dass die verschiedenen sozialen Bewegungen gegen die Auswirkungen der Krise einen politischen Ausdruck brauchen – in diesem Sinn präsentierte Vivas PODEMOS, ein Wahlprojekt für die Europawahlen, die von IA zusammen mit linksreformistischen Intellektuellen wie dem Fernsehmoderator Pablo Iglesias gegründet wurde.

Wir von RIO (deutsche Sektion der FT-CI), haben an der Veranstaltung teilgenommen, zusammen mit Josefina Martínez von unserer Schwesterorganisation im Spanischen Staat Clase contra Clase, die Berlin anlässlich einer Veranstaltung über Marxismus und Geschlecht besuchte.

In der Diskussion haben wir über die harten Arbeitskämpfe wie bei Panrico und Coca-Cola gesprochen, die sich im letzten Jahr als erster Ausdruck einer neuen Militanz der ArbeiterInnenklasse entwickelt haben. Auf der Demonstration des 22M waren es diese ArbeiterInnen, die zusammen mit anderen Kollektiven und Plattformen, eine „rote Flut“ gebildet haben.

Aber wir haben auch eine kritische Vision über PODEMOS präsentiert. Ihr Programm, von einer „Expertenkommission“ entworfen und übers Internet editiert, ist vollkommen reformistisch. Es erwähnt weder die ArbeiterInnenklasse noch das kapitalistische System. Stattdessen stützt es sich auf die „BürgerInnen“ und die „Demokratie“, mit Forderungen wie der Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen, ohne jede Orientierung auf die ArbeiterInnenklasse oder ihre Kämpfe. Auf diese Art und Weise nehmen Gruppen wie IA an den Europawahlen mit einem Programm teil, das von Antikapitalismus weit entfernt ist.

In der anschließenden Debatten haben die GenossInnen der NAO für PODEMOS Partei ergriffen. Obwohl sich das Projekt mit einem reformistischen Programm zur Wahl stellt, sei es „noch nicht definiert“, und müsse deswegen von RevolutionärInnen unterstützt werden. Mit der gleichen Logik müsste man auch Izquierda Unida unterstützten, die genauso reformistisch, größer und älter ist. In der Tat war die Bildung von PODEMOS ein Versuch, IA zur Bildung von gemeinsamen Listen zu drängen.

Gleichzeitig haben die GenossInnen der NAO eine Orientierung auf die Arbeitskämpfe als „Ökonomismus“ kritisiert. Sie haben behauptet, dass Clase contra Clase und RIO „glauben, dass eine revolutionäre Partei linear aus Streiks entstehen“ könne und dass man hingegen „zu den Massen hingehen“ müsse, die angeblich in PODEMOS aktiv seien.

Leider ignorieren die GenossInnen, dass diese kämpferischen Sektoren der ArbeiterInnenbewegung nicht nur für wirtschaftliche, sondern auch für politische Forderungen kämpfen. Im Fall von Panrico machen sie eine beschleunigte Erfahrung mit der Generalitat (der Regierung Kataloniens), der Gewerkschaftsbürokratie und verschiedenen politischen Strömungen. Sie ignorieren auch, dass die ArbeiterInnen von Panrico und Coca Cola konkrete Schritte in der Koordinierung der ArbeiterInnen unternommen und eine Allianz der ArbeiterInnen mit Massen aufbauen, indem sie die Forderungen anderer sozialen Bewegungen als ihre eigenen aufnehmen. So gehen sie zum Beispiel auf die Demonstrationen für das Abtreibungsrecht, auf die Kundgebungen der Studierenden, auf die Demos am 22M oder auf die Proteste gegen Zwangsräumungen. Und sowohl von Panrico wie auch von Coca Cola wird die Forderung erhoben, die Kämpfe zu vereinigen, um einen Generalstreik gegen alle Entlassungen und Kürzungen durchzusetzen.

Auf der anderen Seite zeigt sich, dass wir keinen „linearen Aufbau einer revolutionären Partei“ betreiben, in unseren zahlreichen Vorschlägen an andere linke Kräfte zur Gründung einer Front der antikapitalistischen und revolutionären Linken. Dies geschieht auch nach dem Beispiel der FIT in Argentinien, die bei den letzten Wahlen 1.200.000 Stimmen bekam.

Wir von der FT-CI glauben, dass RevolutionärInnen für die breiteste Einheit in den Kämpfen eintreten müssen. Aber das bedeutet nicht, reformistische politische Projekte wie PODEMOS zu unterstützten. Für MarxistInnen sollte die Einheitsfront auf den Straßen und in den Kämpfen begleitet werden, auf Grundlage der politischen Unabhängigkeit von den ReformistInnen.

Das Projekt PODEMOS, mit seinem Programm und Führungsfiguren, versucht nicht, die Einheit und das antikapitalistische Bewusstsein der ArbeiterInnen zu stärken. Im Gegenteil ruft es sie dazu auf, an die Reformierbarkeit des Kapitalismus zu glauben und „die Demokratie aufzubauen“, im Rahmen dieses sozialen Systems der Ausbeutung und der Unterdrückung. Viele ehrliche AktivistInnen haben Illusionen, dass dieses neue Projekt helfen könnte, dem Regime und dem Zwei-Parteien-System entgegenzutreten. Wir sind der Meinung, dass sie nur neue Enttäuschungen erleben werden und unsere Aufgabe nicht darin besteht, diese Illusionen noch zu schüren.

Es ist notwendig, gegen reformistische Parteien und Ideologien vorzugehen, die das kapitalistische System als etwas Ewiges darstellen oder „die EU demokratisieren“ wollen. Genauso ist es notwendig, gegen zentristische Strömungen zu argumentieren, die ReformistInnen und RevolutionärInnen versöhnen wollen.

Es ist bedauerlich, dass die GenossInnen der Liga für die Fünfte Internationale (LFI), die vor einigen Jahren eine sehr kritische Vision des Zentrismus trotzkistischen Ursprungs haben, heutzutage keinerlei Kritik an IA und dem VS formulieren. Dies ist Resultat der NAO, einer kleinen Umgruppierung zwischen der LFI und Sektoren des VS in Deutschland, auf Grundlage eines zentristischen Programms. Wir hoffen, dass wir die Debatte über die Haltung der RevolutionärInnen zu reformistischen Projekten fortsetzen können.

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