Eskalation statt Frieden: Die NATO geht in den Luftkrieg

23.08.2023, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Ryan Fletcher // shutterstock

Kürzlich zeigte sich die Bundesregierung optimistisch, dass ein Frieden im Ukraine-Krieg möglich sei. Doch mit der Lieferung von Kampfjets und Marschflugkörpern geht die NATO den gegenteiligen Weg.

„Historisch“ sei die Entscheidung Dänemarks und der Niederlande, der Ukraine 61 Kampfflugzeuge vom Typ F-16 zu liefern, so der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Auf dem Kurznachrichtendienst X (früher Twitter) zeigte er sich erfreut: „Die F-16 werden den Kämpfern und den einfachen Bürgern frisches Vertrauen und Motivation bringen“.

Zuvor hatte US-Präsident Joe Biden den NATO-Partnern die Lieferung der Jets aus US-Produktion genehmigt. Die ukrainische Regierung hatte schon seit Kriegsbeginn nach den Flugzeugen gefragt, was die USA bisher mit Verweis auf eine mögliche Eskalation mit der Atommacht Russland verweigerten. Nun verkünden die USA also eine Wende, wenngleich auch die Lieferung durch die Niederlande und Dänemark an die Auflage gebunden ist, dass die Jets nur über ukrainischem Territorium eingesetzt werden dürfen.

Bis die Pilot:innen für die Jets ausgebildet sind, wird es jedoch noch mehrere Monate dauern. Angesichts der dichten russischen Luftabwehr wären durchschlagende Ergebnisse sowieso erst langfristig und nur in Verbindung mit umfangreichen Bodenoffensiven zu erwarten.

Eskalation des Krieges mit F-16 und Taurus

Trotzdem stellt die Lieferung der Jets eine neue Stufe der Eskalation im Ukraine-Krieg dar: Der Luftkrieg rückt stärker als bisher ins Zentrum des Schlachtfeldes, was die Zahlen der Todesopfer durch Luftangriffe weiter erhöhen wird. Mit Luftuntterstützung soll die stockende ukrainische Offensive angekurbelt weden. Zudem könnte die Ukraine mit den F-16 trotz anders lautender Zusagen den Krieg in Zukunft über russische Grenzen tragen, wie sie es mit Drohnenangriffen auf Moskau bereits angefangen hat.

Um mögliche Angriffe auf russische Gebiete dreht sich aktuell auch die Diskussion über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern aus Beständen der Bundeswehr. Von einem Flugzeug aus abgeschossen fliegen diese Raketen mit 1.200 Kilometern pro Stunde unerkannt von Radar und Flugabwehr. Mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern könnten sie der Ukraine dazu dienen, Ziele auf der Krim-Halbinsel zu zerstören und einen dortigen Angriff vorzubereiten. Aus Sorge, dass mit den Marschflugkörpern auch das russische Hinterland angegriffen werden könnte, zögert die Bundesregierung aber bisher. Derweil prüft sie die Möglichkeit, die Reichweite der Raketen zu beschränken.

Auch Frankreich und Großbritannien haben bereits die Lieferung von Mittelstreckenraketen angekündigt, die etwa halb so weit wie die Taurus fliegen können. Nach der Zusage für die F-16 hätten die Taurus-Raketen auch geeignete Trägerflugzeuge. Trotzdem titelte die FAZ bereits „Nach dem Taurus ist vor dem Tornado“. Eine Lieferung der deutschen Tornado-Kampfjets stand bisher nicht zur Debatte. Doch zeigten die vergangenen Lieferungen von Waffengattungen immer größere Kaliber, wie dem Leopard 2 Kampfpanzer, dass einstige Ausschlusskriterien in diesem Krieg keine Rolle spielen müssen. Derweil läuft auch die Aufrüstung an der NATO-Ostflanke: In Litauen strebt die Bundesregierung die dauerhafte Stationierung von 4.000 Soldat:innen an.

Kriegsziel: Vollständige Eroberung einstiger ukrainischer Gebiete

Mit den neuen Waffenlieferungen machen die NATO-Staaten unter Führung der USA erneut deutlich, dass sie keinerlei Interesse an einem Kompromiss haben. Im ZDF-Sommerinterview sprach Bundeskanzler Olaf Scholz davon, dass die Friedensgespräche in Saudi-Arabien Anfang August den Weg zu einem Frieden möglich machen würden – aber er ließ offen, welchen „Frieden“ das bedeuten würde. An der Konferenzbeteiligten sich neben der Ukraine und den westlichen Staaten auch China, lateinamerikanische und afrikanische Länder. Russland war hingegen nicht vertreten.

Der im benachbarten Jemen mit westlichen Waffen geführte Krieg mit hunderttausenden Toten stand bei der Konferenz in Saudi-Arabien zwar nicht auf der Tagesordnung. Für die Ukraine präsentiere Selenskyi aber eine „Friedensformel“. Diese beinhaltet neben dem Abzug der russischen Truppen auch die vollständige Wiederherstellung der Ukraine mit ihren Gebieten vor 2014, also inklusive der Krim und dem Donbass – für Putins Regime inakzeptable Forderungen. Und so kann von einem Gipfel mit einem tatsächlichen Ausblick auf Frieden keine Rede sein: Für Saudi-Arabien diente er dazu, seine Macht auf internationalem Parkett zu demonstrieren, indem es Länder wie Indien und China an den Verhandlungstisch brachte. Zumindest abstrakt bekannten sie sich zur territoriale Integrität, ohne dass es bei der Konferenz zu einer gemeinsamen Abschlusserklärung gekommen wäre.

Für die Ukraine und die NATO-Länder bildeten die Gespräche vor allem eine Plattform, auf der sie ihre maximalen Kriegsziele bekräftigten, und dafür um Verbündeten warben. Die Lieferung von F-16 und möglicherweise bald Taurus-Marschflugkörpern bestätigte das Credo, das schon Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius im Mai ausgeben hatte: Man werde die Unterstützung der Ukraine solange fortsetzen wie nötig, selbst wenn für einen vollständigen Sieg im Sinne von Selenskyis Friedensformel noch Jahre des Krieges mit hunderttausende oder gar Millionen Toten nötig sind.

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