Eskalation oder Verhandlungen: Was folgt auf die Kursk-Offensive?

22.09.2024, Lesezeit 15 Min.
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Foto: Seventh Army Training Command/flickr.com

Während die Ergebnisse von Selenskyis riskanter Wette, die russische Region Kursk zu besetzen, bestenfalls gemischt erscheinen, bleibt das Risiko einer katastrophalen Eskalation zwischen Russland und der NATO latent bestehen.

Die am 6. August begonnene Überraschungsoffensive der ukrainischen Armee gegen die Kursk-Region traf die russischen Streitkräfte unvorbereitet. Diese waren schlecht vorbereitet und ausgerüstet und gaben so zum großen Teil schnell dem Vormarsch nach. Die ukrainischen Truppen nahmen mehrere Dörfer und Kleinstädte in Besitz und kontrollieren derzeit schätzungsweise fast tausend Quadratkilometer in der Region. Die ersten Siege bedeuten einen PR-Erfolg für Selenskyi sowie einen Schub für die Moral der Armee und der Bevölkerung. Mehr als einen Monat nach Beginn der Operation sind die Ergebnisse vor Ort jedoch noch immer gemischt, was einige Analyst:innen dazu veranlasst, die ukrainische Offensive als Abenteuer zu charakterisieren. 

Die ukrainischen Behörden erklärten, dass sie mit der Offensive gegen Kursk mehrere Ziele verfolgten. Erstens sollte eine Verlagerung russischer Truppen aus dem Donbass, wo die ukrainische Armee unter großem Druck steht, nach Kursk bewirkt werden. Zweitens sollte Russland daran gehindert werden, Kursk als Ausgangsbasis für eine neue Offensive zu nutzen. Weitere Ziele waren, Kriegsgefangene zu nehmen, um sie gegen ukrainische Gefangene auszutauschen und die Moral der eigenen Truppen und der Nation als Ganzes zu heben. Es schien jedoch auch darum zu gehen, die Westmächte von der Kampfkraft der ukrainischen Armee zu überzeugen und sie so dazu zu bewegen, die Beschränkungen für den Einsatz bestimmter Waffen auf russischem Territorium aufzuheben. All dies geschieht mit dem Ziel, Putin zur Aufnahme von Verhandlungen zu zwingen, um den Krieg zu beenden, jedoch unter für die Ukraine günstigeren Bedingungen.

In diesem Schema würde das russische Territorium unter ukrainischer Besatzung als Tauschmittel gegen ukrainische Gebiete dienen, die von Russland besetzt sind. Doch diese Berechnung scheint im Moment weit von der Realität entfernt zu sein. Der Wissenschaftler Mark Episkopos vom Quincy Institute for Responsible Statecraft schreibt in diesem Sinne, dass „die zu tauschenden Gebiete nicht von vergleichbarem Wert sind, nicht nur, weil die russische Militärpräsenz in der Ukraine den Überfall der AFU auf Kursk um mehrere Größenordnungen in den Schatten stellt, sondern auch, weil die Ukraine im Gegensatz zu Russland nicht die langfristige Fähigkeit hat, fremdes Territorium, das sie kontrolliert, zu besetzen. Warum sollten sich die Russen beeilen, Friedensgespräche zu Kiewer Bedingungen aufzunehmen, nur um einen Landstreifen zu repatriieren, von dem sie – nicht ohne triftigen Grund – glauben, dass sie ihn zurückerobern können, ohne der Ukraine auch nur ein einziges Zugeständnis anzubieten“. Hinzu kommt, dass die Ukraine an der Ostfront einige schwere Rückschläge hinnehmen muss.

Schwächung der ukrainischen Positionen im Donbass

Der Überraschungseffekt der Kursk-Offensive scheint sich auf die Moral der Truppen sowie auf die Bevölkerung ausgewirkt zu haben, die seit dem Scheitern der „Gegenoffensive“ von 2023 Anzeichen von Demoralisierung und Müdigkeit zeigte. Die Behörden in Kiew sind jedoch über andere Entwicklungen beunruhigt. Während das Ziel, Russland auf seinem Territorium anzugreifen, russische Kampftruppen aus dem Donbass anlocken sollte, um die ukrainische Armee zu entlasten, bedeutete dies für die Ukraine auch die Verlagerung von Kampftruppen nach Kursk, die für die Verteidigung der Ostfront benötigt wurden.

In den letzten Tagen wurde unter den ukrainischen Militärs diesbezüglich Kritik an der Regierung laut. Die in Kursk stationierten Kräfte sind diejenigen, die derzeit im Donbass fehlen, wo Russland Fortschritte erzielen konnte, die insbesondere die wichtige Stadt Pokrowsk und andere Punkte der Ostfront gefährden. Die Financial Times griff Informationen der ukrainischen Gruppe Deep State, die eng mit dem ukrainischen Verteidigungsministerium verbunden ist und die Bewegungen an der Frontlinie überwacht, auf und behauptete, dass „die russischen Streitkräfte seit dem 6. August in Donezk schneller vorgerückt sind als in den Monaten zuvor „.

Dies scheint darauf hinzudeuten, dass die russische Armee entgegen dem ursprünglichen Plan der ukrainischen Führung nicht eilig Tausende von Soldat:innen aus dem Donbass zur Verteidigung von Kursk umschichtete. Stattdessen nutzte sie die Schwächung der ukrainischen Verteidigung, um einen Durchbruch in Richtung der strategisch wichtigen Stadt Pokrowsk zu versuchen. In diesem Zusammenhang gibt France 24 die Situation wie folgt wieder: „“Die Situation ist außer Kontrolle geraten“, beschwerte sich Roman Ponomarenko, ein Offizier der ukrainischen Nationalgarde, am Freitag, den 30. August, auf Telegram. Seiner Meinung nach habe die ukrainische Verteidigung versagt und die gesamte Front im Donbass sei seit dem russischen Durchbruch nach Pokrowsk „zusammengebrochen““. In dem bereits zitierten Artikel der Financial Times beschrieb Mariana Bezuhla, Abgeordnete und Mitglied des Verteidigungsausschusses im ukrainischen Parlament, die Situation in Nowohrodiwka, östlich von Pokrowsk, wie folgt: „Die Schützengräben vor Nowohrodiwka waren leer. Es gab praktisch keine ukrainische Armee mehr in der Stadt, die einst 20.000 Einwohner zählte“. Im selben Artikel sagte der Militäranalyst Oleksandr Kovalenko über die Situation östlich von Pokrovsk, dass „es nicht die Schuld der einfachen Soldaten ist, die Posten besetzen (…) Das Problem liegt bei denjenigen, die Entscheidungen für diese Soldaten treffen“.

Die Stadt Pokrowsk hat große Bedeutung erlangt, da es sich um einen wichtigen logistischen Knotenpunkt handelt, über den die verschiedenen Nachschublieferungen, die für die gesamte Ostfront benötigt werden, abgewickelt werden. Wenn es den russischen Streitkräften gelingt, die Stadt einzunehmen, könnte ihnen so zudem der Weg zu anderen wichtigen Städten in der Region, einschließlich Charkiw, geebnet werden.

Die Russland-Experten Michael Kofman und Rob Lee schlussfolgern in einem ausführlichen Artikel in Bezug auf diese Situation: 

„Das bedeutet nicht, dass die Offensive von Grund auf schlecht konzipiert war. Die Operation wurde gut durchgeführt und erreichte schnell mehrere begrenzte, aber wichtige Ziele, was sie zu einem effektiven einwöchigen Überfall gemacht hätte. Wenn sie dazu führen würde, dass große russische Streitkräfte von anderen Fronten abgezogen würden, wäre der Einsatz das Risiko mehr als wert. Bisher gibt es jedoch kaum Beweise dafür, dass dies gelungen ist. Weiter unten schreiben sie zu den Aussichten der Situation: “ Im besten Fall gelingt es den ukrainischen Streitkräften, die russischen Gewinne in Donezk zu begrenzen und Kursk durch einen dauerhaften Einsatz der Kräfte zu halten. Die Offensive könnte auch zu Veränderungen in der westlichen Politik bezüglich des Einsatzes von Langstreckenschlagwaffen führen und dem Westen die nötige Energie einhauchen, um über das weitere Vorgehen in diesem Stadium des Krieges nachzudenken. Im schlimmsten Fall wird die Ukraine in wenigen Monaten große Teile ihres Territoriums im Osten verloren haben und in Kursk kein Territorium behalten, das sie als Druckmittel einsetzen könnte… Die Zukunft hängt auch stark davon ab, was nicht nur in Kursk, sondern auch in den Kämpfen um die ukrainischen Städte in Donezk geschieht. Kiew kann sich damit abfinden, Städte wie Pokrowsk zu verlieren, vorausgesetzt, dass die Folgen nicht dramatisch sind. Doch auch dies ist ein Wagnis. Sowohl vor Ort als auch in der öffentlichen Wahrnehmung kann das Pendel ziemlich schnell umschlagen, wenn die Nachrichten von der Front ein ständiger Trommelschlag von verlorenen Städten und Dörfern sind“.

Mit anderen Worten: Die ukrainische Offensive bleibt auch mehr als einen Monat nach ihrem Beginn eine riskante und unsichere Wette. Dies gilt umso mehr, als die russischen Streitkräfte in den letzten Tagen eine Gegenoffensive in der Region Kursk begonnen haben. Wenn es Selenskij gelingt, die Westmächte davon zu überzeugen, noch mehr Waffen zu liefern und den Einsatz von Langstreckenraketen zu genehmigen, könnte er die Situation etwas ausbalancieren, allerdings um den Preis des Risikos einer fatalen Eskalation.

Verlagerung des Krieges auf russisches Territorium?

Seit mehreren Monaten versucht die ukrainische Regierung, die führenden NATO-Staaten davon zu überzeugen, den Einsatz ihrer Langstreckenraketen zum Angriff auf das Territorium zuzulassen. Bisher waren die westlichen Mächte in dieser Frage jedoch gespalten. Frankreich und Großbritannien befürworteten diese Politik, Deutschland und die USA zeigten sich aber zurückhaltend. Sie befürchteten, dass eine solche Entscheidung die Spannungen zwischen Russland und den NATO-Mitgliedern erhöhen würde. Außerdem drohte der russische Präsident Wladimir Putin diese Woche erneut dem Westen, falls dieser den Einsatz ihrer Waffen gegen russisches Territorium genehmigen würde.

Auch wenn diese Drohungen immer noch ernst zu nehmen sind, setzt die Ukraine bereits westliche Waffen ein, um Russland auf ihrem Territorium anzugreifen, unter anderem in Kursk. Bisher konnte oder wollte Russland seine Drohungen gegen die NATO-Staaten nicht umsetzen. Dies veranlasste Biden dazu, Putins Drohungen bei einem Treffen mit dem britischen Premierminister Keir Starmer zu relativieren. Tatsächlich hat Putin nur wenige Möglichkeiten, die NATO-Staaten anzugreifen, ohne eine Reaktion auszulösen, die zu einer dramatischen Entfesselung des Krieges führen könnte. Momentan sorgt der Wille, diese katastrophale Aussicht zu vermeiden, dafür, den Krieg auf das russisch-ukrainische Gebiet zu beschränken.

Innerhalb des Establishments der imperialistischen Mächte begünstigt dies die Verbreitung kriegstreiberischer Tendenzen, die ihre ultrareaktionäre Agenda weitgehend auf die Illusion stützen, dass ein Atomkrieg mit Russland nahezu unmöglich ist. Auf diese Weise wurde die ukrainische Führung dazu gebracht, an einen totalen Sieg zu glauben (ohne jemals wirklich zu definieren, was das bedeuten würde). Die imperialistischen nutzten die Ukraine auf diese Weise, um ihren eigenen Krieg gegen Russland zu führen, eine Macht, die von den USA neben China als Feind ihrer „Weltordnung“ beschrieben wird. Die imperialistischen Interessen, Russland durch einen Zermürbungskrieg zu schwächen, haben nichts mit der Verteidigung der nationalen Selbstbestimmung der Ukraine zu tun.

Laut einigen Analyst:innen führte diese Konstellation dazu, dass Gelegenheiten, eine Einigung zu verhandeln, um den Krieg auf einer für die Ukraine günstigeren Grundlage zu beenden, verpasst wurden. Der Wissenschaftler Demri Scott Greggo schreibt in einem kürzlich erschienenen Artikel zu diesem Thema: „Im Jahr 2022 hat die Ukraine eine Reihe von Siegen gegen Russland errungen. Dies wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, um sich an den Verhandlungstisch zu setzen und um Frieden zu bitten. Berauscht von den Siegen des Jahres 2022 forderten einige Neokonservative fälschlicherweise einen Regimewechsel in Russland, während die ukrainische und die amerikanische Führung weiterhin für eine Fortsetzung des Krieges eintraten. Niemand definierte klar, was ein Sieg ist. So wurde der Krieg zu einem Abnutzungskrieg, einem Konflikt ohne Ende in Sicht“.

Die westlichen Mächte überschritten eine selbstauferlegte „rote Linie“ nach der anderen: die Entsendung von immer ausgeklügelteren Waffen, Panzern, Flugzeugen und Langstreckenraketen. Einige wichtige Politiker wie der französische Präsident Emmanuel Macron gingen sogar so weit, die Entsendung von Truppen in die Ukraine in Aussicht zu stellen. All dies hat jedoch nicht zu einer Veränderung der Situation zugunsten der Ukraine geführt, sondern die Zerstörung des Landes verlängert, die Zahl der Toten vervielfacht und die politische, militärische und wirtschaftliche Abhängigkeit der Ukraine vom Imperialismus verstärkt.

Nun scheint es, dass eine neue „rote Linie“ überschritten werden soll. Bei einem Treffen zwischen Biden und Starmer sollen sich die beiden Politiker nämlich darauf geeinigt haben, der Ukraine zu erlauben, mit den Storm Shadow-Raketen aus französisch-britischer Produktion tief ins russische Territorium einzudringen. Laut The Guardian waren einige der Gründe für diese Änderung „der Druck, dem die Ukraine an der Frontlinie ausgesetzt ist, und die Angst vor einem sehr harten Winter; der überraschende grenzüberschreitende Einfall der Ukraine, der die Überlegungen zum Einsatz von Waffen auf russischem Boden neu fokussiert und daran erinnert hat, dass die Ukraine am effektivsten ist, wenn sie die Dynamik des Konflikts verändert; und die Nachricht, dass der Iran Russland mit einer neuen Charge tödlicher ballistischer Raketen versorgt hat“.

Die Ukraine behauptet, diese Raketen seien notwendig, um militärische Ziele innerhalb des russischen Hoheitsgebiets zu treffen und so zu verhindern, dass die russische Armee ihre Offensiven auf russischem Boden aufrechterhalten kann. Die westlichen Politiker:innen wissen jedoch, dass es keine Garantie dafür gibt, dass nicht auch Zivilist:innen von diesen Raketen getroffen werden. Die Idee, einen Teil des Krieges auf russisches Territorium zu verlagern, ist nicht nur eine rein militärische, sondern auch eine politische Frage. Der geopolitische Analyst George Friedman erklärt die Ziele der Stärkung der Schlagkraft der Luftwaffe folgendermaßen: „Die Luftwaffe hatte drei strategische Ziele: Feuerkraft für Offensivoperationen hinzuzufügen, lebenswichtige militärische Einrichtungen ohne Bodentruppen direkt anzugreifen und die Moral der Zivilbevölkerung durch den Verlust von Nichtkombattanten und Infrastruktur zu untergraben“, und fügt dann hinzu: „Mit Ausnahme des einen Mals, als sie in Hiroshima und Nagasaki entscheidend war, hat die Luftmacht, so störend und verheerend sie auch sein mag, noch nie wirklich über den Ausgang eines Krieges entschieden“.

Das heißt, die Verlagerung der Kämpfe auf russisches Territorium würde nicht wirklich dazu dienen, der Ukraine zu helfen, sondern die Verwüstung und die Toten geografisch auszuweiten und zweifellos der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten der Grenze mehr Leid zuzufügen, mit dem einzigen ungewissen Ziel, eine für Kiew günstigere Verhandlung über das Ende des Konflikts zu erzwingen.

Auf dem Weg zu einem intensiveren Krieg?

Russland hat in den letzten Wochen seine Angriffe auf die ukrainische Bevölkerung intensiviert. Unter dem Vorwand der Offensive gegen Kursk hat es ein Raketen-Sperrfeuer in bisher ungekanntem Ausmaß gegen militärische, aber auch zivile Ziele wie Wohngebiete abgefeuert. Besonders ins Visier genommen wurde die Elektrizitätsinfrastruktur, was so weit ging, dass die Stromerzeugungskapazitäten, die der Hälfte des von der Ukraine im Winter verbrauchten Stroms entsprechen, zerstört wurden. Aus diesem Grund befürchten sowohl die ukrainischen Behörden als auch die imperialistischen Staaten einen sehr harten Winter mit einer neuen Welle von ukrainischen Geflüchteten. Hinzu kommt eine gewisse „Müdigkeit“ innerhalb der westlichen Gesellschaften gegenüber dem Krieg in der Ukraine. All dies vor dem Hintergrund schwieriger wirtschaftlicher Aussichten, die die Aufrechterhaltung der militärischen und wirtschaftlichen Unterstützung für die Ukraine erschweren.

Auch vor diesem Hintergrund spricht Selenskyi offen davon, Putin zu Verhandlungen zu zwingen, während in der Vergangenheit Verhandlungen nicht in Frage kamen, solange sich russische Streitkräfte in der Ukraine befanden. Wenn die ukrainische Führung jedoch verhandeln will, hofft sie, dies unter den bestmöglichen Bedingungen zu tun. Deshalb müssen sie die russische Armee im Osten und Süden des Landes zurückdrängen, aber auch Russland im eigenen Land angreifen. Es ist bekannt, dass, wenn Kriege sich der Verhandlungsphase nähern, die Gräueltaten zunehmen, da das Kräfteverhältnis am Verhandlungstisch weitgehend auf dem Schlachtfeld erreicht wird. Die Unsicherheit wird im Übrigen bis zum Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen nur noch zunehmen. Im Falle eines Wahlsiegs Trumps hat dieser seinen europäischen Verbündeten offen gedroht, sie sich militärisch selbst zu überlassen, wenn sie nicht die NATO-Budgets massiv aufstocken, und gleichzeitig ein schnelles Ende des Kriegs in der Ukraine versprochen. Sein Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, JD Vance, hat in der Tat einen Plan zur Beendigung des Krieges enthüllt, der erhebliche territoriale Zugeständnisse und die Neutralität der Ukraine gegenüber der NATO beinhaltet. Diese Aussicht verstärkt die Unsicherheit der Situation.

Für Selenskyi ist diese Frage nach dem Kräfteverhältnis nicht nur für den Erfolg der Ukraine in einer möglichen Verhandlung mit Russland, sondern auch für ihre politische Zukunft zentral. Seit dem Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 hat sich eine Form des reaktionären Nationalismus in der ukrainischen Bevölkerung verstärkt. Die progressiven Aspekte der Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit gegen den reaktionären großrussischen Nationalismus wurden nach und nach durch einen radikalen Nationalismus mit antirussischen Aspekten verdrängt. Mit Hilfe der westlichen imperialistischen Führer integrierte die Regierung Selenskyi ganze Gruppen von extremen Rechten und Neonazis in die Streitkräfte. Sie gewannen sogar ein hohes Ansehen in der Bevölkerung, da sie zu den effektivsten Bataillonen im Kampf gegen die russische Invasion gehörten. In der westlichen Presse wurde viel getan, um ihren neonazistischen und reaktionären Charakter zu relativieren.

Dennoch könnten diese nationalistischen Sektoren, die einen großen Einfluss unter den Streitkräften ausüben, zu einem Faktor der politischen Destabilisierung in der Nachkriegsukraine werden, mehr noch im Falle einer Niederlage oder von Verhandlungen, die sie als zu ungünstig erachten würden. Während die Aussicht auf eine Einigung mit Russland zur Beendigung des Krieges in der Ukraine zunimmt, scheint das Militär der bedrohlichste Faktor zu sein. Im Wall Street Journal heißt es dazu: „Eine Schlüsselgruppe bleibt besonders skeptisch gegenüber einem Abkommen mit Russland: das Militär. Einer aktuellen Umfrage zufolge sind 18 Prozent der Veteranen und aktiven Soldaten der Meinung, dass die Ukraine versuchen sollte, den Krieg durch Verhandlungen zu beenden – der niedrigste Wert aller untersuchten demografischen Gruppen. Fünfzehn Prozent der Soldaten und Veteranen gaben an, dass sie sich einem bewaffneten Protest anschließen würden, wenn Kiew einen Friedensvertrag unterzeichnen würde, mit dem sie nicht einverstanden sind“.

Aus dieser Sicht scheint Selenskyi nicht viele Optionen zu haben, als zu versuchen, den Krieg gegen Russland zu verschärfen, in der Hoffnung, in einem unbestimmten Zeitraum unter besseren Bedingungen Verhandlungen aufnehmen zu können. Das Risiko besteht darin, dass die ständige Eskalation letztendlich zu einem großen Krieg führt, in den die NATO-Atommächte direkter involviert sein könnten.

Dieser Artikel erschien zunächst am 16. September in unserer Schwesterzeitung Révolution Permanente.

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