Gabriel García Higueras: “Es ist wichtig, dass das Werk Trotzkis in Kuba bekannter gemacht wird”
Wir spiegeln das Interview mit dem peruanischen Historiker Gabriel García Higueras, das am Rande eines Kongresses über das Werk Leo Trotzkis in La Havanna, Kuba, von La Izquierda Diario Méxiko geführt wurde.
Vom 6.-8. Mai fand in Havanna, Kuba, der „erste internationale akademische Kongress“ über Leo Trotzki auf der karibischen Insel statt. Die Ideen des russischen Revolutionärs Leo Trotzki sind angesichts der aktuellen Situation in Kuba von großem Interesse. Gabriel García Higueras ist Universitätsprofessor, Autor des Buches Trotzki im Spiegel der Geschichte (Essays) und Geschichte und Perestroika. Die Revision der sowjetischen Geschichte unter Gorbatschow (1987-1991). Außerdem schrieb er den Guide für das Museum Haus Leo Trotzki.
La Izquierda Diario (LID): Was ist deine Einschätzung von diesem Kongress?
Gabriel García Higueras: Es handelt sich um ein sowohl politisch als auch akademisch höchst wichtiges Ereignis. Es ist bedeutsam, dass ein solches Treffen in Kuba stattfindet. Wie ich es zu Beginn meines Referates sagte, fand seit 1990 kein internationaler Kongress über Trotzki statt, der so viele Referent*innen aus so vielen Ländern vereinte. Die Organisation von Frank García sowie die Aufnahme im Publikum waren fantastisch. Es ist etwas wirklich neuartiges und es wird mit Sicherheit die Art verändern, wie in Kuba über Trotzki geforscht wird. Es ist nicht zu vernachlässigen, dass der Kongress stattfinden konnte, obwohl er keine ausreichende organisatorische Unterstützung erhielt. Das ist sehr verdienstvoll und verdeutlicht die Hingabe derjenigen, die es möglich gemacht haben.
LID: Warum ist es gerade bedeutsam, dass diese Veranstaltung in Kuba stattfindet?
Gabriel García Higueras: Es ist sehr wichtig, dass dieser Kongress in Kuba stattfinden konnte, was auch für eine größere Offenheit politischen Themen gegenüber spricht, die vorher zensiert waren. Viele Jahre lang war Trotzki ein Tabu auf der Insel, da die revolutionäre kubanische Regierung mit den Ostblock-Staaten verbunden war, die eine stalinistische Version seiner Rolle in der russischen Revolution propagierten. Über eben jene verzerrte Vision schreibt Leonardo Padura in einem der Texte, der in seinem neuen Buch Agua por todas partes erschienen ist. Das Event ist deshalb so bedeutsam, weil es das Erbe einer der wichtigsten sozialistischen Denker*innen des 20. Jahrhunderts hervorhebt.
Auf der anderen Seite halte ich es für relevant, dass das Werk Trotzkis einer neuen Generation von Kubaner*innen zugänglich gemacht wird. In diesem Sinne ist es von grober Bedeutung, dass zwei seiner wichtigsten Werke präsentiert wurden: Die Verratene Revolution und die Lateinamerikanischen Schriften.
Außerdem werden wir morgen die erste Vorschau des Dokumentarfilms The Most Dangerous Man in the World über das Leben Trotzkis der Filmemacherin Lindy Laub sehen können. In ihrer Arbeit wurde sie für die historischen Recherchen von Suzi Weissman unterstützt. Es ist der vollständigste und am besten dokumentierte Film, der jemals über Trotzki gemacht wurde. Ich sage das, weil ich den Trailer im Leo-Trotzki-Museum in Mexiko vor neun Jahren sah.
LID: Warum erzählst du nicht etwas über dein eigenes Referat?
Gabriel García Higueras: Ich habe darin über die historiographische Repräsentation Trotzkis in der Sowjetunion während der Perestroika gesprochen. Dieses Thema ist wichtig, weil in dieser Zeit eine Revision der offiziellen Geschichte vorgenommen wurde und Trotzki als Anführer der russischen Revolution wiederentdeckt wurde. Außerdem ermöglichte diese Veränderung das Aufkommen neuer historischer Narrative über Trotzki, von denen einige bis heute in Russland im Umlauf sind. Da ich nur 15 Minuten für meinen Vortrag hatte, konnte ich das Thema nur sehr grob darstellen. Ich hätte auch gerne mehr über die Wahrnehmung von Trotzki in Russland heute gesprochen.
LID: Außerdem hast du ein Buch vorgestellt…
Gabriel García Higueras: Genau, es handelte sich um die zweite Ausgabe von Trotzki im Spiegel der Geschichte, die vor zwei Jahren in Mexiko veröffentlicht wurde. Obwohl ich aus Lima nicht viele Bücher mitbringen konnte, hoffe ich doch, dass mein Buch in den Bibliotheken von interessierten kubanischen Leser*innen entdeckt wird.
LID: Worin besteht Trotzkis Aktualität?
Gabriel García Higueras: Seine Ideen sind unumgänglich, um die wichtigsten aktuellen Prozesse auf der Welt zu verstehen. Trotzki schrieb über eine so große Bandbreite an Problemen, dass seine Positionen unseren Blick auf die Wirklichkeit bereichern. Um nur ein Beispiel zu nennen ist seine Theorie zentral, um die russische Revolution und den historischen Prozess nach 1917 zu verstehen. Seine Schriften geben uns fundierte Argumente, mit deren Hilfe wir die Degeneration des ersten Arbeiter*innenstaates und auch die Gründe seines Verschwindens erklären können.
Dieses Interview, geführt von Pablo Oprinari, erschien zuerst im Mai 2019 auf La Izquierda Diario Mexico.