Es ist kein religiöser Konflikt, es ist Kolonialismus!

14.05.2021, Lesezeit 7 Min.
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Was sich gerade in Westasien abspielt, ist kein “Kampf über Religion”. Es ist eine militärische Besetzung und Vertreibung, die Fortsetzung des Kolonialismus und ein Apartheidsregime.

Seit einigen Tagen spitzt sich die Debatte in den deutschen Medien über den sogenannten „Nahostkonflikt“ zu. Doch Debatte ist in diesem Zusammenhang ein großes Wort. Die Debatte hierzulande geht von einer bedingungslosen Unterstützung des israelischen Staates aus, wobei pro-palästinensischer Positionen mit dem Antisemitismus-Vorwurf zensiert werden. Bevor wir uns den Hintergründen dieser Tatsache widmen, ist ein kurzer Rückblick der Geschehnisse vor Ort wichtig.

Was genau sind die aktuellen Auseinandersetzungen?

Die Eskalation des Konflikts hat nicht damit begonnen, dass die Hamas selbstgebastelte Raketen auf Israel geschossen hat (ein Bild, das von unzähligen bürgerlichen Medien gemalt wird). Sie hat damit begonnen, dass israelische Militärs in Sheikh Jarrah palästinensische Familien aus ihren Häusern gejagt und die darauf folgenden Proteste brutal unterdrückt hat und Soldat:innen Betende in der Al Aqsa Moschee – eine der wichtigsten Glaubensstätten des Islams –  während des Ramadans angegriffen haben. Dieser gewaltvolle Vorgang war die Spitze der Kolonialpolitik Israels, die Monate zuvor mitten in der Pandemie ihren Apartheid-Charakter durch einen aggressiven Impfstoff-Nationalismus erneut gezeigt hatte, sogar die liberalen Nicht-Regierungs-Organisation „Human  Rights Watch“ verwendete den Begriff Apartheid für die israelische Politik. Um den zuvor genannten Versuch der Vertreibung palästinensischer Familien aus Sheikh Jarrah zu stoppen, reagierte die palästinensischen Widerstandsorganisationen mit einem Raketenangriff, den Israel schnell erwiderte.

Was gerade stattfindet, ist jedoch kein „Streit“ oder „Konflikt“ auf Augenhöhe. Die Zusammenstöße könnten nicht asymmetrischer sein: Auf der einen Seite steht das israelische Militär, eines der am besten ausgerüsteten der Welt, mit dem „Iron Dome“, einem von den USA mit 205 Millionen Dollar unterstützen Raketenabwehrsystem, sowie schwer bewaffneten Soldat:innen. Demgegenüber stehen zum Einen palästinensische Jugendliche, nur mit Steinen bewaffnet, die für ihre Freiheit protestieren. Zum Anderen noch die Hamas, die gerade primär Kassam-Raketen auf Israel abschießt. Zu diesen Raketen schreibt Wikipedia, es handle sich um  „einfache, mit Sprengköpfen versehene Stahlkonstruktionen ohne aktives Leitsystem mit „vergleichsweise geringer“ Treffgenauigkeit, Zuverlässigkeit und Wirkung.

Aber warum denken denn alle, dass es sich um einen religiösen Konflikt handelt?

Der israelische Staat spielt eine große Rolle dabei, seine zionistische Geschichte unter dem trügerischen Vorwand des Schutzes jüdischen Lebens zu verbreiten. Eine derart verfälschte Darstellung der Situation macht es möglich, dass die internationale Aufmerksamkeit sich nicht auf die Gräueltaten des israelischen Militärs richtet. Wenn es sich um einen seit Jahrhunderten andauernden Religionskonflikt handelt, dann gibt es auch wenig, das wir hier in Deutschland tun könnten, um das Leid der Menschen in Palästina zu lindern. Außerdem kann damit auch die Zerstörung von hunderten palästinensischen Dörfern verschleiert werden, sowie die Tatsache, dass Israel 7,2 Millionen Palästinenser:innen zu Geflüchteten gemacht hat.

Die deutsche Medienlandschaft kann jedoch nicht allein durch Israels eigene Stellung erklärt werden, sondern hängt vielmehr mit dem eigenen geopolitischen Interesse des deutschen Imperialismus zusammen. Die unantastbare Beziehung zwischen dem deutschen und dem israelischen Staat, welche vom Pressesprecher der Bundesregierung vor einigen Tagen erneut betont wurde – dieser verurteilte alleine die Raketenangriffe Palästinas und bezeichnete das israelische Bombardement als Selbstverteidigung –, lässt sich anhand zweier Faktoren erklären.

Zum Einen ist die wirtschaftliche Beziehung von großer Bedeutung, da Deutschland der wichtigste Handelspartner Israels in Europa ist. Allein im Jahr 2020 importierte Israel Waren aus Deutschland im Wert von 4,61 Milliarden Dollar. Dieser engen wirtschaftlichen Beziehung folgt aber auch eine politische.

Zum Anderen also, die politische Beziehung zwischen dem israelischen Staat und imperialistischen Staaten wie Deutschland und den USA beginnt bei der Geschichte der Staatsgründung Israels: Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, also nach dem Ende der Shoah – aber nicht dem Ende der Verfolgung von Jüd:innen – gab es verschiedene Bestrebungen in der Region Palästina. Die Staatsgründung 1948 entsprach zwar den Wünschen des zionistischen Teils der nach Palästina ausgewanderten Jüd:innen, stand jedoch gegen den Willen vieler dort lebender Jüd:innen sowie der arabischen Bevölkerung. Denn die Staatsgründung hatte auch das Ziel, einem gemeinsamen multi-ethnischem Projekt zuvorzukommen. Es gab dort nämlich auch Bestrebung nach einem gemeinsamen Staat der Palästinenser:innen und zugewanderten Jüd:innen.

Bis heute ist die politische Beziehung klar sichtbar: Sowohl Großbritannien als auch die Vereinigten Staaten und mittlerweile auch die Europäische Union stehen immer bedingungslos hinter Israel, welcher auf ihre Legitimation angewiesen ist und für seine kolonialistische Politik unterstützt wird. Und sie profitieren davon, mit Israel eine wirtschaftliche, militärische und geostrategische Stellung in der Region zu haben.

Deutsche Medien und ihr heuchlerischer Kampf gegen Antisemitismus

Die Schlagzeilen aller großen Medien in Deutschland, in denen der Aufstieg des Antisemitismus verkündet wird, stapeln sich. In diesen fällt die Gleichsetzung des Judentums mit dem israelischen Staat, die Gleichsetzung von rechter und linker Israelkritik und die Gleichsetzung der Gewalt in Westasien auf. Durch diese klassischen Verleumdungsstrategien – ganz nach dem Hufeisen-Modell – wird die Aggression Israels verdeckt und jede pro-palästinensische Position per se als antisemitisch dargestellt.

Diese Gleichsetzungen sollen dazu dienen, die öffentliche Meinung in eine pro-israelische zu verwandeln und politische Verbote von pro-palästinensischen Demonstrationen zu ermöglichen. Antisemitische Parolen von türkischen Faschisten, wie es am Mittwoch in Gelsenkirchen der Fall war, dienen hierfür als perfektes Sprungbrett, um eine gesamte Widerstandsbewegung zu delegitimieren. Verschwiegen wird dabei in eigenem Interesse, dass diese Antisemit:innen selbst fanatische Vertreter:innen von Erdogans Besatzungspolitik in Kurdistan sind, die von der deutschen Regierung Rückendeckung bekommt.

In der Berichterstattung über die Verbrennung israelischer Fahnen findet eine falsche Gleichsetzung mit der Zerstörung jüdischer Symbole statt, um eine falsche Geschichte zu erzählen: Die Fahne des israelischen Nationalstaats wird dem Davidstern gleichgesetzt, obwohl es grundsätzlich unterschiedliche Symbole sind. Das Judentum ist nicht der israelische Staat, die jüdische Religion nicht die zionistische Ideologie, die jüdische Diaspora nicht die israelische Regierung.

Was können wir in Deutschland tun?

Wer sich heute in Deutschland mit dem Thema beschäftigt, darf auf diese Gleichsetzungfalle nicht hereinfallen. Der Konflikt politischer Interessen in der Region wird durch seine Reduktion auf einen religiösen Konflikt zu einem immerwährenden Konflikt gemacht, bei dem jeder palästinensischer Widerstand als religiöser Hass-Akt diffamiert wird. Gleichzeitig ziehen faschistische Israelis durch ihre Städte sowie palästinensische Dörfer und lynchen Palästinenser:innen.

Es ist notwendig, sich in das Thema einzumischen. Der Widerstand gegen das Silencing Palästinas muss sich ausweiten und konsequent die Hintergründe und Lage des Konfliktes erklären. Gleichermaßen muss der Protest auf den Straßen sichtbar werden. Entgegen Demonstrationsverboten müssen faschistische Antisemit:innen aus der Bewegung vertrieben werden, aufgrund ihres Judenhasses und aufgrund ihres Versuches, die Bewegung mit religiösen Provokationen zu spalten. Ein Voranschreiten dieser Kräfte bedeutet lediglich eine Anpassung an den Ton der Bundesregierung, der bürgerlichen Medien und des israelischen Staates.

Der Kampf für ein freies Palästina bedeutet, sich gegen den Zionismus und auch gegen den Antisemitismus religiös-fundamentalistischer Organisationen zu stellen. Es bedeutet die Einheit von Arbeiter:innen aller Religionen, Nationen und Ethnizitäten voranzubringen, damit diese letztlich den Weg ebnet gegen die Siedlungspolitik zu kämpfen, gegen Ausbeutung und Unterdrückung.

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