Erste Abschiebung ins kriegsgeplagte Afghanistan – Bundesregierung bereitet Massenabschiebungen vor

16.12.2016, Lesezeit 6 Min.
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Am Mittwochabend wurden in Frankfurt am Main 34 Geflüchtete nach Afghanistan abgeschoben. Mit dieser Abschiebung in ein Kriegsgebiet will die Bundesregierung einen Präzedenzfall für ein härteres Vorgehen gegen Geflüchtete und eine „Abschiebekultur“ schaffen. Beginnt die massenhafte Abschiebung in Kriegsgebiete?

Am Mittwochabend flog eine Chartermaschine vom Frankfurter Flughafen nach Kabul. In ihr befanden sich 34 abgelehnte Geflüchtete aus Afghanistan, die in das vom Krieg gebeutelte Land abgeschoben wurden. Es handelt sich damit um die erste Abschiebung in ein Kriegsgebiet, in dem die Bundeswehr selbst interveniert. Sofort wurde die Aktion von Innenminister Thomas de Maizière als „richtig und notwendig“ verteidigt. Auch Horst Seehofer (CSU) unterstützte die Sammelabschiebung: „Ich hoffe, dass es keine einmalige Aktion ist“.

Viele von ihnen waren jahrelang in Deutschland, kamen jedoch nie über die Lager hinaus, an die sie durch die Residenzpflicht gebunden waren. Andere arbeiteten bereits und hatten die Sprache erlernt – und werden trotzdem in ein Land zurückgeschickt, das unter den Auswirkungen einer mehr als zehn Jahre andauernden imperialistischen Besatzung leidet.

Von der Willkommens- zur Abschiebekultur

Diese Sammelabschiebung wurde lange von de Maizière vorbereitet. Schon im Februar dieses Jahres reiste er nach Kabul, um mit der Regierung einen Deal abzuschließen. So unterstützt die Bundesregierung Kabul mit Geldern, während die afghanische Regierung ihre Bevölkerung von der Flucht ins imperialistische Zentrum abhält und abgelehnte Asylbewerber*innen aufnimmt.

Diese erste Abschiebungswelle ist nur der erste Schritt in einem groß angelegten Plan, der auf europäischer Ebene die Abschiebung 80.000 afghanischer Geflüchteter in ihr Heimatland vorsieht – darunter auch Tausende der rund 12.000, die sich aktuell in Deutschland befinden. Die Bundesregierung möchte einen Präzedenzfall schaffen, um eine möglichst repressive „Abschiebekultur“ gegen Geflüchtete durchzusetzen.

Deshalb erscheint auch die angebliche Besorgnis um die Leiden der Zivilbevölkerung im syrischen Aleppo, die aktuell die deutschen Medien beherrscht, als besonders zynisch. Werden die gleichen Personen, die heute vor den Bomben des Assad-Regimes fliehen, sollten sie es überhaupt ins abgeschottete Deutschland schaffen, in einigen Jahren wieder zurückgeschickt?

Durch verschiedene Abkommen wie mit den Maghreb-Staaten – in denen LGBTI* mit Folter rechnen müssen – sowie „Migrationspartnerschaften“ mit zahlreichen afrikanischen Regierungen – darunter das von Krieg und islamistischem Terror beherrschte Mali –, und nicht zuletzt durch den reaktionären EU-Türkei-Deal erreichen immer weniger fliehende Menschen Deutschland. Die Mauern der „Festung Europa“ sind so hoch wie noch nie – auch deshalb starben 2016 mehr Geflüchtete im Mittelmeer als je zuvor. Und diejenigen, die ankommen, erwartet eine möglichst zügige Abschiebung.

In den Tagesthemen von Mittwochnacht bezeichnete Georg Restle in seinem Kommentar die Abschiebungen nach Afghanistan als „blanken Zynismus“ und ein „vorweihnachtliches Wahlgeschenk an die Kritiker von Rechtsaußen“ . Tatsächlich sind die Abschiebungen nach Afghanistan nur die Konsequenz des kontinuierlichen Rechtsrucks, der sich in mehreren Asylgesetzverschärfungen und kürzlich in den Parteitagen der Unionsparteien ausdrückte. Während AfD und Pegida gegen Geflüchtete und Migrant*innen mobilisieren, schiebt die Bundesregierung massiv ab und macht die Grenzen dicht.

Afghanistan ist nicht sicher!

Georg Restle schließt seinen Kommentar mit folgenden Worten:

Deutschland ist sicher, Afghanistan ist es ganz und gar nicht. Auch weil wir dort einen Krieg geführt haben, der nichts besser, aber vieles schlimmer gemacht hat. […] Auch deshalb müssen die Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt werden – jetzt sofort.

Unter dem Motto „Afghanistan ist nicht sicher“ sind Geflüchtete aus dem asiatischen Land immer wieder auf die Straße getreten, nicht zuletzt beim Schul- und Unistreik gegen Rassismus in Berlin im September dieses Jahres. Auch die Abschiebung am Frankfurter Flughafen wurde begleitet von einer Demonstration hunderter Menschen, die sich gegen die unmenschliche und fremdenfeindliche Politik der Bundesregierung stellten.

Es ist tatsächlich höchst zynisch, wenn die Bundesregierung Teile Afghanistans als „sicher“ bezeichnet. Erst vor wenigen Wochen wurde die deutsche Botschaft im als sicher geltenden Kabul Ziel eines Anschlags. Und während de Maizière im Februar mit schusssicherer Weste und Helikopter die „Sicherheit“ Afghanistans beweisen wollte, starben bei einem Selbstmordattentat im Kabul mehr als 20 Menschen.

Damals begründete de Maizière die Abschiebepolitik gegenüber afghanischen Geflüchteten gerade mit der Präsenz deutscher Soldat*innen und Polizist*innen – als sei der Einsatz verschiedener internationaler Armeen ein Gradmesser für die Sicherheit eines Landes. „Wenn wir [deutsche Soldat*innen und Polizist*innen] bleiben, dann können wir auch erwarten, dass die Afghanen in ihrem eigenen Land bleiben“ . Immer noch befinden sich alleine für die NATO-Mission „Resolute Support“ 12.000 Soldat*innen in Afghanistan.

Doch der Großteil der afghanischen Bevölkerung genießt bei Weitem nicht die Sicherheitsstandards und -ausstattungen westlicher Soldat*innen. Im Mai veröffentlichte Amnesty International einen Bericht, nach dem sich die Zahl der Binnengeflüchteten in den letzten drei Jahren auf 1,2 Millionen verdoppelte – ein klares Zeichen für die Intensivierung des Konflikts. Dazu kommen Zehntausende, die in Nachbarländer wie Pakistan fliehen. So konnte der Kundus in den letzten zwei Jahren mehrfach von den Taliban unter Kontrolle genommen werden, auch in früher nicht direkt von Kampfhandlungen betroffenen Gebiete mehren sich Übergriffe und Anschläge. 2015 war das Jahr mit den meisten zivilen Opfern seit Beginn des Kriegs 2001. Selbst der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, spricht von einer zunehmenden Gefährdung des Bundeswehreinsatzes.

Bundeswehr raus aus Afghanistan – Bleiberecht für alle und sofortiger Stopp aller Abschiebungen

Die katastrophale Lage besonders für die arbeitende und arme Bevölkerung Afghanistans ist das Ergebnis der imperialistischen Invasion, von der auch nach mehr als 15 Jahren kein klares Ende in Sicht ist. Das vor etwas mehr als einem Jahr angeblich „fehlerhaft“ bombardierte Krankenhaus in Kundus ist ein Beispiel für die verheerenden Auswirkungen, die imperialistische Bombardements und Besatzung mit sich tragen.

Angesichts dessen muss jede fortschrittliche Antwort mit dem sofortigen Rückzug der imperialistischen Truppen aus Afghanistan beginnen. Zudem müssen die Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete sofort aufhören. Alle Menschen, die vor Hunger, Armut und Elend Schutz suchen, müssen bedingungslos aufgenommen werden und ein vollständiges Bleiberecht sowie gleiche soziale und demokratische Rechte bekommen.

Um dies durchzusetzen ist es notwendig, eine breite demokratische Bewegung aus Arbeiter*innen und Jugendlichen aufzubauen, die mit anti-imperialistischen und anti-militaristischen Forderungen die Straßen erobert. Die traditionelle Luxemburg-Liebknecht-Demonstration in Berlin und die Demonstration gegen die Münchener Sicherheitskonferenz Anfang des kommenden Jahres sowie der G-20-Gipfel in Hamburg müssen als Startpunkte für eine solche Bewegung dienen.

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