Erst Duisburg, dann Hagen: Die Polizei tötet weiter

23.08.2023, Lesezeit 5 Min.
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Quelle: Dutchmen Photography / Shutterstock.com

Innerhalb von zwei Tagen tötete die Polizei vergangene Woche zwei weitere Menschen. Entgegen der in solchen Fällen zumeist unmittelbar vorgetragenen These handelt es sich keineswegs um Einzelfälle.

In Duisburg erschossen Beamt:innen letzten Donnerstag (17. August) einen 56-jährigen Mann, nachdem sie von Sanitäter:innen der Feuerwehr hinzugezogen wurden. Laut Pressemeldung der Polizei Duisburg sollte der Mann in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden und habe die Polizist:innen in einem Treppenhaus mit einem Messer attackiert. Daraufhin seien erst ein Distanzelektroimpulsgerät – auch Taser genannt – und anschließend die Schusswaffe eingesetzt worden. Bei der am nächsten Tag durchgeführten Obduktion stellten sich die zwei abgegebenen Schüsse als todesursächlich heraus. Weiterhin gaben die Staatsanwaltschaft Duisburg und die Polizei Düsseldorf, die in dem Fall nun ermitteln sollen, bekannt, dass eine der beiden getragenen Bodycams nicht eingeschaltet war, während die Auswertung des Materials der anderen ebenso andauere wie die Untersuchung der übrigen gesicherten Spuren.

Dass Menschen in psychischen Ausnahmesituationen erschossen werden, kommt immer wieder vor. So beispielsweise auch im Fall von Mouhamed Lamine Dramé im August 2022 in Dortmund: Hier wurde die Polizei gerufen, weil der 16-jährige Jugendliche sich im Innenhof einer Jugendeinrichtung ein Messer an den Bauch hielt und die Sorge bestand, er könne sich etwas antun. Anstatt eine:n Psychiater:in oder den psychiatrischen Krisendienst anzufordern, attackierten die Polizist:innen Mouhamed mit Pfefferspray und einem Taser, um ihn Sekunden später zu erschießen. Im Februar dieses Jahres erhob die Staatsanwaltschaft Dortmund Anklage wegen Totschlags beziehungsweise gefährlicher Körperverletzung und Anstiftung gegen vier Polizist:innen sowie den Dienstgruppenleiter. Auf den ersten Blick mag das wie Gerechtigkeit wirken; tatsächlich aber werden Verfahren gegen polizeiliche Beamt:innen in den meisten Fällen eingestellt.

Unklar ist darüber hinaus, wie viele Menschen in psychischen Ausnahmesituationen durch die Polizei erschossen werden. FragDenStaat versuchte, dies mittels des Informationsfreiheitsgesetzes herauszufinden, und kam dabei zu der Erkenntnis, dass die Behörden es schlicht nicht wissen. Obwohl alle 16 Bundesländer befragt wurden, konnten nur Rheinland-Pfalz, Bayern und Bremen zumindest einige Zahlen liefern. Aus diesen geht hervor, dass mehr als ein Drittel der in den letzten zehn Jahren von der Polizei erschossenen Personen entweder psychisch erkrankt war oder sich eben in einer psychischen Ausnahmesituation befand. Im Kontext eines Symposiums zur interprofessionellen Zusammenarbeit zwischen Polizei und Psychiatrie betonten Jurist:innen und Psychiater:innen, dass auf polizeilicher Seite Unkenntnis bezüglich des Umgangs mit psychisch Erkrankten bestehe und dies vor allem auf junge Beamt:innen zutreffe. Möglicherweise sei hierfür der Anspruch verantwortlich, Konflikte schnell zu lösen, was zu Eskalation und einer Bedrohungslage führen könne. Außerdem müssten gewisse Besonderheiten von verschiedenen Krankheitsbildern bedacht werden, wie beispielsweise Trigger, ein reduziertes Schmerzempfinden, der Verlust des Zeitgefühls oder eine besondere Wahrnehmung von Nähe. Betrachtet man hingegen Pressemeldungen der Polizei oder auch Berichte in den bürgerlichen Medien, so werden psychisch erkrankte Personen darin zumeist eher als gefährlich und gewaltbereit denunziert.

Nur zwei Tage nach den Todesschüssen der Polizei in Duisburg, das heißt am Samstagmorgen (19. August), verstarb ein 47-jähriger Mann in Hagen im Polizeigewahrsam. Dieser wurde am Freitagabend gegen 22.00 Uhr von Beamt:innen kontrolliert, die dabei feststellten, dass gegen ihn ein Haftbefehl wegen „Delikten der Betäubungsmittelkriminalität“ vorlag. Gegen 2.30 Uhr, also nur knapp viereinhalb Stunden später, wurde der Mann tot in einer Zelle des Hagener Polizeipräsidiums aufgefunden, wobei die Versuche, ihn wiederzubeleben, erfolglos blieben. Aus „Neutralitätsgründen“ soll nun die Polizei Wuppertal ermitteln. Von Neutralität kann allerdings in zweifacher Hinsicht keine Rede sein. Einerseits ist die Polizei als staatlicher Repressionsapparat nie neutral. In dem aktuellen Fall kommt außerdem hinzu, dass es bereits eine Verbindung zwischen Hagen und Wuppertal gibt. So war es die Polizei Hagen, die die Ermittlungen zum Tod von Georgios Zantiotis, der im November 2021 im Polizeigewahrsam in Wuppertal verstarb, übernahm. Wurde zunächst noch versucht, das ganze als Folge von Alkohol- und Drogenkonsum zu kaschieren, kam ein toxikologisches Gutachten zu dem Ergebnis, dass es zum Todeszeitpunkt weder einen Alkohol- noch einen Drogeneinfluss gab. Diejenigen Substanzen, die überhaupt vorzufinden waren, wiesen eine so geringe Konzentration auf, dass sie nicht am Abend des Vorfalls eingenommen worden sein konnten. Darüber hinaus seien sie auch nicht todesursächlich oder dafür überhaupt geeignet gewesen. Auch bei Danny Oswald, der im Juli dieses Jahres in Berlin bei einer gewaltsamen Festnahme umgebracht wurde, versuchten Polizei und Medien, den Tod auf diese Weise zu rechtfertigen. In einem Interview, das Dannys Mutter Sonja Fiebrand mit Klasse Gegen Klasse führte, sagt sie einen Satz, der treffender nicht hätte sein können: „Ich bin sicher, er [Danny] würde heute noch leben, wenn die Polizei nicht eingegriffen hätte.“

Denn die Polizei ist kein „Freund und Helfer“. Sie setzt als staatliches Repressionsorgan die Interessen der herrschenden Klasse durch, was sie ohne Gewalt nicht könnte. Daher ist sie als Institution auch nicht reformierbar. Anstelle von immer mehr Aufrüstung und Ausstattung, wie beispielsweise durch Taser, braucht es Kommissionen für unabhängige Untersuchungen in den Fällen von Polizeigewalt oder der Ermordung durch die Polizei unter Einbezug von Betroffenen, Angehörigen und sozialen Organisationen. Darüber werden mehr Ressourcen für psychologische Betreuung sowie Angebote und Unterstützung in Krisensituationen benötigt. Dabei handelt es sich um kurzfristige Forderungen beziehungsweise sofort umzusetzende Maßnahmen. Letztlich aber gilt: Die Polizei gehört abgeschafft!

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