Ernüchternder TV-L-Abschluss: Ist wirklich nicht mehr drin?
2,8 Prozent mehr Gehalt über 24 Monate und einmalig 1.300 Euro: Das ist nach bundesweiten Streiks das Verhandlungsergebnis für den Tarifvertrag der Länder (TV-L). Noch ist das Ergebnis aber nicht endgültig angenommen.
Am Montag wurde bekannt, dass sich ver.di als Verhandlungsführerin auf Gewerkschaftsseite am vergangenen Wochenende mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) auf neue Rahmenbedingungen für die rund 1,2 Millionen Angestellten im öffentlichen Dienst der Länder geeinigt hat.
2,8 Prozent mehr Gehalt sollen die Beschäftigten ab dem 1. Dezember 2022 erhalten, bis März 2022 bereits eine einmalige steuer- und sozialabgabenfreie Zahlung von 1.300 Euro. Für Auszubildende, Praktikant:innen und Studierende beträgt die Sonderzahlung 650 Euro. Ihre Entgelte werden um 50 Euro, im Gesundheitswesen um 70 Euro im Monat angehoben. Die Laufzeit des Tarifvertrags soll 24 Monate betragen.
Betroffen sind aller Wahrscheinlichkeit nach auch etwa 1,3 Millionen Beamt:innen, sowie die circa eine Million Versorgungsempfänger:innen, also etwa pensionierte Beamt:innen. Nicht betroffen sind die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Hessen, da das Bundesland nicht Teil der TdL ist.
Die Beschäftigten im Gesundheitswesen sollen zudem erhöhte Zuschläge erhalten. Jedoch genügt der Abschluss der Verhandlungen bei Weitem nicht, um dem ungebrochenen Personalmangel entgegenzuwirken. Auch den enormen Belastungen der Gesundheitsarbeiter:innen, besonders in der Pandemie, wird dieser kaum gerecht. Die Chance, durch eine kürzere Laufzeit einen gemeinsamen Kampf der TV-L und TVöD Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu ermöglichen, ist mit der langen Laufzeit zudem erneut vertan.
Positiv ist, dass der Versuch der Länder, die Löhne vieler Beschäftigten durch eine Änderung der Eingruppierungsregeln anzugreifen, abgewehrt werden konnte. Allerdings versucht die TdL ihr Vorhaben auch vor dem Bundesverfassungsgericht durchzusetzen, wie Beamtenbund-Chef Ulrich Silberbach in seinem Statement zum Verhandlungsergebnis anmerkte. Gut möglich also, dass sich die Freude über diesen Aspekt als verfrüht herausstellen könnte.
„Absolut nicht befriedigend“
Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke bezeichnete den Abschluss als ein „in weiten Teilen respektables Ergebnis“. Dabei gestand er ein, dass die Gehaltserhöhung von nur 2,8 Prozent „absolut nicht befriedigend“ ist. Angesichts von hohen Preissteigerungen könnte die geringe Lohnerhöhung trotz der Einmalzahlung unter dem Strich ein Reallohnverlust bedeuten.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) war mit der Parole #DasGewinnenWir in die Tarifauseinandersetzung gezogen. Viel gewonnen wurde am Ende nicht, erst recht nicht für Studierende: Einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte oder ihre Aufnahme in den TV-L wird es nicht geben. Lediglich eine „Gesprächszusage“ konnte der TdL in den Verhandlungen abgerungen werden. Dennoch bezeichnete die GEW-Vorsitzende Maike Finnern die Einigung als „verantwortungsvollen Abschluss in schwieriger Corona-Zeit“.
„Mit Blick auf die aktuelle Pandemie-Situation ist der Abschluss zu vertreten“, so Finnern weiter. „Viele Beschäftigte haben, genauso wie wir, mehr erwartet. Die Arbeitgeber waren aber leider nicht bereit, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in der Corona-Krise gerecht zu werden.“
Die Gewerkschaftsmitglieder sehen das Ergebnis dagegen ganz anders. Auf der offiziellen Frage- und Antwortseite der GEW zur Tarifrunde ist die Kommentarspalte geprägt von Empörung und Unverständnis. Es wird immer wieder betont, dass das Ergebnis einen Reallohnverlust bedeutet und kritisiert, dass die Kampfkraft und die Bereitschaft für weitere Streiks unter den Kolleg:innen dagewesen wäre. Ein Gewerkschaftsmitglied schreibt: “Wieso sollten wir nicht drei Wochen streiken – die Kampfkraft war da!”
Von einem möglichen Erzwingungsstreik war weder bei Werneke noch bei Finnern die Rede. Dabei war schon früh abzusehen, dass die TdL ihrer Verantwortung nicht gerecht werden würden, als sie bis zur dritten Verhandlungsrunde kein Angebot vorgelegt hatte. Von der mangelnden Verantwortung der Länder in der Bekämpfung der Pandemie ganz zu schweigen.
Auf die Pandemie-Situation zu verweisen, um den Abschluss zu rechtfertigen, wie Finnern, greift also zu kurz. Schließlich brachte der vorherige TV-L Abschluss, der vor Corona ausgehandelt wurde ebenfalls keine wirkliche Verbesserunge und dauerte 33 Monate.
Gerade in Zeiten der Pandemie und steigender Inflation wäre eine volle Durchsetzung der Forderungen dringend nötig gewesen, um gerade die Arbeit im Gesundheitswesen zumindest ein wenig attraktiver zu machen und damit dem Personalmangel entgegenzuwirken.
Umso entscheidender ist es, dass der Kampf für mehr Personal im Krankenhaus jetzt mit voller Kraft geführt wird. Die Berliner Krankenhausbewegung hat bewiesen, dass ausdauernde Streiks mit großer Beteiligung möglich – und nötig sind, um Forderungen gegen die Blockaden der Bosse durchzusetzen.
Ver.di führt nun in den kommenden Wochen eine Mitgliederbefragung durch. Bindend jedoch ist dieses „Meinungsbild“ für die Bundestarifkommission nicht. Am 17. Dezember will diese endgültig über die Annahme der Abschlussergebnisses entscheiden. Stattdessen sollten die Beschäftigten selbst darüber entscheiden, ob das Ergebnis angenommen wird oder Erzwingungsstreiks folgen müssen. Dafür braucht es Versammlungen, pandemiegerecht auch online, um offen und kontrovers diskutieren und abstimmen zu können. Genau solche Verhandlungen sollten auch vor den Tarifrunden abgehalten werden, damit alle Beschäftigten in allen Betrieben abstimmen können, für welche Forderungen sie streiken und welche Mittel sie dazu nutzen wollen – einzelne Warnstreiktage oder einen Erzwingungsstreik der solange geht, bis sie ihre Forderungen erfüllt sehen.
Eure Meinung ist gefragt!
Ihr seid selbst vom Tarifabschluss betroffen, habt in den letzten Wochen mitgestreikt? Berichtet uns, was ihr von den Verhandlungsergebnissen haltet! Seid ihr zufrieden? Denkt ihr, es wäre mehr drin gewesen? Wie können wir jetzt den Kampf für mehr Personal im Gesundheitswesen und im ganzen öffentlichen Dienst weiterführen?
KGK München veranstaltet dazu auch ein Offenes Treffen: 5. Dezember, 18 Uhr, per Zoom
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