Ermordung Benno Ohnesorgs vor 50 Jahren: Kein Vergessen, kein Vergeben!

02.06.2017, Lesezeit 4 Min.
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10000 Studenten und Einwohner von Münchendemonstrieren in der Innenstadt vonMünchen gegen die ErschieÃung desBerliner Studenten Benno Ohnesorg.Spruchband: " Benno Ohnesorg + PolitischerMord- 05.06.1967Es obliegt dem Nutzer zu prüfen, ob Rechte Dritter an den Bildinhalten der beabsichtigten Nutzung des Bildmaterials entgegen stehen.

2. Juni 1967: Ein Schuss erschüttert die Bundesrepublik Deutschland. Der 26-jährige Student Benno Ohnesorg wurde von einem Polizisten erschossen. Die Tat radikalisierte die entstehende Studentenbewegung.

„Die Achtundsechsziger wollten Deutschland freier, offener und gerechter machen.“ Das schreibt die Wochenzeitung „Die Zeit“ aktuell auf ihrer Titelseite – und verbreitet in einem kurzen Satz gleich mehrere bürgerliche Märchen. Denn 1968 fand ein weltweiter Aufschwung der Klassenkämpfe statt. In den imperialistischen Ländern, in der kolonisierten Welt und auch in den degenerierten Arbeiter*innenstaaten gingen Millionen Jugendliche, Frauen und Arbeiter*innen auf die Straße.

Diese weltweite Bewegung hatte einen relativ leisen Wiederhall in Westdeutschland. Denn die Bundesrepublik war als antikommunistischer Frontstaat aufgebaut worden, „politisch und kulturell der reaktionärste unter den großen Staaten Europas“ (Perry Anderson). Vor allem Studierende und Lehrlinge beteiligten sich an der Revolte. Die Arbeiter*innenklasse Westdeutschlands blieb größtenteils im eisernen Korsett der reformistischen Bürokratien von SPD und sozialdemokratischen Gewerkschaften. Erst fünf Jahre später kamen Arbeiter*innenproteste in Deutschland auf, vorangetrieben von Migrant*innen.

Und dennoch war der 2. Juni 1967 ein Wendepunkt für die Bundesrepublik. Studierende hatten zu einer Demonstraten gegen den Schah von Persien aufgerufen. Diese autoritäre Monarchie wurde von imperialistischen Staaten gestützt. Die Westberliner Polizei wollte den Jugendlichen eine Lektion erteilen. Praktisch alle Demonstrierende wurden verprügelt – nicht wenige davon krankenhausreif. Es ist kein Wunder, dass ein besonders aufgebrachter Polizist, Karl-Heinz Kurras, auch ein bisschen weiter ging.

Kurras wurde nicht wegen Mord oder Totschlag angeklagt. Wegen „fahrlässiger Tötung“ stand er zweimal vor Gericht – und wurde zweimal freigesprochen. Der Staat wollte alles vertuschen. Mehr als 40 Jahre nach dem Mord kam ans Licht, dass Kurras seit 1955 für die Stasi gearbeitet hatte. Und schon machte sich eine bürgerliche Verschwörungstheorie bereit: Vielleicht hatte das Ministerium für Staatssicherheit die Tötung befohlen? Mehr noch: Vielleicht war die ganze 1968er Bewegung von Ostberlin aus inszeniert worden? Das haben die Anhänger*innen des deutschen Kapitalismus ohnehin gern geglaubt.

Aber nein, Kurras schoss als Westberliner Polizist, nicht als Osterberliner Geheimagent. Entsprechend wurde er über die Jahrzehnte von den westdeutschen Behörden geschützt.

Auch heute in der Bundesrepublik Deutschland genießen mordende Polizist*innen fast vollständige Straffreiheit. Zum Beispiel der Polizist, der Mitte 2016 im bayerischen Burghausen André mit einem Kopfschuss ermordete – keine Anklage. Oder der Bundespolizist in Hannover, der im Jahr 2015 damit prahlte, wie er Geflüchtete folterte (sogar mit Fotobeweisen!) – Ermittlungen eingestellt.

Der 2. Juni 1967 war auch ein Wendepunkt für die deutsche Linke. Neue linke Gruppen schossen wie Pilze aus dem Boden. Stadtguerilleros, maoistische K-Gruppen und auch trotzkistische Gruppen sind neu entstanden. Doch im Gegensatz zu Frankreich, wo im Mai 1968 zehn Millionen Arbeiter*innen in einem spontanen Generalstreik traten, blieb die neue deutsche Linke relativ isoliert vom Proletariat. Wegen ihrer studentischen Zusammensetzung ließ sie sich besser ins kapitalistische Regime integrieren – deswegen kann „Die Zeit“ die ganze Revolte als ein Versuch der Modernisierung umdeuten. Schließlich sind so viele „Achtundsechsziger“ bürgerliche Politiker*innen geworden.

Benno Ohnesorg hinterliess einen Sohn, der vier Monate nach seinem Tod geboren wurde. „Ich bestehe auf einer Entschuldigung und einer Entschädigung“, sagt der heute 49-jährige. Doch der deutsche Staat vertuscht auch heute weiter.

Gedenken heißt in diesem Fall für die Ziele der 68er Revolte zu kämpfen. Also für eine Welt ohne Ausbeutung, ohne Grenzen, ohne Kriege – für eine Welt ohne Kapitalismus. Als Lehre aus der Schwäche der Revolte in Deutschland müssen wir mit aller Kraft versuchen, die revolutionäre Energie der Jugend mit der sozialen Kraft der Arbeiter*innenbewegung zu verbinden.

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