Ermattung oder Kampf: zwei entgegengesetzte Strategien
Am 21. März präsentierte Matías Maiello das Buch "Sozialistische Strategie und Militärkunst", das er zusammen mit Emilio Albamonte geschrieben hat, an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität von Buenos Aires. Wir veröffentlichen hier seinen Vortrag.
Marxismus und strategische Reflexion
Zunächst möchte ich dem Lehrstuhl für Kriegssoziologie für die Einladung danken. Das Buch „Sozialistische Strategie und Militärkunst“, das ich zusammen mit Emilio Albamonte geschrieben habe, beschäftigt sich mit der militärischen Frage, sowohl in Bezug auf den Aufstand als auch in Bezug auf den Bürger*innenkrieg, die beiden Weltkriege und den sogenannten „Kalten Krieg“. Es ist aber nicht im Wesentlichen ein Buch der militärischen Strategie, sondern der Strategie im weiteren Sinne, besonders einschließlich der politischen Strategie.
In vielerlei Hinsicht kann man den revolutionären Marxismus des 20. Jahrhunderts nicht verstehen, ohne Strategie zu studieren. Es ist kein Zufall, dass Carl Schmitt darauf hinweist, dass Lenins Notizbücher über Clausewitz „eines der großartigsten Dokumente der Geschichte der Welt- und der Geistesgeschichte“ sind. Oder dass Ernesto Laclau und Chantal Mouffe gesagt haben, dass jeder revolutionäre Marxismus die „Sünde“ hat, weitgehend von Clausewitz beeinflusst zu sein.
In diesem Vortrag möchte ich mich darauf konzentrieren, die Inhalte des Buches einzuordnen und die Art der strategischen Probleme, die es zu reflektieren versucht, und ihre Aktualität darzustellen.
Reformpartei oder revolutionäre Partei
Zunächst möchte ich einen Beitrag des Vorsitzenden von Podemos, Pablo Iglesias, zitieren, der meiner Meinung nach für die Diskussion sehr anschaulich ist. Auf die Frage, ob die griechische Syriza-Koalition „harte“ Maßnahmen gegen die Troika hätte ergreifen sollen, anstatt schließlich die Kürzungsmaßnahmen vorzunehmen, die sie theoretisch bekämpfen wollte, antwortet Iglesias:
Das Problem ist, dass noch bewiesen werden muss, ob jemand innerhalb eines Staats eine solche Herausforderung annehmen kann […] Wenn man aus der Regierung heraus eine harte Sache machen will, hat man plötzlich einen guten Teil der Armee, des Polizeiapparates, aller Medien und alles gegen sich, absolut alles. Und in einem parlamentarischen System die absolute Mehrheit sicherstellen, ist sehr schwierig […] Zunächst hätte man sich mit der Sozialistischen Partei einigen müssen. [1]
Diese Reflexion ist interessant, weil sie die zwei Wege klar markiert, zwischen denen die Strategie wählen muss. Man kann sich an den Rahmen der Institutionen halten und innerhalb ihrer Grenzen handeln, natürlich in Kombination mit einem „linken“ Diskurs. Oder man kann über die Grenzen der Institutionen hinausgehen, kapitalistische Interessen angreifen und den bürgerlichen Staat konfrontieren. Dafür muss man sich auf die Konfrontation mit einer ganzen Reihe materieller Kräfte vorbereiten, die sich widersetzen werden.
Im ersten Fall könnten wir sagen, dass es keine Strategie im eigentlichen Sinne gibt, wenn wir sie – mit Clausewitz – vom Blickwinkel des Einsatzes taktischer Teilkämpfe, um den Willen des Feindes zu brechen, verstehen. Oder wie Trotzki sagte, als die Kunst, das Kommando zu übernehmen. Was wir stattdessen haben, ist die Verwaltung der Interessen der Kapitalist*innen mit einem „linken“ Diskurs.
Das endet wie bei Syriza, das die Kürzungsmaßnahmen durchgeführt hat, oder wie bei Podemos, die vollständig in das Regime integriert sind – sie nehmen an den Lokalregierungen in Madrid und Barcelona teil, auch wenn sie bisher nicht in der nationalen Regierung sind. Ihre Integration ins Regime hat sich zum Beispiel im katalanischen Unabhängigkeitsprozesses gezeigt. Ganz zu schweigen von den Vorschlägen, wie sie der Kirchnerismus hier in Argentinien macht: eine oppositionelle Einheit „aller gegen Macri“ für 2019 zu formieren, was sich auf die Wahl des einen oder des anderen bürgerlichen Sektors reduziert.
Die Arbeit der Strategie
Wenn wir nun den Weg der Konfrontation mit den Kapitalist*innen gehen, ist klar, dass es dazu materieller (und „moralischer“, wie wir mit Clausewitz sagen würden) Kraft bedarf. Damit kommen wir zu einer zweiten grundlegenden Frage: Welche Art von Kraft ist für diese Kämpfe nötig, und wie formieren wir sie? Eine strategische Aufgabe, die offensichtlich nicht am Tag des „Sturms auf das Winterpalais“ beginnt.
Diese „Strategiearbeit“ an sich wirft eine ganze Reihe von Problemen auf. Clausewitz hatte dazu einen sehr anschaulichen Satz: „In der Strategie ist alles sehr einfach, aber darum nicht auch alles sehr leicht.“ Ist der strategische Kurs einmal festgelegt, und gehe ich vom „Papier“ zur Realität über, entsteht Reibung, denn das Handlungsfeld ist das der Unsicherheit, des Zufalls und der Angst.
Gleichzeitig sind die Probleme, die sich aus der Arbeit der revolutionären Strategie ergeben, noch größer als in der militärischen Strategie. Während sich die Kriegskunst im engeren Sinne (wie von Clausewitz definiert) nur auf den Einsatz der bereits geschaffenen Kräfte bezieht, wo der Armee usw. Mittel zur Verfügung gestellt werden, gibt es in der revolutionären Strategie keine „gegebenen Mittel“: Die Führung muss ihr Recht auf die Führung erkämpfen; die Partei muss aufgebaut werden, ebenso wie das Verhältnis zur Massenbewegung. Mit anderen Worten, die Arbeit der Strategie umfasst alle Phasen der Schaffung einer revolutionären Kraft.
„Ermattungsstrategie“ und „Niederwerfungsstrategie“
Wie kann also in diesem Rahmen eine revolutionäre Kraft entstehen? Um diese Frage anzugehen, möchte ich auf eine sehr wichtige Diskussion im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eingehen: die Debatte über „Ermattungsstrategie“ und „Niederwerfungsstrategie“.
Derjenige, der diese Begriffe in die Debatte einführt, ist Karl Kautsky, der theoretische Anführer der Zweiten Internationale. Er übernimmt die Begriffe „sui generis“ von Hans Delbrück. Dieser hatte auf der Grundlage einer Reihe von Notizen, die Clausewitz zur Überarbeitung seiner Arbeit hinterlassen hat, ein Konzept entwickelt, in dem es zwei Pole der Kunst der Strategie gibt: die „Ermattungsstrategie“, deren Ziel begrenzte Eroberungen an den Grenzen sind, und die „Niederwerfungsstrategie“, wenn es darum geht, den Feind zu besiegen.
Warum nimmt Kautsky diese Kategorien auf? Um gegen Rosa Luxemburg zu argumentieren. In Deutschland gab es 1910 große Arbeiter*innenkämpfe und Massenmobilisierungen für demokratische Forderungen. Rosa schlug vor, für die Notwendigkeit eines politischen Generalstreiks zu agitieren. Kautsky wandte ein, dass es nicht richtig sei, die sozialdemokratische Organisation (die damals rund 700.000 Mitglieder, 2 Millionen Anhänger*innen in den Gewerkschaften und 3 Millionen Wähler*innen hatte) in diesen Kämpfen zu riskieren, und dass der Schlüssel darin bestehe, bei den nächsten Wahlen einen großen Stimmenanteil zu bekommen.
Daher war für Kautsky eine „Ermattungsstrategie“ nötig. Was meinte er damit?
Die moderne Kriegswissenschaft – so Kautsky – unterscheidet zwei Arten von Strategie, die Niederwerfungs- und die Ermattungsstrategie. Die erstere zieht ihre Streitkräfte rasch zusammen, um dem Feinde entgegenzugehen und entscheidende Stöße zu versetzen […]. Bei der Ermattungsstrategie dagegen weicht der Feldherr zunächst jeder entscheidenden Schlacht aus; er sucht die gegnerische Armee durch Manöver aller Art stets in Atem zu erhalten, ohne ihr Gelegenheit zu geben, ihre Truppen durch Siege anzufeuern […]. [2]
Rosa Luxemburg antwortete, dass seine gesamte Ausarbeitung der „Ermattungsstrategie“ die Grundlage für eine „Nichts als Parlamentarismus“-Orientierung sei. Obwohl sich diese Prognose später als richtig herausstellte, war es damals noch nicht ganz der Fall, zumindest in dem, was Kautsky sagte. Er argumentierte damals weiter, dass es zum richtigen Zeitpunkt notwendig sei, zu einer „Niederwerfungsstrategie“ überzugehen. Luxemburg war natürlich nicht antiparlamentarisch – das war nicht das Problem. Der Unterschied war, dass Rosa behauptete, dass die Sozialdemokratie eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung der fortschrittlichsten Tendenzen des damaligen Klassenkampfes spielen und nicht einfach auf die Wahlen warten sollte.
Klasse, Partei und Führung
Hier kommen wir also zu einem der grundlegenden Probleme von Kautskys Schema der beiden Strategien. Die Erklärung des Vorschlags von Kautsky, die Lars Lih, ein US-amerikanischer marxistischer Akademiker, gibt, ist zur Veranschaulichung sehr interessant.
Laut Lih:
Kautsky erklärte, dass die Strategie der „Ermattung“ (die übliche Praxis der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands der energischen sozialistischen Bildung und Organisation) für eine normale, nicht-revolutionäre Situation geeignet sei, während die der „Niederwerfung“ (politische Massenstreiks und andere außerparlamentarische Druckmittel) für eine wirklich revolutionäre Situation geeignet sei. [3]
Ist es jedoch möglich, während der gesamten vorherigen Etappe die entscheidenden Schlachten zu vermeiden, wie Kautsky sagte, und plötzlich, wenn die Situation revolutionär wird, entschlossen zu kämpfen? Diese Idee ist in der Tat unzutreffend. Nicht zufällig ist für Kautsky die Zeit für die „Niederwerfungsstrategie“ nie gekommen.
Warum? Weil die Realität viel komplexer ist. Erstens, weil es nicht nur klar „nicht-revolutionäre“ und „revolutionäre“ Situationen gibt: Es gibt auch konterrevolutionäre Situationen; und die Realität ist voll von Übergangssituationen, von einer Abstufung von Zwischen- und Hybridsituationen, die nicht klar definiert sind.
Clausewitz stand auf dem Gebiet der Militärtheorie vor einem ähnlichen Problem. Er sagte, dass der Krieg ein Chamäleon sei. Unter dem gleichen Phänomen des Krieges könnten die napoleonischen Kriege, die er der Kategorie des „absoluten Krieges“ annäherte, bis hin zu Kriegen, in denen nicht über die „bewaffnete Beobachtung“ hinausgegangen wurde, zusammengefasst werden. Wenn es eine ganze Bandbreite von Kriegen gibt, wie können wir dann mit ihnen in ihrer Komplexität umgehen?
Der preußische General antwortet, dass der Krieg zwar ein Chamäleon ist, doch hinter dieser Heterogenität immer drei Elemente stehen, die in jedem Krieg vorhanden sind (die „wunderliche Dreifaltigkeit“): der elementare Impuls oder Hass, den er dem Volk zuschreibt; die Berechnung der Wahrscheinlichkeiten, die er den Generälen und der Armee zuschreibt; und die Politik, die er der Regierung zuschreibt. In jedem Krieg sind diese drei Elemente in einer bestimmten Beziehung zueinander vorhanden.
Aus der Sicht des Marxismus kann eine sehr produktive Analogie gezogen werden, auch wenn dort viele wichtige Unterschiede verbleiben – die ich hier nicht entwickeln werde, sondern für die ich auf das Buch verweise: die Beziehung zwischen Klasse, Partei und Parteiführung. Unter diesem Gesichtspunkt ist eine gegebene Situation für eine wirklich existierende revolutionäre Kraft keine Außenbeziehung, die es nur zu beschreiben gilt. Ihre Handlung (oder Untätigkeit) ist vielmehr ein integraler Bestandteil der Situation selbst im Ausmaß ihrer Kräfte.
Die aktive Rolle der revolutionären Partei
An dieser Stelle finden wir eine wichtige Übereinstimmung zwischen Lenin und Rosa Luxemburg: Was hat Rosa 1910 gegen Kautsky eingewandt? Ihr zufolge war es ein großer Unterschied, ob die Sozialdemokratie mit dem Eintreten für den Generalstreik versucht, die fortschrittlicheren Elemente des Klassenkampfes zu entwickeln – oder ob sie auf die Wahlen wartet. Das sei einerseits der Fall, weil die SPD als eine sehr große Partei dazu in der Lage war, die Gesamtsituation zu ändern. Dazu müsse sie den Prozess fördern, indem sie die Kämpfe der Arbeiter*innen mit der Bewegung, die das politische Regime in Frage stellte, zu verbinden versucht. Und damit verbunden würde sich auch der Charakter der Partei selbst verändern, je nachdem ob sie eingreife oder nicht. Egal ob die strategische Option, eine revolutionäre Organisation aufzubauen „auf dem Papier“ noch bestehe: Wenn sie die Situation vorübergehen ließe, würde sie weniger revolutionär.
Was entgegnet Luxemburg Kautskys Argument, keine Agitation für den Generalstreik zu betreiben, weil es keine revolutionäre Situation gab? Sie hielt diese Position für abstrakt. Schließlich könne man nicht beurteilen, ob sich die revolutionären Elemente der Situation verstärken, ohne die Handlungen der Sozialdemokratie selbst mit einzuberechnen. Und sie hatte in der Tat Recht. 1912 erlangte die Sozialdemokratie in den Wahlen spektakuläre Resultate: Sie war die am meisten gewählte Partei mit mehr als doppelt so vielen Stimmen wie die Partei nach ihr. Sie errang 110 Sitze, auch wenn ihr bei einer Verhältniswahl mehr zugestanden hätten.. Doch kurz nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges war all diese enorme Kraft, die die Sozialdemokratie im Parlament gewonnen hatte, nutzlos, weil die Partei ihr „Gravitationszentrum“ weg vom Klassenkampf verschoben hatte.
1914 verriet die sozialdemokratische Führung die Arbeiter*innenklasse und stimmte für die Kriegskredite. Aber die Partei besaß auch keine politischen Waffen, um sich einer katastrophalen Situation wie dem Krieg zu stellen. Sie fehlten ihr, wie Rosa Luxemburg es ausdrückte, weil die Partei sich außerhalb der wichtigsten Auseinandersetzungen des Klassenkampfes entwickelt hatte. Hier zeigt sich wiederum die Unmöglichkeit eines plötzlichen Übergangs von der „Ermattungsstrategie“ zur „Niederwerfungsstrategie“, wie es Kautsky Jahre zuvor vorgeschlagen hatte.
Eine grundlegende Neuerung Lenins
Schließlich müssen wir noch auf einen großen Unterschied zwischen Lenin und Rosa hinweisen. Der politische Kampf, der in der Kautsky-Luxemburg-Debatte zum Ausdruck kam, war nicht einfach ein politisch-ideologischer Streit wie diejenigen, die die revolutionäre Bewegung zuvor geprägt hatten, zum Beispiel derjenige, den Marx und Engels gegen Bakunin und die Anarchisten in der Ersten Internationale geführt hatten. Es war auch ein Kampf gegen materielle Kräfte: In der Massenbewegung waren riesige politische und gewerkschaftliche Bürokratien entstanden – die von nun an ein unausweichliches Element in der Geschichte der Arbeiter*innenbewegung bildeten.
Der Zusammenhang ist eindeutig: Kautsky war gegen Luxemburg, weil er die sozialdemokratische Gewerkschaftsbürokratie nicht provozieren wollte. Warum? Seit 1906 hatte die Gewerkschaftsbürokratie der Partei de facto das Verbot aufgezwungen, ohne ihre Zustimmung für den Generalstreik zu agitieren. Wir reden hier also nicht von dem Verbot durch eine Regierung, sondern von der Haltung der Gewerkschaftsführung. Luxemburgs Vorschlag war deshalb eindeutig gegen sie gerichtet. Die Sozialdemokratische Partei wiederum hatte eine politische Bürokratie ausgebildet, der die Entwicklung des Klassenkampfes nicht passte, weil dadurch die guten Beziehungen zur liberal-bürgerlichen Opposition und eine mögliche parlamentarische Zusammenarbeit mit ihr beeinträchtigt würden. Die strategischen Kämpfe innerhalb der Arbeiter*innenbewegung waren nicht mehr nur politisch-ideologische, sondern hier standen sich materielle Kräfte gegenüber.
An diesem Punkt führte Lenin eine grundlegende Neuerung ein: Rosa und Lenin waren sich einig, dass der Schlüssel zu einer revolutionären Partei darin besteht, die fortschrittlichsten Elemente weiterzuentwickeln, die im Klassenkampf zu einem bestimmten Zeitpunkt vorzufinden sind. Lenin aber fügt noch ein weiteres Element hinzu: Er war der Ansicht, dass dazu revolutionäre Strömungen innerhalb der Massenorganisationen notwendig sind. Lenin kommt zu dem Schluss, dass es unerlässlich ist, eine materielle Kampfkraft zu haben, die nicht nur den Staat, sondern auch die Bürokratie der Massenorganisationen konfrontieren kann, seien es gewerkschaftliche, politische oder soziale. Das ist die Voraussetzung für die effektive Entwicklung der fortschrittlichsten Tendenzen der Situation.
Zwei entgegengesetzte Strategien
Was die Debatte über die Strategien der Ermattung und der Niederwerfung angeht, so können wir abschließend sagen, dass es sich nicht um zwei komplementäre Strategien handelt, die je nach Situation austauschbar sind. Vielmehr handelt es sich um zwei alternative Strategien, die im Verlauf des Klassenkampfes sogar zu frontalen Konfrontationen gegeneinander neigen. Das Beispiel der deutschen Sozialdemokratie ist dabei alles andere als ein Einzelfall. Vielmehr kommt diese Debatte in unterschiedlicher Form bis heute immer wieder auf.
Wir können das im Chile der 70er Jahre mit der „Unidad Popular“ sehen, aber auch bei der Volksfront in der Spanischen Revolution der 30er oder zur gleichen Zeit in der revolutionären Situation in Frankreich, neben vielen anderen Beispielen. Heute beobachten wir diese Debatte in einem kleineren Rahmen in Griechenland, wo die Syriza-Regierung theoretisch an die Regierung kam, um sich der Kürzungspolitik entgegenzustellen. Schließlich aber setzte sie diese selbst um, obwohl sechzig Prozent der Bevölkerung ihre Unterstützung für den Widerstand gegeben hatten. Dies ist nur ein aktueller Fall, der illustriert wohin die strategischen Optionen der Reform in Krisenzeiten führen.
Nach diesen Niederlagen ist die geläufige Erklärung: „Die Massen haben nicht gekämpft“, oder „sie haben nicht genug Widerstand geleistet“. Doch in Wirklichkeit werden die Situationen nicht nur durch das Handeln der Massen, sondern auch durch das Handeln ihrer Parteien und Führungen bestimmt. Gerade letzteres wird mit zunehmender Verschärfung der Situationen immer entscheidender.
Die Momente der Katastrophen, der Krisen, der Kriege sind ein Kennzeichen des Kapitalismus. Die militärische Situation in Syrien schwelt derzeit mit globalen Folgen. Früher oder später brechen Krisensituationen aus, und in dieser Hinsicht haben wir in Argentinien genügend Erfahrung, die bis in die Jahre 1989 und 2001 zurückreicht, um nur zwei emblematische Momente aus der jüngeren Geschichte zu nennen. Situationen ändern sich und spitzen sich an einem bestimmten Punkt zu; das Problem ist, ob sich eine Kraft aufbauen konnte, die in der Lage ist, eine revolutionäre Lösung der Situation anzubieten. Und das wird zu einem großen Teil schon viel früher entschieden.
Natürlich sind die Elemente, die ich in diesem Vortrag entwickelt habe, nur einige Fragen – die meisten davon beziehen sich nur auf das erste Kapitel des Buches –, die in der Arbeit der Strategie behandelt werden müssen. In gewisser Weise beginnen viele Probleme hier gerade erst. Dazu gehört die grundlegende Frage, wie man die große Mehrheit der Arbeiter*innenklasse und der Massenbewegung für die Revolution erobern kann, mit der Einheitsfront als Taktik für die Einheit im Kampf der Arbeiter*innenklasse gegen das Kapital und gleichzeitig für die Gewinnung der Mehrheit für die Revolution auf der Grundlage der Erfahrung mit den traditionellen Führungen. Dazu gehören auch das Problem der Verbündeten und der Hegemonie, die Probleme des Aufstands, das Verhältnis von Verteidigung und Angriff, die „große Strategie“ für die internationale Revolution, der ein Großteil des Buches gewidmet ist, und weitere mehr.
Hier habe ich mich auf das erste Kapitel konzentriert, damit deutlich wird, wie wir die Perspektive der Schaffung einer revolutionären Kraft angehen, um in Zeiten der Krise, wie Trotzki sagte, „das Kommando zu übernehmen“.
Fußnoten
[1] Fort Apache, „¿Qué pasa con Grecia?”, 8. Oktober 2016. Eigene Übersetzung.[spacer size=“40″]
[2] Kautsky, Karl: “Was nun?“, 1910.[spacer size=“40″]
[3] Lih, Lars, “‘The New Era of War and Revolution’: Lenin, Kautsky, Hegel and the Outbreak of World War I”, in: Anievas, Alexander (Hrsg.), Cataclysm 1914. The First World War and the making of modern world politics, Leiden, Brill, 2014, S. 376. Eigene Übersetzung.[spacer size=“40″]
Aus: Ideas de Izquierda, Nummer 42, April 2018