Erdoğan will Kurd:innen im Widerstand vollständig auslöschen

16.07.2024, Lesezeit 7 Min.
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Foto: Juergen Nowak / shutterstock

Bombardements und Bodenangriffe der Türkei gegen Kurdistan haben seit April extrem zugenommen. Die "Mutter aller Operationen" soll für eine endgültige Auslöschung der kurdischen Widerstandsorganisationen sorgen.

Seit Ende April dieses Jahres führt das türkische Militär eine ihrer größten Operationen – die sogenannte „Mutter aller Operationen“ – gegen die kurdische Bevölkerung in Nordkurdistan aus. Zusammen mit irakischen Paramilitärs und sogar Teilen der kurdischen Autonomiebehörde wollen sie „den Terror der PKK endgültig beenden“. Etliche kurdische Zivilist:innen sind dabei bereits getötet worden. In Nordsyrien gab es in den vergangenen Wochen vermehrt Proteste von syrischen und kurdischen Zivilist:innen, bei denen das türkische Militär – das innerhalb der syrischen Grenzen auf kurdischem Gebiet stationiert ist – bereits mehrere Protestierende getötet hat. Der Protest kommt deshalb aber nicht zum Stillstand – ganz im Gegenteil, immer mehr Menschen gehen auf die Straßen und schließen sich den Protesten und Kämpfen gegen das Militär an.

Erdoğan will seine Wahlverluste wett machen

Die Operation wurde unmittelbar nach den schlechten Wahlergebnissen der AKP gestartet. Die AKP hat am 31. März viele Städte bei den Kommunalwahlen an die CHP-Opposition verloren. Die Gründe liegen auf der Hand: Das mittlerweile über 20-jährige Regime brachte der Bevölkerung die größte Wirtschaftskrise in der Geschichte der Türkei ein. Die Inflation beträgt immer noch mehr als 70 Prozent. Um es greifbarer zu erklären: Immer wieder kommt es vor, dass sich Lebensmittelpreise von Tag zu Tag erhöhen – es gab sogar Wochen, wo sie mehrmals an einem einzigen Tag stiegen. Anfang 2023 war ein Euro etwa 15 Türkische Lira (TL) wert. Innerhalb weniger Wochen stieg der Kurs auf 20 TL pro Euro, während er mittlerweile bei über 35 TL auf einen Euro liegt. Der Wert hält sich immer wieder für einige Monate, steigt dann aber in kürzester Zeit um mehrere TL, bevor er sich wieder etwas stabilisiert.

Das beeinflusst das alltägliche Leben in der Türkei enorm. Die Unzufriedenheit war selbst bei der eigenen AKP-Wähler:innenschaft sehr groß, doch Erdoğan konnte viele Stimmen durch gewisse Reformen halten. Eine jährliche Erhöhung des Mindestlohns (auf mittlerweile 22.100 TL, also circa 630 Euro), neue Bauprojekte mit internationalem Prestige (wie beispielsweise der neue Flughafen Istanbuls), die neue Arbeitsplätze schufen und weitere Veränderungen konnten die negativen Stimmung einigermaßen im Zaum halten. Doch am meisten überzeugte er durch seine Kriegspolitik. Ständige Militärangriffe in Kurdistan waren wie ein Opium für seine Wähler:innenschaft, unter dem Deckmantel der angeblichen Terrorbekämpfung. Die jetzige „Mutter aller Operationen“ fällt diesmal noch größer aus als die vorherigen Angriffe – wenn auch noch nicht so tödlich wie einige zuvor. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die Lage nicht jederzeit zuspitzen könnte. Erdoğans Politik kann sich eigentlich nur noch durch diese Kriegspolitik halten. Sein Versprechen, dass es die „letzte, alles beendende Operation“ wird, deutet nur darauf hin, dass es noch viele Tote geben wird.

Wenn nicht mit Krieg, dann mit systematischer Zerstörung der Infrastruktur

Deutlich wurde die aggressive, konfrontative Zuspitzung seiner Anti-Kurd:innen-Politik bereits bei den Waldbränden vor ein paar Wochen und nicht zuletzt bei den Erdbeben letztes Jahr, bei dem über 50.000 Menschen zu Tode kamen. In all diesen Fällen kam jede Hilfe zu spät – und sie war teilweise noch nicht einmal möglich, weil die Regierung nie in Prävention investiert hat. Wir sprechen von einer Regierung, die vor zwei Jahren gerade einmal zwei (!) Löschflugzeuge für einen mehrere Quadratkilometer großen Waldbrand zur Verfügung hatte. Eine Regierung, die weder genug Schuttfahrzeuge hatte, die die Erdbebenschäden beheben konnten, noch überhaupt Anstalten machte, diese zu besorgen. Nein, stattdessen wurde sogar jede humanitäre Hilfe, die nicht vom Regime selbst bereitgestellt wurde, an ihrer Arbeit gehindert, nicht in die betroffenen Gebiete durchgelassen und teilweise sogar von Polizei und Militär beschlagnahmt. Die betroffenen Gebiete waren hauptsächlich kurdische Städte: Ein Fakt, der nur nochmal verdeutlicht, wie kurd:innenfeindlich Erdoğans Politik wirklich ist.

Bei den bereits erwähnten Kommunalwahlen konnte die kurdische DEM-Partei, eine Nachfolgepartei der mittlerweile verbotenen HDP, in vielen östlichen Städten in der Türkei die Mehrheit gegen AKP und CHP gewinnen. Und das, obwohl Erdoğans Partei während der Wahl zeigte, wie sie die Wahlen manipuliert. So wurden über 5.000 Reservisten und aktive Soldaten des türkischen Militärs in den Osten geschickt, um dort an den Wahlurnen für die AKP abzustimmen. Als dies nicht gelang, ging man sogar einen enormen Schritt weiter und versuchte, die Wahl des kurdischen Abgeordneten Abdullah Zeydan für ungültig zu erklären und einen AKP-Bürgermeister zu stellen. Erst nach Protesten mit zehntausenden Menschen in verschiedenen Städten wurde diese Entscheidung rückgängig gemacht und Abdullah Zeydan ist nun der amtierende Bürgermeister in der kurdischen Stadt Van. Auch das ist Teil der antikurdischen Politik Erdoğans. Die Gründung der DEM beruht überhaupt auf dem wiederholten Verbot der Vorgängerparteien HDP und YSP.

Solidarität mit dem kurdischen Freiheitskampf! Nieder mit der türkischen Kriegspolitik!

Für uns als Revolutionär:innen in Deutschland ist klar: Die Kriegspolitik der Türkei muss aufhören. Doch dafür braucht es landesweite Proteste dagegen in der Türkei, aber auch gegen die militärischen Beziehungen Deutschlands zur Türkei. Wir leben in Deutschland im Zentrum des europäischen Imperialismus und müssen diesen aktiv hier vor Ort bekämpfen. Jede Munition und jede Waffe – auch wenn die Exporte an die Türkei stark eingeschränkt und teilweise sanktioniert wurden – ist eine zu viel. Deutschland bereichert sich durch solche Kriege und kassiert Milliarden durch weltweite Waffenexporte.

Doch auch die Türkei ist mittlerweile ein bedeutender Waffenexporteur im Nahen Osten und seinen benachbarten Ländern. Neben Maschinenteilen für die israelische Kriegsmaschinerie schickt die Türkei auch Waffen an Aserbaidschan für ihren Krieg gegen Armenien in Bergkarabach, aber auch an die Ukraine, Syrien und Libyen. Die Produktion ihrer Kampfdrohne Bayraktar TB2 läuft auf Hochtouren und wird bereits sowohl vom eigenen Militär als auch von anderen Ländern angewendet.

Wir stellen uns klar gegen jegliche Waffenlieferungen – ob in Deutschland oder der Türkei. Die Macht, die Waffenlieferungen komplett aufzuhalten, liegt in den Händen der Beschäftigten in den Produktionsstätten, an den Flug- und Seehäfen und an allen Stationen der Lieferketten. Unsere Aufgabe als revolutionäre Marxist:innen muss sein, ein antimilitaristisches Bewusstsein in der Arbeiter:innenbewegung aller Länder zu schaffen – so schwer diese Aufgabe auch scheinen mag. Arbeiter:innen in Genua und an Seehäfen in Großbritannien machen es vor: Sie blockiertenalle Lieferungen nach Israel und stoppten damit Waffenexporte, die für den Genozid an den Palästinenser:innen genutzt werden.

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