EndFossil an der RWTH: Ist das kapitalistische System in der Lage die Krise zu bewältigen?
Die Studierenden von End Fossil: Occupy! RWTH und Fridays for Future Aachen besetzten für fünf Tage einen Hörsaal der Rheinisch-Westfälischen-Technischen-Hochschule Aachen. Wir interviewten sie während der Besetzung.
Am Montag, 12. Dezember 2022, besetzte eine Gruppe von Aktivist:innen ein Hörsaalgebäude der Rheinisch-Westfälischen-Technischen-Hochschule Aachen mit einer Reihe von Forderungen für Klimagerechtigkeit. Bis zur selbstbestimmten Auflösung der Besetzung nach fünf Tagen wurde Interessierten ein umfangreiches Programm mit Vorträgen, Workshops und Diskussionen zu Klimaschutz und -gerechtigkeit, Rassismus, Feminismus und Kolonialismus geboten. Eingeladen wurde eine Reihe von Organisationen und Gruppen: “Refugees for Future”, “Make Rojava Green Again”, “Gemeinsam Kämpfen” und die “Initiative Kurdistan”. Auch der Rektor der RWTH, nahm an einer abschließenden Podiumsdiskussion teil. Wir haben mit den Aktivist:innen über Ziele, Erwartungen und Strategien gesprochen:
Wie habt ihr euch als Besetzer:innen zusammengefunden und welche Organisationen beziehungsweise Gruppen beteiligen sich an der Besetzung?
Die Besetzung wird von “ENDFOSSIL: OCCUPY! RWTH” und “Fridays for Future Aachen” in Kooperation durchgeführt. Zusätzlich haben wir noch einige Menschen als Privatpersonen dabei. Wir haben uns über den Sommer aufgebaut und immer wieder neue Leute dazu geholt.
Welche Forderungen stellt Ihr auf?
Wir sind aktuell auf dem Weg in eine rund 2,7 Grad Welt und da dürfen wir nicht landen. Deshalb stellen wir bundesweite Forderungen auf. Die Erste lautet: Keine Gewinne mit fossiler Energie. Das heißt, wir fordern eine Gewinnsteuer und langfristig die Demokratisierung fossiler Konzerne wie RWE, der gesamten Energiewirtschaft, einschließlich des Stromnetzes. Des Weiteren brauchen wir eine Verkehrswende. Das heißt, dass das 9€-Ticket mit der Perspektive eines gemeinschaftlich finanzierten öffentlichen Nahverkehrs verlängert werden soll. Die Subventionen zur Förderung fossiler Energieträger von bisher 30 Milliarden Euro im Jahr, sowie die für Unternehmen, die weiterhin größtenteils auf den Erhalt und Ausbau des Individualverkehrs setzen, müssen in den Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehr fließen. Dazu gehört auch, dass Privilegien, wie das Dienstwagen-Privileg, die Kerosin-Energie-Steuerbefreiung und auch die Mehrwertsteuer-Senkung auf Flüge wegfallen. Außerdem schließen wir uns bundesweit den Forderungen der folgenden drei anderen Organisationen an: Dies sind “Dept for Climate”, die einen Schuldenschnitt für den globalen Süden fordern, sowie die von “Genug ist Genug” und “Lützerath bleibt!”
Außerdem gibt es eine Reihe von Forderungen, die wir als Ortsgruppe aufstellen. Die erste ist die Beendigung der Kooperation der RWTH-Aachen mit allen Konzernen, die mit fossilen Energieträgern Gewinne machen. Stellvertretend sind da Total, RWE und Exxon-Mobile zu nennen. Die Universität kooperiert mit diesem Konzern, ohne dabei klar aufzudecken, woran geforscht wird. Deswegen fordern wir zusätzlich zur Beendigung dieser Kooperationen die komplette Aufdeckung aller Drittmittel. Außerdem macht die Universität Werbung für verschiedenste Konzerne mit fragwürdigen Praktiken, unter anderem für Shell und BP.
Die zweite Forderung ist, dass die RWTH rassistische und koloniale Strukturen aufarbeiten soll. Dazu fordern wir, dass Arbeitsgruppen und verpflichtende Seminare zur Weiterbildung für sämtliche Lehrende an der Universität eingerichtet werden.
Die dritte Forderung ist ein verpflichtendes Modul zum Thema Klimagerechtigkeit, weil die globale Klimakrise und faire Lösung der daraus resultierenden Probleme uns als Menschheit am drängendsten beschäftigen sollten. Sie ist die wichtigste Krise dieses Jahrhunderts, eventuell die größte Krise der Menschheit. Deshalb fordern wir ein verpflichtendes Modul zur Aufklärung. Wie können wir als Forschende, eventuell als Akteur:innen der Wirtschaft, die schlimmsten Folgen dieser Krise noch verhindern und worauf müssen wir achten? Diese Fragen müssen wir uns gesamtgesellschaftlich und damit auch hier an der Universität stellen, um Antworten finden zu können.
Wie gestaltet sich der Dialog mit der Universitätsleitung?
Der Dialog mit der Universitätsleitung war bisher relativ gut, aber noch nicht inhaltlich vertieft. Wir werden heute Abend um 18:15 Uhr mit dem Rektor eine Podiumsdiskussion führen. Dort werden wir weiterhin über inhaltliche Forderungen reden. Bis jetzt ist der Stand, dass die Universität uns duldet und die Polizei nicht gebeten hat, uns zu räumen.
Wie habt Ihr den weiteren Verlauf der Besetzung geplant?
Wir werden heute noch Programm anbieten und wir werden auch heute Abend noch nicht enden. Wir werden uns dann irgendwann selbstbestimmt auflösen und direkt nach der Besetzung mit weiteren Aktionen fortfahren, die wir in nächster Zeit öffentlich machen.
Die Klimabewegung hat bisher eher Minimalforderungen gestellt und dies ändert sich unserer Einschätzung nach in manchen Punkten. Mittlerweile sind die Forderungen, wie auch Eure, teilweise tiefgreifender, was dazu führen könnte, dass sich in der mobilisierten Masse eine stärkere Kritik an den Mechanismen des Kapitalismus entwickelt.Wie schätzt Ihr den politischen Diskurs und das Radikalisierungs-Potenzial der Bewegung hier vor Ort und allgemein ein?
Es ist unsere Hoffnung und das Ziel unserer Bewegung, Strukturen grundsätzlich zu hinterfragen und Forderungen zu stellen, welche Probleme an der Wurzel packen. Es gab 2019 einen starken Klima-Diskurs. Daran wollen wir anknüpfen, indem wir diese Themen wieder in die Öffentlichkeit tragen und mit dieser Aktion die Universität zu einem Ort des Austausches machen. Wir beobachten eine Radikalisierung und eine inhaltliche Vertiefung des Diskurses. Am Anfang zielten die Forderung nur darauf ab, wie die Klimakrise einschränkt werden und das Schlimmste verhindert werden kann. In der Folge wurden diese immer aktiver und genauer. Beispielsweise die Frage danach, wer die Konsequenzen des Klimawandels zur Zeit tragen muss, womit eine soziale Komponente eingebracht wird. Es ist auch die Frage, wie sinnvoll diese Strategie war. Wir sehen, dass das Thema Kreislaufwirtschaft Anfang 2020 immer bedeutungsloser wurde und dies auch nach der Corona-Krise nicht wieder aufgearbeitet wurde. Ich denke, unsere Forderungen sind in diesem Sinne keine Minimalforderungen.
Was für Strategien wendet die Klimabewegung an und was muss sich verändern?
Es gibt neue Strömungen mit stärkerer Ausrichtung auf zivilen Ungehorsam. Zu nennen sind hier beispielsweise “Ende Gelände”, “die Letzte Generation” und auch “EndFossil”. Diese teilweise neuen Bewegungen gehen mehr auf Konfrontation mit den bestehenden Institutionen. Das hat den strategischen Hintergrund, dass wir beobachtet haben, wie sowohl wissenschaftliche Warnungen, die es seit Jahrzehnten gibt, als auch Protestformen im Sinne von Demonstrationen, die es ebenfalls seit Jahrzehnten gibt und besonders 2019 groß geworden sind, es nicht geschafft haben, die Wende ausreichend zu gestalten.
Vielen Dank! Möchtet Ihr noch etwas hinzufügen?
Ein paar Anregungen zum Thema Kapitalismus vielleicht. Es ist wichtig, zu überlegen, ob das kapitalistische Wirtschaftssystem an sich überhaupt in der Lage ist, die Krise noch zu bewältigen. Welche Schritte sind nötig, wenn wir den Kapitalismus nicht komplett abschaffen? Wie frei darf die Universität agieren? Darf sie beispielsweise einfach Kooperationen mit fossilen Konzernen eingehen und welche Einschränkungen sind notwendig, damit die Freiheit in Forschung und Lehre nicht die Freiheit einschränkt, eine Existenzgrundlage zu haben?