„Einigung“ bei VW: 35.000 Stellen werden abgebaut
Am Freitag verkündeten VW-Konzernführung und IG Metall-Spitze eine Einigung in ihren Tarifverhandlungen. Kern des Ergebnisses: 35.000 Stellen sollen in den kommenden Jahren abgebaut werden. Gab es eine Alternative?
Der Kompromiss besteht laut Gewerkschafts-Statement darin, dass der massive Stellenabbau nicht über betriebsbedingte Kündigungen laufen solle, sondern über Abfindungen, Altersteilzeit und ähnliche Mechanismen. Die IGM-Führung will dies als positives Ergebnis verkaufen, das die desaströsen Vorhaben der Geschäftsführung verhindert. Schließlich standen mehrere Standortschließungen und Lohnkürzungen von bis zu 10 Prozent zur Diskussion.
Damit war klar, dass ein immenser Angriff bevorsteht, der mit allen Mitteln abgewehrt werden muss. Denn die zentrale Rolle von Autokonzernen und insbesondere von VW für die deutsche Wirtschaft, macht diese Angriffe für die gesamte Arbeiter:innenklasse in Deutschland relevant. Wenn sich in einem gewerkschaftlich so gut organisierten Betrieb so massive Einschnitte durchsetzen lassen, dann dürfte es den Bossen in anderen Bereichen noch leichter fallen. Zudem würden Massenentlassungen und Schließungen bei VW auch immer die umliegende Wirtschaft der einzelnen Standorte treffen: Vom Zuliefer-Betrieb bis zur Bäckerei neben dem Werksgelände.
Jetzt erklärt die IG Metall in ihrem Statement zu VW: „Kahlschlag abgewendet. […] Es wird keine Werksschließungen geben, keine Massenentlassungen und keine langfristigen Einschnitte in den Tarifvertrag.“ Also alles halb so wild? Ein genauerer Blick auf das Ergebnis zeigt, dass Gewerkschaftsführung und Konzernmanagement gut darin sind, Kürzungen so zu verpacken, dass sie nicht sofort ins Auge fallen – eine krachende Niederlage für die Beschäftigten ist es dennoch.
Kolleg:innen sollen für Profite der Aktionär:innen bezahlen
Noch in diesem Jahr hat VW 4,5 Milliarden Euro an seine Aktionär:innen ausgeschüttet. Stünde dieses Geld stattdessen für die Löhne der Beschäftigten und für Schritte zur Umstellung der Produktion auf zukunftsträchtige Technologien zur Verfügung, gäbe es den Druck zu den massiven Einschnitten gar nicht. Diese sollen nämlich jährlich 1,5 Milliarden Euro an Lohnkosten einsparen. Die Krise ist also nicht einfach unabwendbar, sie ist vor allem den Profitinteressen der Investor:innen geschuldet.
35.000 Vollzeit-Stellen – so viele sollen deswegen bis 2030 gestrichen werden. Während das Management diesen und andere Erfolge für sich betont, nennt die IG Metall in ihrem zentralen öffentlichen Statement diese Zahl einfach gar nicht. Auch wenn diese Streichungen „sozialverträglich“ und über mehrere Jahre stattfinden sollen, bedeuten sie doch schlechtere Perspektiven für die Beschäftigten. So soll ein Teil der Beschäftigten je nach Lage die Arbeitszeit reduzieren.
Laut Gewerkschaft soll es dann nur einen „teilweisen Entgeltausgleich“ geben. Auf einen Teil ihres Lohns werden die Betroffenen also verzichten müssen. Ähnlich verhält es sich bei Altersteilzeit, die – je nach konkreter Regelung – auch Lohneinbußen oder geringeren Rentenanspruch bedeuten kann. Und wer sich per Abfindung zu einer Kündigung überreden lässt, steht trotzdem vor dem Problem, einen neuen Job zu finden.
Der massive Stellenabbau und die dazugehörige Reduzierung von Produktionskapazitäten werden zudem massive Auswirkungen auf die vom Konzern eingesetzten Leiharbeiter:innen und die Belegschaften der Zuliefer-Betriebe haben. Diese werden aber von der IG Metall-Führung ebenfalls ignoriert, weil das die Erzählung vom erfolgreich abgewendeten Großangriff deutlich schwerer machen würde.
Die Beschäftigungsgarantie, die zuletzt von der VW-Geschäftsführung aufgekündigt wurde, ist nun von 2029 auf 2030 verlängert worden. Angesichts der sonstigen Einsparungen handelt es sich hier eher um einen Tropfen auf den heißen Stein. Bei der vermeintlichen Verhinderung von Werksschließungen ist die Realität aber noch weiter von den Beschönigungen der IGM-Pressefloskeln entfernt: Die Standorte Dresden und Osnabrück werden zwar nicht von einen Tag auf den anderen geschlossen, die bisher dort angesiedelten Produktlinien laufen aber schon vor 2030 aus.
Was dann mit diesen Werken passiert, ist aktuell noch ungewiss. So heißt es im IGM-Statement zu Dresden: „Die Volkswagen AG wird auch in Zukunft mit eigenen Aktivitäten am Standort präsent sein.“ Das kann fast alles bedeuten, auch wenn es eine vollständige Schließung zunächst auszuschließen scheint. Für Osnabrück soll für die Zeit ab 2027 „eine wirtschaftliche Zukunftsperspektive für den Standort“ entwickelt werden. Sollte dies scheitern, weil der Standort nicht profitabel genug ist, kann das immer noch die Schließung bedeuten.
Lohnkürzungen sind auch Teil des geschlossenen Kompromisses. Der VW-Haustarifvertrag ist eigentlich an den Flächentarif in der Metall- und Elektroindustrie gekoppelt. Erhöhung aus der Tarifrunde, wie zuletzt im November, werden also normalerweise für VW-Beschäftigte übernommen. Darauf soll jetzt aber für geschlagene sechs Jahre verzichtet werden – zumindest in Bezug auf die aktuelle Tarifrunde. Das Geld soll stattdessen in ein Budget zur Abfederung von Arbeitszeitreduzierung und Stellenabbau fließen. Es wird also der gesamten Belegschaft eine Lohnerhöhung vorenthalten, um mit dem Geld die Maschinerie des Stellenabbaus besser zu ölen.
Wie hat die Gewerkschaftsführung diese Ergebnisse, die eine Rettung der Profite auf Kosten der Beschäftigten bedeuten, erreicht? Sie hat dafür ein paar Mal die Belegschaft für wenige Stunden zu Warnstreiks vor die Werkstore geholt. Was wäre möglich gewesen, wenn es stattdessen ganztägige Streiks gegeben hätte? Oder mehrtägige Streiks? Oder gar einen unbefristeten Streik, bis das Management seine Forderungen zurückzieht? Die Gewerkschaftsbürokrat:innen wollten das wohl lieber nicht herausfinden, schließlich hätte es ihre Position als diejenigen, die ganz sozialpartnerschaftlich „den Deckel drauf halten“, geschwächt. Und bei einer ernsthaften Mobilisierung der Belegschaft hätte es auch ihre Kontrolle über die Beschäftigten und die Streiks in Frage gestellt.
Gibt es eine Alternative?
Wir meinen ja. Es wäre notwendig gewesen, mit der Losung in unbefristete Streiks zu gehen, dass alle Arbeitsplätze erhalten bleiben. Geschäftsbücher des Konzerns sollen für die Beschäftigten geöffnet werden, damit sie feststellen können, ob und wie es zu finanziellen Schwierigkeiten gekommen ist.
Auch ohne weitere Darlegung der Geschäftsbücher ist aber klar: VW-Management hat im Auftrag des Aufsichtsrates und Aktionär:innen bewusst entschieden 4,5 Milliarden Euro an Großaktionär:innen als Profite auszuschütten, anstatt das Geld für die Sicherung der Arbeitsplätze, Standorte und Innovation zu investieren. Das ist auch kein Einzelfall. Solange nämlich solche Betriebe unter privater Hand sind und für Profite produzieren, werden die Interessen der Aktionäre immer über denen der Belegschaft, die nun die Kosten tragen muss, stehen.
Aus der Politik werden auch Stimmen laut, die staatliche Subventionen für die schließende Betriebe fordern. Warum sollen aber die Staatskassen und steuerzahlende Arbeiter:innen anderer Sektoren für die Profite der Aktionär:innen aufkommen? Dutzende Milliarden Euro, die in letzten Jahren in die Taschen der Großaktionär:innen geflossen sind, sollten per Enteignung dieses Vermögens, für die Rettung dieser Standorte und Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden.
Falls die Konzernchefs und Aktionär:innen diese Standorte schließen wollen, kann man den Betrieb besetzen und deklarieren, dass die Chefs gehen können, aber die Beschäftigten die Produktion dann selber in die Hand nehmen wollen. In Argentinien oder Italien gibt es Beispiele für solche selbstverwalteten Betriebe.
Es ist notwendig, dass die Gewerkschaften die Forderung übernehmen, dass alle schließenden Betriebe unter der Kontrolle der Komitees von Beschäftigten verstaatlicht werden. Durch die Vergesellschaftung der Anteile der privaten Investor:innen könnte man den Betrieb von Profitinteressen bereinigen. Eine Entschädigung braucht es dafür nicht, da die Aktionär:innen auf dem Rücken der Beschäftigten, ohne einen einzigen Tag zu arbeiten, in den vergangenen Jahren Milliarden verdient haben.
Die IG Metall-Führung war in der Pflicht, diesen Kampf auf die gesamte Automobil- und Metallbranche zu erweitern, sogar einen Zusammenschluss mit Sektoren zu suchen, die aktuell von Kürzungen im Sozialen Bereich betroffen sind. Es ist notwendig, dass wir in der IG Metall für innergewerkschaftliche Demokratie und Streikversammlungen kämpfen. Damit die Beschäftigten, um deren Arbeitsplätze es geht, diejenigen sind, die über die Forderungen und Methoden ihres Kampfes entscheiden.
Der Kampf geht jedoch weiter. Bei VW und bei etlichen weiteren Firmen. Für uns Beschäftigte geht es darum, die richtigen Lehren aus der Politik der Gewerkschaftsführungen zu ziehen und sich in aktuellen, sowie kommenden Auseinandersetzungen mit einer solchen Perspektive zu kämpfen.
Aktive Gewerkschafterinnen, die Sozialarbeiterin Inés Heider (GEW) aus Berlin und die Hebamme Leonie Lieb (ver.di) aus München kandidieren in zwei Wahlkreisen zum Bundestagswahlen. Sie meinen: “Die Chefs können gehen, wir bleiben! Schließende Betriebe in die Hände der Beschäftigten.” Hier geht es zum kompletten Wahlprogramm. Und hier erklärt ein anderer Kollege, warum eine betriebliche Mitbestimmung nicht ausreicht und wir als Belegschaften eine Kontrolle über die Produktion brauchen.