Eine unglückliche Ehe?

11.03.2015, Lesezeit 9 Min.
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Als „unglückliche Ehe“ beschrieb Heidi Hartmann 1981 das Verhältnis zwischen Marxismus und Feminismus. Und auch heute wird MarxistInnen immer wieder vorgeworfen, Frauenunterdrückung nicht ausreichend oder nur instrumentell zu berücksichtigen. Gleichzeitig wird im dominierenden feministischen Diskurs die Frauenunterdrückung vorrangig zu einem ideologischen Phänomen erklärt. Auch von reaktionären Vorstellungen ist der offizielle feministische Diskurs nicht frei. Angesichts des gerade stattfindenden gesellschaftlichen Rollbacks in ganz Europa, der gezielt die hart erkämpften Rechte von Frauen wie das Recht auf Abtreibung angreift, ist es deshalb Zeit, einen Feminismus zu schaffen, der auch die materielle Grundlage der Frauenunterdrückung angreift.

Insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren gab es in der Frauenbewegung eine breite Debatte über ein materialistisches Verständnis des Feminismus: ein Resultat des Aufschwungs einer kämpferischen Frauenbewegung in den 1970er Jahren, aber auch der Enttäuschung über die schnelle Institutionalisierung dieser zweiten Frauenbewegung. Doch auch schon vorher, besonders während der Hochzeit der proletarischen Frauenbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, gab es wichtige theoretische und politische Debatten über die Verbindung von Frauenunterdrückung und Kapitalismus und den Weg zur Überwindung von beidem. Deshalb müssen wir heute nicht von Null anfangen, um einen klassenkämpferischen, materialistischen Feminismus zu entwickeln.

Woher kommt Frauenunterdrückung?

Das Spektrum derjenigen, die sich um einen materialistischen Feminismus bemühen, ist breit. Gemeinsam ist ihnen, dass sie aus den materiellen Bedingungen heraus die Unterdrückung der Frauen erklären wollen. Sie fragen, was die historischen Bedingungen für die Entstehung der Frauenunterdrückung waren und wie sie heute aufrecht erhalten wird. Aus diesen Erklärungen sollen dann Schlussfolgerungen für die feministische Praxis gezogen werden. Materialistische FeministInnen beziehen sich auf den Marxismus, kritisieren Marx aber teilweise dafür, dass seine Analyse des Kapitals geschlechtsblind gewesen sei. Dem wird von anderen materialistischen FeministInnen entgegen gehalten, dass nicht Marx‘ Analyse geschlechtsblind sei, sondern der grundlegende Prozess der Kapitalverwertung und Mehrwertproduktion unabhängig vom Geschlecht der Ausgebeuteten und AusbeuterInnen funktioniert. Allerdings ist im historisch gewachsenen Kapitalismus die Geschlechterungleichheit tief verwurzelt. Schon vor dem Kapitalismus gab es verschiedene Formen der Frauenunterdrückung, die sich bei der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise tief in ihre konkrete Funktionsweise eingeschrieben haben. Der Kapitalismus, wie er sich heute weltweit herausgebildet hat, benötigt die Spaltung der ArbeiterInnenklasse, die Überausbeutung der Frauenarbeit (Prekarisierung!) und die unbezahlte Hausarbeit, also die Frauenunterdrückung. Dies bildet den materiellen Nährboden für Sexismus, der verschiedenste Formen annehmen kann. Deshalb ist die Frage der Überwindung der Frauenunterdrückung untrennbar mit der Überwindung des Kapitalismus verbunden.

Reproduktionsarbeit

Eine zentrale Debatte im materialistischen Feminismus ist die Charakterisierung von produktiver und „unproduktiver“ Arbeit. Ob eine Arbeit produktiv oder „unproduktiv“ ist, hängt nicht von der Art der Arbeit ab, sondern davon, ob sie Mehrwert schafft – das heißt, ob sie verausgabt wird, um eine Ware zu produzieren, innerhalb des Verwertungsprozesses des Kapitals. Arbeit ist unproduktiv, wenn sie keinen Mehrwert schafft, wenn sie also beispielsweise unbezahlt im Haushalt stattfindet.

Unter dem Begriff der „Reproduktionsarbeit“ ist all die Arbeit zu verstehen, die dazu dient, die Ware Arbeitskraft zu reproduzieren. Also die Arbeit, die es ermöglicht, dass die ArbeiterInnen überhaupt überleben und jeden Tag aufs Neue ihre Arbeitskraft verkaufen können. Darunter fallen Tätigkeiten wie Kochen, Putzen, Einkaufen, Kleidung waschen und flicken, Kinder bekommen und erziehen und auch emotionale und sexuelle Fürsorge.

Reproduktionsarbeit kann als produktive – zum Beispiel in einem Restaurant oder einer Wäscherei – und als unproduktive Arbeit – in der Familie – geleistet werden, sie kann bezahlt oder unbezahlt erfolgen. Wie die Reproduktionsarbeit im Kapitalismus organisiert ist, ist das Resultat eines historischen Prozesses, in dem die Bedürfnisse der Kapitalakkumulation einerseits und Kämpfe der ArbeiterInnen andererseits den Rahmen der Möglichkeiten für die Reproduktion gegeben haben. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde ein Familienlohn eingeführt, der es ermöglichte, dass Frauen zu Hausfrauen wurden, um so die Arbeitskraft der Männer auf höherem Niveau wiederherzustellen. Das entsprach einem Bedürfnis des Kapitals zu einer Zeit, als es auf besser ernährte und ausgebildete ArbeiterInnen angewiesen war. Seit den 70er Jahren wurden Kinderbetreuungseinrichtungen ausgebaut und Haushaltsarbeit automatisiert, um mehr Frauen wieder in den Arbeitsprozess einzubinden. Heute findet ein gesellschaftlicher Rückschritt statt, der die Prekarisierung von Frauenarbeit weiter vorantreibt und Frauen erneut aus der produktiven Sphäre herausdrängt. Wie die Reproduktionsarbeit organisiert wird, ist also ein Ergebnis von Klassenkämpfen von unten und von oben.

Wer profitiert?

Historisch hat sich eine geschlechtliche Arbeitsteilung ergeben, in der Frauen für die Reproduktionsarbeit verantwortlich sind, und zwar unbezahlt. Wer aber profitiert von dieser Konstellation – die Männer oder die KapitalistInnen? Es stellt sich die Frage, ob „Frauenarbeit in der Familie wirklich für die Männer ist, obwohl sie eindeutig das Kapital reproduziert“ (Heidi Hartmann) oder ob sie eine Form der Ausbeutung durch das Kapital ist, die als angeblich aus Liebe geleistete Arbeit für den Mann verschleiert wird.

Grundsätzlich entspricht die Höhe des Lohns dem, was die ArbeiterInnen brauchen, um ihre Arbeitskraft jeden Tag aufs Neue zu reproduzieren – nicht nur rein physisch, sondern auch kulturell und sozial. Doch wenn ein großer Teil der Reproduktionsarbeit unentgeltlich geleistet wird, dann sinkt der Wert der Ware Arbeitskraft, weil der/die ArbeiterIn für die eigene Reproduktion keine Arbeitskraft bezahlen muss. Das übersetzt sich direkt in eine größere Mehrwertabschöpfung durch die KapitalistInnen. Dennoch ergibt sich hier ein Paradox des Kapitalismus, denn die Tendenz zur Senkung des Lohns wird dadurch konterkariert, dass die Frauen, die historisch die Reproduktionsarbeit geleistet haben, durch den Lohn des Mannes mitversorgt werden müssen, was wiederum den Lohn steigen lässt. Deshalb war der in der feministischen Debatte häufig als Verschärfung der Frauenunterdrückung verstandene Familienlohn nicht so eindeutig reaktionär, da er überhaupt erst eine materielle Basis für eine Reproduktion der ArbeiterInnenfamilie bot. Nichtsdestotrotz sorgt die Existenz des Familienlohns für eine massive Unterbewertung des Lohns für Frauenarbeit bis heute, worunter vor allem alleinstehende Frauen zu leiden haben.

Im Ergebnis profitieren zwar durchaus auch Männer der ArbeiterInnenklasse von der unbezahlten Hausarbeit, aber die eigentlichen ProfiteurInnen sind die KapitalistInnen, die Kosten für Reproduktionsarbeit einsparen und zugleich den Druck auf den weiblichen Lohn für ihre Profitmaximierung nutzen können. Gleichwohl entgeht den KapitalistInnen damit ein großer Markt, was insbesondere in Zeiten der Krise der Kapitalakkumulation, wie wir sie heute erleben, problematisch sein kann. Das erklärt die heutige Tendenz zur teilweisen Kommodifizierung von Reproduktionsarbeit, z.B. durch privatwirtschaftlich organisierte Sorgearbeit. Es existieren gleichzeitig jedoch viele gegenläufige Tendenzen, die eine vollständig lohnförmig organisierte Reproduktionsarbeit im heutigen Kapitalismus unmöglich machen.

Bilden Frauen eine eigene Klasse?

Die Antwort darauf, wie Frauenunterdrückung überwunden werden kann, ist jedoch nicht nur aus der Analyse der materiellen Grundlagen im (Re-)Produktionsprozess abzuleiten, sondern bedarf eines Verständnisses des Subjekts der Überwindung. In der materialistisch-feministischen Debatte der 1970er und 80er Jahre entstand so die Kontroverse darüber, ob Frauen eine eigene „Klasse“ innerhalb eines eigenständigen, neben dem Produktionssystem stehenden Reproduktionssystems namens Patriarchat konstituieren. Diejenigen, die von dieser Annahme ausgehen, plädieren für ein Bündnis aller Frauen – Ausgebeutete und Ausbeuterinnen –, welches gegen die Männerherrschaft kämpfen soll. Eines der Probleme dieses Ansatzes liegt darin, dass die Herrschaft „der Männer“ über „die Frauen“ gar nicht so generell gilt. Beispielsweise sind männliche Arbeiter ebenfalls vom massiven Lohndruck als Resultat der geschlechtlichen Arbeitsteilung betroffen – wenn auch nicht im gleichen Maße wie ihre weiblichen Kolleginnen.

Trotzdem ist der Begriff des Patriarchats nicht unnütz, denn er kann die Existenz der Frauenunterdrückung in verschiedenen Klassengesellschaften beschreiben – damit wird aber auch klar, dass er keine geeignete Analysekategorie darstellt. Denn es ist ja gerade die spezifische Art und Weise, auf die die Unterdrückung der Frauen in den verschiedenen Klassengesellschaften organisiert ist und wie sie mit der vorherrschenden Produktionsweise zusammenhängt, die uns Auskunft über die tatsächlichen Bedingungen der Befreiung von Frauen geben kann.

Ein klassenkämpferischer Feminismus!

Wenn wir erkennen, dass die Frauenunterdrückung nicht ein ahistorisches, unabhängiges System der Unterdrückung darstellt, sondern dass sie immer spezifisch von den materiellen Bedingungen der herrschenden Produktionsverhältnisse abhängt, dann ist es klar, dass diese materiellen Bedingungen zerstört werden müssen, um die Befreiung zu erreichen.

Die Trennung von Produktions- und Reproduktionssphäre im Kapitalismus, die einer Trennung von öffentlichen und privaten Sphären entspricht, ist dabei ein Haupthindernis. Jeder Versuch der Überwindung der Frauenunterdrückung muss deshalb die Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit mit einschließen.

Die spezifische Unterdrückung von Frauen im Kapitalismus kann aber nur im gemeinsamen Kampf des Proletariats gegen das Kapital durchbrochen werden – bei gleichzeitigem ideologischen Kampf auch innerhalb des Proletariats gegen Sexismus und für eine unabhängige Organisierung und Mobilisierung von Frauen. Die proletarische Frauenbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat in diesem Sinne viele Vorbilder gegeben, an die ein heutiger klassenkämpferischer Feminismus wieder anschließen kann.

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