„Eine Genossin wurde am Knie verletzt”: Interview über die Razzien bei Zora
Bei einer Razzia stürmten am 20. Dezember 170 Polizist:innen die Wohnungen von Mitgliedern der antikapitalistischen Frauenorganisation Zora in Berlin. Auch das Café Karanfil und das Interbüro wurden durchsucht und in totalem Chaos hinterlassen. Wir sprachen mit Ava, der Pressesprecherin von Zora, über die Razzia und die Kriminalisierung von Palästinasolidarität.
Kannst du dich kurz vorstellen und sagen, was genau Zora ist?
Ich bin Ava, eine der insgesamt zwei Sprecherinnen der Organisation Zora. Wir sind eine junge antikapitalistische Frauenorganisation, die sich nach der Silvesternacht 2015/16 in Köln gegründet hat. Dort kam es vermehrt zu sexualisierten Übergriffen und infolgedessen zu einer rassistischen medialen Berichterstattung und Hetze. Für uns war und ist klar: Das Patriarchat ist keine Frage der Herkunft und lässt sich somit auch nicht abschieben! Wir müssen uns auch hier in Deutschland autonom als Frauen organisieren und gegen die kapitalistische, patriarchale Gesellschaftsordnung ankämpfen.
Wir sprechen ja gerade, weil bei euch Razzien durchgeführt wurden. Kannst du erklären, was der Vorwurf ist und was genau passiert ist?
Am frühen Morgen des 20. Dezembers wurden fünf Wohnungen von uns sowie das Interbüro im Wedding und das Café Karanfil in Neukölln durchsucht. Insgesamt waren 170 schwer bewaffnete Polizisten im Einsatz und stürmten unsere Wohnungen. Dabei kam es auch zu Gewaltanwendung, eine Genossin wurde anschließend mit auf die Polizeiwache genommen. Die Durchsuchungen dauerten stundenlang an, bei denen die Wohnungen verwüstet und persönliche Gegenstände wie Laptops und Notizbücher beschlagnahmt wurden. Grund für dieses absurd hohe Maß an Repressalien gegen eine Organisation, die sich den Kampf gegen Gewalt an Frauen auf die Fahnen geschrieben hat: Unsere Solidarität mit Palästina. Der offizielle Vorwand lautet, wir hätten Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen verwendet. Dabei wird sich auf einen Flyer von uns bezogen, welcher die Unterdrückung der Frauen in Gaza und in der Westbank thematisiert und betont, dass die fortschrittlichen Teile des palästinensischen Befreiungskampfes unterstützt werden müssen. Der deutsche Staat versucht nun, uns zu beschuldigen, mit so genannten terroristischen Organisationen in Palästina wie der PFLP in Verbindung zu stehen. Auch wurden die zwei linken Orte durchsucht, weil wir dort in den letzten zwei Monaten vermehrt unsere Cafés und Veranstaltungen abhielten.
Wie geht’s euch gerade? Wurde jemand verletzt?
Zunächst einmal ist es sehr überfordernd, wenn plötzlich dutzende vermummte Polizisten in der eigenen Wohnung stehen, dich mit der Waffe in der Hand auf den Boden drücken und dir Handschellen anlegen. Mit den betroffenen Genossinnen wurde so umgegangen, als wären sie Schwerverbrecher. Eine Genossin wurde am Knie verletzt und musste einen Arzt aufsuchen. Auch wurden neben persönlichen Geräten und Gegenständen Spendengelder unserer Organisation im Wert von circa 60 Euro mitgenommen, was für eine Jugendorganisation, die sich selbst finanziert, nicht wenig ist.
Natürlich ist diese brutale Machtdemonstration des Staats schockierend. Doch trotz dieser Gewalt, Repression und medialen Verunglimpfungen geht es uns gut – denn wir wissen, dass wir für das Richtige kämpfen. Noch am selben Tag haben wir uns nicht vereinzeln lassen, waren für einander da, haben kollektiv das Chaos der Polizei im Karanfil aufgeräumt und die Moral hochgehalten. Diese Razzien haben das Gegenteil von dem bewirkt, was sie eigentlich sollten: Wir gehen gestärkter und entschlossener denn je aus diesen Angriffen hervor!
Was glaubt ihr, wieso die Razzien stattgefunden haben? Hat es auch mit der Besetzung an der FU letzte Woche zu tun?
Diese Razzien reihen sich ein in eine lange Kette polizeilicher Repression gegen ausnahmslos alle, die ihre Stimmen gegen die israelischen Kriegsverbrechen erheben. Bis jetzt wurden bereits über 20.000 Menschen in Gaza ermordet und hier gilt man als Terrorunterstützer, wenn man sich für die bloße Forderung nach einem Waffenstillstand einsetzt. Die Kriminalisierung von Befreiungskämpfen unterdrückter Völker ist zwar nichts Neues in Deutschland, doch seit dem 7. Oktober haben die Angriffe auf Palästinenser:innen und Palästina-solidarischen Aktivist:innen ein neues Ausmaß angenommen. Parolen wurden verboten, Proteste untersagt, Polizeigewalt und Racial Profiling haben immens zugenommen. In kaum einem anderen Land wird die pro-palästinensische Bewegung dermaßen kriminalisiert. Doch wenn man sich die deutsch-israelischen Beziehungen anschaut, verwundern diese Zustände kaum: Die deutschen Waffenexporte nach Israel haben sich seit dem 7. Oktober fast verzehnfacht. Diese Razzien waren ein weiterer Angriff, um jeden mundtot zu machen, der sich mit Palästina solidarisch zeigt. Darüber hinaus sind sie auch ein Angriff auf uns als junge Frauen, die nicht still bleiben und sich gegen den patriarchalen Normalzustand wehren.
Denn wie zahlreiche andere auch haben wir uns unser Recht auf freie Meinungsäußerung nicht nehmen lassen. Wir haben Frauencafés zum Thema Palästina organisiert und haben uns an etlichen Protesten und Veranstaltungen beteiligt. Auch haben wir uns an der Besetzung an der FU beteiligt, die von einer Reihe von jüdischen, migrantischen und internationalistischen Aktivist:innen und Organisationen veranstaltet wurde. Sicherlich war diese Besetzung auch Anlass für die brutalen Razzien – denn während dieser Stunden im besetzten Hörsaal konnte letztlich ein Ausdruck von internationaler Solidarität, von einer breiten antiimperialistischen Bewegung geschaffen werden. Getroffen hat es mit den Razzien diesmal uns als Zora – doch gemeint sind all diejenigen, die den deutschen Imperialismus angreifen.
Wie schätzt ihr zukünftige Repression auf euch und andere Organisationen ein? Geht ihr von einem Verbot aus?
Wir sind uns darüber bewusst, dass diese Razzien nicht das Ende der Repressionen darstellen. Je mehr sich die Krisen des Kapitalismus verschärfen und je schlechter die Lebensbedingungen der Menschen werden, desto mehr wächst das Potential einer massenhaften Bewegung, die sich gegen ihre Krisen und Kriege stellt – und welche letztlich das herrschende System ins Wanken bringen kann. In solchen Zeiten wachsen auch die Repressionen gegen fortschrittliche und revolutionäre Kräfte, welche viele Leute für eine friedliche, gerechte Welt mobilisieren. Dementsprechend werden wir als Zora auch nicht die einzigen bleiben, welche der Staat letztlich mit all seinen Mitteln angreifen wird – Verbote von linken Organisationen sind ebenfalls ein Mittel, mit denen sie versuchen werden, unseren Widerstand zu brechen. Doch wir werden unsere weitere politische Arbeit von Eventualitäten in der Zukunft nicht beeinflussen lassen. Als junge Frauen, die gegen Patriarchat und Kapitalismus kämpfen, wissen wir, dass unser Kampf legitim und notwendig ist.
Wie kann man euch sonst gerade unterstützen?
Das Wichtigste ist die Solidarität untereinander. Nicht zuletzt haben die etlichen Solidaritätsbekundungen wenig später nach den Hausdurchsuchungen dazu geführt, dass wir uns nicht haben einschüchtern lassen. Unser Appell ist es, sich weiterhin mit allen von Repressionen Betroffenen zu solidarisieren und als gemeinsame, antikapitalistische Kraft mehr zusammenzuwachsen. Vor allem aber rufen wir alle dazu auf, jetzt erst recht für die unterdrückten Völker dieser Welt einzustehen, Haltung zu zeigen und sich gegen Besatzung, Kolonialismus und Krieg aufzulehnen!