Einbürgerung leicht gemacht – oder auch nicht

08.06.2023, Lesezeit 10 Min.
1
Quelle: Juergen Nowak/ Shutterstock.com

Die Ampel-Koalition einigte sich auf neue Regeln zur Einbürgerung: Die doppelte Staatsbürgerschaft soll wieder möglich sein, außerdem ist es unter Umständen schon möglich, den deutschen Pass nach fünf oder sogar drei Jahren zu bekommen, statt wie bisher nach acht. Doch hinter dem angeblichen Fortschritt verbirgt sich eine aggressive Rückführungsoffensive.

Keine Einbürgerung bei Sozialleistungen und Straftaten

„FDP setzt sich gegen Faeser durch“, so betitelt die BILD die Einigung der Ampel bei der Reform des Einbürgerungsrechts. Diese reißerische Aussage deutet auf die politische Auseinandersetzung hin, die um diese Reform geführt wurde: Zurzeit können sich nur Menschen einbürgern lassen, die mindestens acht Jahre in Deutschland leben, einen unbefristeten Aufenthaltstitel oder eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung besitzen. Die Änderung beinhaltet nun eine Runterstufung auf fünf statt acht Jahre. Bei „besonderen Integrationsleistungen“ wie guten Sprachkenntnissen, ehrenamtlichem Engagement oder sehr guten Leistungen im Job soll eine Einbürgerung schon nach drei Jahren möglich sein. Außerdem dürfen Antragsteller:innen keine Vorstrafen haben. Dazu gehören Strafen mit 90 Tagessätzen oder höher. Bei rassistischen und antisemitischen Straftaten können Tagessätze ignoriert werden. Während Migrant:innen seit jeher verzweifelt versuchen, rassistische Straftaten und Morde, unter Anderem auch durch die Polizei, anzuzeigen und gerichtlich Erfolg zu haben, werden derartige Straftaten nun also bei ihnen selbst als Hauptproblem klassifiziert und ihnen damit die Einbürgerung strikt verwehrt.

Migrant:innen sollen zu Staatsbürger:innen werden können, wenn sie „wirtschaftlich unabhängig“ und dem deutschen Grundgesetz treu sind. „Wirtschaftliche Unabhängigkeit“ wird also von Menschen gefordert, die – wie die meisten geduldeten Geflüchteten – die ersten paar Jahre noch nicht einmal eine Arbeitserlaubnis haben und von einer noch unter dem HartzIV-Satz-liegenden Mindestgrundsicherung nach dem Asylbewerber:innengesetz leben müssen. Die „wirtschaftliche Unabhängigkeit“ wird tendenziell auch Frauen und Menschen, die Reproduktionsarbeit leisten, benachteiligen. Menschen, die Sozialgeld während ihrer Zeit in Deutschland beansprucht haben, sollen auch keine Möglichkeit mehr haben, sich einbürgern zu lassen. Diese Bedingungen entsprechen den Hürden, wie sie sich die FDP sich nach dem ursprünglichen Entwurf wünschte.

Viele geflüchtete Menschen sind auf Sozialleistungen angewiesen, weil sie nicht sofort in das Lohnarbeitssystem integriert werden können, gerade weil sie eben jahrelang keine Arbeitserlaubnis hatten oder Abschlüsse nicht anerkannt werden. Nun soll das schon ein Ausschlusskriterium sein, um die deutsche Staatsbürger:innenschaft zu beantragen. Weil im selben Atemzug besagte Sozialleistungen vorne und hinten nicht ausreichen, fallen Menschen in kriminalisierte Verhältnisse wie Drogenhandel. Für Drogenbesitz von „normalen  Mengen“ – also ab ca. 10 Gramm – kann bereits Strafgeld von 90 Tagessätzen verhängt werden. Damit wären Vorbestrafte wegen Drogenbesitz auch schon von der Reform ausgeschlossen. Migrantische Menschen werden erfahrungsgemäß härter bestraft, was zu der Annahme führt, dass sie also unter allen Umständen kein Anrecht mehr auf eine Einbürgerung hätten. Solange das HartzIV- bzw. das Bürgergeldsystem nicht reformiert wird und Löhne gerade in Zeiten der Inflation nicht zum Leben reichen, bleiben davon betroffene Menschen weiter eingeschränkt im Leben und in ihrem Einbürgerungsrecht.

Doppelte Staatsbürger:innenschaft gegen Fachkräftemangel

Die bisher geltende Optionspflicht, also dass in Deutschland geborene Jugendliche zwischen einer Staatsbürger:innenschaft wählen müssen, wenn sie erwachsen werden, wird abgeschafft und eine Mehrstaatigkeit wird grundsätzlich möglich. Kinder ausländischer Eltern werden deutsche Staatsbürger:innen, wenn ein Elternteil schon seit fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt. Ein schriftlicher Sprachtest für Menschen ab 67 Jahren soll künftig wegfallen und stattdessen mündlich überprüft werden.

Die vorgeschlagenen Reformen sind bereits seit über fünf Monaten bekannt und stellen eine stückweise Verbesserung der allgemeinen Regelungen für Migrant:innen dar. Sie sollen im Sommer als Gesetz – nach Prüfung der Länder – im Bundestag verabschiedet werden. Derzeit wird dieses Vorhaben vor allem dadurch begründet, im europäischen Vergleich bestehen zu können, in dem Deutschland bisher weit hinter Ländern wie dem Spanischen Staat, Polen oder Rumänien liegt. Der wahre Hintergrund für diese Lockerung ist jedoch der allgemein bekannte Fachkräftemangel, für den die Ampel nun mit diesem Rezept versucht, gut ausgebildete ausländische Arbeitskräfte anzuwerben. Klar ist, dass das neue Gesetz eine Einteilung in „gute“ und „schlechte“ Migrant:innen vorsieht: Einbürgerung soll für „gut integrierte“ und “fleißige” Migrant:innen ohne Straftaten vereinfacht werden. Vor allem sollen die zukünftig einreisenden Fachkräfte davon profitieren. Justizminister Marco Buschmann sagte in einem Interview mit der Rheinischen Post Folgendes: „Wir haben ja ein Interesse an Zuwanderung in unser Land – wir sind darauf sogar angewiesen. Es muss aber Zuwanderung von Menschen sein, die arbeiten können und wollen.“ Damit wird auch nochmal deutlich gemacht, dass es nicht um angeblich fortschrittliche Migrationspolitik, sondern einzig und allein den kapitalistischen Interessen Deutschlands geht, das auf Ausbeutung von vor allem migrantischen Menschen basiert. Nun sollen durch deutlichere Regelungen die Grauzonen verschwinden und nach einem Schwarz-Weiß-Schema die „wertvollen“ “arbeitswilligen” Migrant:innen vom Rest der Geflüchteten herausgefiltert werden.

Die Ampelregierung verfolgt also die reaktionäre Strategie, dem Fachkräftemangel in Deutschland mit gut ausgebildetem Personal – meistens noch schlechter bezahlt als ihre deutschen Kolleg:innen – aus dem Ausland entgegenzuwirken. Vor allem im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge fehlen immer mehr Fachkräfte. Die Gründe dafür könnten nicht offensichtlicher sein: Schlechte Bezahlung, die Arbeitsbedingungen vor Ort könnten nicht miserabler sein und eine konstante Überlastung durch extreme Mehrarbeit und Schichtarbeit mit arbeiter:innenfeindlichen Überstundenregelungen sind alltäglich. Verantwortlich dafür ist die imperialistische Regierung selbst, die Jahr für Jahr die Haushaltsgelder in diesen Sektoren kürzt.

Die bestehende Einigung in der Ampelkoalition folgt auf das Inkrafttreten des „Chancen-Aufenthaltsrecht“ am 1. Januar dieses Jahres. 136.000 „bereits in Deutschland gut integrierte Menschen“, die geduldet, gestattet oder mit Aufenthaltsstatus in Deutschland leben, können nach fünf Jahren ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten. Wie wir bereits an anderer Stelle erklärten, steckt hinter dem Paradigmenwechsel ein neues Modell der Migrationspolitik, das metaphorisch als „Mehr Zuckerbrot, mehr Peitsche“ bezeichnet werden kann. Dies ist auch im neuen Reformentwurf zu erkennen, wo nach kürzeren Fristen ebenfalls härtere Bedingungen gestellt werden. Die Überarbeitung des ursprünglichen Eckpunktepapiers sieht nun stärkere Überprüfungen der Personen, die einen Antrag stellen, durch die jeweiligen Ausländerbehörden vor. Der Einbürgerungstest wird mit neuen Aufgaben und Fragen ergänzt und der Straftaten-Katalog soll durch kleinere Delikte erweitert werden. In beiden Fällen soll es um die Bekämpfung des vermeintlichen „importierten Antisemitismus“ gehen. Erneut wird somit – vor allem muslimischen – Geflüchteten und Migrant:innen die hauseigene Unterdrückung unterstellt. Diese Linie steht vor allem in Kontinuität mit der verschärften Repression von Palästinenser:innen und Menschen, die sich gegen die Apartheidspolitik Israels mobilisieren. Gerade das Hervorheben von Antisemitismus als Straftat stellt einen klaren Angriff gegen den palästinensischen Befreiungskampf dar und legitimiert noch mehr Repression. Demonstrationen wie beispielweise am Nabka-Tag wurden bereits mehrfach unter dem Vorwand von Antisemitismus verboten und von der Polizei mit Gewalt unterbunden. Hier wird ganz klar deutlich, dass Antisemitismus als „importiertes Problem“ gesehen wird, während Massenproteste von Coronaleugner:innen, Reichsbürger:innen und Faschist:innen erlaubt und von der Polizei beschützt werden. Antisemitische Verschwörungstheorien, Holocaustrelativierung und Auslöschungsfantasien von Rechtsextremist:innen scheinen ja keinesfalls Grund genug zu sein, rechte Demonstrationen zu verbieten.

Keine Verbesserung, dafür mehr Gewalt gegen Geflüchtete an den EU-Grenzen

Auf der anderen Seite sollen nun „Rückführungen“ – das bürgerliche, reformistische Wort für Abschiebungen – einfacher und schneller passieren. Bereits jetzt werden Menschen ohne Dokumente zu Passanträgen aufgefordert, da diese für Asylverfahren notwendig seien, nur um sie dann legal in ihre Herkunftsländer abschieben zu können. Wenn nötig, wird sogar mit Lügen durch die Polizei eine Abschiebung erzwungen, bei denen Menschen zur „Abholung von Dokumenten“ auf das Revier bzw. zur Ausländerbehörde gebeten werden, um sie hinterhältig in Abschiebehaft zu sperren. Nun wurde auf dem Migrationsgipfel beispielsweise auch von Bundeskanzler Olaf Scholz gefordert, dass Georgien und Moldawien schnellstmöglich zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden sollen – obwohl bereits schon etliche Sammelabschiebungen in beide Länder geschehen. Allein seit Dezember 2022 wurden laut Deportation-Alarm schon 27 Sammelabschiebungen nach Moldawien und Georgien durchgeführt. Durch die Erklärung zu sicheren Herkunftsländern können Abschiebeprozesse nochmal deutlich beschleunigt werden.

Außerdem schließt Scholz Grenzkontrollen wie bereits zur Grenze zu Österreich nicht aus. „Wir müssen unsere eigenen Grenzen gut bewachen“, sagte er beim Migrationsgipfel. Scheinbar reichen Milliardenpakete an die Türkei zur Migrationsregulierung und abertausende Tote im Mittelmeer und an den EU-Grenzen noch lange nicht aus. Im Gegenteil wird das EU-Innenministertreffen, das heute stattfinden wird, im Rahmen einer europaweiten Reform des Asylrechts eine weitere Verschärfung beschließen: „Künftig sollen Grenzverfahren stattfinden, davon sind Familien mit Kindern nicht ausgenommen. Auch ohne Gerichtsentscheidung sollen sie in ihre Heimatländer abgeschoben werden können, Menschen, die aus Syrien oder Afghanistan vor Gewalt fliehen, könnten in die Türkei zurückgeschoben werden können, weil sie als sicherer Herkunftsstaat eingruppiert werden könnte.“

Die Bedingungen an den europäischen Außengrenzen, in den Geflüchtetencamps in Griechenland, Bosnien, Ungarn und Polen produzieren jedes Jahr erneut Schlagzeilen über die unmenschlichen Verhältnisse, über die etlichen Angriffe und die Repression, denen die Bewohner:innen der Camps ausgesetzt sind. Gerade die Zusammenarbeit mit der Türkei ist von großer Bedeutung, da die meisten Geflüchteten aus Westasien und Nordafrika über diese Route nach Deutschland versuchen zu flüchten. Mit dem Abkommen füllen sie nicht nur Erdoğans Taschen, sondern finanzieren auch gleichzeitig den Angriffskrieg und die ethnische Säuberung der kurdischen Bevölkerung in der Türkei – welche letzten Endes selbst als Geflüchtete und Gastarbeiter:innen seit Generationen in Deutschland leben und von dieser scheinheiligen Reform ebenso wenig profitieren, wenn sie nicht die rassistischen Kriterien der Bundesregierung erfüllen.

Während auch die Grünen eifrig gegen Geflüchtete hetzen, die Gewalt und Tode an den EU-Grenzen zu verantworten haben und mit dubiosen Kompromissen sich ihre eigenen Positionen regelrecht zurechtbiegen, bekommt die Parteiführung in der Geflüchtetenfrage aktuell Gegenwind von ihren eigenen Mitgliedern. Über 700 Grüne-Mitglieder haben einen Brief unterzeichnet, in dem die Haltung zur Asylreform kritisiert wird. Der Führung wird ein fehlendes Selbstbewusstsein in der Asyldebatte vorgeworfen und dass sie trotz der „schwierigen Verhandlungssituation in Brüssel“ die Diskussionshegemonie zurückgewinnen sollen. Da fragt man sich, wieso diese besagten Mitglieder nun für ein gerechtes Asylsystem eintreten wollen, während nahezu alle Parteiabgeordneten – inklusive der Abgeordneten der Grünen Jugend – mit „Ja“ für das 100-Milliarden-Sondervermögen abgestimmt haben. Vielleicht muss ihnen jemand den Zusammenhang zwischen der Militäraufrüstung eines imperialistischen Staates und Fluchtursachen erklären. Ein Schelm, wer auf die Idee kommt, das könnte mit milliardenschweren Waffendeals und deutschen Bundeswehrtruppen zusammenhängen, die in etlichen Kriegsgebieten eingesetzt werden.

Für volle Staatsbürger:innenrechte für alle!

In diesem Zusammenhang steht auch die Aufrüstung der Bundeswehr und der Polizei. Während auf deutschen Straßen jeden Winter obdachlose Menschen erfrieren, werden hunderte Milliarden in Aufrüstung gesteckt, die im sozialen Bereich fehlen. Statt Geld in gute Arbeitsbedingungen zu investieren, in denen migrantische Arbeiter:innen ein angenehmes Leben führen könnten, wird Geld in den Imperialismus gesteckt, der diese Menschen überhaupt erst zu Geflüchteten werden lässt. Deutschland brüstet sich international als eine der besten Volkswirtschaften, lebt aber mitunter davon, dass die Ökonomie in den Herkunftsländern der Geflüchteten kaum noch stabil ist. Denn nur so kann Deutschland diese Menschen als billige Arbeitskraft für die eigene Wirtschaft missbrauchen. Ihnen gleichzeitig Aufenthaltsrechte zu verwehren, ist das Sinnbild von imperialistischer und kapitalistischer Politik. Wir wollen die hundert Milliarden nicht im Militär, sondern für Bildung und Soziales!

Gleichzeitig wollen wir, dass alle Geflüchteten ein sofortiges Recht auf Arbeit und Bildung haben – zu fairen Löhnen und Bedingungen. Keine Schul- und Studienkosten, zusammen mit einem kostenfreien ÖPNV, damit auch alle Personen dieselben Chancen haben, zur Arbeit, zur Schule oder zur Uni zu gehen. Keine jahrelangen Antragsverfahren zum Arbeiten mehr – sofortige und unbefristete Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis für alle!

Die Einbürgerungsreform ist eine Erleichterung für ein paar Hunderttausende – aber eine Abschiebe- und Repressionsoffensive gegen etliche Millionen. Statt polizeiliche und militärische Grenzkontrollen fordern wir offene Grenzen. Einbürgerung und Einreisebestimmungen müssen unbürokratisch und ohne jegliche Bedingungen bleiben. Keine rassistische Agenda und scheinheilige Verbesserungsreformen, sondern wirkliche Veränderung und Erleichterung von Lebensgrundlagen.

Mehr zum Thema