Ein weiterer Teil der Tönnies Krimi-Serie: Rekrutierung ukrainischer Geflüchteter

05.04.2022, Lesezeit 7 Min.
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Foto: Pazargic Liviu/Shutterstock

Der nordrhein-westfälische Fleischmogul Tönnies hat Erfahrung damit, aus der Not von Menschen Profit zu schlagen. Jetzt schickt der kriminelle Milliardär Mitarbeiter:innen und Busse an die polnisch-ukrainische Grenze, um im dortigen Chaos gezielt alleinstehende Frauen als Arbeiter:innen für sein Schlachthaus anzuwerben.

Der Fleischkonzern Tönnies steht mal wieder in den Schlagzeilen. Diesmal wegen des Versuchs, die aus dem Ukraine-Krieg fliehenden Frauen an der Grenze mit der Aussichtt auf Arbeit und Unterkunft anzuwerben, wie die ARD berichtet. Das Versprechen, mit 11 Euro Lohn „über dem Mindestlohn zu zahlen“ sowie eine Unterkunft zu stellen, deren Kosten vom Gehalt abgezogen werden, spricht Bände über das Geschäftsmodell dieser kriminellen Vereinigung.

Die ekelhafte Ironie des Anwerbe-Flyers, die die Mitarbeiter:innen an der EU-Grenze verteilen, äußert sich am positiven Bezug zum größten Werk des multinationalen Konzerns. Wir erinnern uns an 2020, wo der Aufschrei groß war, als das Stammwerk in Rheda-Wiedenbruck durch außerordentlich hohe Infektionszahlen, zum Hotspot der Coronapandemie wurde. Das Unternehmen wusch seine Hände in Unschuld: Es sei für das Personal nicht verantwortlich, da dieses gar nicht bei Tönnies angestellt sei. Alle Beschäftigten in der Produktion arbeiteten unter Werkverträgen.

Über Jahre perfektionierte Clemens Tönnies ein System, in dem er alle Produktionsschritte in seinen Betrieben – von der Schlachtung über die Zerlegung bis zur Verarbeitung und Verpackung – an osteuropäische Werkvertragsfirmen auslagerte, um sich nicht an deutsches Arbeitsrecht halten zu müssen. Der in die Cum-Ex-Geschäfte verstrickte Unternehmer vergab die Bewirtschaftung der einzelnen Produktionsschritte hauptsächlich an polnische, rumänische und bulgarische Personaldienstleister, mit denen die Wanderarbeiter:innen dubiose Verträge schlossen.

Um den Mindestlohn zu unterlaufen, wurden die Beschäftigten zu unbezahlten Überstunden verpflichtet. Zudem wurden ihnen dreistellige Beträge für die Überlassung von Dienstkleidung und Arbeitsutensilien wie Schlachtmesser in Rechnung gestellt, sowie ebenfalls überteuerte Transport- und Unterkunftskosten: Für die Unterbringung in einem Vierbettzimmer zahlten die Arbeiter:innen bis zu 350 Euro. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall? Fehlanzeige. Stattdessen wurde den Beschäftigten für die Unterbringung fünf Euro extra pro Krankheitstag berechnet. Schließlich würden sie die Dienstwohnung ja intensiver nutzen.

Auch auf dem Bau oder in der Landwirtschaft wird mit ähnlichen Methoden seit Jahren der Mindestlohn bei Beschäftigten aus Osteuropa systematisch unterlaufen. „Wenn du den Tod suchst, geh nach Deutschland“, war eines der geflügelten Worte, die unter rumänischen Wanderarbeiter:innen 2020 weit verbreitet waren. Die Entwicklung, dass es für deutsche Unternehmen immer schwieriger wird, Menschen zu finden, die derart prekäre Arbeitsbedingungen akzeptieren, wurde durch die Pandemie beschleunigt. Der Griff nach billigen Wanderarbeiter*innen rückte immer weiter in die Ferne. Letztes Jahr schloss die Bundesregierung Staatsverträge mit Georgien ab, um billige Arbeitskräfte für die deutschen Äcker zu rekrutieren.

Die politische Verwicklung

Die Reaktion der Bundesregierung damals sollte drastisch wirken. Die Nachbarstadt Verl präsentierte der Presse Bilder, wie sie mit Hilfe der Polizei hunderte Saisonarbeiter:innen präventiv einsperren ließ. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte an, Werkverträge in der Fleischindustrie verbieten zu wollen. Das sogenannte „Arbeitsschutzkontrollgesetz“, das seit dem 1. Januar gilt, wurde als Zeichen des Aufräumens in der Branche verkündet und vom Vorsitzenden der zuständigen Gewerkschaft NGG als historischer Meilenstein bezeichnet.

Doch keine Regel ohne Ausnahme. Vorsorglich meldete Tönnies dutzende neue Subunternehmen an, da das Verbot erst für Betriebe mit mehr als 49 Mitarbeiter:innen gilt – und auch nur für die Bereiche der Schlachtung und der Zerlegung. Für die Verarbeitung und die Verpackung, die Reinigung der blutigen Sauerei und den Transport gilt es nicht. Und genau für diese Bereiche wirbt Tönnies derzeit Beschäftigte an der ukrainischen Grenze.

Die Dreistigkeit der gesamten Aktion steht in klarer Kohärenz zum Weltbild und Handeln von Tönnies, einem „ehemaligen“ Kumpel von Putin. Es eignet sich gut, um daran zu erinnern, dass der Schweine-Kapitalist seinen Vorstandsposten bei Schalke 04 nutzte, um Gazprom als Sponsor sichtbar, beziehungsweise gute Geschäfte zu machen. Bis zum Kriegsausbruch, also auch nach der Krim-Annektion, verfolgte Tönnies ambitionierte Expansionspläne in Russland und steigerte seine Russland-investitionen auf über 600 Millionen Euro. Die politischen Freundschaften des Magnaten sind allerdings vielfältig und prinzipientreu, wie am Beispiel des ehemaligen Vizekanzlers und jahrelangen Vorsitzenden der heutigen Regierungspartei Sigmar Gabriel, der kurz vor dem Coronaausbruch für 10.000 €, die Standorterweiterung nach China mit vorbereitete deutlich wird. An dieser Stelle sei hinzugefügt, dass es der gleiche Gabriel war, der seit langem seine Beziehungen nach Katar pflegte, die Habecks Deal, sich “unabhängig” von russischem Gas zu machen, ermöglichten.

Im dunklen Licht steht im Falle Tönnies allerdings nicht nur die politische Komplizenhaft, sondern auch der fragwürdige juristische Umgang mit dem kriminellen Verhalten. Zum einen wurde Tönnies zu Beginn der Omikron-Welle ein Sonderumgang mit Infektionen ermöglicht, wodurch Infizierte Beschäftigte bereits nach 3 Tagen Quarantäne wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren durften. Trotz der massiven Kritik der letzten Jahre, wurden Tönnies noch einmal Sonderrechte der Ausbeutung zur Verfügung gestellt, dessen potentielle Folgen erneut auf die Gesundheit der Beschäftigten ausgelagert wurden. Dieser Skandal baute auf ein weiteres Urteil auf, welches die Vormacht des Konzerns über irgendeine Form von Gerechtigkeit aufzeigt: Für den Corona-Ausbruch im Jahr 2020 erhält Tönnies mehrere Millionen Euros als Entschädigung vom Land NRW! Der Ausdruck einer Klassenjustiz bleibt am Beispiel des Fleischkonzerns unbestreitbar.

Rassistisches Migrationsregime beenden

Die Welle an Solidarität, die wir derzeit in der Bundesrepublik mit ukrainischen Geflüchteten sehen, ist bemerkenswert und muss diese Versuche der gnadenlosen Ausnutzung des Krieges und der unsicher Flucht aufs schärfste verurteilen. Tönnies Anwerbeversuch steht im gleichen Roten Faden, der zahlreichen Berichte, die es in den letzten Wochen über Versuche an Bahnhöfen von Zuhältern gab, die ukrainische Frauen in die Prostitution drängen wollten. Diese perverse Formen aus der Unsicherheit und Armut der Flüchtenden Profit zu schlagen, stehen in der Tradition des Migrationsregimes der Bundesrepublik, die immer wieder Geflüchtete und Gastarbeiter:innen anwarb und mit beschnittenen Rechten und Niedriglöhnen in den deutschen Arbeitsmarkt integrierte. So versteht sich ebenfalls, der Versuch der Berliner Senatorin Giffey und des Arbeitsministers Heil, die geflüchteten Ukrainer:innen in den von Personalmangel bestimmten Arbeitsmarkt einzuverleiben.

Die Solidarität von Heute erinnert an die “Willkommenskultur” von 2015, bei der ebenfalls zu Beginn die Bahnhöfe voller Unterstützenden waren, Schulen zu Unterbringungen gemacht wurden und die allgemeine Stimmung die Aufnahme und Unterbringung aller Geflüchtete andeutete. Jedoch dauerte es nicht lange bis diese Stimmung kippte und die Hetze auf Geflüchtete anfing. Neben rassistischen Vorurteilen war ein Argument der Rechten in ihrer Hetzkampagne auch der Druck, die die Gefüchteten auf den Arbeitsmarkt aufbauen indem sie schlechter bezahlt werden. Die von den rechten erwirkte Entrechtung von Geflüchteten führte hingegen dazu, dass sich die Arbeitsbedingungen für sie noch weiter verschlechterten. Dagegen müssen die Gewerkschaften ankämpfen: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und ein uneingeschränktes Arbeitsrecht für alle – nicht nur für Geflüchtete aus der Ukraine. Nicht auf illegalisierte Arbeitsverhältnisse angewiesen zu sein schafft erst die Möglichkeit, gegen Unrecht am Arbeitsplatz kämpfen zu können.

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